T 0082/93 (Herzphasensteuerung) 15-05-1995
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1. Nach Artikel 52 (4) EPÜ ist ein Anspruch nicht gewährbar, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine Tätigkeit oder eine Maßnahme (z. B. einen Verfahrensschritt) definiert, die ein "Ver- fahren zur ... therapeutischen Behandlung des menschlichen ... Körpers" darstellt (im Anschluß an Entscheidung T 820/92, ABl. EPA 1995, 113). Ob der Anspruch Merkmale umfaßt, die auf einen an einem technischen Gegenstand ausgeführten technischen Vorgang gerichtet sind, ist für die Anwendung des Artikels 52 (4) EPÜ nicht rechts- erheblich.
2. Eine im Einspruchsverfahren vorgeschlagene Änderung der Patent- ansprüche in Form eines Kategoriewechsels von einem "Verfahren zum Betreiben eines Geräts" zu einem "Gerät" ist nach Artikel 123 (3) EPÜ grundsätzlich nicht zulässig.
3. Enthält ein Patent in der erteilten Fassung nur Ansprüche, die bei richtiger Auslegung ein Verfahren zum Betreiben eines Geräts definieren, das eigentlich ein "Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Kör- pers" ist, und wird gegen dieses Patent Einspruch nach Artikel 52
(4) EPÜ eingelegt, so können die Artikel 52 (4) und 123 (3) EPÜ in Verbindung miteinander insofern eine unentrinnbare Falle bilden, die unweigerlich zum Widerruf des Patents führt, als
a) das Patent nicht in der erteilten Fassung aufrechterhalten werden kann, weil die Ansprüche einen nach Artikel 52 (4) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen Gegenstand definieren;
b) das Patent nicht in geändertem Umfang aufrechterhalten werden kann, weil die Ansprüche dann nur noch das Gerät definieren, aber keine Merkmale mehr enthalten, die das Betreiben des Geräts in einem durch Artikel 52 (4) EPÜ ausgeschlossenen therapeutischen Verfahren definieren, und eine Änderung der erteilten Ansprüche durch Streichen dieser "Verfahrensmerkmale" gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstoßen würde (in Abgrenzung gegen die Entscheidungen T 378/86, ABl. EPA 1988, 386 und T 426/89, ABl. EPA 1992, 172).
I. Anspruch 1 des europäischen Patents Nr. 0 178 528 lautet in der erteilten Fassung wie folgt:
"Verfahren zum Betreiben eines Schrittmachers entsprechend der unter Belastung erforderlichen Herzleistung, wobei der Schrittmacher für die Implantierung in den menschlichen Körper ausgelegt ist und folgendes aufweist: einen Impulsgenerator mit Regelschaltkreis; eine für die Implantierung in das Herz ausgelegte Schrittmacherleitung, die mit einer distalen Elektrode versehen ist, welche ihrerseits dazu ausgelegt ist, in den rechten Ventrikel eingebracht zu werden und diesem schrittmachende Impulse zu liefern; eine auf der Schrittmacherleitung angeordnete Druckmeßeinrichtung zum Messen des ventrikulären systolischen Drucks, wobei der Regelschaltkreis außerdem Mittel umfaßt, die die Änderung des gemessenen rechtsventrikulären systolischen Drucks und/oder der Zeitableitung des rechtsventrikulären systolischen Drucks in Beziehung setzen zu der jeweiligen Rate, die benötigt wird, um die gewünschte Herzleistung für die Druckänderung zu bewirken, und Mittel, die den Schrittmacher veranlassen, das Herz mit der erforderlichen Rate schlagen zu lassen, wenn dieses unter körperlicher Belastung nicht auf natürliche Weise zum Schlagen veranlaßt wird, dadurch gekennzeichnet, daß die Druckmeßeinrichtung (24) verwendet wird, um den rechtsventrikulären systolischen Druck zu messen, und dieser Druckwert und/oder seine Zeitableitung verwendet wird, um die Schrittmacherrate zu regeln."
Die Ansprüche 2 bis 11 sind von Anspruch 1 abhängig.
II. Die Firma Biotronik Meß- und Therapiegeräte GmbH & Co. Ingenieurbüro Berlin legte gegen dieses europäische Patent Einspruch ein.
In der Einspruchsschrift wurde beantragt, das europäische Patent in vollem Umfang zu widerrufen, weil sein Gegenstand nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ nicht patentfähig sei. Folgende drei Dokumente wurden dem beanspruchten Gegenstand als Stand der Technik entgegengehalten:
D1: US-A-3 857 399
D2: US-A-3 358 690
D3: Circulation, Band 69, Nr. 4, April 1984, S. 703 - 710
In der Einspruchsschrift wurde geltend gemacht, daß sich das beanspruchte Verfahren zum Betreiben eines Schrittmachers von dem in D1 offenbarten Schrittmacher nur dadurch unterscheide, daß der Drucksensor im rechten statt im linken Ventrikel positioniert werde. Der gemessene Druckwert diene dazu, die Rate des Schrittmachers zu regeln. Es bestehe also ein funktioneller Zusammenhang zwischen dem gemessenen Druck und der therapeutischen Behandlung des Herzens (im Gegensatz zum Sachverhalt der Entscheidung T 245/87, ABl. EPA 1989, 171, wo es einen funktionellen Zusammenhang zwischen den Meßwerten und der anschließenden therapeutischen Behandlung nicht gegeben habe). Das beanspruchte Verfahren sei somit ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers, das nach Artikel 52 (4) EPÜ nicht gewerblich anwendbar und deshalb nicht patentfähig sei.
Außerdem wurde in der Einspruchsschrift vorgebracht, daß die beanspruchte Erfindung gegenüber den Dokumenten D1 und D2 nicht erfinderisch sei.
III. Der Patentinhaber Teletronics N. V. reichte daraufhin am 20. Dezember 1990 einen Satz geänderter Ansprüche 1 bis 11 ein, die statt auf ein "Verfahren zum Betreiben eines Schrittmachers" auf einen "Schrittmacher" gerichtet waren. Er brachte vor, daß die geänderten Ansprüche nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstießen, da die Ansprüche 1 bis 19 in der ursprünglich eingereichten Fassung auf einen Schrittmacher gerichtete "Vorrichtungsansprüche" seien und Merkmale aufwiesen, wie sie nun beansprucht würden. Auch stellten die geänderten Ansprüche keinen Verstoß gegen die Artikel 52 (4) und 123 (3) EPÜ dar, weil sich Anspruch 1 in der erteilten Fassung auf Schritte eines technischen Verfahrens beziehe - wobei bauliche Merkmale eines Schrittmachers mit Hilfe funktioneller Merkmale definiert würden - und nicht auf ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers. So definiere der erteilte Anspruch 1, wenn man ihn nach Artikel 69 EPÜ auslege, gar kein Verfahren, sondern eine Vorrichtung - nämlich einen Schrittmacher - durch Bezugnahme auf die "Funktion der Bestandteile" und "in Form von Gerätemerkmalen". Möglicherweise aber sei Anspruch 1 in der erteilten Fassung nicht deutlich genug, denn aus dem Wortlaut der Ansprüche gehe nicht klar hervor, daß die funktionellen Merkmale im kennzeichnenden Teil des Anspruchs eigentlich eine Vorrichtung definierten.
Die vorgeschlagene Änderung, die nur scheinbar eine Änderung sei, weil der erteilte Anspruch 1, wie dargelegt, bereits auf eine Vorrichtung gerichtet sei, solle diesem Mangel an Klarheit abhelfen. Zur Stützung seines Vorbringens zog der Patentinhaber die Entscheidungen T 378/86 (ABl. EPA 1988, 386) und T 426/89 (ABl. EPA 1992, 172) an.
Der Patentinhaber widersprach ferner der Behauptung des Einsprechenden, daß angesichts der Entgegenhaltungen keine erfinderische Tätigkeit vorliege.
IV. Die Einspruchsabteilung stellte in einem Bescheid fest, daß der geänderte Anspruch 1 ("Schrittmacher") nicht deutlich sei, weil die "Vorrichtung", auf die er gerichtet sei, durch "Verfahrensschritte" in Form von Verfahrensmerkmalen definiert werde. Im übrigen scheine der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung ("Verfahrensanspruch") nicht gegen Artikel 52 (4) oder 56 EPÜ zu verstoßen.
V. In einer Erwiderung vom 16. Juni 1992 reichte der Patentinhaber einen Satz neuer, auf ein "Verfahren zum Betreiben eines Schrittmachers" gerichteter Ansprüche 1 bis 11 ein, die sich nur geringfügig vom erteilten Anspruch 1 unterschieden, und beantragte, das Patent auf dieser Grundlage aufrechtzuerhalten. Der Einsprechende reichte keine weiteren Schriftstücke ein.
VI. Mit Zwischenentscheidung vom 12. November 1992 hielt die Einspruchsabteilung das Patent in der so geänderten Fassung aufrecht, wobei Anspruch 1 wie folgt lautete:
"1. Verfahren zum Betreiben eines Schrittmachers entsprechend der unter Belastung erforderlichen Herzleistung, wobei der Schrittmacher für die Implantierung in den menschlichen Körper ausgelegt ist und folgendes aufweist: einen Impulsgenerator mit Regelschaltkreis;
eine für die Implantierung in das Herz ausgelegte Schrittmacherleitung, die mit einer distalen Elektrode versehen ist, die in den rechten Ventrikel eingebracht wird und diesem schrittmachende Impulse liefert;
eine auf der Schrittmacherleitung angeordnete Druckmeßeinrichtung (24),
gekennzeichnet durch
das Messen des rechtsventrikulären systolischen Drucks unter Verwendung der Druckmeßeinrichtung (24),
das Bilden der Zeitableitung des rechtsventrikulären systolischen Drucks,
das In-Beziehung-Setzen von Änderungen des gemessenen rechtsventrikulären systolischen Drucks und/oder der Zeitableitung des rechtsventrikulären systolischen Drucks mit der erforderlichen Rate, die benötigt wird, um die gewünschte Herzleistung für die Druckänderung zu bewirken, wobei das In-Beziehung-Setzen über den Regelschaltkreis erfolgt, und
das Veranlassen des Schrittmachers, das Herz mit der erforderlichen Rate schlagen zu lassen, wenn dieses unter Belastung nicht auf natürliche Weise zum Schlagen veranlaßt wird."
Gegenüber dem erteilten Anspruch 1 enthält der obige Anspruch nun im kennzeichnenden Teil auch den Schritt "Bilden der Zeitableitung des rechtsventrikulären systolischen Drucks"; ferner wurde die zweiteilige Untergliederung so geändert, daß dem Inhalt der Entgegenhaltung D1 Rechnung getragen wurde.
In der Entscheidung wurde das Vorbringen des Einsprechenden, daß Artikel 52 (4) EPÜ verletzt werde, mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Ausführung der beanspruchten Schritte die Implementierung eines bestimmten Algorithmus in den Schrittmacher voraussetze und die Regelung der Schrittmacherrate nach einem vorgegebenen Algorithmus "ein an einem technischen Gegenstand ausgeführter technischer Vorgang ist, der nicht als Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers im Sinne des Artikels 52 EPÜ angesehen werden kann". Der beanspruchte Gegenstand falle somit nicht unter das Patentierungsverbot nach Artikel 52 (4) EPÜ. Ferner wurde in der Entscheidung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber den Entgegenhaltungen erkannt, insbesondere, weil das beanspruchte Verfahren die Schritte Bereitstellen eines rechtsventrikulären systolischen Drucksignals, In-Beziehung-Setzen von Änderungen des Signals und/oder seiner Zeitableitung mit der erforderlichen Schrittmacherrate und Regelung des Schrittmachers entsprechend dieser Rate umfasse, die Entgegenhaltungen aber keinerlei Hinweis auf die Überwachung des rechtsventrikulären Drucks oder des systolischen Drucks im rechten Ventrikel enthielten.
VII. Der Einsprechende legte ordnungsgemäß Beschwerde ein. In der Beschwerdebegründung bestritt er unter Anziehung zweier weiterer Dokumente, daß der beanspruchte Gegenstand erfinderisch sei. Der Patentinhaber brachte in seiner Erwiderung vor, daß die Beschwerde zurückzuweisen sei, weil der beanspruchte Gegenstand in der von der Einspruchsabteilung gebilligten Fassung sehr wohl erfinderisch sei. Beide Beteiligten beantragten hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
VIII. Am 6. März 1995 ließ die Kammer zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung eine Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern ergehen, in der sie unter anderem die vorläufige Auffassung vertrat, daß "das in allen Ansprüchen des am 16. Juni 1992 eingereichten Anspruchssatzes beanspruchte Verfahren (in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung) bei richtiger Auslegung ein nach Artikel 52 (4) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossenes Verfahren definiert."
Daraufhin reichte der Patentinhaber am 27. April 1995 als Hauptantrag einen neuen Satz von Ansprüchen ein, die jeweils auf einen "Schrittmacher" gerichtet waren, der - so der Patentinhaber - durch funktionelle Merkmale gekennzeichnet sei, nämlich durch die Verfahrensschritte des Anspruchs 1 in der von der Einspruchsabteilung gebilligten Fassung. Ein solcher "Kategoriewechsel" sei nach den (in Nr. III bereits genannten) Entscheidungen T 378/86 und T 426/89 zulässig. Anspruch 1 des Anspruchssatzes lautet wie folgt:
"1. Schrittmacher zur Stimulation des Herzens entsprechend der unter Belastung erforderlichen Herzleistung, wobei der Schrittmacher für die Implantierung in den menschlichen Körper ausgelegt ist und folgendes aufweist: einen Impulsgenerator mit Regelschaltkreis;
eine für die Implantierung in das Herz ausgelegte Schrittmacherleitung, die mit einer distalen Elektrode versehen ist, die in den rechten Ventrikel eingebracht wird und diesem schrittmachende Impulse liefert;
eine auf der Schrittmacherleitung angeordnete Druckmeßeinrichtung (24),
gekennzeichnet durch folgende Verfahrensschritte:
Messen des rechtsventrikulären systolischen Drucks unter Verwendung der Druckmeßeinrichtung (24),
Bilden der Zeitableitung des rechtsventrikulären systolischen Drucks,
In-Beziehung-Setzen von Änderungen des gemessenen rechtsventrikulären systolischen Drucks und/oder der Zeitableitung des rechtsventrikulären systolischen Drucks mit der erforderlichen Rate, die benötigt wird, um die gewünschte Herzleistung für die Druckänderung zu bewirken, wobei das In-Beziehung-Setzen über den Regelschaltkreis erfolgt, und
Veranlassen des Schrittmachers, das Herz mit der erforderlichen Rate schlagen zu lassen, wenn dieses unter Belastung nicht auf natürliche Weise zum Schlagen veranlaßt wird."
IX. Am 15. Mai 1995 fand in Anwesenheit beider Beteiligter eine mündliche Verhandlung statt.
X. Der Einsprechende beantragte den Widerruf des Patents, weil laut Anspruch 1 in der am 27. April 1995 eingereichten Fassung der Drucksensor im rechten Ventrikel positioniert und dessen systolischer Druck verwendet werde, um den Schrittmacher zu veranlassen, das Herz mit der bei körperlicher Belastung erforderlichen Rate schlagen zu lassen. Der Anspruch sei somit auf ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers gerichtet und nach Artikel 52 (4) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, auch wenn der Anspruch mit einer auf einen Schrittmacher bezüglichen Formulierung beginne.
Falls die Ansprüche nicht schon deshalb von der Patentierbarkeit auszuschließen seien, so mangele es ihrem Gegenstand auf jeden Fall an erfinderischer Tätigkeit.
Während der Anhörung zog der Patentinhaber den am 27. April 1995 eingereichten Anspruchssatz zurück und beantragte als Hauptantrag die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (d. h. mit den "Verfahrensansprüchen", siehe oben Nr. I). Hilfsweise reichte er als Grundlage eines neuen Anspruchssatzes einen neuen Anspruch 1 ein, der sich auf einen "Schrittmacher" bezog und wie folgt lautete:
"Bedarfsschrittmacher zur Stimulation des Herzens entsprechend der erforderlichen Herzleistung, der für die Implantierung in den menschlichen Körper ausgelegt ist und folgendes aufweist: einen Impulsgenerator mit Regelschaltkreis;
eine für die Implantierung in das Herz ausgelegte Schrittmacherleitung, die mit einer distalen Elektrode versehen ist, die in den rechten Ventrikel eingebracht wird und diesem schrittmachende Impulse liefert;
eine auf der Schrittmacherleitung angeordnete Druckmeßeinrichtung (24), die ausgelegt ist, in den rechten Ventrikel positioniert zu werden und den rechtsventrikulären systolischen Druck zu messen, wobei der Schrittmacher
die Zeitableitung des rechtsventrikulären systolischen Drucks bildet,
über den Regelschaltkreis Änderungen des gemessenen rechtsventrikulären systolischen Drucks und/oder der Zeitableitung des rechtsventrikulären systolischen Drucks in Beziehung setzt mit der erforderlichen Rate, die benötigt wird, um eine gewünschte Herzleistung für die Druckänderung zu bewirken, und
mit der erforderlichen Rate Stimulationsimpulse erzeugt, wenn das Herz unter Belastung nicht auf natürliche Weise zum Schlagen veranlaßt wird."
Zur Stützung des Hauptantrags brachte der Patentinhaber vor, daß Anspruch 1 in der erteilten Fassung bauliche Merkmale des Schrittmachers mit Hilfe funktioneller Merkmale definiere und der Gegenstand daher eine Vorrichtung und nicht etwa ein Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers sei.
Zur Stützung des Hilfsantrags brachte der Patentinhaber unter Hinweis auf die Entscheidungen T 378/86 und T 426/89 erneut vor, daß der geänderte Anspruch 1 nicht mit einem unzulässigen Kategoriewechsel einhergehe, der im Sinne des Artikels 123 (3) EPÜ den Schutzbereich gegenüber Anspruch 1 in der erteilten Fassung erweitern würde. Selbst wenn Anspruch 1 in der erteilten Fassung teilweise ein therapeutisches Verfahren definierte, sei der geänderte Anspruch 1 des Hilfsantrags nicht auf eine Erweiterung, sondern immer noch auf dieselbe Erfindung und somit denselben Gegenstand gerichtet wie Anspruch 1 in der erteilten Fassung. Daher liege nach der Streichung der Verfahrensschritte im hilfsweise beantragten Anspruch 1 gegenüber Anspruch 1 in der erteilten Fassung auch keine Erweiterung des Schutzbereichs im Sinne des Artikels 123 (3) EPÜ vor.
Der Patentinhaber beantragte ferner, der Großen Beschwerdekammer folgende Fragen vorzulegen:
1. Verstößt ein "Verfahren zum Betreiben eines Schrittmachers" gegen Artikel 52 (4) EPÜ?
2. Wenn ja, verstößt es gegen Artikel 123 (3) EPÜ, wenn nach der Erteilung die Anspruchskategorie von einem Verfahren zum Betreiben eines Schrittmachers geändert wird in einen Schrittmacher, der auch das Verfahren der Betriebsschritte in der erteilten Fassung umfaßt?
XI. Der Einsprechende beantragte, den Haupt- und den Hilfsantrag zurückzuweisen und das Patent zu widerrufen, weil der Hauptantrag gegen Artikel 52 (4) EPÜ und der Hilfsantrag gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstoße. Abgesehen davon sei der Gegenstand des Patents nicht erfinderisch.
XII. Am Ende der mündlichen Verhandlung erging die Entscheidung, daß der Antrag des Patentinhabers auf Befassung der Großen Beschwerdekammer abgewiesen, der Beschwerde stattgegeben und das europäische Patent widerrufen wird.
Hauptantrag:
1. Therapeutische Behandlung - Einspruchsgrund nach Artikel 52 (4) EPÜ
1.1 Die Einspruchsabteilung wies diesen Einwand, der zunächst gegen die Ansprüche des erteilten Patents (gleichbedeutend mit dem Hauptantrag des Patentinhabers im Beschwerdeverfahren) und dann gegen den geänderten Anspruch 1 des Hauptantrags erhoben worden war, zurück; letzterem hatte sie mit der Begründung stattgegeben, daß das definierte Verfahren zum Betreiben eines Schrittmachers zwangsläufig den Einbau eines Algorithmus in den Schrittmacher und seine Verwendung zur Regelung der Impulsrate impliziere. Da die Regelung der Impulsrate "ein an einem technischen Gegenstand ausgeführter technischer Vorgang" sei, könne das beanspruchte Verfahren - so die Einspruchsabteilung - nicht als Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ betrachtet werden; es handle sich um ein gewerblich anwendbares Verfahren im Sinne des Artikels 57 EPÜ.
Wie die Kammer jedoch in ihrer Mitteilung vom 6. März 1995 feststellte (siehe oben Nr. VIII), ist es für die Anwendung des Artikels 52 (4) EPÜ rechtlich unerheblich, ob der Anspruch Merkmale umfaßt, die auf "einen an einem technischen Gegenstand ausgeführten technischen Vorgang" gerichtet sind.
Selbst wenn ein Anspruch nur technische Merkmale enthielte, die auf einen an einem technischen Gegenstand ausgeführten technischen Vorgang und einen anschließenden am menschlichen oder tierischen Körper ausgeführten technischen Vorgang gerichtet wären, so wäre er nach Artikel 52 (4) EPÜ nicht gewährbar, wenn er ein Verfahren zur therapeutischen oder chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers definieren würde.
Dies steht in direktem Gegensatz zur Rechtslage nach Artikel 52 (2) EPÜ, nach der beanspruchte Erfindungen, die aus einer Mischung technischer und nichttechnischer Merkmale bestehen, durchaus patentiert werden können - siehe beispielsweise die Entscheidung T 769/92 (ABl. EPA 1995, 525), wo auf die unterschiedlichen Betrachtungen verwiesen wird, die im Hinblick auf Artikel 52 (2) EPÜ bzw. Artikel 52 (4) EPÜ anzustellen sind.
1.2 Im ersten Satz des Artikels 52 (4) EPÜ heißt es, daß "Verfahren zur ... therapeutischen Behandlung des menschlichen ... Körpers ... nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen ... (gelten)". Der im EPÜ verankerte Ausschluß solcher Verfahren von der Patentierbarkeit basiert bekanntlich auf dem Grundsatz, daß die therapeutische Behandlung von Menschen dem europäischen Patentschutz nicht zugänglich sein soll, damit sie nicht kraft eines Patents in irgendeiner Weise unterbunden werden kann.
Allerdings wird im zweiten Satz des Artikels 52 (4) EPÜ klargestellt, daß der erste Satz "nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend genannten Verfahren (gilt)" (Hervorhebung durch die Kammer), was unterstreicht, daß der im ersten Satz verfügte Ausschluß von der Patentierbarkeit nur für Behandlungsverfahren gilt.
1.3 Artikel 84 EPÜ schreibt vor, daß die Ansprüche eines europäischen Patents "den Gegenstand angeben (müssen), für den Schutz begehrt wird", und Regel 29 (1) EPÜ, daß "der Gegenstand des Schutzbegehrens in den Patentansprüchen durch Angabe der technischen Merkmale der Erfindung anzugeben" ist. Bei den technischen Merkmalen einer Erfindung kann es im Grunde nur um Zweierlei gehen, nämlich entweder um Gegenstände oder um Tätigkeiten. Definiert ein Anspruch eine Erfindung nur durch Merkmale, die sich auf Gegenstände beziehen, so wird er in der Regel als "Erzeugnisanspruch" bezeichnet; definiert ein Anspruch eine Erfindung nur durch Merkmale, die sich auf Tätigkeiten beziehen, so wird er in der Regel als "Verfahrensanspruch" bezeichnet. Wie die Große Beschwerdekammer in den Entscheidungen G 2/88 und G 6/88 (ABl. EPA 1990, 93 und 114) festhielt, gibt es im Grunde zwei verschiedene Arten von Ansprüchen, nämlich Ansprüche auf Gegenstände (z. B. Erzeugnisse, Vorrichtungen) und Ansprüche auf Tätigkeiten (z. B. Methoden, Verfahren, Verwendungen). Diese beiden grundlegenden Arten von Ansprüchen werden gewöhnlich als die beiden möglichen Anspruchskategorien bezeichnet. Darüber hinaus aber, so die Große Beschwerdekammer weiter, "sind auch Ansprüche möglich, die Merkmale enthalten, die sich sowohl auf Tätigkeiten als auch auf Gegenstände beziehen. Zwischen den einzelnen Anspruchsformen gibt es keine starren Grenzen."
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren werden Ansprüche mit Merkmalen, die sich sowohl auf Gegenstände als auch auf Tätigkeiten beziehen, als "Mischansprüche" bezeichnet.
1.4 Angesichts der Überlegungen, die der Ausschlußbestimmung des Artikels 52 (4) EPÜ zugrunde liegen (s. oben Nr. 1.2), hält die Kammer einen Anspruch für nicht gewährbar im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ, wenn er auch nur ein Merkmal enthält, das eine Tätigkeit oder eine Maßnahme (z. B. einen Verfahrensschritt) definiert, die wiederum ein "Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers" darstellt.
Dies steht im Einklang mit einer Feststellung der Entscheidung T 820/92 (ABl. EPA 1995, 113). Dort heißt es nach der Erörterung einiger früherer Beschwerdekammerentscheidungen unter Nr. 5.5: "Die bisherigen Entscheidungen zeigen, daß es bei der Klärung der Frage, ob ein Antrag mit einem bestimmten Anspruchssatz nach Artikel 52 (4) EPÜ gewährbar ist, entscheidend darauf ankommt, ob ein Verfahren offenbart wird, bei dem keiner der Schritte unter das Verbot des Artikels 52 (4) EPÜ fällt, das also weder ein Verfahren zur therapeutischen oder chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers noch ein am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenes diagnostisches Verfahren ist" (Hervorhebung durch die Kammer).
1.5 In der vorliegenden Sache ist Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung ein Mischanspruch im obigen Sinne. Er enthält eine Reihe von Merkmalen, bei denen es sich um Gegenstände handelt: Es heißt beispielsweise, daß der "Schrittmacher" einen "Impulsgenerator mit Regelschaltkreis", eine "Schrittmacherleitung", eine "Druckmeßeinrichtung" usw. umfaßt. Daneben enthält er Merkmale, die Tätigkeiten oder Maßnahmen beschreiben. So beginnt der Anspruch mit den Worten "Ein Verfahren zum Betreiben eines Schrittmachers entsprechend der unter Belastung erforderlichen Herzleistung", wobei das Verfahren am Ende des Anspruchs wie folgt definiert wird: "dadurch gekennzeichnet, daß die Druckmeßeinrichtung (24) verwendet wird, um den rechtsventrikulären systolischen Druck zu messen, und dieser Druckwert und/oder seine Zeitableitung verwendet wird, um die Schrittmacherrate zu regeln."
Die Kammer läßt das Vorbringen des Patentinhabers nicht gelten, der diese auf Tätigkeiten oder Maßnahmen bezogenen Merkmale als funktionelle Merkmale des Schrittmachers verstanden wissen wollte, die lediglich dessen technische Tauglichkeit illustrierten. Nach Ansicht der Kammer bestehen die im Anspruch dargelegten Tätigkeiten oder Maßnahmen vielmehr darin, daß mittels eines Druckmeßwerts, der an einer bestimmten Stelle des menschlichen Körpers abgeleitet wird, die Rate des Schrittmachers gesteuert wird, der zur Erzielung einer therapeutischen Wirkung auf den menschlichen Körper verwendet wird. Anders als in der Entscheidung T 245/87 (ABl. EPA 1989, 171) besteht also in der vorliegenden Sache ein funktioneller Zusammenhang zwischen dem gemessenen Wert und der angewandten therapeutischen Behandlung.
Deshalb definieren die Merkmale "Messen des rechtsventrikulären systolischen Drucks" und "Verwenden des Druckwerts und/oder seiner Zeitableitung zur Regelung des Schrittmachers entsprechend der unter Belastung erforderlichen Herzleistung" nach Ansicht der Kammer eine Verwendung des Schrittmachers zur Ausführung von Tätigkeiten, die ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers darstellen. Die Kammer schließt daraus, daß Anspruch 1 in der erteilten Fassung (ebenso wie die abhängigen Ansprüche 2 bis 11) auf einen nach Artikel 52 (4) Satz 1 EPÜ von der Patentierbarkeit ausgenommenen Gegenstand gerichtet ist.
2. Hilfsantrag: Artikel 123 (3) EPÜ
2.1 Wie in den Entscheidungen G 2/88 und G 6/88 (ABl. EPA 1990, 93 und 114) ausgeführt, muß bei der Prüfung der Frage, ob eine im Einspruchsverfahren beantragte Änderung im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ zulässig ist, "als erstes der Schutzbereich des Patents vor der Änderung ermittelt werden" (d. h. in der erteilten Fassung).
Sodann gilt es, den Schutzbereich des Patents nach der Änderung zu ermitteln und ihn mit dem durch das Patent in der erteilten Fassung gewährten Schutz zu vergleichen. Gewährt das Patent nach der Änderung denselben oder einen geringeren Schutz als in der erteilten Fassung, so wird der Schutzbereich nicht erweitert und die Änderung verstößt nicht gegen Artikel 123 (3) EPÜ. Geht der Schutzbereich des Patents nach der Änderung jedoch über den des Patents in der erteilten Fassung hinaus, so liegt eine Schutzbereichserweiterung vor, und die Änderung verstößt gegen Artikel 123 (3) EPÜ.
Der Schutzbereich des Patents muß im übrigen gemäß Artikel 69 (1) EPÜ und dem zugehörigen Protokoll ermittelt werden.
2.2 In der vorliegenden Sache definieren die erteilten Ansprüche 1 bis 11 (siehe oben Nr. I) "ein Verfahren zum Betreiben eines Schrittmachers entsprechend der unter Belastung erforderlichen Herzleistung ...". Wie oben in Nr. 1.5 dargelegt, ist Anspruch 1 (wie auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 11) ein Mischanspruch mit Merkmalen, die sowohl physische Eigenschaften des Schrittmachers als auch Tätigkeiten definieren. Der von den Ansprüchen geschützte Gegenstand ist also ein Schrittmacher, der die in mehreren technischen Merkmalen des Anspruchs festgelegten physischen Eigenschaften aufweist, wenn er in Gebrauch ist, d. h. wenn er am Körper einer unter körperlicher Belastung stehenden Person angebracht ist, und während "die Druckmeßeinrichtung verwendet wird, um den rechtsventrikulären systolischen Druck zu messen, und dieser Druckwert und/oder seine Zeitableitung verwendet wird, um die Schrittmacherrate zu regeln". Mit anderen Worten: Die Ansprüche 1 bis 11 schützen einen Schrittmacher mit den definierten physischen Eigenschaften nur dann, wenn er am Körper einer unter Belastung stehenden Person verwendet wird und die erforderliche Herzleistung bewirkt; das Patent gewährt also einem durch die Ansprüche definierten Schrittmacher nur dann Schutz, wenn er in Gebrauch ist.
2.3 Dagegen umfaßt Anspruch 1 des Hilfsantrags (siehe oben Nr. X) nach Ansicht der Kammer nur technische Merkmale, die physische Eigenschaften des Schrittmachers an sich definieren. So ist der Schrittmacher "für die Implantierung in den menschlichen Körper ausgelegt". Seine "Schrittmacherleitung" ist "für die Implantierung in das Herz ausgelegt". Seine "Druckmeßeinrichtung" ist ausgelegt, "in den rechten Ventrikel positioniert zu werden". Für solche technischen Merkmale des Schrittmachers kommt es nicht darauf an, wo er sich befindet: sie kennzeichnen den Schrittmacher unabhängig davon, ob er in Gebrauch ist. Im Grunde genommen lassen sich die physischen Eigenschaften des Schrittmachers anhand solcher Merkmale nur sehr unzureichend definieren. So bedeutet z. B. die Tatsache, daß der Schrittmacher "für die Implantierung in das Herz ausgelegt" ist, im wesentlichen, daß er baulich für die Implantierung geeignet ist. Die Druckmeßeinrichtung muß geeignet sein, "in den rechten Ventrikel" positioniert zu werden. Ist sie das, so wäre sie ebenso geeignet, in den linken Ventrikel positioniert zu werden.
Was den zweiten Teil des Anspruchs - beginnend mit den Worten "wobei der Schrittmacher" - betrifft, so hält die Kammer die darin genannten Merkmale ("die Zeitableitung des rechtsventrikulären systolischen Drucks bildet" usw.) für funktionelle Merkmale des Schrittmachers.
Der Anspruch definiert und schützt also einen "Schrittmacher", ob er nun im menschlichen Körper in Gebrauch ist oder nicht. Das erteilte Patent gewährt dem beanspruchten Schrittmacher Schutz, wenn er in Gebrauch ist und betriebsbereit. Der vorliegende Anspruch gewährt also einen gegenüber Anspruch 1 in der erteilten Fassung erweiterten Schutz. Eine solche Erweiterung des Schutzbereichs verstößt gegen Artikel 123 (3) EPÜ. Aus diesem Grund ist Anspruch 1 des Hilfsantrags nicht gewährbar.
2.4 Sollte die obige Auslegung des hilfsweise beantragten Anspruchs 1 insofern unzutreffend sein, als es sich etwa bei den Merkmalen im zweiten Teil des Anspruchs (nach "wobei der Schrittmacher") bei richtiger Auslegung nicht um funktionelle Merkmale des Schrittmachers, sondern um Verfahrensschritte handelt, so wäre hinzuzufügen, daß die Patentierung dann aufgrund des Artikels 52 (4) EPÜ ausgeschlossen wäre.
2.5 Allgemein ist also festzuhalten: Enthält ein Patent in der erteilten Fassung nur Ansprüche, die auf das Betreiben eines Geräts gerichtet sind und daher sowohl "Vorrichtungs-" als auch "Verfahrensmerkmale" aufweisen, während es in der im Einspruchsverfahren vorgeschlagenen geänderten Fassung nur Ansprüche mit "Vorrichtungsmerkmalen" aufweist, so ist die vorgeschlagene Änderung nach Artikel 123 (3) EPÜ nicht zulässig, weil das erteilte Patent das Gerät nur schützt, wenn es in Gebrauch ist und das Verfahren ausführt, während das Patent mit den vorgeschlagenen Änderungen das Gerät unabhängig davon, ob es in Gebrauch ist, schützen und ihm somit gegenüber dem Patent in der erteilten Fassung einen erweiterten Schutz verleihen würde. Anders ausgedrückt: Eine im Einspruchsverfahren vorgeschlagene Änderung der Patentansprüche, mit der ein Kategoriewechsel von einem "Verfahren zum Betreiben eines Geräts" zu einem "Gerät" einhergeht, ist nach Artikel 123 (3) EPÜ grundsätzlich nicht zulässig.
2.6 Der Patentinhaber zog zur Stützung seines Hilfsantrags die Entscheidung T 426/89 (ABl. EPA 1992, 172) an. In der betreffenden Sache definierte der erteilte Anspruch 1 ein "Verfahren zum Betreiben eines Herzschrittmachers zum Beenden einer Tachykardie ...". Es wurde die Auffassung vertreten, daß der kennzeichnende Teil des Anspruchs ausschließlich Merkmale enthalte, die die Funktion des Schrittmachers definierten, und er deshalb "bereits ein Sachanspruch mit funktioneller Definition eines Herzschrittmachers" sei (Nr. 3.1 der Begründung). Die Beschwerdekammer entschied, daß durch den "nur scheinbaren Kategoriewechsel der Inhalt des Anspruchs nicht geändert, sondern der Anspruch lediglich klargestellt" werde und Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag gewährbar sei.
Demgegenüber vertritt die Kammer hier die Auffassung, daß der erteilte Anspruch 1 deutlich gefaßt ist, die Verwendung einer Vorrichtung zur Durchführung eines Verfahrens zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers definiert und - da er auch Verfahrensschritte umfaßt - kein reiner "Vorrichtungsanspruch" ist (siehe oben Nr. 1.5). Aus diesem Grund ist zwischen der genannten Entscheidung und der vorliegenden Sache ein Unterschied zu machen.
Der Patentinhaber zog ferner die Entscheidung T 378/86 (ABl. EPA 1988, 386) an. Diese war vor den (oben genannten) Entscheidungen G 2/88 und G 6/88 der Großen Beschwerdekammer ergangen und steht mit diesen nicht ganz in Einklang. Die hier entscheidende Kammer ist angesichts der Ergebnisse, zu denen sie bei der Auslegung der Ansprüche in der erteilten und in der geänderten Fassung gelangt ist, der Auffassung, daß die Entscheidung T 378/86 dem Patentinhaber nicht weiterhilft.
2.7 Ein erteiltes Patent, dessen Ansprüche ausschließlich ein Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers unter Verwendung eines bestimmten Geräts oder Apparats definieren und gegen das nach Artikel 100 a) EPÜ mit der Begründung Einspruch eingelegt wird, daß der beanspruchte Gegenstand nach Artikel 52 (4) EPÜ nicht patentierbar sei, kann nach Ansicht der Kammer nicht durch die Aufnahme von Ansprüchen geändert werden, die das Gerät oder den Apparat (zur Verwendung in einem solchen Verfahren) definieren, da eine solche Änderung gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstößt.
Bei einem solchen Patent bilden also die Artikel 52 (4) und 123 (3) EPÜ in Verbindung miteinander eine Art unentrinnbarer Falle, ähnlich wie die Artikel 123 (2) und (3) EPÜ in dem in der Entscheidung G 1/93 (ABl. EPA 1994, 541) behandelten Fall - siehe insbesondere Nr. 13 der Entscheidungsgründe.
Die Kammer nimmt zur Kenntnis, daß im vorliegenden Fall die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung die auf eine "Vorrichtung zum Herzschrittmachen ..." gerichteten Ansprüche 1 bis 19 sowie die auf ein "Verfahren zum Herzschrittmachen ..." gerichteten Ansprüche 20 bis 30 enthielt. Die Prüfungsabteilung stellte in ihrem ersten Bescheid fest, daß Anspruch 1 (der Vorrichtungsanspruch) gegenüber Dokument D1 (siehe oben Nr. II) nicht neu sei und daß ein gewährbarer Anspruch so aussehen könne, wie im Bescheid gezeigt (nämlich Anspruch 1 in der schließlich erteilten Fassung). Der Anmelder strich daraufhin die Ansprüche 1 bis 19 und reichte die vorgeschlagenen geänderten Verfahrensansprüche 1 bis 11 ein, woraufhin das Patent mit eben diesen Ansprüchen 1 bis 11 erteilt wurde. Wie jedoch die Große Beschwerdekammer in der Entscheidung G 1/93 feststellte "(trägt) die Verantwortung für Änderungen an einer Patentanmeldung (oder einem Patent) letztlich immer der Anmelder (bzw. der Patentinhaber)".
Die Kammer räumt zwar ein, daß dem Patentinhaber im vorliegenden Fall zumindest in gewissem Grade nahegelegt worden war, die Ansprüche in der Fassung einzureichen, in der das Patent dann erteilt wurde; die oben genannten Rechtsfolgen, die sich aus der Anwendung des Artikels 52 (4) EPÜ auf den Hauptantrag und des Artikels 123 (3) EPÜ auf den Hilfsantrag ergeben, scheinen aber vor dem Hintergrund des Einspruchsverfahrens unausweichlich.
3. Den Antrag des Patentinhabers, die Große Beschwerdekammer mit bestimmten Fragen dieses Verfahrens zu befassen (siehe oben Nr. X), weist die Kammer aus folgenden Gründen zurück:
Frage 1: Ob ein bestimmter Anspruch gegen Artikel 52 (4) EPÜ verstößt, hängt nach Ansicht der Kammer von seinem Wortlaut und vom Fazit der unter den Nrn. 1.1 bis 1.5 beschriebenen Betrachtungen ab. Daß solche Betrachtungen anzustellen sind, ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung früherer Beschwerdekammerentscheidungen.
Der Kammer erscheint es daher nicht zweckmäßig, die Große Beschwerdekammer, wie vom Patentinhaber vorgeschlagen, zu befassen.
Frage 2: Nach welchen Grundsätzen darüber zu befinden ist, ob ein Wechsel der Anspruchskategorie nach der Erteilung zulässig ist, wurde von der Großen Beschwerdekammer bereits in den oben genannten Entscheidungen G 2/88 und G 6/88 entschieden und erläutert. Auch aus diesem Grund erscheint die Befassung der Großen Beschwerdekammer unzweckmäßig und unnötig.
4. In Anbetracht des oben Gesagten erübrigt es sich für die Kammer, über die vom Einsprechenden ebenfalls erhobene Frage zu befinden, ob der beanspruchte Gegenstand erfinderisch ist.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer wird abgelehnt.
2. Der Beschwerde wird stattgegeben, das europäische Patent wird widerrufen.