T 0741/92 21-06-1994
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Katheter zum Herstellen oder Erweitern von Verbindungen zu oder zwischen Körperhohlräumen
Einspruchsgründe - Offenbarung der Erfindung (ausreichend)
Neuheit - indirekte Offenbarung (verneint)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht) - neuer Anwendungszweck eines bekannten Mittels
I. Das europäische Patent Nr. 0 292 587 wurde am 7. November 1990 erteilt.
Der Anspruch 1 dieses Patents lautet wie folgt:
"Vorrichtung zum Herstellen oder Erweitern von Verbindungen zu oder zwischen Körperhohlräumen, mit einem Katheter, der einen infolge Druckmedienbeaufschlagung über ein Lumen radial aufweitbaren Ballonabschnitt besitzt, und mit einer auf dem Ballonabschnitt des Katheters aufgenommenen und im wesentlichen axialfest gehaltenen Endoprothese, die radial aufweitbar und in ihrer Aufweitlage nach bestimmungsgemäßer Plazierung bei kollabiertem Ballonabschnitt vom Katheter trennbar ist, insbesondere zum Eröffnen oder Erweitern von Gefäßen, dadurch gekennzeichnet, daß die Endoprothese (20, 20') ein durch Stricken, Häkeln oder durch sonstige Arten der Maschenbildung hergestellter, aus Metall- oder Kunststoff-Fadenmaterial guter Gewebeverträglichkeit aufgebauter, radial aufweitbarer und danach in der Aufweitlage verharrender flexibler Schlauch (30, 40, 50) ist."
II. Den gegen die Patenterteilung am 5. August 1991 eingelegten Einspruch wies die Einspruchsabteilung mit Entscheidung vom 8. Juli 1992 unter Anerkennung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik zurück.
III. Der Beschwerdeführer (Einsprechender) legte am 7. August 1992 gegen diese Entscheidung unter gleichzeitiger Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Innerhalb der vorgeschriebenen Frist wurde die Beschwerdebegründung eingereicht.
IV. In seinem schriftliche Vorbringen und der am 21. Juni 1994 stattgefundenen mündlichen Verhandlung
1. stützte der Beschwerdeführer sein Vorbringen auf folgende Entgegenhaltungen:
(1) EP-A-0 183 372
(3) GB-A-1 183 497
(6) DE-A-2 461 370
(7) EP-A-0 221 570.
2. Er bestritt insbesondere:
- Die ausreichende Offenbarung der Erfindung, um diese anhand der im Patent enthaltenen Angaben ausführen zu können (Artikel 100 b) EPÜ). Insbesondere sei nicht zu erkennen, wie die Prothese in der Aufweitlage gehalten werden könne.
- Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber dem Inhalt der Entgegenhaltungen (1) bzw. (7) in Anbetracht der dort offenbarten Alternativen, wonach die Prothesen durch sonstige Arten der Maschenbildung hergestellt werden können.
- Die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 angesichts der Kombination der Lehre einer der Entgegenhaltungen (1) oder (7) mit der Lehre der Entgegenhaltung (3) oder (6), in denen die Verwendung einer gestrickten oder auf ähnliche Weise hergestellten Maschenstruktur für eine Prothese beschrieben werde, die in Gefäßen des menschlichen Körpers implantiert werde. Auch wenn in diesen Entgegenhaltungen nicht ausdrücklich auf die radiale Aufweitung der Prothese eingegangen werde, sei diese Eigenschaft für den verwendeten Maschentyp doch charakteristisch, so daß eine plastische Verformung auch mit den bekannten Prothesen erzielt werden könne.
3. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) bestritt unter Hinweis auf die Beschreibung des erteilten Patents und auf die Unterschiede, die sich nach seiner Ansicht zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und den bekannten Prothesen aufgrund der unterschiedlichen Maschenbildung ergeben würden, die obengenannten Argumente.
V. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Der Beschwerdegegner beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Offenbarung der Erfindung im Sinne des Artikels 100 b) EPÜ
Nach dem Wortlaut des Anspruchs 1 handelt es sich bei der Prothese um einen durch Stricken, Häkeln oder durch sonstige Arten der Maschenbildung hergestellten flexiblen Schlauch aus Metall- oder Kunststoff- Fadenmaterial. Außerdem ist diese Prothese als radial aufweitbar und danach in der Aufweitlage verharrend beschrieben. Der beanspruchte Gegenstand ist demnach durch die verschiedenen Herstellungsverfahren und verschiedenen Materialien und den sich aus der Kombination dieser beiden Fakten ergebenden Eigenschaften definiert.
In der Beschreibung ist außerdem deutlich vollständig angegeben, daß das Verharren der Prothese in der Aufweitlage durch die bleibende plastische Verformung der einzelnen Bogenstücke der Maschen über die Elastizitätsgrenze hinaus erzielt wird, wobei die mit Spiel ineinandergreifenden Fadenschlingen ohne feste Verbindung die spezifische Maschenstruktur der Prothese bilden (vgl. Spalte 3, Zeilen 10 - 23; Spalte 10, Zeilen 16 - 28; Spalte 11, Zeile 65 - Spalte 12, Zeile 5). Jenseits der Elastizitätsgrenze strebt die Maschenstruktur nicht mehr in ihre ursprüngliche Form zurück.
Die der Beschreibung des erteilten Patents entnehmbaren Informationen vermitteln dem Fachmann demnach eine ausreichende Grundlage für die Ausführung einer Prothese mit den beanspruchten Merkmalen.
3. Nächstkommender Stand der Technik
Den Stand der Technik, der dem Gegenstand des Anspruchs 1 am nächsten kommt, zeigen in gleicher Weise die Entgegenhaltungen (1) und (7) und dabei insbesondere die Ausführungsformen gemäß der Figur 4 der Entgegenhaltung (1) bzw. Figur 1 der Entgegenhaltung (7).
In beiden Entgegenhaltungen ist eine Vorrichtung gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 beschrieben.
Darüber hinaus weisen diese bekannten Prothesen eine gute Gewebeverträglichkeit auf und bestehen aus einem flexiblen Schlauch aus einem Metall- oder Kunststoffgeflecht. Diese Prothesen sind aufweitbar und können in der Aufweitlage verharren.
4. Neuheit
Von den Ausführungsformen der Entgegenhaltungen (1) und (7) unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch, daß die Prothese durch Stricken, Häkeln oder durch sonstige Arten der Maschenbildung hergestellt wird.
4.1. Bei der Ausführungsform gemäß der Entgegenhaltung (1) wird die Prothese ausschließlich durch das Flechten von Fäden nach dem auf Seite 7, Absatz 3 beschriebenen Verfahren hergestellt. Die Fäden sind dabei spiralförmig und einander kreuzend angeordnet, weisen aber eine winkelförmige Verdrehmöglichkeit um die Längsachse der Prothese auf, so daß ein radiales Aufweiten oder Zusammendrücken der Prothese möglich ist.
Die Prothese nach der Ausführungsform gemäß der Abbildung 1 der Entgegenhaltung (7) besteht aus an Kreuzungspunkten diagonal gekreuzten geraden Fäden. Diese Anordnung entspricht ebenfalls der Definition eines Geflechts (vgl. Spalte 7, Zeilen 19 - 25). Dabei bildet das Maschenwerk in der Aufweitlage wie auch im komprimierten Zustand der Prothese eine Art Gitterwerk bzw. ein Geflecht aus an den Kreuzungspunkten verformbaren Parallelogrammen. Der Ausdruck "wire woven in a criss-crossed tubular pattern to form a wire mesh tube" (vgl. Spalte 8, Zeilen 21 - 24 und Spalte 9, Zeilen 12 - 15) ist in diesem Sinne auszulegen.
4.2. Was unter dem Begriff "Maschenbildung" zu verstehen ist, ergibt sich eindeutig aus der Beschreibung des Patents: "Unter Stricken, Häkeln oder dergleichen sind im Sinne der vorliegenden Erfindung Maschenbildungen jedweder Art zu verstehen, bei denen jeweils einander umschlingende Bogenstücke verschiedener Einzelfasern ohne feste Verbindung in den jeweiligen Kreuzungspunkten die Maschen bilden" (vgl. Spalte 3, Zeilen 10 - 15). An anderer Stelle wird ergänzend erläutert, daß die einzelnen Maschen mit Spiel ineinandergreifen, so daß sie ein lockeres Gestricke bilden (vgl. Spalte 3, Zeilen 58 - 59 und Spalte 10, Zeilen 5 - 11). Zudem ist es dem Fachmann allgemein bekannt, daß auch durch Wirken Maschen gebildet werden können.
Keine der Entgegenhaltungen (1) und (7) betrifft daher eine Prothese aus einer Maschenstruktur, die durch ineinanderhängenden Fadenschlingen gebildet wird. Damit ist auch die mit der Alternative "oder durch sonstige Arten der Maschenbildung" in den Anspruch 1 eingeführte Verallgemeinerung im nächstkommenden Stand der Technik nicht offenbart. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist also neu im Sinne des Artikels 54 (1) EPÜ.
5. Aufgabe und Lösung
Den Ausführungsformen der Entgegenhaltungen (1) und (7) zufolge wird die geflochtene Prothese aufgeweitet, indem ein im Inneren der zusammengedrückten Prothese angebrachter Ballon mittels eines Katheters aufgeblasen wird. Für das Verharren der Prothese in der Aufweitlage sind zusätzliche Vorkehrungen erforderlich. Bei der Ausführungsform gemäß Figur 4 der Entgegenhaltung (1) wird durch die Reibung eines in Längsrichtung in das Geflecht eingewobenen Kettfadens verhindert, daß die Prothese wieder ihren ursprünglichen Durchmesser annimmt (vgl. Seite 9, letzter Absatz bis Seite 10, erster Absatz). Bei der Ausführungsform gemäß Figur 1 der Entgegenhaltung (7) wird dies dadurch erreicht, daß die Fäden des Geflechts an den Kreuzungspunkten miteinander verbunden werden, so daß die Prothese nach der Entfernung des Katheters den von den Gefäßwänden ausgehenden radialen Rückstellkräften standhalten kann (vgl. Spalte 8, Zeilen 16 - 21).
Gegenüber den bekannten Ausführungsformen besteht die zu lösende technische Aufgabe darin, einer aufweitbaren Prothese eine Struktur zu geben, die es der Prothese erlaubt ihre Form in der Aufweitlage zu behalten, ohne daß zusätzliche Vorkehrungen erforderlich sind.
Die Lösung liegt in dem Merkmal, wonach die Endoprothese durch Stricken, Häkeln oder durch sonstige Arten der Maschenbildung hergestellt ist. Wie unter Punkt 2 ausgeführt, bewirkt die plastische Verformung der lose ineinanderhängenden Fadenschlingen, daß die Maschenstruktur nach der Verformung ihre Form behält.
6. Erfinderische Tätigkeit
Der Fachmann, der anhand einer der in den Entgegenhaltungen (1) und (7) beschriebenen Ausführungsformen nach einer neuen Maschenstruktur für eine aufweitbare Prothese sucht, käme nicht auf die Idee, die in den Entgegenhaltungen (3) oder (6) beschriebenen Maschenstrukturen zu verwenden, weil diese Prothesen nicht aufweitbar sind, so daß sich das Problem ihres Verharrens in der Aufweitlage gar nicht stellt und folglich die Maschenstrukturen nicht verformbar sein müssen. Für den Fachmann bestünde also keine Veranlassung, nach Eigenschaften zu suchen, die gar nicht beschrieben sind.
6.1. In der Entgegenhaltung (3) wird eine verstärkte Prothese beschrieben, die Gefäßabschnitte des menschlichen Körpers ersetzen soll. Der Körper 10 der schlauchförmigen Prothese wird durch Stricken, Häkeln, Weben, Flechten oder ein anderes Verfahren zur Bildung einer groben Maschenstruktur hergestellt, um das Eindringen von Gewebefasern in die Zwischenräume zu fördern. Zur Versteifung der Prothese und um einem Zusammendrücken der Prothese entgegenzuwirken, wird der Körper 10 spiralförmig mit Kunststoffstreifen 11, 12. umwickelt und anschließend einer Wärmebehandlung unterzogen, damit die Kunststoffstreifen an den Rändern miteinander verschmelzen und in die Maschenstruktur eindringen (vgl. Seite 1, Zeilen 16 - 30, 52 - 63). Dadurch wird eine Aufweitung der Prothese unmöglich gemacht, was zu der Lehre des Anspruchs 1 des erteilten Patents in eindeutigem Gegensatz steht.
6.2. In der Entgegenhaltung (6) wird eine poröse vaskuläre Prothese beschrieben, die zum Ersatz von Arterien dient und von ihrer Struktur her ein rasches Einheilen gewährleistet, da das Risiko eines thrombotischen Verschlusses nur bei vollständigem Einheilen ausgeschaltet werden kann (vgl. Seite 2, letzter Absatz und Seite 8 erster Absatz). Die Problematik der Aufweitung der Prothese in einem Gefäß des menschlichen Körpers ist auch in dieser Entgegenhaltung nicht angesprochen.
Die in den Figuren 1 bis 3 dargestellte Prothese 10 besteht aus einem röhrenförmigen Schlauch, der aus den Schlingen 33a gebildet ist, die in Richtung der Längsachse der Prothese verlaufen und als Verankerung für andere, dazu quer verlaufende Fasern oder Schlingen 31, 37 dienen. Diese quer verlaufenden Schlingen erleichtern nach außen hin die Verbindung der Prothese mit dem umgebenden Gewebe und verankern nach innen eine Schicht von geronnenem Blut, die die Prothese für Blut undurchlässig macht. Darüber hinaus verringern sie die Abmessungen der Zwischenräume (vgl. Seite 9, Absatz 1 und Figur 5c).
Zwar weisen die Maschen der in den Figuren 1 und 2 der Entgegenhaltung (6) dargestellten Prothese eine gewisse Ähnlichkeit auf mit den Maschen der erfindungsgemäßen Prothese. Da die Prothese der Entgegenhaltung (6) aber zum Ersatz von Arterien dienen soll, wird sie, wie sie hergestellt wurde, d. h. ohne jegliche Änderung ihrer Erscheinungsform und Abmessungen, verwendet. Da an eine Aufweitung der Prothese nicht gedacht ist, kommt sie für die Implantation in eine Vene nicht in Frage, so daß der Fachmann keine Anregung erhält, sie dafür zu verwenden.
Aber auch wenn die in der Entgegenhaltung (6) beschriebene Prothese von ihrer Maschenstruktur her aufweitbar wäre, so wird in dieser Entgegenhaltung dazu nichts ausgesagt, was eine solche Eigenschaft nahelegen könnte. Etwaige dieser Prothese inhärent innewohnende Eigenschaften stellen aber keine der Öffentlichkeit wirklich zugänglich gemachte Information dar (G 2/88, ABl. EPA 1990, 93, Nummer 10.1).
6.3. Im vorliegenden Fall besteht die Erfindung in der neuartigen Anwendung eines bekannten Mittels, nämlich einer bestimmten Maschenstruktur. Bei derartigen Erfindungen ist es nur von geringer Bedeutung, daß das Mittel an sich bekannt ist, wenn bei der Anwendung neuartige Eigenschaften und Zwecke ins Spiel kommen. Laut der Beschreibung des Patents (vgl. Spalte 3, Zeilen 24 - 28) sei es zwar bekannt, durch Gestricke hergestellte Maschenstrukturen bereits zum Aufbau schlauchförmiger Filter zu verwenden, aber für radial aufweitbare und in ihrer Aufweitlage verharrende Endoprothesen hätten diese Maschenstrukturen noch keine Verwendung gefunden. Damit wird das bekannte Mittel bei der Erfindung zur Erzielung eines zuvor noch nicht bekannten und auch nicht offensichtlichen Ergebnisses angewandt (T 301/90 vom 23. Juli 1990, Nummer 3.7, nicht veröffentlicht).
Darüber hinaus muß bei der Anwendung eines bereits bekannten Mittels auf demselben Fachgebiet untersucht werden, welche Aufgaben im bekannten und im zu entscheidenden Fall gelöst werden (T 39/82, ABl. EPA 1982, 423, Nummer 7.3). Wie bereits unter obiger Nummer 6.2 bezüglich der Entgegenhaltung (6) ausgeführt - die einzige Entgegenhaltung, in der eine Prothese mit einer ähnlichen Maschenstruktur dargestellt ist wie im angefochtenen Patent - ist die jeweilige Aufgabenstellung eine völlig andere. Dies erklärt, daß die beiden Prothesen unterschiedliche Eigenschaften aufweisen, die zu den für ihre unterschiedliche Verwendung notwendigen Ergebnissen führen.
6.4. Aus diesen Gründen wird der Gegenstand des Anspruchs 1 durch den Stand der Technik nicht nahegelegt und beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
7. Das Patent kann daher in unverändeter Form aufrechterhalten bleiben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.