4.2.3 Zweite und dritte Stufe des Konvergenzansatzes: Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten – Artikel 13 (1) und (2) VOBK
Über die Frage, ob ein Antrag, der in der Beschwerdebegründung oder Erwiderung vorgebracht wurde, durch die Einreichung neuer höherrangiger Anträge oder durch die Änderung der Reihenfolge unter den Begriff der Änderung des Beschwerdevorbringens fallen kann, gehen die Meinungen auseinander. Zur parallelen Frage im Rahmen von Art. 12 (4) VOBK, siehe Kapitel V.A.4.2.2 c) (vi). Zur Ermessensausübung in diesen Fällen, siehe Kapitel V.A.4.5.4 q).
In T 2112/16 war die Reihenfolge der Hilfsanträge im Verlauf des Beschwerdeverfahrens durch die Einführung des Hilfsantrags 1A geändert worden, der ein zusätzliches Merkmal enthielt, das in keinem der nachrangigen Hilfsanträge vorhanden war. Nach Auffassung der Kammer beinhaltete dies eine wesentliche Änderung der Ausrichtung der beanspruchten Erfindung und führte somit zu einer Änderung des Vorbringens.
Im Verfahren T 716/17 nahmen die Patentinhaber während der mündlichen Verhandlung mehrfach eine erhebliche Neuordnung ihrer anhängigen Anträge vor. Dadurch änderte sich immer wieder der zu erörternde Gegenstand, da die Patentinhaber mit den von ihnen ausgewählten Hilfsanträgen mehrere verschiedene und divergierende Versuche unternahmen, einen zulässigen Gegenstand zu finden. Die Kammer war der Auffassung, dass die Neuordnung anhängiger Anträge durch die Patentinhaber eine Änderung des Vorbringens darstellte, die gemäß Art. 13 (2) VOBK zu begründen war. Dieses Erfordernis wurde nicht erfüllt.
In T 1436/19 beantragte der Beschwerdeführer (Patentinhaber) einige Wochen vor der mündlichen Verhandlung eine Neuordnung der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge, wobei der frühere Hilfsantrag 4 als neuer Hauptantrag und der frühere Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 bis 3 jeweils als neue Hilfsanträge 1 bis 4 umnummeriert werden sollten. Der Beschwerdeführer begründete die vorgeschlagene Neuordnung mit dem Gebot der Verfahrensökonomie in Anbetracht der vorläufigen Stellungnahme der Kammer, wonach der Hilfsantrag 4 geeignet sei, alle erhobenen Einwände auszuräumen. Die Kammer entschied, dass die Neuordnung der Anträge eine Änderung des Beschwerdevorbringens des Beschwerdeführers darstellte, und entschied, in Ausübung ihres Ermessens nach Art. 13 (2) VOBK, die Änderung nicht zu berücksichtigen.
In T 218/20 dagegen konnte die Kammer nicht erkennen, wie die bloße Änderung der Reihenfolge der Anträge, die alle mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung als faire und angemessene Reaktion auf die Entwicklungen im erstinstanzlichen Verfahren eingereicht worden waren und die zu prüfen die Beteiligten und die Kammer hinreichend Gelegenheit gehabt hatten, dazu führen sollte, dass die weitaus strengeren Bestimmungen des Art. 13 VOBK für ihre Zulassung anzuwenden wären. Nach Auffassung der Kammer hatten sich im vorliegenden Fall der Verfahrensgegenstand und die aufgeworfenen Fragen eindeutig nicht geändert.
In T 228/22 änderte der Beschwerdeführer (Patentinhaber) die Reihenfolge der Anträge als Reaktion auf die vorläufige Stellungnahme der Kammer, indem er den aussichtsreichsten Antrag zum Hauptantrag machte. Die Kammer stellte fest, dass die geänderte Rangfolge dazu führte, dass die Hilfsanträge nicht mit dem neuen Hauptantrag übereinstimmten. Sie befand jedoch, dass selbst wenn die geänderte Reihenfolge im Ganzen eine Änderung des Vorbringens des Beschwerdeführers darstellte, die Erörterung des Hauptantrags davon unbeeinflusst bliebe.