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T 0647/93 (Verfahrensmangel) 06-04-1994
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Erstinstanzliche Entscheidung nicht auf der Grundlage der vom Anmelder vorgelegten Fassung getroffen - wesentlicher Verfahrensmangel (bejaht)
Abweichung von dem in den Richtlinien beschriebenen Verfahren - wesentlicher Verfahrensmangel (verneint)
Unzureichende Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung - wesentlicher Verfahrensmangel (verneint)" -
Zurückverweisung an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
I. Der Beschwerdeführer legte gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die Anmeldung Nr. 88 309 812.1 zurückgewiesen wurde, Beschwerde ein. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß angesichts der bereits in der Druckschrift GB-A-2 162 008 (als D1 bezeichnet) enthaltenen Offenbarung nicht von einer Erfindung ausgegangen werden könne.
II. Der Beschwerdeführer beantragte die Zurückverweisung der Anmeldung an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung auf der Grundlage der zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichten Ansprüche 1 bis 10 sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
III. Anspruch 1 lautet wie folgt:
"1. Magnetooptischer Datenträger mit einem transparenten Substrat (1), einer magnetooptischen Aufzeichnungsschicht (3), die ein auf dem transparenten Substrat (1) ausgebildetes vertikales anisotropes Merkmal aufweist, und einer auf der magnetooptischen Aufzeichnungsschicht (3) ausgebildeten Quermagnetisierungsschicht (4), wobei die Quermagnetisierungsschicht (4) bei Raumtemperatur eine geringe Koerzitivkraft und einen ausreichend hohen Curiepunkt gegenüber der Koerzitivkraft und dem Curiepunkt der magnetooptischen Aufzeichnungsschicht (3) aufweist"
Der Wortlaut der Ansprüche 2 bis 10 ist für die vorliegende Entscheidung ohne Belang.
IV. Der Beschwerdeführer trägt im wesentlichen vor, daß die zusammen mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Ansprüche den ursprünglich eingereichten Ansprüchen mit den mit der Erwiderung vom 22. Dezember 1992 auf einen Bescheid der Prüfungsabteilung hin eingereichten Änderungen der Ansprüche 1 und 2 genau entsprächen. Mit diesen Änderungen sei den Einwänden entsprochen worden, die aufgrund von Artikel 54 und 84 EPÜ im Bescheid erhoben worden seien. Die Erwiderung habe darüber hinaus Ausführungen zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit enthalten. Der Beschwerdeführer habe daher zweifelsfrei einen ernstzunehmenden Versuch unternommen, sich mit den Einwänden auseinanderzusetzen (vgl. Richtlinien für die Prüfung im EPA C-VI, 4.3). Der Prüfungsabteilung seien schwerwiegende Verfahrensfehler unterlaufen, da sie die mit Schreiben vom 22. Dezember 1992 eingereichte Änderung des Anspruchs 1 falsch ausgelegt habe, von dem in den Richtlinien C-VI, 4.3 beschriebenen Verfahren abgewichen sei und entgegen Regel 68 (2) EPÜ keine schriftliche, begründete Entscheidung erlassen habe.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der Beschwerdeführer hat geltend gemacht, der Prüfungsabteilung sei ein schwerwiegender Verfahrensfehler unterlaufen, da sie die Änderung des Anspruchs 1 im Schreiben vom 22. Dezember 1992 falsch ausgelegt habe.
2.1 In seinem Schreiben vom 22. Dezember 1992 erklärte der Beschwerdeführer folgendes:
"Ich möchte die folgenden Änderungen vornehmen:
In Anspruch 1, Zeile 8 bis 10 ist die Passage ": die magnetooptische ... Aufzeichnungsschicht." zu streichen und die Worte "gegenüber der Koerzitivkraft und dem Curiepunkt der magnetooptischen Aufzeichnungsschicht (3)" einzusetzen.
In Anspruch 2, Zeile 4 ist "12 000" zu streichen und "1 200" einzusetzen.
2.2 Obwohl der ursprünglich eingereichte Anspruch in Zeile 8 keinen Doppelpunkt, sondern ein Komma aufweist, kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Beschwerdeführer entsprechend dem von der Prüfungsabteilung im amtlichen Bescheid vom 6. März 1992, S. 1, letzter Absatz unterbreiteten Vorschlag beabsichtigte, die folgende Passage am Ende des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 zu streichen: ", wobei die magnetooptische Aufzeichnungsschicht (3) und die Quermagnetisierungsschicht (4) einen mehrschichtigen Aufzeichnungsfilm bilden".
2.3 Obwohl ferner im Schreiben des Beschwerdeführers vom 22. Dezember 1992 nicht ausdrücklich angegeben ist, an welcher Stelle die Worte "gegenüber der Koerzitivkraft und dem Curiepunkt der magnetooptischen Aufzeichnungsschicht (3)" einzufügen sind, ergibt sich aus dem Zusammenhang, daß diese Passage in Ermangelung anders lautender Anweisungen anstelle der gestrichenen Passage am Ende des Anspruchs eingefügt werden sollte.
2.4 Nach Auffassung der Kammer kann daher eigentlich kein Zweifel daran bestehen, daß der Beschwerdeführer beantragt hatte, den Anspruch 1 so zu ändern, daß er dem Wortlaut des Anspruchs 1 des zusammen mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Anspruchssatzes entspricht (s. Nr. III). Dies gilt demnach im Zeitpunkt des Ergehens der angefochtenen Entscheidung als die vom Anmelder vorgelegte Fassung.
2.5 Die der angefochtenen Entscheidung beigefügte Fassung des Anspruchs 1 weicht jedoch von der vom Anmelder vorgelegten insoweit ab, als der Satzteil "und die Quermagnetisierungsschicht (4) einen mehrschichtigen Aufzeichnungsfilm bilden." nicht gestrichen worden ist. Dies ist offenbar auch nicht auf einen Schreibfehler bei der Anfertigung einer Kopie des der Entscheidung beigefügten Anspruchs zurückzuführen, da aus den Nummern 1.1 und 1.2 der angefochtenen Entscheidung eindeutig hervorgeht, daß sich die Prüfungsabteilung bei der Prüfung der Anmeldung und der Entscheidung darüber an die der Entscheidung beigefügte Fassung des Anspruchs 1 gehalten hat.
2.6 Nach Auffassung der Kammer liegt hier eine Verletzung des Artikels 113 (2) EPÜ vor, der vorschreibt, daß sich das Europäische Patentamt bei der Prüfung der europäischen Patentanmeldung und bei der Entscheidung darüber an die vom Anmelder oder Patentinhaber vorgelegte oder gebilligte Fassung zu halten hat. Diese Bestimmung stellt einen wesentlichen Verfahrensgrundsatz dar und ist als Bestandteil des rechtlichen Gehörs von so grundlegender Bedeutung, daß jede - auch auf eine falsche Auslegung eines Antrags zurückzuführende - Verletzung dieses Grundsatzes prinzipiell als wesentlicher Verfahrensmangel zu werten ist. Ein Verfahrensmangel liegt grundsätzlich immer vor, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Prüfungsabteilung von der Möglichkeit einer Abhilfe nach Artikel 109 EPÜ keinen Gebrauch macht, nachdem sie in der Beschwerdebegründung auf den Fehler hingewiesen worden ist.
3. Gemäß Artikel 10 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern verweist die Kammer die Angelegenheit an die erste Instanz zurück, wenn das Verfahren in der ersten Instanz wesentliche Mängel aufweist. Eine weitere Prüfung der Angelegenheit durch die Kammer ist daher nicht erforderlich.
4. Die Kammer hält es jedoch angesichts der Sachlage im vorliegenden Fall für angezeigt, zu der Behauptung des Beschwerdeführers Stellung zu nehmen, der Prüfungsabteilung sei insofern ein schwerwiegender Verfahrensfehler unterlaufen, als sie von dem in den Richtlinien C-VI, 4.3 beschriebenen Verfahren abgewichen sei und auch entgegen Regel 68 (2) EPÜ keine schriftliche, begründete Entscheidung getroffen habe.
4.1 Obwohl es in der Regel wünschenswert ist, daß die Prüfungsabteilungen sich an die Richtlinien halten, möchte die Kammer darauf hinweisen, daß die Richtlinien, wie schon der Name sagt, keine rechtsverbindlichen Vorschriften darstellen, so daß ein Abweichen von dem in den Richtlinien beschriebenen Verfahren an sich noch keinen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt.
4.2 Die in den Nummern 3 und 4 der angefochtenen Entscheidung dargelegten Zurückweisungsgründe sind zweifellos etwas undurchsichtig. Insbesondere scheint ihnen die Auffassung zugrunde zu liegen, daß eine Erfindung nicht als patentierbar anerkannt werden könne, wenn der Unterschied gegenüber dem Stand der Technik "unwesentlich" sei oder ein technischer Fortschritt fehle. Im EPÜ findet sich hierfür jedoch keine Grundlage. Selbst wenn die Entscheidungsbegründung zu wünschen übrig läßt, heißt dies noch nicht, daß die Entscheidung überhaupt keine Begründung im Sinne der Regel 68 (2) EPÜ enthält. Infolgedessen liegt diesbezüglich kein Verfahrensmangel vor.
5. Aus diesen Gründen gelangt die Kammer zu der Schlußfolgerung, daß die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist, und macht von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch, die Angelegenheit entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen. Darüber hinaus hält die Kammer angesichts des Verfahrensmangels (vgl. Nr. 2 bis 2.6) die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ für angemessen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.
3. Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird stattgegeben.