4.2.3 Zweite und dritte Stufe des Konvergenzansatzes: Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten – Artikel 13 (1) und (2) VOBK
In zahlreichen Entscheidungen haben Kammern darauf hingewiesen, dass die spätere Substantiierung zunächst nicht substantiierter Anträge als Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligtes zu werten ist (z. B. T 319/18, T 1220/21, T 321/21, nachfolgend zusammengefasst, sowie T 1128/21 und T 2013/21). Es gibt jedoch unterschiedliche Ansätze für die Behandlung der ursprünglich nicht substantiierten Anträge, von denen einer darin besteht, sie als unwirksam zu betrachten (vgl. z. B. T 1732/10, T 2288/12, T 1784/14 und T 2393/18), und ein anderer darin, dass sie zwar als wirksam gestellt angesehen werden, ihre Zulassung zum Beschwerdeverfahren jedoch im Ermessen der Kammer liegt (z. B. T 1220/21, nachfolgend zusammengefasst, und T 1128/21). Siehe auch Kapitel V.A.4.3.5 b) (v).
In T 319/18 verwies die Kammer darauf, dass nach Art. 12 (3) VOBK, analog zu Art. 12 (2) VOBK 2007, die Beteiligten am Beschwerdeverfahren ihr vollständiges Vorbringen in ihrem ersten Schriftsatz darlegen müssen. Die Kammer befand unter Bezugnahme auf T 933/09 und T 1533/13, dass es bei Einreichung eines neuen Anspruchssatzes erforderlich war, ausdrücklich anzugeben, warum die Änderungen die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden und/oder vom Einsprechenden erhobenen Einwände ausräumten. Sofern der Zweck der Änderungen nicht aus sich heraus verständlich sei, stellten Erklärungen dafür, warum die neuen Ansprüche die offenen Einwände ausräumen, eine Änderung des Beschwerdevorbringen des Beteiligten dar, wenn diese Erklärungen nach der Beschwerdebegründung oder der Erwiderung eingereicht werden. Im vorliegenden Fall war die Kammer der Auffassung, dass die Anträge erst an dem Tag wirksam wurden, an dem sie substantiiert wurden. Sie wurden nicht zugelassen (Art. 13 (2) VOBK). Siehe auch T 750/18. Für ein Beispiel, in dem eine Änderung für aus sich heraus verständlich angesehen wurde, siehe T 2964/18.
In T 1220/21 vertrat die Kammer dagegen in Anbetracht von Art. 12 (3) und (5) VOBK die Auffassung, dass eine fehlende oder unzureichende Substantiierung eines geänderten Antrags zu dessen Nichtzulassung führen kann, dies aber nicht bedeutetet, dass der Antrag nicht wirksam gestellt wurde. Die Kammer betrachtete die späte Substantiierung der strittigen Anträge als eine Änderung des Beschwerdevorbringens des Beteiligten und entschied, sie gemäß Art. 13 (2) VOBK nicht zuzulassen. Darüber hinaus übte sie ihr Ermessen nach Art. 12 (5) VOBK dahingehend aus, die nicht substantiierten Anträge nicht zuzulassen. Im gleichen Sinne eräuterte die Kammer in T 1128/21, dass zwischen der Einreichung eines Antrags mit geänderten Patentansprüchen und der Frage einer hinreichenden Substantiierung dieses Antrags unterschieden werden müsse. Dies ergebe sich systematisch aus den Absätzen 3 und 5 des Art. 12 VOBK. Danach sei die Zulassung eines Antrags, auch wenn er nicht hinreichend substantiiert wurde, von der Kammer zu prüfen. Eine solche Prüfung und die Möglichkeit, einen Antrag trotz unzureichender Substantiierung zuzulassen, setze voraus, dass der Antrag trotz eines Substantiierungsmangels anhängig ist, d. h. wirksam eingereicht wurde.
In T 321/21 befasste sich die Kammer mit den beiden Ansätzen für den Umgang mit nicht substantiierten Anträgen und Einwänden (d. h. mit der die Frage, ob nicht begründetes Vorbringen als nicht wirksam eingereicht oder als eingereicht aber im Ermessen der Kammer liegend angesehen wird). Sie wies darauf hin, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Ansätzen darin besteht, ob eine Kammer eine formelle Entscheidung über die Zulassung eines aus ihrer Sicht nicht substantiierten Antrags oder Einwandes treffen muss oder nicht. Wie die Kammer ferner erläuterte, handelt es sich bei dem Grundsatz, dass eine Partei zur Verfahrensführung beitragen muss, indem sie ihre eigenen Anträge und Einwände in einem Mindestmaß substantiiert, um einen dem EPÜ zugrunde liegenden allgemeinen Verfahrensgrundsatz (siehe T 1776/18). In Art. 12 (3) Satz 2 VOBK werde dieser Grundsatz gezielt auf die Beschwerdebegründung und die Erwiderung angewandt.
Zur verspäteten Substantiierung eines Einwands oder einer Verteidigung siehe Kapitel V.A.4.2.3 m) und V.A.4.2.3 o) unten.
Zum Substantiierungserfordernis und insbesondere zur Frage, ob selbsterklärende Anträge den Anforderungen nach Art. 12 (3) VOBK entsprechen, siehe V.A.4.3.5 b) und V.A.4.4.4 c) (ii).
Zur Rechtsprechung zu unsubstantiierten Anträgen gemäß Art. 12 (2) VOBK 2007, siehe RBK, 10. Aufl. 2022, V.A.5.12.6.