G 0004/91 (Beitritt) 03-11-1992
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1. Der Beitritt des vermeintlichen Patentverletzers gemäß Artikel 105 EPÜ zum Einspruchsverfahren setzt voraus, daß ein Einspruchsverfahren zum Zeitpunkt der Einreichung der Beitrittserklärung anhängig ist.
2. Eine Entscheidung der Einspruchsabteilung über das Einspruchsbegehren ist als endgültige Entscheidung in dem Sinn anzusehen, daß danach die Einspruchsabteilung nicht mehr befugt ist, ihre Entscheidung zu ändern.
3. Das Verfahren vor einer Einspruchsabteilung wird mit dem Erlaß einer solchen endgültigen Entscheidung abgeschlossen, und zwar unabhängig davon, wann diese Entscheidung rechtskräftig wird.
4. Wird nach Erlaß einer abschließenden Entscheidung durch eine Einspruchsabteilung von keinem der Beteiligten am Einspruchsverfahren Beschwerde eingelegt, so ist eine während der zweimonatigen Beschwerdefrist nach Artikel 108 EPÜ eingereichte Beitrittserklärung wirkungslos.
I. Am 7. Februar 1991 erließ die Technische Beschwerdekammer 3.2.1 in der Sache T 202/89 eine Zwischenentscheidung, in der unter anderem folgender Sachverhalt dargelegt wird:
Am 26. März 1987 wurde von einer Einsprechenden Einspruch gegen das streitige europäische Patent eingelegt. Die Einspruchsabteilung fällte am 4. Januar 1989 eine Entscheidung, mit der das Patent in unveränderter Form aufrechterhalten wurde. Am 25. Januar 1989 erhob die Patentinhaberin Verletzungsklage gegen einen Dritten in Deutschland. Am 18. Februar 1989 erklärte dieser Dritte gemäß Artikel 105 EPÜ seinen Beitritt zum Verfahren; gleichzeitig reichte er unter Entrichtung der Einspruchs- und der Beschwerdegebühr Beschwerde ein. Die Einsprechende hat dagegen keine Beschwerde eingelegt.
Der Dritte reichte am 31. März 1989 eine Beschwerdebegründung ein. Die Patentinhaberin nahm am 26. Juli 1989 hierzu Stellung.
Mit Bescheid vom 17. November 1989 führte die Technische Beschwerdekammer aus, daß der Dritte - "die vermeintliche Verletzerin" - nicht vor Erlaß der Entscheidung der Einspruchsabteilung Verfahrensbeteiligte geworden sei und deshalb auch nicht im Sinne von Artikel 107 EPÜ beschwerdeberechtigt sei. Die vermeintliche Verletzerin wurde ebenso wie die Patentinhaberin und die Einsprechende zur Stellungnahme aufgefordert.
Die vermeintliche Verletzerin reichte am 29. November 1989 eine Stellungnahme ein, die in der Entscheidung vom 7. Februar 1991 zusammengefaßt wiedergegeben ist.
Die Patentinhaberin und die Einsprechende enthielten sich einer Stellungnahme zum Inhalt des Bescheids.
II. Mit Zwischenentscheidung vom 7. Februar 1991 wurde der Großen Beschwerdekammer folgende Frage vorgelegt:
"Steht dem Beitretenden, der seinen Beitritt zum Einspruchsverfahren (Art. 105 EPÜ) während der Beschwerdefrist nach Erlaß der Entscheidung der Einspruchsabteilung wirksam erklärt, die Beschwerde im Sinne des Artikels 107 EPÜ zu?"
III. Mit Bescheid vom 9. April 1992 vertrat die Große Beschwerdekammer die vorläufige Auffassung, daß ein Beitritt nur zu einem Zeitpunkt wirksam erfolgen könne, an dem noch ein Einspruchsverfahren anhängig sei. In dem bei der vorlegenden Kammer anhängigen Verfahren sei von der Einsprechenden keine Beschwerde eingelegt worden, so daß die Große Beschwerdekammer zu dem Schluß kommen könnte, daß die während der Beschwerdefrist eingereichte Beitrittserklärung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem kein Einspruchsverfahren anhängig gewesen sei, und folglich der erklärte Beitritt keine rechtliche Wirkung habe.
Die vermeintliche Verletzerin nahm hierzu am 30. April 1992 Stellung. Sie brachte insbesondere vor, daß das Einspruchsverfahren vor einer Einspruchsabteilung erst abgeschlossen sei, wenn die Entscheidung der Einspruchsabteilung rechtskräftig geworden sei; dies sei nicht der Fall, solange die Beschwerdefrist noch laufe, so daß folglich der Beitritt noch während der Beschwerdefrist und unabhängig von der Einreichung einer Beschwerde durch einen anderen Beteiligten am Einspruchsverfahren wirksam erklärt werden könne.
Die vermeintliche Verletzerin verwies zur Stützung dieses Vorbringens auf das deutsche Recht, wonach eine Nichtigkeitsklage gegen ein mit Wirkung für Deutschland erteiltes europäisches Patent beim deutschen Gericht erst dann eingereicht werden könne, wenn die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu diesem europäischen Patent rechtskräftig geworden sei. Falls die Große Beschwerdekammer in dem bei der vorlegenden Beschwerdekammer anhängigen Fall die Auffassung vertrete, daß eine während der Beschwerdefrist eingereichte Beitrittserklärung nicht wirksam sei, so hätte dies nach der festen Überzeugung der Verletzungsbeklagten zur Folge, daß der vermeintliche Verletzer während der an die Entscheidung der Einspruchsabteilung anschließenden zweimonatigen Beschwerdefrist die Gültigkeit des europäischen Patents weder im Rahmen des EPÜ im Wege eines Beitritts zum Einspruchsverfahren noch im Rahmen des deutschen Rechts mit einer Nichtigkeitsklage angreifen könne.
Die Patentinhaberin und die Einsprechende nahmen zum Bescheid der Großen Beschwerdekammer nicht Stellung.
1. Wird ein europäisches Patent erteilt, so hat dieses in jedem benannten Vertragsstaat die Wirkung eines in diesem Staat erteilten nationalen Patents (Art. 2 und 64 (1) EPÜ). Es zerfällt somit in ein Bündel von Patenten, die dem nationalen Recht der einzelnen benannten Staaten unterliegen. Eine angebliche Verletzung eines erteilten europäischen Patents wird nach nationalem Recht behandelt (Art. 64 (3) EPÜ). Eine Verletzungsklage kann vom Patentinhaber in jedem der Vertragsstaaten, für die das Patent erteilt worden ist, jederzeit nach Erteilung des Patents eingereicht werden. Im Fünften Teil des EPÜ (Art. 99 bis 105 EPÜ) wird das "Einspruchsverfahren" dargelegt, mit dem jedermann innerhalb von neun Monaten nach der Erteilung beim EPA Einspruch gegen ein erteiltes europäisches Patent einlegen und damit in einem einzigen zentralen Einspruchsverfahren vor einer der Einspruchsabteilungen des EPA den Widerruf des Patents aus einem oder mehreren Gründen beantragen kann. Die Wirkung des Widerrufs ist in Artikel 68 EPÜ angegeben. Das Einspruchsverfahren stellt somit eine Ausnahme von der oben genannten allgemeinen Regel dar, daß ein erteiltes europäisches Patent nicht mehr der Zuständigkeit des EPA unterliegt, sondern in ein Bündel Patente zerfällt, die dem jeweiligen nationalen Recht unterliegen.
2. Die Bestimmungen von Artikel 105 EPÜ ermöglichen es einem Dritten (dem "vermeintlichen Verletzer"), der selbst keinen Einspruch gegen das europäische Patent eingelegt hat, der aber der Patentverletzung bezichtigt wird, dem von einem anderen Beteiligten angestrengten Einspruchsverfahren nach Ablauf der neunmonatigen Einspruchsfrist beizutreten.
Hierzu muß dieser Dritte nachweisen, daß gegen ihn Klage wegen Verletzung des europäischen Patents, das Gegenstand des Einspruchs ist, bei einem nationalen Gericht erhoben worden ist oder daß er nach einer Aufforderung des Patentinhabers, eine angebliche Patentverletzung zu unterlassen, gegen diesen Klage mit dem Ziel auf gerichtliche Feststellung erhoben hat, daß er das Patent nicht verletze (s. Art. 105 (1) EPÜ).
Somit ist der Beitritt möglich, wenn zu ein und demselben europäischen Patent sowohl ein Einspruchsverfahren beim EPA als auch gleichzeitig ein Verletzungsverfahren bei einem nationalen Gericht anhängig sind. Der Beitritt muß vom vermeintlichen Verletzer innerhalb von drei Monaten nach dem Tag, an dem die Verletzungsklage erhoben worden ist, dem Europäischen Patentamt gegenüber erklärt werden.
Nach Einreichung der Beitrittserklärung wird der Beitritt gemäß Artikel 105 (2) EPÜ als Einspruch behandelt; damit finden die in den Artikeln 99 bis 104 und in den Regeln 55 bis 63 EPÜ enthaltenen Vorschriften auf ihn entsprechend Anwendung.
3. Ist gleichzeitig mit einem beim EPA anhängigen Einspruchsverfahren (mit oder ohne Beitrittsverfahren) ein Verletzungsverfahren (und ein etwa damit zusammenhängendes Nichtigkeitsverfahren) bei einem nationalen Gericht anhängig, dann steht es im Ermessen des nationalen Gerichts, ob es das Verfahren bis zur Entscheidung im Einspruchsverfahren vor dem EPA aussetzen will oder nicht. Auf diese Weise läßt sich eine unnötige Verdoppelung der Verfahren vermeiden, da der Ausgang des Einspruchsverfahrens, insbesondere im Falle des Widerrufs des Patents, natürlich auch für das nationale Verfahren von entscheidender Bedeutung ist.
4. Das in Artikel 105 EPÜ vorgesehene Beitrittsverfahren soll unter anderem die Möglichkeit schaffen, die Gültigkeit eines europäischen Patents nicht in einem oder mehreren nationalen Verfahren, sondern in einem zentralen Einspruchsverfahren beim EPA festzustellen.
Ob der Beitritt erfolgen kann, hängt nicht nur davon ab, ob die Erfordernisse des Artikels 105 EPÜ erfüllt sind, sondern insbesondere auch davon, ob die Beitrittserklärung sowohl in bezug auf die Erhebung der nationalen Verletzungsklage (s. Nr. 3) als auch in bezug auf das Einspruchsverfahren zum richtigen Zeitpunkt eingereicht worden ist.
5. Im vorliegenden Fall wurde die Beitrittserklärung zwangsläufig nach Ergehen der Entscheidung der Einspruchsabteilung eingereicht, weil die Verletzungsklage beim nationalen Gericht von der Patentinhaberin erst nach diesem Zeitpunkt erhoben worden war. Der Beitritt wurde innerhalb der Frist von zwei Monaten erklärt, innerhalb deren gemäß Artikel 108 EPÜ Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt werden kann.
Die vorlegende Beschwerdekammer hat in ihrer Entscheidung die Auffassung vertreten, daß die Beitrittserklärung innerhalb dieser Beschwerdefrist wirksam eingereicht worden sei, hat jedoch die Frage gestellt, ob der Beitretenden die Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung zustehe. In der Vorlageentscheidung heißt es unter Nummer 4, daß die Beschwerde gemäß Artikel 107 EPÜ nur denjenigen zustehe, die einerseits an dem Verfahren beteiligt waren, das zu der Entscheidung geführt hat, und die andererseits durch diese Entscheidung beschwert sind. Unter Nummer 6 der Vorlageentscheidung werden beide Erfordernisse untersucht; aufgrund dieser Untersuchung wurde der Großen Beschwerdekammer die unter Nummer II wiedergegebene Rechtsfrage vorgelegt.
6. Nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer ist es strittig, ob eine Beitrittserklärung in Fällen wie dem vorliegenden tatsächlich jederzeit nach Ergehen der Entscheidung der Einspruchsabteilung wirksam eingereicht werden kann. In diesem Punkt kann man sicherlich geteilter Meinung sein.
Einerseits ließe sich argumentieren, daß das Beschwerdeverfahren eine Fortsetzung des Einspruchsverfahrens darstellt und dieses - zumindest in Fällen, in denen von einem der ursprünglichen Einspruchsbeteiligten Beschwerde eingelegt wird, - solange anhängig ist, bis das Beschwerdeverfahren endgültig abgeschlossen ist, mithin also eine Beitrittserklärung noch jederzeit während des Beschwerdeverfahrens eingereicht werden kann, sowie eines etwaigen weiteren Verfahrens vor der Einspruchsabteilung, wenn die Sache gemäß Artikel 111 (1) EPÜ an die erste Instanz zurückverwiesen wird.
Zugunsten dieses Standpunkts ließe sich insbesondere anführen, daß Artikel 105 EPÜ unter anderem die Möglichkeit eröffnen soll, die Gültigkeit eines europäischen Patents, das Gegenstand eines Verletzungsverfahrens vor einem nationalen Gericht ist, im Rahmen des Einspruchsverfahrens vor dem EPA zentral feststellen zu lassen, solange das Einspruchsverfahren noch beim EPA (entweder bei der Einspruchsabteilung oder bei einer Beschwerdekammer) anhängig ist.
Andererseits könnte man die Auffassung vertreten, daß das Einspruchs- und das Beschwerdeverfahren getrennte Verfahren sind und daß sich der in Artikel 105 EPÜ verwendete Begriff "Einspruchsverfahren" nur auf das Verfahren vor einer Einspruchsabteilung beziehen soll. Legt man diese Auffassung zugrunde, müßte eine Beitrittserklärung eingereicht werden, bevor die Einspruchsabteilung eine Entscheidung über die Einspruchsgründe trifft. Zugunsten dieses Standpunkts ließe sich anführen, daß Artikel 105 EPÜ unter anderem den Zweck hat, den Beitritt eines vermeintlichen Verletzers nur in einem Verfahrensstadium zuzulassen, in dem er verfahrensrechtlich gesehen problemlos an dem bereits anhängigen Einspruchsverfahren teilnehmen kann, und daß die Zulassung eines Beitritts zu einem späteren Zeitpunkt zu verfahrensrechtlichen Komplikationen führen könnte, durch die die Entscheidung über die Gültigkeit des streitigen europäischen Patents möglicherweise verzögert wird.
7. Im vorliegenden Fall braucht die Große Beschwerdekammer aus den nachstehenden Erwägungen nicht über diese weitergehenden Fragen zur Auslegung des Artikels 105 EPÜ zu entscheiden.
Wie unter Nummer 2 dargelegt, ist eine der Voraussetzungen für den Beitritt eines vermeintlichen Verletzers zum Einspruchsverfahren gemäß Artikel 105 EPÜ, daß ein Einspruchsverfahren anhängig ist, zu dem der Verletzungsbeklagte beitreten kann. Die in Artikel 105 EPÜ vorgesehene Möglichkeit, daß ein vermeintlicher Verletzer "dem Einspruchsverfahren beitreten" kann, setzt definitionsgemäß voraus, daß ein Einspruchsverfahren anhängig ist, dem er beitreten kann. Die Möglichkeit, daß ein Verletzungsbeklagter durch Einreichung einer Beitrittserklärung ein Verfahren einleiten kann, ist in Artikel 105 EPÜ nicht vorgesehen. Somit kann zu einem Zeitpunkt, zu dem kein Einspruchsverfahren zu dem europäischen Patent anhängig ist, das Gegenstand einer nationalen Verletzungsklage ist, eine Beitrittserklärung auch nicht eingereicht werden.
In dem bei der vorlegenden Kammer anhängigen Fall wurde in der Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Einspruchsgründe entschieden; es handelt sich also um eine abschließende Entscheidung mit der Folge, daß die Einspruchsabteilung nicht mehr befugt war, ihre Entscheidung über die Einspruchsgründe zu ändern. Zu den sachlichen Streitpunkten war demnach das Verfahren abgeschlossen, und zwar endgültig, weil von keinem der Beteiligten am Einspruchsverfahren Beschwerde eingelegt wurde. Diese Folge ist unabhängig von dem Zeitpunkt, an dem die Entscheidung der Einspruchsabteilung rechtskräftig wird.
Dementsprechend war zu dem Zeitpunkt, als die vermeintliche Verletzerin ihren Beitritt erklärte, kein Verfahren anhängig, zu dem sie hätte beitreten können.
Daraus folgt nach Auffassung der Großen Beschwerdekammer, daß nach Lage des bei der vorlegenden Kammer anhängigen Falles die Beitrittserklärung nicht während des Einspruchsverfahrens eingereicht wurde, mithin als nicht eingereicht gilt und somit rechtsunwirksam ist.
In Anbetracht dessen stellt sich die der Großen Beschwerdekammer vorgelegte Frage in dem bei der vorlegenden Kammer anhängigen Fall nicht und braucht deshalb nicht beantwortet zu werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Wird nach Erlaß einer abschließenden Entscheidung durch eine Einspruchsabteilung von keinem der Beteiligten am Einspruchsverfahren Beschwerde eingelegt, so ist eine während der zweimonatigen Beschwerdefrist nach Artikel 108 EPÜ eingereichte Beitrittserklärung wirkungslos.