1.9. Zwischenverallgemeinerungen
Übersicht
1.9. Zwischenverallgemeinerungen
- T 0298/22
In T 298/22 erläuterte die Kammer, dass für die Beurteilung, ob eine Änderung mit den Erfordernissen des Art. 123 (2) EPÜ in Einklang steht, der durch die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern etablierte sogenannte "Goldstandard" gilt: Jede Änderung darf unabhängig vom Kontext der vorgenommenen Änderung nur im Rahmen dessen erfolgen, was die Fachperson der Gesamtheit der Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens – objektiv und bezogen auf den Anmeldetag – unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (vgl. RBK, 10. Aufl. 2022, II.E.1.1).
Bei der Kombination der Merkmale (1.6) und (1.7b), stimmte die Kammer der Beschwerdeführerin dahingehend zu, dass das Merkmal (1.6) nur in Verbindung mit dem Ausführungsbeispiel der Figuren 1 bis 11 und somit nur im Zusammenhang mit Merkmal (1.7a) offenbart sei, aber nicht im Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel der Figuren 12 bis 16 und somit im Zusammenhang mit Merkmal (1.7b). Die Kammer stellte fest, dass, bei der Prüfung nach Art. 123 (2) EPÜ, ob eine Merkmalskombination ursprünglich offenbart sei, der Goldstandard nicht erfordere, dass die Kombination der Merkmale durch den Fachverstand der Fachperson möglicherweise aus der Beschreibung ableitbar sei oder dass sich die Fachperson die beanspruchte Kombination aus möglichen Ausführungen der Offenbarung ableiten könne, sondern dass die Kombination unmittelbar und eindeutig offenbart gewesen sei. Im vorliegenden Fall lag weder eine unmittelbare noch eine eindeutige Offenbarung vor.
Hinsichtlich der Zwischenverallgemeinerung in Merkmal (1.6), erklärte die Kammer, dass in Beachtung des Goldstandards eine "Zwischenverallgemeinerung" (also eine Verallgemeinerung einer ursprünglich offenbarten besonderen Ausführungsform, wobei der Gegenstand der Verallgemeinerung zwischen dieser besonderen Ausführungsform und der ursprünglichen, allgemein gefassten Definition der Erfindung liegt) nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern nur zu rechtfertigen sei, wenn keinerlei eindeutig erkennbare funktionale oder strukturelle Verbindung zwischen den Merkmalen der spezifischen Kombination besteht oder das herausgegriffene Merkmal nicht untrennbar mit diesen Merkmalen verknüpft ist (vgl. RBK, 10. Aufl. 2022, II.E.1.9.1; T 714/00).
Die Beschwerdegegnerin ging auf die funktionale Verknüpfung des Merkmals (1.6) mit anderen Merkmalen des ersten Ausführungsbeispiels ein. Sie argumentierte, dass die anderen in den Figuren gezeigten und in der zugehörigen Beschreibung beschriebenen Merkmale nicht in funktionalem Zusammenhang mit Merkmal (1.6) stünden. Diesbezüglich war die Kammer der Meinung, dass Figur 1 und das entsprechende Ausführungsbeispiel auf den Seiten 8 und 9 der ursprünglich eingereichten Beschreibung viele nicht-optionale Merkmale offenbart hätten, die alle im Zusammenhang mit dem Merkmal (1.6) stünden, da diese Merkmale in Summe zu dem gemäß Merkmal (1.6) zu erreichenden Resultat führten. Folglich stünden die Merkmale des in Figur 1 gezeigten Ausführungsbeispiels mit Merkmal (1.6) in funktionalem Zusammenhang und könnten von Merkmal (1.6) gemäß den durch die Rechtsprechung gestellten Anforderungen nicht getrennt werden. Somit könne Merkmal (1.6) nicht isoliert in den breiteren Zusammenhang des Gegenstandes des (ursprünglichen) Anspruchs 1 gesetzt werden (unerlaubte Zwischenverallgemeinerung).
Die Kammer kam daher zu dem Schluss, dass Anspruch 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4 nicht die Erfordernisse des Art. 123 (2) EPÜ erfüllte.