T 0039/82 (Reflexionslamellen) 30-07-1982
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I. Die am 12. Dezember 1979 angemeldete, unter der Nummer 0 012 430 veröffentlichte europäische Patentanmeldung 79 105 112.1, für welche die Priorität einer früheren Anmeldung vom 12. Dezember 1978 in Anspruch genommen wird, ist von der Prüfungsabteilung durch Entscheidung vom 15. Oktober 1981 zurückgewiesen worden. Der Entscheidung lagen die am 17. Juli 1981 eingegangenen sechs Patentansprüche zugrunde.
II. In der Entscheidung führt die Prüfungsabteilung aus, zur Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 habe es keiner erfinderischen Tätigkeit bedurft. Zur Begründung verweist sie auf die deutsche Patentschrift 915 657, die deutsche Offenlegungsschrift 2 634 522 sowie die bekanntgemachten Unterlagen des deutschen Gebrauchsmusters 1 863 517. Für die Verneinung der erfinderischen Tätigkeit sei entscheidend gewesen, daß im Anspruch 1 Schutz für die Verwendung einer auf demselben Fachgebiet bekannten Maßnahme begehrt werde. Besondere technische Schwierigkeiten seien hierbei nicht zu überwinden gewesen.
III. Gegen dies Entscheidung hat die Anmelderin unter Entrichtung der Beschwerdegebühr am 10. Dezember 1981 Beschwerde eingelegt und diese in einem am 1. Februar 1982 eingegangenen Schriftsatz begründet. Die Anmelderin hält die dem Zurückweisungsbeschluß zugrunde gelegenen Patentansprüche aufrecht. Sie ist der Auffassung, daß sich der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht in naheliegender Weise aus den genannten Veröffentlichungen ergibt.
IV. In einem Bescheid vom 30. April 1982 ist der Anmelderin mitgeteilt worden, daß gegen die Fassung der Patentansprüche 1, 5 und 6 formale Bedenken bestünden.
V. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 1982 hat die Anmelderin neugefaßte Patentansprüche 1 bis 6 sowie eine diesen angepaßte Beschreibung eingereicht. Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und aufgrund dieser Unterlagen sowie der ursprünglichen Zeichnung auf die Anmeldung ein europäisches Patent zu erteilen. Der Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"1. Vorrichtung zum Vermindern der von äußerem Fremdlicht verursachten Lichtreflexion an Verkehrsleuchten, bestehend aus mehreren Lamellen (3), die zur Absorption des auf ihre Oberseiten geneigt auftreffenden äußeren Fremdlichts eingerichtet sind und vor der Lichtquelle parallel zueinander sowie im Abstand angeordnet werden, dadurch gekennzeichnet, daß die der Fremdlichtquelle zugewendeten Oberseiten (4) der Lamellen (3) stark lichtabsorbierend, die Unterseiten (5) der Lamellen (3) dagegen stark lichtreflektierend ausgeführt sind."
VI. Wegen des Wortlauts der ursprünglichen Patentansprüche und Beschreibung wird auf die Veröffentlichung Nr. 0 012 430 verwiesen.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die im geltenden Patentanspruch 1 angegebenen Merkmale waren Gegenstand der ursprünglichen von der Beschreibung gestützten Patentansprüche 1 und 2 (Art. 84 EPÜ). Der Gegenstand des Anspruchs geht deshalb nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Art. 123 (2) EPÜ).
In dem ersten Teil (Oberbegriff) des Patentanspruchs 1 hat die Anmelderin alle die Merkmale des Gegenstands des Anspruchs aufgeführt, die in Verbindung miteinander durch die Unterlagen des deutschen Gebrauchsmusters 1 863 517 bekanntgeworden sind (Regel 29(1)a) EPÜ). Gegen die Berücksichtigung der Vorrichtung nach dieser Veröffentlichung als Stand der Technik bestehen keine Bedenken, da unter den bei der Prüfung der Anmeldung ermittelten Vorrichtungen keine dem Gegenstand des Anspruchs 1 näher kommt. Die Änderung des Begriffs "Signalleuchte" in "Verkehrsleuchte" ist nicht zu beanstanden. Durch sie kommt klarer zum Ausdruck, auf welchem Fachgebiet die Anmeldung liegt.
Der Patentanspruch 1 genügt demnach den formalen Vorschriften der Konvention; er ist deshalb insoweit nicht zu beanstanden.
3. Bei der Vorrichtung nach den Unterlagen des deutschen Gebrauchsmusters 1 863 517 ist die Oberfläche der Lamellen, die zum Vermindern der von äußerem Fremdlicht verursachten Lichtreflexion im Abstand vor der Lichtquelle der Verkehrsleuchte angeordnet werden, allseitig schwarz gefärbt. Die Lamellen schlucken infolgedessen mit zunehmender Breite und Dichte einen steigenden Anteil an Signallicht. Die hierauf zurückzuführende verminderte Signallichtausbeute hat die Anmelderin als nachteilig angesehen.
4. Der Anmeldung liegt daher die Aufgabe zugrunde, die bekannte Vorrichtung so zu verbessern, daß unter Beibehaltung der von den Lamellen bewirkten guten Unterdrückung der Fremdlichtreflexion an der Verkehrsleuchte eine höhere Ausbeute an Signallicht erreicht wird.
5. Diese Aufgabe wird, wie nicht näher begründet zu werden braucht, durch die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 aufgeführten Merkmale gelöst.
6. Wie sich aus den Ausführungen im Abschnitt 2 ergibt, unterscheidet sich die Vorrichtung nach Anspruch 1 von der in dem deutschen Gebrauchsmuster 1 863 517 beschriebenen Vorrichtung durch die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs aufgeführten Merkmale. Diese Merkmale sind auch bei der Vorrichtung nach der im Recherchenbericht genannten USA-Patentschrift 2 616 957 nicht verwirklicht. Die zum Vermindern der Fremdlichtreflexion dienenden lamellenartigen Glieder dieser Vorrichtung weisen nämlich eine schwarzgefärbte, d.h. allseitig lichtabsorbierende Oberfläche auf. Durch die noch genannten Veröffentlichungen (deutsche Patentschrift 915 657, deutsche Offenlegungsschrift 2 634 522) ist der Gegenstand des Anspruchs 1 ebenfalls nicht bekanntgeworden. Dies folgt schon daraus, daß beide Veröffentlichungen keine Vorrichtung zum Vermindern der von äußerem Fremdlicht verursachten Lichtreflexion an Verkehrsleuchten, wie Verkehrsampeln, betreffen. Die Vorrichtung nach Anspruch 1 ist daher gegenüber dem vorstehenden Stand der Technik neu.
7. Es ist deshalb zu prüfen, ob sich der Gegenstand des Anspruchs 1 aus diesem Stand der Technik in naheliegender Weise ergibt.
7.1. Die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 niedergelegte Lösung der der Anmeldung zugrunde gelegten Aufgabe (vgl. Abschnitt 4) beruht auf dem Gedanken, den Anteil an Signallicht, der von der Lichtquelle aus nach oben, also vom sogenannten Beobachterhalbraum (das ist der Raum, in dem das Signallicht zu erkennen sein muß) weg gerichtet abgestrahlt und bei der bekannten Vorrichtung an den Lamellenunterseiten absorbiert wird, zur Signalgabe zu nutzen, und zwar dadurch, daß dieser Anteil in den Beobachterhalbraum reflektiert wird. Verwirklicht wird dieser Gedanke nach dem Vorschlag der Anmeldung dadurch, daß nur die der Fremdlichtquelle zugewendeten Oberseiten der Lamellen stark lichtabsorbierend, ihre Unterseiten dagegen stark lichtreflektierend ausgeführt sind. Auf diese Weise wird der Verlust an Signallicht, der durch die Absorption der auf die Lamellenoberseiten auftreffenden, nach unten in den Beobachterhalbraum gerichteten Lichtstrahlen verursacht wird, im wesentlichen ausgeglichen und so eine höhere Lichtausbeute als bei der bekannten Vorrichtung erreicht.
7.2. Die genannten Veröffentlichungen geben dem Fachmann keinen Hinweis, die Lichtausbeute durch die Heranziehung des bei der Vorrichtung nach dem deutschen Gebrauchsmuster 1 863 517 an der Lamellenunterseite absorbierten Lichtanteils zur Signalgabe zu vergrößern.
7.2.1. Die USA-Patentschrift 2 616 957 vermittelt ebenso wie die Unterlagen des vorstehend genannten Gebrauchsmusters die Lehre, bei einer Vorrichtung zum Vermindern der von äußerem Fremdlicht verursachten Lichtreflexion an Verkehrsleuchten die gesamte Lamellenoberfläche lichtabsorbierend auszubilden. An eine Nutzung von auf die Lamellen auftreffendem Signallicht für die Signalgabe ist also nicht gedacht. Für sie soll nur der Anteil an Signallicht verwendet werden, der in Richtung auf den Beobachterhalbraum zwischen den Lamellen hindurchtritt.
7.2.2. Die deutsche Offenlegungsschrift 2 634 522 betrifft eine Signalleuchte für Kraftfahrzeuge. Bei ihr sind die vor einem Reflektor angeordneten Lamellen ebenfalls mit einem lichtabsorbierenden Belag versehen. Er hat wie der Belag der Lamellen bei der Vorrichtung nach der USA-Patentschrift 2 616 957 die Aufgabe, ein Eindringen von Fremdlicht zu verhindern. Bei der bekannten Signalleuchte trifft auf die Ober- und Unterseiten der Lamellen jedoch praktisch kein Signallicht auf, da der Reflektor ein Bündel paralleler Signallichtstrahlen erzeugt und die Lamellen zu den Strahlen zumindest angenähert parallel verlaufen. Schon aus diesem Grund konnte diese Vorrichtung es nicht nahelegen, die Lamellen der Vorrichtung nach dem deutschen Gebrauchsmuster 1 863 517 gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 auszubilden.
7.2.3. Gegenstand der deutschen Patentschrift 915 657 ist keine Verkehrsleuchte, sondern ein Scheinwerfer für Kraftfahrzeuge. Ob diese Patentschrift, wie die angefochtene Entscheidung meint, auf demselben Fachgebiet wie der Anmeldungsgegenstand liegt, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn man hiervon ausgeht, war ihr keine Anregung zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu entnehmen. Dem Scheinwerfer nach dieser Patentschrift liegt nämlich ein anderes Problem zugrunde als dem Gegenstand der Anmeldung. Durch seine in der Patentschrift vorgeschlagene Ausbildung soll die Aufgabe gelöst werden, das bei den üblichen Scheinwerfern zum Abblenden erforderliche Umschalten von der im Brennpunkt des Reflektors befindlichen Lichtquelle auf eine außerhalb des Brennpunkts angeordnete schwächere Lichtquelle zu vermeiden. Erreicht wird dies dadurch, daß das von der im Brennpunkt befindlichen Lichtquelle ausgehende Licht beim Abblenden durch an ihren unteren Seiten reflektierend ausgeführte Lamellen umgelenkt wird. Zugleich wird die Einsicht in den Scheinwerfer beim Abblenden durch eine lichtabsorbierende Ausführung der Lamellenoberseiten ausgeschaltet. Da mit dieser zwar auch beim Anmeldungsgegenstand vorgesehenen Ausführung der Lamellenober- und -unterseiten eine andere Aufgabe als beim Gegenstand des Anspruchs 1 gelöst werden soll, konnte die Lehre der deutschen Patentschrift 915 657 weder für sich noch in Verbindung mit den den übrigen Veröffentlichungen zu entnehmenden Lehren dazu anregen, die gleichen Maßnahmen zur Verbesserung der Lichtausbeute einer Verkehrsleuchte vorzuschlagen.
7.3. Aus den vorstehenden Erwägungen darüber, welche Anregungen dem Stand der Technik, insbesondere der deutschen Patentschrift 915 657, für die Lehre des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 zu entnehmen waren, ergibt sich, daß die erfinderische Tätigkeit entgegen der Ansicht der angefochtenen Entscheidung nicht allein mit der Begründung verneint werden kann, die diese Lehre bildende Maßnahme sei durch eine auf demselben Fachgebiet wie der Anmeldungsgegenstand liegende Veröffentlichung vor dem Prioritätstag bekannt gewesen. Um zu einer sachentsprechenden Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu gelangen, war außerdem zu prüfen, ob der Stand der Technik dem Fachmann einen Hinweis gab, diese Maßnahme im vorliegenden Fall anzuwenden. Ein solcher Hinweis braucht nicht expressis verbis gegeben zu sein. Er kann darin bestehen, daß mit der bekannten Maßnahme im bekannten Fall dasselbe bezweckt wird wie im zu entscheidenden Fall. Daher mußte untersucht werden, welche Aufgaben im bekannten und im zu entscheidenden Fall gelöst werden. Da diese Untersuchung ergab, daß die Aufgaben sich grundsätzlich voneinander unterscheiden, war dieses Ergebnis als Beweisanzeichen dafür zu werten, daß die die Maßnahme beschreibende Veröffentlichung es dem Fachmann ebensowenig wie der übrige Stand der Technik nahelegte, diese Maßnahme in dem in der Anmeldung vorgesehenen anderen Zusammenhang zu verwenden. Deshalb war es ohne Bedeutung, daß, wie die angefochtene Entscheidung meint, bei der Anwendung dieser Maßnahme keine besonderen Schwierigkeiten zu überwinden waren.
7.4. Aus den vorstehenden Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit (Art. 56 EPÜ). Dieser Anspruch ist daher gewährbar (Art. 52 EPÜ).
8. Die abhängigen Patentansprüche 2 bis 6 haben besondere Ausführungen der Erfindung nach Anspruch 1 zum Gegenstand und können deshalb gleichfalls gewährt werden.
9. Die Änderungen in der Beschreibung dienen der Berücksichtigung des Stands der Technik nach dem deutschen Gebrauchsmuster 1 863 577 sowie zur klaren Darstellung der Aufgabe und der Erfindung oder zum Einführen einheitlicher Begriffe für dasselbe Teil. Gegen sie bestehen deshalb keine Bedenken.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Sache an die Prüfungsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen, auf die Anmeldung ein europäisches Patent aufgrund der am 30. Juni 1982 eingegangenen Unterlagen (sechs Patentansprüche und Beschreibung) sowie der ursprünglichen Zeichnung zu erteilen.