T 2787/17 24-03-2021
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WAFFENSYSTEM, VERFAHREN ZUM VERSCHIESSEN UND ERKENNEN VON MUNITIONSKÖRPERN
Patentansprüche - Auslegung mehrdeutiger Bergriffe
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Änderung des Vorbringens - Änderung zugelassen (nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Zurückverweisung an die erste Instanz
Zurückverweisung - (nein)
I. Mit der angefochtenen Entscheidung wurde der Einspruch gegen das Europäische Patent 2 572 153 (das Patent) zurückgewiesen.
II. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
III. Am 24. März 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Die Hilfsanträge II und IIa wurden während der Verhandlung zurückgenommen. Die Schlussanträge lauteten wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent auf Basis eines der mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 eingereichten Hilfsanträge I, III oder IV aufrechtzuerhalten.
IV. Die folgenden bereits in der angefochtenen Entscheidung genannten Druckschriften sind relevant:
E9: DE 102 57 901 B4
E12: DE 19 833 137 A1
E14: DE 19 716 227 C2
E16: DE 697 01 724 T2
E21: US 7 674 628 B2
Die folgende relevante Druckschrift wurde erstmalig mit der Beschwerdebegründung vorgebracht:
E27: DE 196 50660 A1
V. Anspruchssätze
a) Hauptantrag (Patent wie erteilt)
Die unabhängigen Ansprüche 1, 10 und 14 des Hauptantrags lauten (die Nummerierung der Merkmale in "[]" wurde durch die Kammer hinzugefügt und lehnt sich an die von den Beteiligten verwendete an):
"[M1.1] Waffensystem
[M1.2] mit einer Waffe (2) zum Verschießen von Munitionskörpern (3), gekennzeichnet durch
[M1.3] einen den inneren Aufbau eines Munitionskörpers (3) untersuchenden Scanner (6)."
"[M10.1] Verfahren zum
[M1.10.2] Verschießen von Munitionskörpern (3) mit einer Waffe (2), dadurch gekennzeichnet, dass
[M1.10.3] der innere Aufbau eines Munitionskörpers (3) vor dem Verschießen mittels eines Scanners (6) untersucht wird."
"[M14.1] Verfahren
[M14.2] zum Erkennen von Munitionskörpern (3),
dadurch gekennzeichnet,
[M14.3] dass der innere Aufbau des Munitionskörpers (3)
mittels eines Scanners (6) untersucht wird."
b) Hilfsantrag I
In Hilfsantrag I entspricht Anspruch 13 unverändert Anspruch 14 des Hauptantrags. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 weisen gegenüber dem Hauptantrag zusätzlich folgende Merkmale auf:
"... , wobei der Scanner (6) ein Akustik-Resonanz-Prüfer oder ein Röntgen-Scanner ist."
c) Hilfsantrag III
In Hilfsantrag III entspricht Anspruch 1 unverändert Anspruch 14 des Hauptantrags. Die weiteren unabhängigen Ansprüche wurden gestrichen.
Hilfsantrag IV
Hilfsantrag IV entspricht Hilfsantrag III, wobei Anspruch 1 zusätzlich folgende Merkmale aufweist:
"... , wobei der Scanner (6) ein Akustik-Resonanz-Prüfer oder ein Röntgen-Scanner ist."
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
a) Zulassung E27
E27 sei in das Verfahren zuzulassen, da es mit der Akustik-Frequenz-Analyse ein Verfahren zur Untersuchung des inneren Aufbaus eines Munitionskörpers offenbare, welches auch im Patent offenbart werde. Somit sei es hoch relevant.
b) Neuheit - Hauptantrag
Der Gegenstand von Anspruch 1 und 10 sei nicht neu im Hinblick auf jede der Offenbarungen von E9, E12 und E14.
E9 offenbare eine Waffe, bei der im Munitionskörper ein auslesbarer Kennungsspeicher in den inneren Aufbau integriert sei, der munitionsspezifische Daten enthalte (Absatz [0052]). Der Begriff Munitionskörper umfasse auch Kombinationen aus Geschoss und Treibladungen wie beispielsweise einer Patrone. Daher ermögliche das Auslesen des Kennungsspeichers eine Untersuchung des inneren Aufbaus eines Munitionskörpers. Zudem sei schon die Feststellung, dass ein Speicher vorhanden sei, bereits eine Information über den inneren Aufbau. Da sich der Begriff des Munitionskörpers auch auf die Treibladung erstrecke, sei auch eine Untersuchung der Treibladung eine Untersuchung im Sinne der Merkmale M1.3/M10.3.
Diese Argumente gälten auch auf die Offenbarung von E14, da auch dort ein Munitionskörper offenbart sei, der einen in dessen inneren Aufbau integrierten Mikrokontroller mit einem Speicher für munitionsspezifische Daten zum Aufbau der Patrone enthalte (Spalte 3, Zeilen 45 ff).
E12 erfasse mittels Prüfmaßnahmen und Sensoren physikalische Daten eines Munitionskörpers wie Masse, Farbe, Kontur und Abmessung und gleiche diese zwecks der Erkennung mit Daten ab, die auf einem Mikrocontroller gespeichert seien.
c) Erfinderische Tätigkeit
Ausgehend von E16, gemäß der die Munitionskörper nur bezüglich ihrer äußeren Kontur abgetastet würden, liege die objektive technische Aufgabe in der Vermeidung äußerer Manipulationen zum sicheren Erkennen von geächteter Munition. Gerade dieses Problem löse E21, indem mittels eines akustischen Untersuchungsverfahrens Daten über den inneren chemischen Aufbau des Munitionskörpers erfasst würden.
d) Zulassung Hilfsanträge I, III und IV; Zurückverweisung
Die Hilfsanträge seien verspätet und nicht zuzulassen, denn die Verspätung gründe nicht auf außergewöhnlichen Umständen, wie in Artikel 13(2) VOBK 2020 gefordert. Besondere Gründe für eine Zurückverweisung lägen nicht vor.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
a) Zulassung E27
E27 sei nicht in das Verfahren zuzulassen, da es ohne Begründung zu spät vorgebracht worden sei und es zudem an Relevanz für die Patentierbarkeit mangele. So offenbare es keine Untersuchung des Munitionskörpers vor dem Verschießen in einer Waffe. Zudem würde gemäß Figur 1 lediglich die Treibladung selbst und nicht der Munitionskörper untersucht werden.
b) Neuheit - Hauptantrag
Keines der Dokumente E9, E12 und E14 nehme den Gegenstand der Ansprüche 1 und 10 neuheitsschädlich vorweg.
Das Auslesen eines Kennungsspeichers in E9 stelle keine Untersuchung des inneren Aufbaus im Sinne der Merkmale M1.3/M10.3 dar. Zwar sei eine Erkennung auf Basis der Daten möglich, die Daten seien jedoch nicht vor Manipulation gesichert. Anspruch 14 zeige, dass das "Erkennen" eines Munitionskörpers im Patent inhärent mit der strukturellen Untersuchung verknüpft sei. Auch das Feststellen, dass ein entsprechender Speicher vorhanden sei, entspreche nicht einer solchen Untersuchung. Zudem sei der Kennungsspeicher in E9 lediglich in dem Treibsatzteil der Patrone integriert und damit nicht im Munitionskörper selbst.
E12 sei nur auf die Untersuchung einer Treibladung, beispielsweise in Form von Grünbeuteln, gerichtet, und daher nicht auf einen Munitionskörper.
E14 offenbare lediglich das Auslesen von Daten aus einem Datenspeicher und somit ebenfalls keine Untersuchung der inneren Struktur im Sinne der Merkmale M1.3 und M10.3. Der Datenspeicher sei zudem im Patronenboden eingebettet und somit nicht im Munitionskörper selbst.
c) Erfinderische Tätigkeit
E16 offenbare nicht die Merkmale M1.3/M10.3. Eine Kombination mit der Offenbarung von E21 sei nur im Rahmen einer rückschauenden Betrachtung möglich. E21 lege das Unterscheidungsmerkmal zudem ohnehin nicht nahe, da hier lediglich ein chemischer Sensor offenbart sei, der zur Untersuchung des inneren Aufbaus des Munitionskörpers ungeeignet sei. Es würden so lediglich Informationen über die Zusammensetzung der Treibladung ermittelt werden.
d) Zulassung Hilfsanträge I, III und IV; Zurückverweisung
Die in Erwiderung auf den Ladungsbescheid der Kammer eingereichten Hilfsanträge I, III und IV seien zuzulassen, da außergewöhnliche Umstände dafür vorlägen. Diese bestünden zum einen im überraschenden Hinweis der Kammer in der Ladung unter Punkt 10.1.3, dass entscheidungswesentlich zu klären sei, ob die Merkmale 1.3 und 10.3 einen "bildhaften Eindruck in die innere Struktur" ermöglichten. Ein solches Kriterium sei im gesamten Verfahren bis dahin von keiner Seite erwähnt worden. Zum anderen sei der unabhängige Anspruch 14 bisher im Verfahren tatsächlich und rechtlich wie ein abhängiger Anspruch behandelt worden. Er sei im gesamten Verfahren nicht eigenständig diskutiert worden und habe auch keine eigene rechtliche Würdigung erfahren. Ob dieser Gegenstand überhaupt Gegenstand der Beschwerde sei, sei unklar. Jedenfalls diente die Zulassung der Hilfsanträge auf Grund ihrer eindeutigen Gewährbarkeit der Verfahrensökonomie und einem fairen Verfahren.
Hilfsantrag I betreffe eine im Stand der Technik nicht offenbarte Konkretisierung der diskutierten Untersuchungsmethode. Die Hilfsanträge III und IV richteten sich auf einen Gegenstand, gegen den weder in der angefochtenen Entscheidung, noch in der Beschwerdebegründung Einwände erhoben wurden und seien zur erstinstanzlichen Überprüfung zurückzuverweisen.
Sollten die Hilfsanträge III oder IV weder zugelassen noch an die Vorinstanz zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen werden, wäre das rechtlichen Gehör der Beschwerdegegnerin verletzt, da diese dann im gesamten Verfahren keine Gelegenheit gehabt habe, deren Gegenstand zu verteidigen.
1. Zulassung E27 (Artikel 12(4) VOBK 2007)
1.1 Die Druckschrift E27 wurde erstmals mit der Beschwerdebegründung, und zwar vor 1. Januar 2020, eingereicht. Gemäß den Übergangsvorschriften in Artikel 25(2) der geltenden VOBK 2020 findet bezüglich der Zulassungsprüfung noch Artikel 12(4) VOBK 2007 Anwendung. Demgemäß hat die Kammer ein Ermessen, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits in der Vorinstanz hätten vorgebracht werden müssen. In Ausübung dieses Ermessens lässt sie die Druckschrift E27 in das Verfahren zu.
1.2 Die Druckschrift E27 offenbart unstreitig ein Akustik-Resonanz-Analyseverfahren zur Untersuchung von "Munitionskörpern", welches dem gemäß Anspruch 9 und der Beschreibung des Patents genannten Verfahren entspricht. Damit ist E27 bereits zumindest für die folgende Anspruchsauslegung relevant, die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Verfahren ausführlich diskutiert wurde.
2. Anspruchsauslegung
2.1 Merkmal "Munitionskörper"
Der Begriff "Munitionskörper" betrifft im Patent nach Auffassung der Kammer Munition im allgemeinen, wie beispielsweise Patronen, die integral mit dem Geschoss auch einen Treibladungsteil aufweisen. Damit folgt die Kammer nicht der Ansicht der Beschwerdegegnerin, die den Begriff lediglich auf das eigentliche Geschoss der Munition lesen möchte.
Aus dem in der Beschreibung und in den Ansprüchen verwendeten Begriff des "Verschießens von Munitionskörpern" lässt sich die von der Beschwerdegegnerin vorgenommene engere Auslegung im Sinne des Verständnisses eines Munitionskörpers als reiner Geschosskörper nicht herleiten. Der Vorgang des "Verschießens" schließt eine dabei erfolgende Auftrennung des Munitionskörpers in Geschoss und Treibladungsteil nicht aus. Nähere Ausführungen hierzu finden sich hierzu nicht im Patent. Zwar ist richtig, dass gemäß Absatz [0005] Streumunition als Munitionskörper bezeichnet werden; gemäß Absatz [0063] können die Munitionskörper jedoch unter anderem auch als "Raketen" ausgebildet sein. Zudem wird gemäß Absatz [0009] der Begriff "Munitionskörper" bei Streumunition sowohl für die Bomblets als auch die übergeordnete, zum Verschießen vorgesehene Einheit einschließlich des Treibladungsteils verwendet. Im Übrigen werden im Patent die Begriffe "Munitionskörper" und "Geschoss" als zumindest gleichartige Kategorien verwendet (vergleiche z.B. Seite 14, Zeilen 21 bis 23).
Auch der Stand der Technik stützt nicht die enge Auslegung des Begriffs "Munitionskörper" seitens der Beschwerdegegnerin. E27 beispielsweise beschäftigt sich mit gefundenen "Munitionskörpern" (siehe Spalte 1, Zeilen 10 bis 20). Aus Figur 1 geht hervor, dass der Munitionskörper (1) neben der Geschossspitze (2) auch eine Hülle (3) mit Inhaltsstoff (4) umfasst, die die Beteiligten unstreitig als Treibsatzteil ansehen.
2.2 Merkmal "den inneren Aufbau eines Munitionskörpers untersuchender Scanner"
Bezüglich der Merkmale M1.3 und M10.3 war streitig, was von dem Begriff "innerer Aufbau" umfasst ist, was in diesem Zusammenhang eine "Untersuchung" bedeutet und welche Bedeutung dem Begriff "Scanner" zukommt.
Diese Bedeutungen erschließen sich nach Auffassung der Kammer nicht aus dem Anspruchswortlaut selbst. Somit sind gemäß ständiger Rechtsprechung die Beschreibung und die Figuren zur Auslegung heranzuziehen.
2.2.1 Gemäß der Beschreibung kommt dem Begriff des "Scanners" als einzige beschränkende Bedeutung zu, dass es sich um einen "Sensor" handelt, der zur Untersuchung des inneren Aufbaus des Munitionskörpers geeignet ist. Beide Begriffe werden im Patent synonym verwendet (siehe z.B. Absätze [0032],[0053] und [0054]).
2.2.2 Die im Patent offenbarten Ausführungsformen der "Untersuchung" umfassen sowohl direkte, bildgebende (Röntgenanalyse) als auch indirekte Methoden (Akustik-Resonanz-Analyse), bei denen charakteristische Messwerte des Munitionskörpers ermittelt werden. Dies wurde auch seitens der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
Die Akustik-Resonanz-Analyse ermöglicht unstreitig die Erkennung eines Munitionskörpers ohne einen bildhaften Einblick zu ermöglichen, also der "tatsächlichen körperlichen inneren Struktur" (vergleiche Beschwerdeerwiderung, Seite 2). Die Ermittlung eines charakteristischen "Fingerabdrucks" des Munitionskörpers ist hinreichend (Patent, Absätze [0032],[0039] und [0054]). Die Identifizierung des Munitionskörpertyps und somit dessen inneren Aufbaus erfolgt beispielsweise durch Abgleich mit einer Referenzdatenbank (Patent, Absätze [0019], [0032] und [0054]). Gemäß der Beschwerdegegnerin stellt dieser Vorgang eine "Erkennung" im Sinne von Anspruch 14 dar.
Im Patent ist die Art der Messwerte zur Ermittlung eines charakteristischen Fingerabdrucks nicht weiter eingeschränkt. Jede physikalische oder chemische Messgröße oder Kombination aus Messgrößen, die in situ am Munitionskörper ermittelbar und zur unmittelbaren Identifizierung desselben geeignet ist, fällt somit unter das Merkmal.
2.2.3 Zu den im diskutierten Stand der Technik offenbarten indirekten Messgrößen, die einen solchen charakteristischen Fingerabdruck im Sinne einer Untersuchung gemäß der Merkmale M1.3/M10.3 ermitteln können, gehören daher nach Auffassung der Kammer:
- die Ermittlung charakteristischer Eigenfrequenzen mittels Akustik-Frequenz Analyse (E27) und
- der Nachweis bestimmter, für geächtete Munition charakteristischer flüchtiger Chemikalien (E21).
Wie sich aus Punkt 2.1 ergibt, ist dabei unerheblich, ob der Treibsatzteil eines Munitionskörpers oder dessen Geschossteil Gegenstand der Untersuchung bzw. Quelle des charakteristischen Messwertes ist.
Jedoch stellt weder das Auslesen eines in den Munitionskörper integrierten Speicherelementes noch die Rückmeldung, dass ein Speicherelement vorhanden ist, eine Untersuchung des inneren Aufbaus im Sinne des Patents dar, da die gespeicherten Daten weder ein direktes noch indirektes Erkennen des inneren Aufbaus ermöglichen, sondern nur die gespeicherten Daten wiedergeben können, unabhängig von deren Validität oder Bezug zum inneren Aufbau. Eine Überprüfung der Validität dieser gespeicherten Daten bezüglich des inneren Aufbaus ist somit nicht möglich.
3. Hauptantrag
3.1 Neuheit des Gegenstands der Ansprüche 1 und 10
Keine der Druckschriften E9, E12 oder E14 nimmt den Gegenstand der Ansprüche 1 oder 10 neuheitsschädlich vorweg.
3.1.1 E9 offenbart einen Munitionskörper (Patrone 3), die einen auslesbaren Kennungsspeicher (13) enthält, auf dem unter anderem Daten zum inneren Aufbau (Absatz [0052]: "Art der Zündladung, des Geschosses") auslesbar abgelegt sind. Vor dem Verschießen erfolgt ein Datenabgleich mittels einer Kontrolleinrichtung. Weder das Auslesen von Daten des Speichers noch die Feststellung dessen Präsenz stellt jedoch eine direkte oder indirekte Untersuchung des inneren Aufbaus im Sinne des Streitpatents dar (vergleiche Punkt 2.2).
3.1.2 E12 ist auf die Untersuchung von physikalischen Daten von Treibladungen gerichtet (Absatz [0009]: "Masse, Farbe, Kontur und Abmessung"). Auch wenn diese Daten möglicherweise Rückschlüsse auf die innere Struktur zulassen, gibt es keine Hinweise darauf, dass diese Treibladungen im Sinne einer Patrone in den Munitionskörper integriert sind. Gemäß der Absätze [0017] und [0018] wird im Gegenteil die Verwendung von vom Geschoss getrennten Treibladungen offenbart (Grünbeutelladungen/ modulare Treibladungen). Damit offenbart E12 selbst im Hinblick auf die breite Auslegung des Begriffs "Munitionskörper" keine Untersuchung eines Munitionskörpers, sondern lediglich einer Treibladung.
3.1.3 E14 offenbart Munitionskörper ("Patronen 4"), in denen ein Mikrocontroller integriert ist. Auf diesem sind auslesbare Daten zum inneren Aufbau gespeichert (Spalte 4, Zeilen 21 bis 27). Wie bereits bezüglich E9 diskutiert, stellt das Auslesen eines Speichers keine Untersuchung des inneren Aufbaus im Sinne des Streitpatents dar (vergleiche Punkt 2.2). Zwar ermitteln Sensoren in der Patrone zusätzlich Umgebungsdaten wie Temperatur und Feuchtigkeit (Spalte 4, Zeilen 14 bis 20), diese sind jedoch nicht geeignet, Rückschlüsse auf die innere Struktur zu ziehen.
3.2 Erfinderische Tätigkeit - Ansprüche 1 und 10
3.2.1 E16 ist ein geeigneter nächstliegender Stand der Technik, da hier ein Waffensystem offenbart ist, bei dem ein Munitionskörper ("Munition") vor dem Verschießen mittels eines äußere Merkmale der Munition (Anspruch 1: "Silhouette") erfassenden Sensors untersucht und anschließend identifiziert, d.h. es findet eine Erkennung des Munitionskörpers statt. Entsprechende Silhouetten der Munitionskörper sind in Figur 2 dargestellt. In E16 ist diese Methode als Weiterentwicklung ausgehend von "Strichcodes" oder "elektrischen Etiketten" beschrieben (Seite 8, Zeilen 19 bis 27) und beschäftigt sich somit mit dem gleichen Ausgangspunkt wie das Patent.
3.2.2 E16 unterscheidet sich unstreitig vom Gegenstand der Ansprüche 1 und 10 lediglich dadurch, dass nicht der innere, sondern lediglich der äußere Aufbau des Munitionskörpers mittels eines Scanners (Anspruch 1: "optischer Sensor") untersucht wird.
3.2.3 Gemäß dem Patent ist die äußere Geschosshülle selbst oder daran angebrachten Kennungen anfällig für Manipulationen (Absatz [0030]) Dies soll durch die Untersuchung des inneren Aufbaus verhindert werden, um geächtete Munitionskörper unabhängig von äußeren Erkennungsmerkmalen identifizieren zu können.
Die objektive technische Aufgabe angelehnt an Absatz [0007] des Patents ist, eine Vorrichtung und ein Verfahren zum Verschießen von Munitionskörpern bereitzustellen, durch das ein geächteter Munitionskörper unabhängig von äußeren Merkmalen erkannt wird.
3.2.4 Die Druckschrift E21 ist auf die Aufgabe gerichtet, geächtete Waffen (hier: "chemical weapons") mit fehlenden oder manipulierten äußeren Markierungen ("taggants"/ "markers") zu identifizieren, bevor diese Waffen zum Einsatz kommen (Spalte 1, Zeilen 26 bis 46). Daher offenbart E21 einen deutlichen Anhaltspunkt bezüglich der Aufgabenstellung. Zu dessen Lösung wird ein fotoakustischer Sensor vorgeschlagen (Spalte 6, Zeile 9 ff), mit dem lokal vorhandene Chemikalien nachgewiesen werden können, die aus dem Inneren einer chemischen Waffe stammen. Somit wird ebenfalls ein charakteristischer chemisch/physikalischer Fingerabdruck ermittelt, mit dessen Hilfe der innere Aufbau des Munitionskörpers in Form der verwendeten Chemikalien untersucht und erkannt werden kann.
Es gibt nach Auffassung der Kammer auch keine Gründe, warum die Fachperson die Lehre von E21 nicht für die Weiterentwicklung von E16 nutzen sollte.
Die Ansprüche 1 und 10 schreiben nicht vor, in welchem zeitlichen und räumlichen Kontext zum Waffensystem der Munitionskörper untersucht wird. So fällt beispielsweise auch eine Untersuchung der Munitionskörper noch im Depot unter Anspruch 10. Eine solche Untersuchung von Munitionskörpern als additive Maßnahme zu der in E16 offenbarten Erkennung der Silhouette des Munitionskörpers in dem Waffensystem selbst ist aus E21 heraus offensichtlich.
Aber selbst die Anordnung des Photoakustiksensors an dem Waffensystem selbst gemäß Anspruch 1 ist durch E21 nahegelegt, da die vorgeschlagene photoakustische Messanordnung als miniaturisierte Einheit vor Ort einsetzbar ist (Spalte 6, Zeilen 58 bis 61) und somit den in der Waffe integrierten optischen Sensor der E16 ohne weitere Maßnahmen ergänzen oder ersetzen kann.
4. Zulassung der Hilfsanträge
Die mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 eingereichten Hilfsanträge I, II und IV stellen eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin im Sinne von Artikel 13(2) VOBK 2020 dar. Die Ladung und die beigefügte Mitteilung zur mündlichen Verhandlung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 sind auf den 29. Juni 2020 datiert, sie sind somit nach Inkrafttreten der revidierten Verfahrensordnung ergangen. Daher schließt die Übergangsvorschrift in Artikel 25(3) VOBK 2020 Artikel 13(2) VOBK 2020 nicht von der Anwendung aus.
4.1 Nichtzulassung von Hilfsantrag I
4.1.1 Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, die betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Bei der
Anwendung von Artikel 13(2) VOBK 2020 können wiederum
die Kriterien von Artikel 13(1), vierter Satz, VOBK 2020 herangezogen
werden (siehe z.B. T 989/15, Gründe 16.2). Eines dieser
Kriterien bezieht sich im Falle von Patentänderungen
auf die Prüfung, ob die Änderungen bereits aufgeworfene
Fragen ausräumen und hierbei keinen Anlass zu neuen
Einwänden geben.
4.1.2 Mit den geänderten Ansprüchen in Hilfsantrag I wird erstmalig im gesamten Verfahren eine Einschränkung auf die zwei konkreten Ausführungsformen Akustik-Resonanz-Prüfer sowie Röntgen-Scanner vorgenommen.
Dies stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar. Mit dem Röntgen-Scanner wird erstmalig auch eine Ausführungsform aufgenommen, die bisher nur in der Beschreibung offenbart ist. Hierdurch ist die Kammer nach Zustellung der Ladung mit neuen, komplexen Sachverhalten konfrontiert, die bislang nicht behandelt wurden und im gesamten Verfahren neu sind. Daher ist es grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.
4.1.3 Die Beschwerdegegnerin hat auch keine stichhaltigen Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Gründe vorliegen, die eine Zulassung zu einem derart späten Zeitpunkt ausnahmsweise rechtfertigen könnten.
Die Behauptung der Beschwerdegegnerin, der geänderte Hilfsantrag 1 trage durch seine eindeutige Gewährbarkeit zur Verfahrensökonomie bei, überzeugt nicht. Dies festzustellen bedeutete gerade den verfahrensunökonomischen Einstieg in eine neue Sachprüfung. Aufgrund mangelnder Verfahrensökonomie wird die Zulassung von Hilfsanträgen auch in den von der Beschwerdegegnerin diesbezüglich selbst angeführten Entscheidungen T0989/15 (Punkt 14), T0752/16 (Punkt 3.7) und T0764/16 (Punkt 3.4.3) verneint.
4.1.4 Die Beschwerdegegnerin argumentiert weiter, die Beschränkungen auf die Ausführungsformen könnten nicht überraschen, da "der Großteil" des bisherigen Verfahren sich mit der Frage befasst habe, was unter einem den inneren Aufbau eines Munitionskörpers untersuchenden Scanner zu verstehen sei.
Dies überzeugt jedoch nicht. Diese Tatsache spricht vielmehr dafür, schon im Einspruchsverfahren entsprechende Rückfallpositionen in Form von Hilfsanträgen vorzubringen. Nach Ansicht der Kammer hätte dies spätestens mit der Beschwerdeerwiderung erfolgen müssen, um nicht dem Verfahren zu einem noch späteren Zeitpunkt eine neue Wendung zu geben. Auch für sich behauptetermaßen aufdrängende Hilfsanträge gilt, dass sie rechtzeitig vorgebracht werden müssen. Das Gegenteil anzunehmen würde bedeuten, andere Verfahrensbeteiligten über die Verteidigungsstrategie beliebig lange im Unklaren lassen zu können. Dies widerspräche jedoch dem Gebot einer fairen Verfahrensführung.
Anlasslos späte Änderungen des Beschwerdevorbringens und daraus folgende überraschende Wendungen des Verfahrens zu vermeiden, ist unter anderem die regulatorische Bedeutung von Verspätungsvorschriften.
4.1.5 Die Kammer kann zudem keine außergewöhnlichen Umstände erkennen, die unter Artikel 13(2) VOBK 2020 diese späte Änderung des Beschwerdevorbringens rechtfertigen könnten. Die Beschwerdegegnerin hätte jederzeit mit der mangelnden Gewährbarkeit ihres Hauptantrags durch eine für sie ungünstige Auslegung im Beschwerdeverfahren rechnen müssen, selbst wenn zunächst das Einspruchsverfahren zu ihren Gunsten entschieden worden ist. Es ist die Sache jedes Beteiligten, zur erfolgreichen Verteidigung seines Patents unter Berücksichtigung der in der Verfahrensordnung getroffenen Regelungen rechtzeitig geeignete Rückzugspositionen in Form von Hilfsanträgen in das Verfahren einzubringen.
Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass die vorläufige Feststellung in der Ladung, Punkt 10.1.3, für die Beschwerdegegnerin, wie sie geltend gemacht hat, insoweit überraschend gewesen sein sollte, dass der Gegenstand der Untersuchung gemäß der unabhängigen Ansprüche nicht auf die Ermittlung einer "tatsächlichen körperlichen inneren Struktur" und damit auf lediglich einen "bildhaften" Einblick in die innere Struktur beschränkt ist. Hierbei ist von der Kammer kein neues Element in das Verfahren eingeführt worden. Vielmehr entspricht dies zum einen der Sachlage, die bereits im Einspruchsverfahren diskutiert wurde und auch Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist. Zum anderen folgte die Kammer in dieser vorläufigen Auffassung sogar der Auslegung der Beschwerdegegnerin. Ein hinreichend außergewöhnliches Überraschungsmoment, das die Einreichung neuer Hilfsanträge rechtfertigen könnte, ist im Ergebnis nicht vorgetragen und auch sonst nicht erkennbar.
4.2 Nichtzulassung von Hilfsantrag III
Die Streichung der unabhängigen Ansprüche 1 und 10 des Hauptantrags (Ansprüche wie erteilt) stellt ebenfalls eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar. Der verbleibende unabhängige Anspruch 1 (erteilter Anspruch 14) hat nun keinen Bezug mehr zu einem Waffensystem und ist diesbezüglich auf einen breiteren Gegenstand gerichtet als die gestrichenen Ansprüche.Insofern hat sich durch die Streichung der Schwerpunkt des Verfahrens entscheidend geändert. Dies kommt auch in neuen, in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragenen Neuheitseinwänden der Beschwerdeführerin wie etwa der auf der Druckschrift E27 basierende zum Ausdruck (vergleiche auch die Entscheidung T0482/19, Punkte 5.6 und 5.7, in dessen Verfahren die Streichung von unabhängigen Ansprüchen ebenfalls zur Feststellung einer neuen Sachlage führte).
Hilfsantrag III wird aus den folgenden Gründen unter Ausübung des Ermessens der Kammer in Anwendung von Artikel 13(2) VOBK 2020 unter Berücksichtigung der in Artikel 13(1), vierter Satz, VOBK 2020 genannten Kriterien nicht in das Verfahren zugelassen:
4.2.1 Keine außergewöhnlichen Umstände gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020
Die außergewöhnlichen Umstände, die die Beschwerdegegnerin darauf stützen möchte, dass die Validität des erteilten Anspruchs 14 aus ihrer Sicht in überraschender Weise weder von der Beschwerdeführerin, noch von der Einspruchsabteilung oder der Kammer diskutiert worden ist, greifen nicht.
In der Erklärung eines Einsprechenden nach Regel 76(2) c) EPÜ wird der Umfang der Anfechtung des Patents und damit die formale Kompetenz der Einspruchsabteilung und der Beschwerdekammer festgelegt. Im vorliegenden Fall wurde der Einspruch gegen das Patent in seiner Gesamtheit eingelegt. In der Einspruchsbegründung wird bezüglich Anspruch 14 die mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend gemacht, und zwar im Hinblick auf alle mit dem Einspruch eingereichten Druckschriften. Somit wird der Gegenstand von Anspruch 14 von der Anfechtung umfasst, wobei unschädlich ist, dass die Beschwerdeführerin damals offenbar davon ausgegangen ist, dass es sich bei Anspruch 14 um einen abhängigen Anspruch handelt. Denn jedenfalls hat sie in der Einspruchsbegründung ausgeführt, mit dem Wegfall des Patentanspruchs 1 und 10 fielen auch "alle abhängigen Ansprüche 2 bis 9 und 11 bis 15" weg. Dabei hat sie im Folgenden für jeden der weiteren Ansprüche, darunter auch Anspruch 14, den Gegenstand kurz zusammengefasst und die entsprechenden Entgegenhaltungen benannt, die sie für einschlägig gehalten hat. In Bezug auf Anspruch 14 befindet sich dort der Hinweis "alle", was nicht anders verstanden werden kann, als dass nach ihrer Auffassung alle bislang dort zitierten und betreffend Anspruch 1 bzw. 10 erörterten Dokumente einschlägig seien, um Anspruch 14 zu Fall zu bringen.
Auf diese Begründung des Einspruchs hat die Beschwerdegegnerin in ihrer Erwiderung lediglich ausgeführt, dass sich ein entsprechender Vortrag bezüglich "der auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche" erübrige, weil nach der dortigen Auffassung "Anspruch 1 neu und erfinderisch sei". Auf die außerdem angegriffenen Ansprüche 10 bis 15 ist die Beschwerdegegnerin dort nicht eingegangen. Hilfsanträge hat sie im gesamten Einspruchsverfahren nicht formuliert. Damit hat sie angesichts des Angriffs auf das Patent in seiner Gesamtheit auch den Widerruf des gesamten Patents in Kauf genommen. Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens bezogen sich weder die Beschwerdeführerin noch die Einspruchsabteilung explizit auf den tatsächlich selbständigen Anspruch 14. Die angefochtene Entscheidung berücksichtigt in der Begründung ebenfalls nur die unabhängigen Ansprüche 1 und 10.
Nachdem Anspruch 14 unstreitig mit der Einspruchsschrift angegriffen war, ist er, wenn auch ohne Erörterung, mit der angefochtenen Entscheidung aufrechterhalten worden und unterlag damit der Überprüfung in der Beschwerde, mit der die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des gesamten Patents, und damit auch von Anspruch 14, beantragte. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in der Beschwerdebegründung auf Anspruch 14 nicht explizit eingegangen worden ist. Dennoch war und blieb dieser Anspruch mit dem Einspruch angegriffen.
In Würdigung dieser Sachlage kann sich die Kammer der Auffassung der Beschwerdegegnerin, sie bis nach dem Erhalt der Mitteilung der Kammer keinerlei Anlass gehabt, auf Patentanspruch 14 einzugehen, unter den jetzt zu beurteilenden Verspätungsgesichtspunkten nicht anschließen. Die Beschwerdegegnerin hätte, wenn schon nicht bereits im Einspruchsverfahren, so doch spätestens mit der Beschwerdeerwiderung, wie schon oben zu Hilfsantrag I ausgeführt, zutreffende Rückfallpositionen in Form von Hilfsanträgen einreichen können und sollen, wenn sie Anspruch 14 hätte verteidigen wollen. Dazu hätte gehört, den - aus ihrer Sicht mangels bis dahin erfolgter Erörterung rechtsbeständigen - Anspruch 14 in einem eigenen Hilfsantrag zu beanspruchen, so wie es später im vorliegenden Hilfsantrag III geschehen ist. Dies gilt insbesondere, da sie selbst, wie sie mit ihrem Schreiben vom 16. Dezember 2020 ausführte, davon ausging, dass die Gewährbarkeit dieses Anspruchs nicht zur Diskussion stand. Denn dann hätte sie diesen Anspruch erst recht, gegebenenfalls auch separat, im Rahmen eines Hilfsantrags verteidigen sollen.
Zwar mag es sein, dass das Unterlassen jeder Erörterung eines angegriffenen unabhängigen Anspruchs jedenfalls bei einer Entscheidung zur Aufrechterhaltung des Patents eine Besonderheit darstellt. Entscheidend ist für die Kammer aber, dass Anspruch 14 von Anfang an begründet angegriffen worden war und unverteidigt geblieben ist. Aus den zuvor dargelegten Gründen kann sich die Beschwerdegegnerin im vorliegenden Fall darauf nicht erst nach Erhalt der Ladung berufen und einen Hilfsantrag einreichen.
4.2.2 Eignung zur Ausräumung von aufgeworfenen Fragen
Selbst wenn man dies anders sehen wollte, ist prima facie nicht ersichtlich, wie die Änderung des Beschwerdevorbringens in Hilfsantrag III unter Verwendung eines breiterer Gegenstands ohne neue Unterscheidungsmerkmale die mangelnde erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 und 10 des Hauptantrags ausräumen sollte.
Zwar wird mit dem Schritt der "Erkennung" auch ein zusätzliches Merkmal definiert, jedoch ist unstreitig und von der Beschwerdegegnerin auch mehrfach vorgebracht, dass der Erkennungsschritt charakteristisch für die direkte und indirekte Untersuchung des inneren Aufbaus mittels eines Scanners ist. Dass sich dieser Erkennungsschritt auf einen Munitionskörper im Sinne des Patents erstreckt, ist unter Punkt 2.1 ausgeführt und begründet. Somit liegt bezüglich E16 kein weiteres Unterscheidungsmerkmal vor.
Eine eindeutige Gewährbarkeit im Sinne einer von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Verfahrensökonomie ist somit auch für Hilfsantrag III nicht gegeben.
4.3 Nichtzulassung von Hilfsantrag IV
Die gegen die Zulassung von Hilfsantrag III geltend gemachten Argumente bezüglich Artikel 13(2) VOBK 2020 gelten in gleicher Weise auch für Hilfsantrag IV, da dieser zeitgleich und ebenfalls verspätet vorgebracht wurde (vergleiche Punkt 4.2.1) ohne dass außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 13(2) VOBK 2020 geltend gemacht werden können. Zudem wird durch das Merkmal "Röntgen-Scanner" in Hilfsantrag IV erstmalig und verspätet ein komplexer Sachverhalt aus der Beschreibung hinzugefügt (vergleiche Punkt 4.1.2).
5. Antrag auf Zurückverweisung
Die Frage der Zurückverweisung zur erstinstanzlichen Überprüfung der Gewährbarkeit der Hilfsanträge III und IV stellt sich nicht, da diese als verspätet nicht in das Verfahren zugelassen wurden.
Abgesehen davon lägen aus Sicht der Kammer auch keine besonderen Gründe im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020 vor, die eine Zurückverweisung gerechtfertigt hätten. So ist die Einreichung der Hilfsanträge III und IV in Reaktion auf den Ladungsbescheid der Kammer weder durch einen Verfahrensmangel noch durch überraschendes neues Vorbringen der Beschwerdeführerin bedingt.
6. Rechtliches Gehör
Soweit die Beschwerdegegnerin in der Tatsache, dass Hilfsanträge III und IV weder in das Verfahren zugelassen wurden noch zur Überprüfung an die Vorinstanz zurückverwiesen wurden, ihr rechtliches Gehör verletzt sieht, vermag die Kammer dem nicht zu folgen.
Artikel 113 (1) EPÜ erfordert zur Wahrung des rechtlichen Gehörs, dass Entscheidungen nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Damit ist Artikel 113(1) EPÜ auf die Sachverhalte gerichtet, die entscheidungsrelevant sind.
Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Beschwerdegegnerin zur Wahrung des rechtlichen Gehörs Gelegenheit gehabt haben musste, sich zu der Frage der Zulassung dieser Hilfsanträge und dem Antrag auf Zurückverweisung zur Prüfung dieser Hilfsanträge an die Einspruchsabteilung zu äußern. Diese Gelegenheit hat sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung gehabt, denn diese Fragen sind ausführlich erörtert worden. Dies stellte die Beschwerdegegnerin auch nicht in Abrede, beanstandete aber, dass der Gegenstand der Hilfsanträge III und IV nie diskutiert worden sei. Dies trifft zwar als solches zu, ist aber allein die Folge der Nichtzulassung der betreffenden verspätet eingereichten Hilfsanträge, und nicht die Folge einer vermeintlichen Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Soweit die Beanstandung der Beschwerdegegnerin auch die Tatsache umfassen sollte, dass Anspruch 14 im Einspruchsverfahren nicht erörtert worden ist, ist zwar festzustellen, dass dies dort hätte geschehen können und sollen. Jedoch ergibt sich auch hieraus keine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin, weil dort zu ihren Gunsten der Einspruch zurückgewiesen und das Patent folglich in vollem Umfang aufrechterhalten worden ist.
Da sich die vorliegende Entscheidung im Sinne des Artikels 113 (1) EPÜ bezüglich der Hilfsanträge III und IV nur auf die Nichtzulassung und die Versagung der Zurückverweisung bezieht, ist die Tatsache, dass die Gewährbarkeit ihrer Ansprüche nicht diskutiert wurde, nicht relevant für die Beurteilung des rechtlichen Gehörs.
7. Nach alledem hatte die Beschwerde Erfolg und ist begründet.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.