T 0295/87 (Polyetherketone) 06-12-1988
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1. Gemäß Artikel 101 (2) und Regel 57 (1) EPÜ ist der Patentinhaber im Einspruchsverfahren berechtigt, zur Einspruchsschrift Stellung zu nehmen. Danach sind Stellungnahmen der Beteiligten nur insoweit zulässig, als sie von der Einspruchsabteilung oder einer Beschwerdekammer in Ausübung ihres Ermessens für notwendig und sachdienlich im Sinne des Artikels 101 (2) und der Regel 57 (3) EPÜ erachtet werden. Es liegt im Interesse einer zügigen Abwicklung des Einspruchsverfahrens, daß die Stellungnahmen der Beteiligten auf das notwendige und sachdienliche Maß beschränkt werden (s. Nr. 2 der Entscheidungsgründe).
2. Änderungen, die im Einspruchsverfahren an einem erteilten Patent vorgenommen werden, sind nur dann als sachdienlich und notwendig im Sinne der Regeln 57 (1) und 58 (2) EPÜ und damit als zulässig zu erachten, wenn vernünftigerweise behauptet werden kann, daß sie durch die Einspruchsgründe bedingt sind. Eine nicht durch die Einspruchsgründe bedingte Änderung, bei der neue Ansprüche vorgeschlagen werden, die im erteilten Patent keine Entsprechung haben, ist nicht zulässig (im Anschluß an die Entscheidung T 127/85 vom 1. Februar 1988) (s. Nr. 3 der Entscheidungsgründe).
Zulässigkeit von Stellungnahmen im Einspruchsverfahren
Einreichung weiterer Ansprüche im Einspruchsverfahren nicht zulässig
I. Der Hinweis auf die Erteilung des Patents Nr. 1879 mit 14 Ansprüchen ... wurde am 24. März 1982 bekanntgemacht.
Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Kristallines thermoplastisches aromatisches Polyetherketon, das die sich wiederholende Einheit enthält ..."
Die weiteren unabhängigen Ansprüche betreffen die Herstellung eines Polymers, das die sich wiederholende Einheit I enthält (Anspruch 7), und eine elektrische Isolierung, die ein Polymer mit der sich wiederholenden Einheit I enthält (Anspruch 14).
II. Die Einsprechende I legte am 9. Dezember 1982 gegen die Erteilung des Patents Einspruch wegen mangelnder Neuheit der Erzeugnisansprüche und mangelnder erfinderischer Tätigkeit der Verfahrensansprüche ein. Sie wandte ferner ein, daß die zwei früheren, zur Begründung der Priorität herangezogenen Anmeldungen nicht die ersten seien, in denen die beanspruchte Erfindung offenbart worden sei. Am 16. Dezember 1982 legte die Einsprechende II gegen das erteilte Patent Einspruch ein und beantragte dessen Widerruf wegen Nichterfüllung der Erfordernisse der Artikel 54 und 56 EPÜ.
Am 24. Dezember 1982 legte auch die Einsprechende III (die Beschwerdeführerin) gegen das erteilte Patent Einspruch ein und beantragt dessen Widerruf mit der Begründung, daß die Erfindung nicht neu, nicht erfinderisch und nicht so vollständig offenbart sei, daß der Fachmann sie ausführen könne.
(...)
Diese Einwände wurden in zahlreichen späteren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung nachdrücklich vorgebracht und im wesentlichen auf folgende Dokumente gestützt: ...
III. Mit Entscheidung vom 26. Mai 1987 hielt die Einspruchsabteilung das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage eines neuen Satzes aus 14 Ansprüchen aufrecht, dessen Anspruch 1 wie folgt lautete:
"Zähes kristallines thermoplastisches aromatisches Polyetherketon, bestehend im wesentlichen aus den sich wiederholenden Einheiten I ..."
Die Ansprüche 3 und 4 lauteten wie folgt:
Anspruch 3: Polyetherketon nach Anspruch 1 oder 2, das bis zu 30 Mol-% sich wiederholende Einheiten IV, V und/oder VI enthält.
Anspruch 4: Polyetherketon nach Anspruch 1, das durch Polykondensation von Hydrochinon, 4,4'-Dihydroxybenzophenon und 4,4'-Difluorbenzophenon erhalten wird
Die Gründe für die vorliegende Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen: (...)
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende III) legte danach am 11. Juli 1987 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 24. September 1987, in den späteren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung am 6. Dezember 1988 stützt sich auf mehrere weitere Entgegenhaltungen, insbesondere auf die Druckschrift US-A-4 105 635 (Entgegenhaltung 39); es läßt sich wie folgt zusammenfassen:
(...)
V. Die von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) schriftlich und in der mündlichen Verhandlung am 6. Dezember 1988 vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
(...)
VI. In der mündlichen Verhandlung wurde der folgende Anspruchssatz als Hauptantrag eingereicht:
Anspruch 1 in der von der ersten Instanz gewährten Fassung mit der Einschränkung ...
VII. Die Einsprechenden I und II wurden zwar aufgrund von Artikel 107 EPÜ als Beteiligte am Beschwerdeverfahren rechtzeitig geladen, erschienen jedoch nicht zur mündlichen Verhandlung.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Ansprüche 1 bis 12.
Am Ende der mündlichen Verhandlung erging die Entscheidung, daß das Patent entsprechend dem Antrag der Beschwerdegegnerin aufrechterhalten wird.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
Verfahrensfragen
2. Das Verfahren vor der Einspruchsabteilung war durch zahlreiche umfangreiche Schriftsätze aller Beteiligten gekennzeichnet und zog sich über einen Zeitraum von nahezu vier Jahren von der Einlegung des Einspruchs im Dezember 1982 bis zur mündlichen Verhandlung im September 1986 hin; es ist ein Beispiel dafür, wie ein Einspruchsverfahren nach Maßgabe des Artikels 101 und der Regeln 57 und 58 EPÜ möglichst nicht durchgeführt werden sollte.
Zwar schreibt Artikel 101 (2) EPÜ vor: "Die Einspruchsabteilung fordert die Beteiligten so oft wie erforderlich auf, ... eine Stellungnahme zu ihren Bescheiden oder zu den Schriftsätzen anderer Beteiligter einzureichen." Und auch die Regel 57 (1) und (2) EPÜ, die die erste Phase des Einspruchsverfahrens im unmittelbaren Anschluß an die Einreichung der Einspruchsschrift(en) zum Gegenstand hat, gibt dem Patentinhaber eindeutig Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesen Einsprüchen. Im Gegensatz dazu sieht jedoch die Regel 57 (3) EPÜ ausdrücklich vor, daß die Einspruchsabteilung, nachdem sie die Stellungnahme des Patentinhabers (und etwaige Änderungen) den übrigen Beteiligten mitgeteilt hat, nur noch diese zur Stellungnahme auffordert, sofern sie dies "für sachdienlich erachtet".
Obwohl Artikel 101 (2) und Regel 57 EPÜ konkret nur die Kriterien nennen, anhand deren die Einspruchsabteilung darüber entscheiden soll, ob sie Stellungnahmen einholen will, ist nach Ansicht der Kammer in diesen Bestimmungen eindeutig und zwangsläufig mit enthalten, daß die Beteiligten Stellungnahmen ohne ausdrückliche im Ermessen liegende Aufforderung durch die Einspruchsabteilung nur dann abgeben dürfen, wenn diese von der Einspruchsabteilung für "notwendig" oder "sachdienlich" im oben genannten Sinne erachtet werden. Es hieße diese Bestimmungen ad absurdum führen, wollte man sie dahingehend auslegen, daß zwar die Einspruchsabteilung von den Beteiligten Stellungnahmen nur anfordern darf, wenn sie diese für "notwendig" oder "sachdienlich" erachtet, die Beteiligten jedoch von Rechts wegen auch Stellungnahmen abgeben dürfen, die weder notwendig noch sachdienlich sind. (In diesem Zusammenhang wird auf die Entscheidung T 406/86 vom 2. März 1988, ABl. EPA 1989, 302, verwiesen.)
Es ist im Interesse einer reibungslosen und effizienten Abwicklung des Einspruchsverfahrens sicherlich äußerst wünschenswert und damit im Interesse der Öffentlichkeit, daß sich Stellungnahmen der Beteiligten auf das erforderliche und sachdienliche Maß beschränken. Dies wiederum setzt eine geeignete Kontrolle durch die Einspruchsabteilung (und mutatis mutandis durch die Beschwerdekammer) voraus, um festzustellen, ob die Stellungnahmen der Beteiligten und auch die zu ihrer Stützung eingereichten Unterlagen zulässig sind. Inwieweit weitere Stellungnahmen der Beteiligten notwendig und sachdienlich sind, hängt natürlich von zahlreichen Faktoren, unter anderem vom Schwierigkeitsgrad der zu entscheidenden Fragen, ab und kann nur nach der Sachlage im Einzelfall entschieden werden. Es ist allerdings festzuhalten, daß in gewissen Fällen sowohl die Einspruchsabteilung als auch die Beschwerdekammer das Recht und sogar die Pflicht haben, Stellungnahmen und/oder die zu ihrer Stützung angezogenen Unterlagen in Ausübung des ihnen durch die Artikel 101 (2) und 114 (2) sowie die Regel 57 (3) EPÜ eingeräumten Ermessens im Einspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren nicht zuzulassen.
Es wird in diesem Zusammenhang auf die "Allgemeinen Grundsätze" für das Einspruchsverfahren verwiesen (s. Mitteilungen des Europäischen Patentamts, ABl. EPA 1985, 272), denen sich die Kammer anschließt: "Das Europäische Patentamt ist bestrebt, im Interesse der am Einspruchsverfahren Beteiligten und der Öffentlichkeit möglichst rasch zu klären, ob das erteilte Patent im Hinblick auf das Einspruchsvorbringen aufrechterhalten werden kann oder nicht. Dies soll durch ein zügiges und straffes Verfahren erreicht werden, und dies bedeutet, daß die Einspruchsabteilung die Verfahrensführung in allen Phasen fest in der Hand haben muß. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß den Parteien ausreichend Gelegenheit gegeben werden muß, ihre Sache vorzutragen, damit die richtige Entscheidung getroffen werden kann."
Im vorliegenden Fall wurde bereits zu Beginn der mündlichen Verhandlung von der Kammer klargestellt, daß sie nicht rechtzeitig eingereichte Unterlagen nur dann zulassen werde, wenn sie von deren Relevanz überzeugt sei. Allerdings hätte nach Ansicht der Kammer die Einspruchsabteilung bei der Prüfung des Einspruchs in Anwendung der oben genannten Grundsätze des Artikels 101 und der Regel 57 EPÜ eine strengere Kontrolle hinsichtlich der Zulässigkeit der von den Beteiligten eingereichten umfangreichen Stellungnahmen ausüben können.
3. Auch hatte die Kammer zu Beginn der mündlichen Verhandlung die Frage gestellt, ob die unter Nummer III wiedergegebenen, von der Einspruchsabteilung gebilligten Ansprüche 3 und 4 zulässig seien, da ihr Gegenstand gegenüber dem der Ansprüche in der erteilten Fassung neu sei. Die Kammer entschied, daß diese Ansprüche aus den nachstehend genannten Gründen nicht zulässig sind, worauf die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung einen Anspruchssatz als Hauptantrag einreichte, in dem der Gegenstand der besagten Ansprüche 3 und 4 nicht enthalten war.
Die bereits erwähnte Entscheidung T 406/86 setzt sich mit der Frage auseinander, ob Änderungen am Patent während des Einspruchsverfahrens zulässig sind, und stellt insbesondere fest, daß die Einreichung von Änderungen im Einspruchsverfahren nach den Regeln 57 (1) und 58 (2) EPÜ Ermessenssache ist. Nach den Ausführungen in dieser Entscheidung sind solche Änderungen nur zulässig, wenn sie im Hinblick auf die Art der Einspruchsgründe und den sich daraus ergebenden Fragen "sachdienlich" und "erforderlich" sind. Änderungen am Text eines erteilten Patents während des Einspruchsverfahrens sind nach Ansicht der Kammer nur dann als "sachdienlich" und "erforderlich" im Sinne der Regeln 57 (1) und 58 (2) EPÜ und damit als zulässig zu betrachten, wenn vernünftigerweise behauptet werden kann, daß sie durch die in Artikel 101 EPÜ genannten Einspruchsgründe bedingt sind. Nach Auffassung der Kammer soll in dem in den Artikeln 101 bis 102 EPÜ und den entsprechenden Bestimmungen der Ausführungsordnung, insbesondere in den Regeln 57 und 58 EPÜ vorgesehenen Einspruchsverfahren geprüft werden, ob ein Patent den gemäß Artikel 100 EPÜ erhobenen Einwänden rechtlich Stand hält. Das Einspruchsverfahren ist nicht als Gelegenheit für den Patentinhaber gedacht, Änderungen am Text des Patents vorzuschlagen, die nicht eindeutig in Zusammenhang mit dem Ausräumen eines Einspruchsgrunds nach Artikel 100 EPÜ stehen. Insbesondere soll das Einspruchsverfahren nicht die Gelegenheit bieten, neue Gegenstände in die Ansprüche aufzunehmen, die zwar möglicherweise durch die ursprüngliche Beschreibung ausreichend gestützt sind, die jedoch als solche ursprünglich nicht beansprucht worden sind.
Im vorliegenden Fall war Anspruch 4 auf das nach Beispiel 14 erhaltene Polymer und Anspruch 3 auf eine bevorzugte Ausführungsart, d. h. ein spezielles Molverhältnis der Einheiten IV, V und/oder VI in dem Copolymer, gerichtet. Nach Auffassung der Kammer kann die Hinzufügung dieser Ansprüche, die in den Ansprüchen des angefochtenen Patents in der erteilten Fassung keine Entsprechung haben, nicht als Versuch gewertet werden, einen Einwand nach Artikel 100 EPÜ zu entkräften. Sie stellen somit Änderungen dar, die über die eigentlichen Einwände gegen die Rechtsgültigkeit hinausgehen, und sind daher weder erforderlich noch sachdienlich im Sinne der Regeln 57 und 58 EPÜ.
(...)
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent mit der Beschreibung und den Ansprüchen in der Fassung des Hauptantrags aufrechtzuerhalten.