T 0331/91 02-06-1992
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Implantierbarer Herzschrittmacher (Sicherstellung einer Minimalamplitude)
Nach Änderungen Klarheit, Offenbarung und erfinderische Tätigkeit bejaht
Clarity of claims (after amendment : yes)
Inventive step (yes)
Added subject-matter (no)
I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 071 965.
II. Die Beschwerdeführerin hat gegen die Patenterteilung gemäß Artikel 100 b) und 100 c) EPÜ sowie gemäß Artikel 100 a) EPÜ unter Angabe folgender Dokumente Einspruch erhoben:
D1: EP-A-0 029 479 und
D3: EP-A-0 017 608.
III. Die Einspruchsabteilung hat ferner noch das von der Beschwerdeführerin während des Einspruchsverfahrens genannte Dokument
D2: DE-B-1 296 283
gemäß Artikel 114 (1) EPÜ berücksichtigt und in einer Zwischenentscheidung gemäß Artikel 106 (3) EPÜ vom 6. März 1991 festgestellt, daß im Hinblick auf Artikel 102 (3) EPÜ die Erfordernisse dieses Übereinkommens der Aufrechterhaltung des Streitpatents in geändertem Umfang aufgrund der in der Zwischenentscheidung genannten Unterlagen nicht entgegenstehen.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende Beschwerde erhoben.
V. Auf eine Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 11 (2) VOBK hin, in der auf Mängel der Anspruchsfassung im Hinblick auf Artikel 84 EPÜ hingewiesen wurde, überreichte die Beschwerdegegnerin zu Beginn der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 1992 neue Ansprüche 1 bis 4, Anspruch 1 lautet:
"1. Implantierbarer Herzschrittmacher mit einer Batterie (1), deren Innenwiderstand (R;) vom Batterieladezustand abhängt, sowie einem an die Batterie angeschlossenen Reizimpulsgenerator mit einem Ausgangskondensator (5), der jeweils langsam aufgeladen und anschließend zur Erzeugung eines Stimulierungsimpulses schnell entladen wird, wobei die Entladung des Ausgangskondensators (5) erst dann auslösbar ist, wenn er mindestens bis zu einer bestimmten Mindestspannung (Vmin) aufgeladen ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Entladung des Ausgangskondensators erfolgt, wenn zusätzlich eine über ein unabhängig vom Ladevorgang arbeitendes Zeitglied (11) definierte Schaltzeit (tm2) abgelaufen ist, die die Grundfrequenz des Herzschrittmachers festlegt, und daß bei der Entladung des Ausgangskondensators (5) das Zeitglied (11) jeweils neu gestartet wird."
Ansprüche 2 bis 4 hängen von Anspruch 1 ab.
VI. Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Streitpatent in geändertem Umfang nunmehr mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
Anspruch: 1 bis 4, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 1992
Beschreibung: Seiten 1 bis 4 und Spalte 2, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 1992;
Spalte 3 bis Spalte 4, Zeile 53, gemäß EP- B1-0 071 965
Zeichnung: gemäß EP-B1-0 071 985.
VII. Die Beschwerdeführerin stützte ihren Antrag im wesentlichen auf folgende Argumente:
a) Der nunmehr geltende Patentanspruch 1 entspräche aus folgenden Gründen nicht Artikel 123 (2) EPÜ:
Der ursprüngliche Patentanspruch 1 beschränkte die an ein Erreichen einer Mindestspannung am Ausgangskondensator gebundene Auslösbarkeit seiner Entladung auf "ausgewählte Impulse". Die Streichung dieser Wahlfreiheit führe zu einer anderen, nicht offenbarten technischen Lehre.
Des weiteren sei der gültige Patentanspruch 1 über das konkrete Ausführungsbeispiel hinaus auf ein in seiner verallgemeinerten Fassung den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht entnehmbares Prinzip erweitert worden.
b) Als Erkenntnismittel über den Zustand einer Herzschrittmacherbatterie stünden dem Arzt üblicherweise die Amplitudenabnahme des Reizimpulses und als wesentlich kritischeres Anzeichen die Herabsetzung der Stimulierungsfrequenz zur Verfügung. Die beim Streitpatent vorgesehene Konstanthaltung der Stimulierungsfrequenz lasse über lange Zeiträume hinweg nicht den Batterieverbrauch erkennen und ermögliche erst in einer kurzen Endphase der Batterielebensdauer eine Batterieüberwachung, die aber nicht hinreiche, um einen Patienten wirksam zu schützen. Aus diesem Grunde sei beim Stand der Technik keine primäre Betriebsphase mit konstanter Reizfrequenz gewählt worden obwohl sie nahelag.
c) Der aus Dokument D3 bekannte Herzschrittmacher ermögliche aufgrund der Verlagerung der Überwachung des Innenwiderstandes der Batterie vom Ausgangskondensator des Herzschrittmachers auf einen gesonderten Modellkondensator (10) über dessen beliebig einstellbare Referenzspannung bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Batterieüberwachung als beim Streitpatent und garantiere damit eine ausreichende Sicherheit für den Patienten. Dieser Modellkondensator stelle über die Überwachung der Batteriespannung anhand einer Aufladung wie der Gegenstand des Streitpatents eine Mindestamplitude der Stimulierungsimpulse sicher, und ermögliche durch die Entkopplung seiner Ladezeit von der Betriebsfrequenz des Schrittmachers eine günstigere Feststellung relativer Frequenzänderungen - und somit eine sensible Detektion relativer Änderungen des Innenwiderstandes der Batterie - zu beliebigen Zeitpunkten. Der Verzicht auf diese Vorteile und insbesondere das Weglassen des Modellkondensators stelle einen technischen Rückschritt dar. Es sei zu fordern, daß technisch rückschrittlichen Entwicklungen keine erfinderische Tätigkeit zuerkannt werde.
d) Der Oberbegriff des Anspruchs 1 enthalte nur zwangsläufig notwendige Merkmale eines Herzschrittmachers, die überdies aus Dokument D2 bekannt seien. Dieser bekannte Herzschrittmacher gebe wie der Gegenstand des Streitpatents nur Stimulierungsimpulse ab, wenn eine Mindestspannung erreicht werde. Diesem bekannten Herzschrittmacher ein Zeitglied für eine feste Stimulierungsrate hinzuzufügen - wie es beispielsweise aus Dokument D3 zu entnehmen sei - führe in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents. Der Wortlaut des Anspruchs 1 definiere nämlich keine konkrete logische Schaltung. Im übrigen führe auch eine naheliegende Anwendung der Lehre des Dokuments D2, bei Erreichen einer Mindestspannung zu stimulieren, in üblichen Herzschrittmachern, die mit konstanter Stimulierungsfrequenz arbeiteten, zum sachlichen Inhalt des Anspruchs 1 des Streitpatents. Obwohl in Dokument D2 die Notwendigkeit zur Überwachung des Batteriezustandes nicht angesprochen wird, so enthalte dieser bekannte Herzschrittmacher doch sämtliche physikalischen Gegebenheiten, um über die Aufladung des Ausgangskondensators 198 in Fig. 5 auf den Batteriezustand rückzuschließen.
VIII. Die Beschwerdegegnerin widersprach der Argumentation der Beschwerdeführerin im wesentlichen wie folgt:
a) Aus der ursprünglichen Beschreibung Seite 2, Zeilen 26 bis 27, gehe eindeutig hervor, daß der Verzicht auf die Sicherstellung einer Mindestamplitude für einzelne Impulse nur eine alternative Ausführungsform der Erfindung sei. Die Streichung der Worte "ausgewählter Impulse" stelle nur den Verzicht auf ein fakultatives Merkmal dar, durch den die Struktur und Funktion der übrigen ursprünglich offenbarten Merkmale technisch nicht verändert werde. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei überdies kein allgemeines Prinzip, sondern knüpfe die Entladung des Ausgangskondensators an die Erfüllung zweier apparativer Bedingungsparameter. Dieses von einer speziellen logischen Schaltung unabhängige Arbeitsprinzip könne der Fachmann ohne weiteres der ursprünglichen Beschreibung, Seite 3, Zeilen 23 bis 36, entnehmen.
b) Hauptaufgabe der Erfindung sei es, gegen Ende der Lebensdauer einer Batterie eines implantierten Herzschrittmachers an dessen Reizelektrodenausgang eine Mindestamplitude sicherzustellen, die eine aktive Reizung des Herzens gewährleistet. Diese Aufgabe sei dem Stand der Technik, insbesondere nicht den Dokumenten D2 und D3 zu entnehmen. Ein Anzeichen für den kritisch werdenden Zustand der Batterie zu liefern, sei nur eine nebengeordnete Aufgabe. Der Wortlaut des Anspruchs 1 schließe einen Ersatz zusätzlicher Batterieüberwachungsmittel während der Primärphase mit konstanter Stimulierungsfrequenz nicht aus.
c) Die Aufladung des Testkondensators 10 in Fig. 1 des Dokuments D3 erfolge keinesfalls "modellmäßig", d. h. analog zum Ausgangskondensator. Dieser werde in Dokument D3 überhaupt nicht erwähnt. Zu seiner Aufladung werde der Testkondensator und die Batterie von dem den Ausgangskondensator umfassenden Schrittmacherblock 1 während einer Testzeit abgekoppelt, und zwar mit Hilfe des vom Schrittmacherblock angesteuerten Schalters 13. Während dieser Testzeit stelle die am Glättungskondensator 15 anliegende Spannung die Energieversorgung für die Reizimpulse des Ausgangskondensators und andere Verbraucher im Schrittmacherblock sicher. Losgelöst von der eigentlichen Schrittmacherfunktion gebe somit die Testzeit eine Zeitbedingung (T in Fig. 2 von D3) für die Testkondensatoraufladung vor, deren Endspannung repräsentativ für den Innenwiderstand der Batterie sei. Diese Endspannung übe keinerlei Einfluß auf den Ausgangskondensator aus und stelle vor allem keine Mindestamplitude des Stimulierungsimpulses sicher. Mittel zur Sicherstellung einer Mindestamplitude des Stimulierungsimpulses seien Dokumente D3 nicht zu entnehmen. Analog zum Gegenstand des Streitpatents ermögliche auch die Feststellung gemäß Dokument D3 keine Überwachung der Batterie während einer Primärphase (linke Hälfte von Fig. 2), in der die Endspannung des Testkondensators die an den Dioden 5 und 6 abfallende Referenzspannung übertrifft, sondern signalisiere das Anwachsen des Batteriezustandes auf einen vorgebbaren kritischen Wert.
d) Da das Dokument D2 keinen implantierbaren Herzschrittmacher beschreibe, bestünde keine Notwendigkeit, den Batteriezustand zu überwachen. Die Versorgungsbatterien nicht-implantierter Herzschrittmacher seien frei zugänglich und jederzeit austauschbar. Während ferner beim Streitpatent das Zeitglied unabhängig vom Ladevorgang des Ausgangskondensators arbeitet, sei der Ausgangskondensator (198) in der Schaltung gemäß Figur 5 des Dokuments D2 in die Funktion des Zeitgliedes eingebunden. So bestimme die Zeit der Ladung des Ausgangskondensators 198 über den Regelwiderstand 196 auf die Zündspannung der Elektronenröhre 204 eine wählbare Stimulierungsfrequenz, lege aber nicht die Amplitude des Stimulierungsimpulses fest. Diese sei am Regelwiderstand 210 einstellbar. Mittel zur Sicherstellung einer Mindestamplitude des Stimulierungsimpulses bei nicht mehr voll arbeitsfähiger Batterie seien Dokument D2 nicht zu entnehmen.
IX. Am Schluß der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet, daß die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufgehoben und die Sache an die erste Instanz zurückverwiesen werde mit der Auflage, das Streitpatent in geändertem Umfang aufgrund des nunmehrigen Antrags der Beschwerdegegnerin aufrecht zu erhalten.
1. Die Beschwerdeführerin hat ihren im Verfahren vor der Vorinstanz erhobenen Einwand mangelnder Ausführbarkeit (Art. 100 b) EPÜ) im Beschwerdeverfahren nicht weiterverfolgt. Nach Auffassung der Kammer ist der Gegenstand des Anspruchs 1 anhand der Figur 1 in Verbindung mit der Beschreibung des Streitpatents, insbesondere Spalte 4, Zeilen 5 bis 18 für den Fachmann auch ohne weiteres nacharbeitbar. Die dem Streitpatent in seiner geänderten Fassung zugrundeliegenden Unterlagen genügen somit Artikel 83 EPÜ.
2. Zwar hat die Beschwerdeführerin ihre auf Artikel 84 EPÜ gestützten Bedenken in der mündlichen Verhandlung gegenüber der nunmehr gültigen Fassung des Anspruchs 1 nicht aufrechterhalten, doch erachtet es die Kammer im Hinblick auf ein von der Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe vom 4. Mai 1992 in Pkt. I vorgebrachten Argument für zweckmäßig darauf hinzuweisen, daß gemäß dem gültigen Anspruchswortlaut "ein unabhängig vom Ladevorgang arbeitendes Zeitglied" an seinem Ausgang eine Schaltzeit liefert, deren Größe unabhängig vom Ladevorgang des Ausgangskondensators ist. Ein von dieser Schaltzeit unabhängiger Ladevorgang des Ausgangskondensators ist jedoch durch diesen Wortlaut nicht definiert. Ein derartiger Sachverhalt würde eine Vertauschung der Satzstellung der Worte "Ladevorgang" und "Zeitglied" im Sinne eines Subjekt-Objekt-Wechsels erforderlich machen. Somit steht der gültige Anspruchswortlaut nicht in sachlichem Widerspruch zu der im Streitpatent Spalte 2, Zeilen 38 bis 41, enthaltenen Angabe, daß - für den Fall, daß der Ausgangskondensator die Mindestspannung (Vmin) vor Ablauf der Schaltzeit (tm2) erreicht - das Zeitglied die Aufladezeit des Ausgangskondensators festlegt. Nach Auffassung der Kammer entspricht der gültige Wortlaut des Anspruchs 1 den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ.
3. Offenbarung (Art. 123 (2) EPÜ)
3.1. Der Wortlaut der ursprünglichen Beschreibung, Seite 2, Zeilen 26 bis 28, lautet: "Dabei kann für jeden Impuls die Mindestamplitude sichergestellt werden. Es kann aber auch für einzelne Impulse darauf verzichtet werden." Diese beiden Sätze definieren nach Auffassung der Kammer zwei technisch voneinander unabhängige alternative Ausführungsformen der vorliegenden Erfindung. Durch die Streichung des letzten Satzes wird die sachliche Aussage des ersten Satzes nicht verändert. Die dementsprechende Streichung der Worte "ausgewählter Impulse" im ursprünglichen Anspruch 1 beschränkt den nunmehr gültigen Anspruchsinhalt auf die ursprünglich offenbarte Ausführungsalternative gemäß dem ersten Satz der obenstehenden Beschreibung, d. h. auf offenbarte funktionelle Merkmale des Ausführungsbeispiels gemäß Fig. 1, ohne sie technisch zu verändern. Daher bleibt der Gegenstand des Streitpatents auch nach der von der Beschwerdeführerin beanstandeten Streichung innerhalb des Inhalts der Anmeldung in ihrer eingereichten Fassung.
3.2. Die sachlich weitestgehende Offenbarung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Erfindung ist durch den Inhalt des ursprünglichen Anspruchs 1 vorgegeben. Er war allein auf die nunmehr erste apparative Bedingung für die Ausgangskondensatorentladung abgestellt, d. h. allein auf das funktionelle Merkmal, daß "die Entladung erst bei Erreichen einer bestimmten Mindestspannung (Vmin) am Ausgangskondensator auslösbar ist"; vgl. auch die von der Prüfungsabteilung erteilte Fassung des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 gemäß EP-B1-0 071 965. Damit gehörten bereits - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gemäß Absatz VII-b - sämtliche diese Wirkung hervorrufenden Äquivalente über das konkrete Ausführungsbeispiel hinaus zum Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung. Durch die in die gültige Fassung des Anspruchs 1 aufgenommene zweite apparative Bedingung: "daß die Entladung des Ausgangskondensators erfolgt, wenn zusätzlich eine ... Schaltzeit abgelaufen ist" wird das ursprünglich offenbarte "Prinzip" durch Hinzufügen eines zweiten Funktionsmerkmals spezifiziert und auf die in ihrer Gesamtheit offenbarte Wirkungsweise des Ausführungsbeispiels gemäß Fig. 1 beschränkt. Das Arbeitsmittel, das diese Schaltzeit realisiert, ist im Anspruch 1 als "Zeitglied" und im ursprünglichen Beschreibungstext als "monostabile Kippstufe" benannt. Die Bezeichnungen "Zeitglied" und "monostabile Kippstufe" definieren im Rahmen der Gesamtoffenbarung des Streitpatents in allgemeiner Form eine Vielzahl gleicher äquivalenter Arbeitsmittel, einmal anhand der Funktion ihres externen Ausgangs und zum anderen anhand der Funktion ihrer internen Struktur. Aus diesem Grunde bringt die Änderung des Begriffs "monostabile Kippstufe" in "Zeitglied" nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall nicht erstmals andere spezielle Merkmale als das Offenbarte in Verbindung mit dem Anmeldungsgegenstand und ist daher im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ nicht zu beanstanden; vgl. auch die Entscheidung T 416/86, ABl. EPA 1989, Seite 808.
3.3. Insbesondere aus den in Absatz 3.1 und 3.2 genannten Gründen erfüllt Anspruch 1 in seiner nunmehr gültigen Fassung die Bedingungen gemäß Artikel 123 (2) EPÜ.
4. Die Aufnahme der in Absatz 3.2 erwähnten zweiten apparativen Bedingung für die Kondensatorentladung in die erteilte Fassung schränkt den durch Anspruch 1 nunmehr definierten Schutzbereich gegenüber der erteilten Fassung ein. Damit entspricht der geänderte Anspruch 1 auch Artikel 123 (3) EPÜ.
5. Dem nachgewiesenen Stand der Technik ist kein implantierbarer Herzschrittmacher zu entnehmen, dessen - die Amplitude des Stimulierungsimpulses für die zu erzielende Herzmuskelkontaktion formender - Ausgangskondensator nur entladen wird, wenn zwei apparative Bedingungen erfüllt sind: Der Kondensator hat sich auf eine bestimmte Mindestspannung (für eine sichere Herzmuskelkontraktion) aufgeladen und eine der Grundperiode der Stimulierungsimpulse entsprechende Schaltzeit, die von diesem Ladevorgang abhängig ist, ist abgelaufen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ.
Überdies beschränken sich die im vorliegenden Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwände gemäß Artikel 100 a) EPÜ auf einen Mangel an erfinderischer Tätigkeit.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1. Aus dem nächstliegenden Stand der Technik gemäß Dokument D2 sind folgende durch den Wortlaut des Anspruchs 1 definierten Merkmale bekannt:
"Herzschrittmacher mit einer Batterie (vgl. D2, 60 in Fig. 3), deren Innenwiderstand vom Batteriezustand abhängt, sowie einem an die Batterie (über die Leitung 68 in Fig. 3 und Fig. 5) angeschlossenen Reizimpulsgenerator (Fig. 5) mit einem Ausgangskondensator (198 in Fig. 5), der jeweils langsam aufgeladen (über die Widerstände 194 und 196) und anschließend zur Erzeugung eines Stimulierungsimpulses (an den Reizelektroden 220, 218) schnell entladen wird (über die Strecke 202, 204, 210), wobei die Entladung des Ausgangskondensators erst dann auslösbar ist (durch Zündung der Röhre 204), wenn er bis zu einer bestimmten Mindestspannung aufgeladen ist (D2, Spalte 6, Zeile 58 bis Spalte 7, Zeile 2)."
Von diesem Stand der Technik unterscheidet sich der im Anspruch 1 beanspruchte Herzschrittmacher dadurch, daß er "implantierbar" ist und die in seinem kennzeichnenden Teil definierten Merkmale aufweist.
6.2. Ausgehend von dem im Dokument D2 beschriebenen Herzschrittmacher liegt dem Streitpatent objektiv die Aufgabe zugrunde, diese bekannte Schaltung für eine Verwendung in einem implantierbaren Herzschrittmacher derart abzuwandeln, daß dieser eine Mindestamplitude der Stimulierungsimpulse zur Verfügung stellt, die über dem Schwellenwert für die Auslösung einer erzwungenen Herzmuskelkontraktion liegt und damit für eine sichere Reizung des Herzens ausreicht, auch wenn gegen Ende der Lebensdauer der Batterie deren Innenwiderstandsvergrößerung die Aufladung des Ausgangskondensators derart verzögert, daß die für diese Mindestamplitude erforderliche Mindestspannung am Ausgangskondensator während der Grundperiode der Stimulierung nicht mehr erreicht wird. Dabei soll gleichzeitig diese Grundperiode und damit die Stimulierungsfrequenz vom Ladevorgang des Ausgangskondensators unabhängig bleiben, solange es der Ladezustand der Batterie zuläßt.
6.3. Diese Aufgabe wird durch das Zusammenwirken der kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 mit seinen Gattungsmerkmalen gelöst, d. h. dadurch daß zusätzlich zu der im Gattungsbegriff genannten ersten Bedingung "Mindestspannung" die im kennzeichnenden Teil genannte zweite Bedingung "Schaltzeitablauf" erfüllt sein muß, um die Ausgangskondensatorentladung auszulösen. Wird bei gut geladener Batterie die erste Bedingung "Mindestspannung" erfüllt, bevor die Schaltzeit abgelaufen ist, wartet der Herzschrittmacher ab, bis auch die zweite Bedingung erfüllt ist, und löst die Entladung sofort nach Ablauf der Schaltzeit aus. Wird gegen Ende der Lebensdauer der Batterie die zweite Bedingung "Schaltzeitablauf" erfüllt bevor die Mindestspannung erreicht ist, wartet der Schrittmacher ab, bis auch die erste Bedingung erfüllt ist, und löst die Entladung erst nach Erreichen der Mindestspannung aus. In der kritischen Endphase der Batterie wird also die Auslösung von Herzkontraktionen durch Zulassung sich verlängernder Zeitabstände zwischen zwei aufeinanderfolgenden Stimulierungsimpulsen sichergestellt. Der Frequenzabfall für t > tK in Fig. 2 wird damit implizit zum technischen Lösungsmittel der objektiven Aufgabe.
6.4. Daß der Einsatz des Frequenzabfalls gleichzeitig die Nebenaufgabe löst, ein Anzeichen für den kritisch werdenden Ladezustand der Batterie zu liefern, vermag nicht zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit beizutragen, da eine Batterieüberwachung anhand einer fallenden Frequenzkennlinie allgemein bekannter Stand der Technik ist; vgl. z. B. das Dokument D3, Seite 2, Absatz 1.
6.5. Eine Verknüpfung der aus Dokument D2 bekannten Stimulierung bei Erreichen einer Mindestspannung mit einem allgemein bekannten Zeitglied für eine feste Stimulierungsrate ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gemäß Absatz VII-d) für einen Fachmann aus folgenden Gründen nicht durch Dokument D2 nahegelegt:
In dem aus Dokument D2 bekannten Herzschrittmacher bestimmt das Erreichen der Mindestspannung am Ausgangskondensator stets den Auslösezeitpunkt des Stimulierungsimpulses. Der bekannte technische Zweck dieses Arbeitsmittels ist es also, eine intermittierende Impulsabgabe mit einer bestimmten Frequenz zu ermöglichen. Zwar ist Dokument D2, Spalte 8, Zeilen 23 bis 28, zu entnehmen, daß die Ladezeit des Ausgangskondensators durch den Innenwiderstand der Batterie mitbestimmt wird, doch wird dieser bekannte physikalische Effekt gezielt dazu verwendet, die Arbeitsperiode der Stimulation für Demandbetrieb zu dimensionieren; vgl. D2, Spalte 8, Zeilen 28 bis 52. Da ferner nicht der Kondensator 198 sondern der Regelwiderstand 210 die Amplitude des Stimulierungsimpulses bestimmt, besteht bei dem aus Dokument D2 bekannten Herzschrittmacher zwischen der Spannung am Ausgangskondensator und der Amplitude des Stimulierungsimpulses kein kausaler Zusammenhang. Des weiteren werden bei externen - d. h. nicht-implantierten - Herzschrittmachern nicht mehr voll arbeitsfähige Batterien sofort ausgetauscht. Nicht einmal die Überwachung des Ladezustands der Batterie wird in Dokument D2 angesprochen. Aus den vorstehend genannten Gründen ist nach Auffassung der Kammer Dokument D2 keine Anregung zu entnehmen, das aus Dokument D2 bekannte technische Arbeitsmittel (d. h. einen Ausgangskondensator für die Stimulierungsimpulsformung zu entladen, wenn seine Aufladung eine bestimmte Spannung erreicht hat) zur Kompensation der Defekte nicht mehr voll arbeitsfähiger Batterien auszunutzen. Somit übersteigt es nach Auffassung der Kammer die von einem Fachmann zu erwartenden Fähigkeiten, den Ausgangskondensator 198 in Figur 5 des Dokuments D2 aus seiner funktionellen Bindung in ein die Stimulierungsfrequenz bei Démandbetrieb festlegendes Zeitglied herauszulösen, ein zusätzliches Zeitglied in die Schaltung gemäß Fig. 5 zu integrieren, das während der Arbeitsperiode, in der die Batterie voll arbeitsfähig ist, die Rolle des Ausgangskondensators 198 übernimmt, und die an ihm auftretenden Auslösespannung nur dann real zur Auslösung des Stimulierungsimpulses zu nutzen, wenn die durch das neu hinzugefügte Zeitglied vorgegebene Periode im Hinblick auf den anwachsenden Innenwiderstand der Batterie zu klein wird, um den Ausgangskondensator stimulierungsfähig aufzuladen. Damit wird beim Streitpatent der Ausgangskondensator für einen neuen technischen Zweck genutzt, nämlich bei nicht voll arbeitsfähiger Batterie eine reizsichere Mindestamplitude zu garantieren. Das aus Dokument D2 bekannte Arbeitsmittel ist also im Streitpatent zur Lösung einer anderen technischen Aufgabe als in Dokument D2 eingesetzt und wird damit - im Sinne der Entscheidung T 39/82, ABl. EPA 1982, 419, zum Bestandteil einer neuen technischen Lehre, die - wie oben dargelegt - durch Dokument D2 nicht nahegelegt wird.
6.6. Die Kammer erachtet die von der Beschwerdegegnerin gemäß Absatz VIII-c vorgebrachte Darstellung des Dokuments D3 entnehmbaren Standes der Technik für zutreffend. Insbesondere geht aus Dokument D3 eindeutig hervor, daß - entgegen der sinngemäßen Auffassung der Beschwerdeführerin gemäß Absatz VII-c - die Arbeitsweise des Testkondensators von derjenigen des implizit im Schaltungsblock 1 vorhandenen Ausgangskondensators völlig unabhängig ist. Dokument D3 beschreibt ausschließlich eine Schaltung zur Signalisierung eines vorgebbaren kritischen Batterieladezustandes mit Hilfe des Unterschreitens der Spannung eines von der Batterie aufgeladenen Testkondensators (10 in Fig. 1) am Ende eines Testimpulses (T in Fig. 2) unter eine an Dioden (5, 6 in Fig. 1) abfallende Referenzspannung, wodurch ein Flip-Flop (16) eine Signalspannung abgibt, die geeignete Schaltungsmaßnahmen (Seite 10, Zeilen 1 bis 3) auslöst oder beispielsweise die Stimulierungsrate herabsetzt (Seite 7, Zeilen 16 bis 30).
Die Größe des anzuzeigenden kritischen Batterieinnenwiderstandes ist gemäß den praktischen Erfordernissen frei wählbar, und zwar bei der Schaltung gemäß Dokument D3 über die Größe des Testpulses T und/oder die Referenzspannung Uref und beim Streitpatent über die gemäß Anspruch 2 einstellbare Größe der Mindestspannung. Somit werden mit der Schaltung gemäß Dokument D3 und mit dem Gegenstand des Streitpatents identische Sachverhalte überwacht. Bei der Schaltung gemäß Dokument D3 sind frühere Zeitpunkte der Batterieüberwachung und damit eine erhöhte Patientensicherheit als beim Gegenstand des Streitpatents, wie sie die Beschwerdeführerin in Absatz VII-b und c geltend macht, nicht erkennbar. Vielmehr stellt das Übertragen der Überwachungsfunktion auf den ohnehin vorhandenen Ausgangskondensator, das Testsignalgeber und Testkondensator überflüssig macht, eindeutig eine vorteilhafte technische Vereinfachung dar. Im vorliegenden Fall ist daher die Frage nicht relevant, ob rückschrittliche Maßnahmen erfinderisch sind; vgl. Absatz VII-c. Vielmehr ist entscheidend, daß der Fachmann Dokument D3 nicht die Anspruch 1 des Streitpatents zugrundeliegende Idee entnehmen kann, nach der Signalisierung des kritischen Batteriewiderstandes auf Kosten einer niedrigeren Stimulierungsfrequenz die Amplitude der Stimulierungspulse oberhalb des Schwellenwerts für die Auslösung einer erzwungenen Herzmuskelkontraktion zu halten.
6.7. Dokument D1 beschreibt die Spannungsstabilisierung am Ausgangskondensator über einen Regelkreis mit Schwellenwertschalter und liegt damit vom Streitpatent weiter entfernt.
6.8. Aus den in Absatz 6.1 bis 6.7 dargelegten Gründen liegt Anspruch 1 eine erfinderische Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ zugrunde.
7. Anspruch 1 genügt, wie oben dargelegt, auch den sonstigen Erfordernissen des Übereinkommens im Sinne von Artikel 102 (3) EPÜ. Er kann daher in der nunmehr gültigen Fassung aufrechterhalten werden. Die von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 4 betreffen zweckmäßige Ausführungsarten des Gegenstandes des Anspruchs 1 und können somit gleichfalls aufrechterhalten werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das europäische Patent 0 071 965 nunmehr mit folgenden Unterlagen in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten:
Ansprüche: 1 bis 4, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 1992;
Beschreibung: Seiten 1 bis 4 und Spalte 2, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 1992;
Spalte 3 bis Spalte 4, Zeile 53, gemäß EP- B1-0 071 965;
Zeichnung: gemäß EP-B1-0 071 965.