T 0154/04 (Schätzung des Absatzes/DUNS LICENSING ASSOCIATES) 15-11-2006
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I. Betriebswirtschaftliche Forschungsverfahren sind "als solche" nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ nicht patentfähig.
II. Das Sammeln und das Auswerten von Daten im Rahmen eines betriebswirtschaftlichen Forschungsverfahrens verleihen dem Verfahren keinen technischen Charakter, es sei denn, diese Schritte tragen zur technischen Lösung einer technischen Aufgabe bei.
Vorliegen einer Erfindung - Verfahren, Hauptantrag (verneint)
Vorliegen einer Erfindung - Verfahren, erster Hilfsantrag (bejaht)
erfinderische Tätigkeit - System, Haupt- und erster bis dritter Hilfsantrag (verneint)
Änderungen- Anspruch 1, vierter und fünfter Hilfsantrag (unzulässig)"- "Zurückverweisung an die Vorinstanz (abgelehnt
Vorlage an die Große Beschwerdekammer (abgelehnt)
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 94 912 949.8 mit der Veröffentlichungsnummer WO-A-94/23382 beansprucht eine Priorität aus dem Jahr 1993 für eine Erfindung betreffend die Schätzung des Absatzes in Verkaufsstellen, die über den erzielten Absatz keinen Bericht erstatten.
II. Der mit der internationalen Anmeldung veröffentlichte Recherchenbericht nennt als einschlägigen Stand der Technik unter anderem die 1990 veröffentlichte und im Prüfungsverfahren vor dem EPA als D1 bezeichnete Druckschrift US-A-4 972 504.
III. Die Prüfungsabteilung wies die Anmeldung mit der Begründung zurück, der beanspruchte Gegenstand sei nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Die schriftliche Entscheidungsbegründung wurde am 1. September 2003 zur Post gegeben.
IV. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein; sie reichte am 17. Oktober 2003 die Beschwerdeschrift sowie einen Abbuchungsauftrag für die Beschwerdegebühr und am 12. Januar 2004 die schriftliche Beschwerdebegründung ein.
Am 12. Januar 2004 und am 1. November 2006 reichte die Beschwerdeführerin geänderte Anspruchssätze ein, deren unabhängige Ansprüche jeweils wie folgt abgefasst waren:
Anspruch 1 des am 12. Januar 2004 eingereichten Hauptantrags:
"1. Verfahren zum Schätzen des Absatzes eines Produkts in Verkaufsstellen (U1, U2), das Folgendes umfasst:
den Empfang von Verkaufsdaten für dieses Produkt aus mehreren ersten Verkaufsstellen (S1 - S5);
die Bereitstellung einer Verkaufsstellen-Datenbank (205), die geografische Daten und kennzeichnende Daten von diesen ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) sowie von mindestens einer anderen Verkaufsstelle (U1, U2) enthält;
die Ermittlung der Entfernung dsu zwischen der anderen Verkaufsstelle (U1, U2) und jeder einzelnen der ausgewählten ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) anhand der geografischen Daten;
die Formulierung eines Gewichtungsfaktors für jede der ausgewählten ersten Verkaufsstellen und die andere Verkaufsstelle, wobei der Gewichtungsfaktor eine Funktion der Entfernung und der kennzeichnenden Daten ist; und
die Schätzung des Absatzes in der anderen Verkaufsstelle (U1, U2) anhand der Verkaufsdaten für die ausgewählten ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) und der Gewichtungsfaktoren."
Anspruch 1 des am 12. Januar 2004 eingereichten ersten Hilfsantrags:
"1. Verfahren zum Schätzen des Absatzes eines Produkts in Verkaufsstellen mithilfe eines Datenverarbeitungssystems (U1, U2), das Folgendes umfasst:
den Empfang von Verkaufsdaten für dieses Produkt aus mehreren ersten Verkaufsstellen (S1 - S5);
die Bereitstellung einer Verkaufsstellen-Datenbank (205), die geografische Daten und kennzeichnende Daten von diesen ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) und mindestens einer anderen Verkaufsstelle (U1, U2) enthält;
den Einsatz eines Prozessors zur Ermittlung der Entfernung dsu zwischen dieser anderen Verkaufsstelle (U1, U2) und jeder einzelnen der ausgewählten ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) anhand der geografischen Daten;
den Einsatz des Prozessors zur Formulierung eines Gewichtungsfaktors für jede einzelne der ausgewählten ersten Verkaufsstellen und die andere Verkaufsstelle, wobei dieser Gewichtungsfaktor eine Funktion der Entfernung und der kennzeichnenden Daten ist; und
den Einsatz des Prozessors zur Schätzung des Absatzes in der anderen Verkaufsstelle (U1, U2) anhand der Verkaufsdaten für die ausgewählten ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) und der Gewichtungsfaktoren."
Anspruch 7 des am 12. Januar 2004 eingereichten Hauptantrags und ersten Hilfsantrags:
"7. System zum Schätzen des Absatzes eines Produkts in Verkaufsstellen, das Folgendes umfasst:
einen Datenempfänger (201) zum Empfang von Verkaufsdaten aus jeder einzelnen von mehreren ersten Verkaufsstellen (S1 - S5);
einen Speicher (205), in dem eine Datenbank zu diesen ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) und zu mindestens einer anderen Verkaufsstelle (U1, U2) gespeichert ist, wobei diese Datenbank geografische Daten und kennzeichnende Daten für jede der Verkaufsstellen enthält; und
einen Prozessor (215), der mit dem Datenempfänger (201) und dem Speicher (205) verbunden ist und ein Programm enthält, das den Prozessor (215) veranlasst, die Entfernung dsu zwischen der anderen Verkaufsstelle und jeder einzelnen von mehreren ausgewählten ersten Verkaufsstellen anhand der geografischen Daten zu ermitteln; einen Gewichtungsfaktor für jede einzelne der ausgewählten ersten Verkaufsstellen und die andere Verkaufsstelle zu formulieren, wobei der Gewichtungsfaktor von der Entfernung und den kennzeichnenden Daten abhängig ist, und den Absatz in der anderen Verkaufsstelle anhand der Verkaufsdaten aus den ausgewählten Verkaufsstellen und der Gewichtungsfaktoren zu schätzen."
Anspruch 1 des am 1. November 2006 eingereichten zweiten Hilfsantrags:
"1. System zum Schätzen des Vertriebs eines Produkts in mehreren Verkaufsstellen von einer Zentralstation aus, das Folgendes umfasst:
mehrere erste Verkaufsstellen (S1 - S5), die jeweils Produktvertriebsdaten generieren;
mindestens eine andere Verkaufsstelle (U1, U2), die keine Produktvertriebsdaten generiert;
einen Datenempfänger (201) zum Empfang der Produktvertriebsdaten aus jeder einzelnen der ersten Verkaufsstellen (S1 - S5), nicht aber von der mindestens einen anderen Verkaufsstelle (U1, U2);
einen Speicher (205), in dem eine Datenbank mit geografischen Daten und kennzeichnenden Daten zu den ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) und der mindestens einen anderen Verkaufsstelle (U1, U2) gespeichert ist, und
einen Zentralprozessor (215), der mit dem Datenempfänger (201) und dem Speicher (205) verbunden ist und ein Programm enthält, das den Prozessor (215) veranlasst, die Entfernung dsu zwischen der mindestens einen anderen Verkaufsstelle und einer oder mehreren ausgewählten ersten Verkaufsstellen anhand der geografischen Daten zu ermitteln; diese Entfernung und die kennzeichnenden Daten verwendet, um einen Gewichtungsfaktor für die eine oder mehrere ausgewählten ersten Verkaufsstellen zu formulieren; und den Vertrieb des Produkts in der mindestens einen anderen Verkaufsstelle anhand der Produktvertriebsdaten aus einer oder mehreren ausgewählten ersten Verkaufsstellen und des Gewichtungsfaktors zu schätzen."
Anspruch 1 des am 1. November 2006 eingereichten dritten Hilfsantrags:
"1. System zum Schätzen des Absatzes eines Produkts in mehreren Verkaufsstellen von einer Zentralstation aus, das Folgendes umfasst:
mehrere erste Verkaufsstellen (S1 - S5), die mit einer Zentralstation verbunden sind;
eine andere Verkaufsstelle (U1, U2), die nicht mit der Zentralstation verbunden ist;
einen Datenempfänger (201) zum Empfang von Daten aus jeder einzelnen von mehreren ersten Verkaufsstellen (S1 - S5);
einen Speicher (205), in dem eine Datenbank zu den ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) und der anderen Verkaufsstelle (U1, U2) gespeichert ist und die geografische Daten und kennzeichnende Daten für jede der Verkaufsstellen enthält; und
wobei der Zentralprozessor einen Prozessor (215) umfasst, der mit dem Datenempfänger (201) und dem Speicher (205) verbunden ist und ein Programm enthält, das den Prozessor (215) veranlasst, die Entfernung dsu zwischen der anderen Verkaufsstelle und jeder einzelnen der ausgewählten ersten Verkaufsstellen anhand der geografischen Daten zu ermitteln; einen Gewichtungsfaktor für jede der ausgewählten ersten Verkaufsstellen und die andere Verkaufsstelle zu formulieren, der von der Entfernung und den kennzeichnenden Daten abhängig ist; und das Verkaufsvolumen der anderen Verkaufsstelle anhand der von den ausgewählten ersten Verkaufsstellen stammenden Daten und der Gewichtungsfaktoren zu schätzen."
Anspruch 1 des am 1. November 2006 eingereichten vierten Hilfsantrags:
"1. Vorrichtung zur Bestandsführung auf der Grundlage des Absatzes eines Produkts in Verkaufsstellen (U1, U2), die Folgendes umfasst:
eine Zentralstation (120) zum Empfang von Erstdaten für dieses Produkt aus mehreren ersten Verkaufsstellen (S1 - S5);
wobei die Zentralstation über eine Verkaufsstellen-Datenbank (205) verfügt, die geografische Daten und kennzeichnende Daten von den ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) und mindestens einer anderen Verkaufsstelle (U1, U2) enthält;
wobei die Zentralstation zur Ermittlung der Entfernung dsu zwischen der anderen Verkaufsstelle (U1, U2) und jeder einzelnen der ausgewählten ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) anhand der geografischen Daten dient;
wobei die Zentralstation zum Formulieren eines Gewichtungsfaktors für jede der ausgewählten ersten Verkaufsstellen und die andere Verkaufsstelle ausgelegt und der Gewichtungsfaktor eine Funktion der Entfernung und der kennzeichnenden Daten ist; und
wobei die Zentralstation darauf eingerichtet ist, Zweitdaten für das Produkt in der anderen Verkaufsstelle (U1, U2) anhand der Erstdaten für die ausgewählten ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) und der Gewichtungsfaktoren zu schätzen und die Zweitdaten dazu zu verwenden, den Bestand in der anderen Verkaufsstelle zu schätzen."
Anspruch 1 des am 1. November 2006 eingereichten fünften Hilfsantrags:
"1. Vorrichtung zur Bestandsführung auf der Grundlage des Absatzes eines Produkts in Verkaufsstellen, die Folgendes umfasst:
einen Datenempfänger (201) zum Empfang von Erstdaten aus jeder einzelnen von mehreren ersten Verkaufsstellen (S1 - S5);
einen Speicher (205), in dem eine Datenbank zu den ersten Verkaufsstellen (S1 - S5) und zu mindestens einer anderen Verkaufsstelle (U1, U2) gespeichert ist, die geografische Daten und kennzeichnende Daten für jede der Verkaufsstellen enthält; und
einen Prozessor (215), der mit dem Datenempfänger (201) und dem Speicher (205) verbunden ist und ein Programm enthält, das den Prozessor (215) veranlasst, die Entfernung dsu zwischen der anderen Verkaufsstelle und jeder aus einer Auswahl der ersten Verkaufsstellen anhand der geografischen Daten zu ermitteln; einen Gewichtungsfaktor für jede einzelne der ausgewählten ersten Verkaufsstellen und die andere Verkaufsstelle zu formulieren, wobei der Gewichtungsfaktor von der Entfernung und den kennzeichnenden Daten abhängig ist; Zweitdaten für das Produkt in der anderen Verkaufsstelle anhand der Erstdaten aus den ausgewählten Verkaufsstellen und der Gewichtungsfaktoren zu schätzen, und die Zweitdaten dazu zu verwenden, den Bestand in der anderen Verkaufsstelle zu schätzen."
V. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 15. November 2006 statt. In der Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin die folgenden Fragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer ein:
"(1) Welches ist der richtige Ansatz, wenn festgestellt werden soll, ob eine Erfindung sich auf einen nach Artikel 52 ausgeschlossenen Gegenstand bezieht?
(2) Wie ist bei der Prüfung einer Erfindung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit gemäß den Artikeln 54 und 56 mit den Teilen eines Anspruchs zu verfahren, die sich auf einen ausgeschlossenen Gegenstand beziehen?
(3) Und insbesondere:
3 a) Ist ein auf ein Speichermedium wie einen Chip oder eine Computerfestplatte geladenes ausführbares Computerprogramm nach Artikel 52 (2) von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, sofern es keine technische Wirkung erzeugt, und wenn ja, was ist unter "technische Wirkung" zu verstehen?
3 b) Was sind die Schlüsselmerkmale des Ausschlusses von Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten?
(4) Ist ein System zum Schätzen des Vertriebs eines Produkts in Verkaufsstellen ohne diesbezügliche Berichterstattung auf der Grundlage von Gewichtungsfaktoren, die eine Funktion der Entfernung zwischen den nicht berichterstattenden Verkaufsstellen und einer Auswahl von berichterstattenden Verkaufsstellen sowie der charakteristischen Merkmale der nicht berichterstattenden und der berichterstattenden Verkaufsstellen (etwa ihrer Größe) sind, technischer Natur?
5 a) Sind die einzelnen Ausschlusstatbestände des Artikels 52 bei der Prüfung auf Naheliegen unterschiedlich zu behandeln?
5 b) Sind angeblich unter Artikel 52 fallende Erfindungen anders auf Naheliegen zu prüfen als Erfindungen, von denen nicht behauptet wird, sie fielen unter Artikel 52?"
Mit den Fragen 1, 2, 3 a) und 3 b) wurden ausdrücklich die Fragen aufgegriffen, deren Vorlage an die Große Beschwerdekammer im Aerotel/Macrossan-Urteil des England and Wales Court of Appeal vorgeschlagen worden war (siehe Urteil in Sachen Aerotel Ltd v. Telco Holdings Ltd (u. a.) und Macrossan´s Patent Application [2006] EWCA Civ 1371, Nr. 76).
VI. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 12 des Hauptantrags oder hilfsweise auf der Grundlage der Anspruchssätze gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 5 zu erteilen. Ferner wurde hilfsweise beantragt, die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Fragen 1 bis 5 der Großen Beschwerdekammer vorzulegen bzw. die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an die erste Instanz zurückzuverweisen.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin kann wie folgt zusammengefasst werden:
Mit dem erfindungsgemäßen System und Verfahren lasse sich der Absatz bzw. der Vertrieb eines Produkts in einer Verkaufsstelle, die diesbezüglich keinen Bericht erstatte, auf der Grundlage von repräsentativen Verkaufsdaten von Verkaufsstellen, die entsprechende Berichte erstellten, exakter als mit bisherigen Systemen und Verfahren schätzen.
Allgemein sei der technische Beitrag einer Erfindung der Fortschritt gegenüber dem, was vor dem Prioritätstag bekannt sei. Maßgeblich dafür, ob dieser Fortschritt "technischer Art" sei, sei laut der Entscheidung T 953/94 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht), Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe, das Kriterium, ob er unter die in Artikel 52 (2), (3) und (4) EPÜ genannten Ausschlussbestimmungen falle oder nicht. Bei diesen handle es sich um jeweils eigenständige und gesondert zu prüfende Bestimmungen.
Die vorliegende Erfindung sei insofern unabhängig von jeder geschäftlichen Tätigkeit, als sie zwar zur Förderung der Geschäfte eingesetzt werden könne, aber selbst kein Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten sei. Der Fortschritt bestehe in einer besseren Einschätzung des Gesamtabsatzes und sei somit technischer Natur. Die Erfindung ermögliche eine bessere Verarbeitung von Daten, bei denen es sich um physikalische Entitäten handle.
Die Bereitstellung einer Verkaufsstellen-Datenbank und der in der Ermittlung von Entfernungen bestehende Schritt seien technische Verfahren. Die verarbeiteten Daten hingen mit dem Absatz eines Produkts in Verkaufsstellen zusammen; ein Produkt sei eindeutig eine physikalische Entität. Die Verarbeitung von Daten, die eine physikalische Entität (Absatz eines Produkts) darstellten und sich auf die Effizienz eines Prozesses (Produktvertrieb) auswirkten, könnten als weiterer technischer Effekt im Sinne der Entscheidung T 1173/97 - Computerprogrammprodukt/IBM (ABl. EPA 1999, 609) bezeichnet werden. Bei der Ermittlung von Entfernungen handle es sich um ein technisches Merkmal. Auf welche Weise die Entfernungen ermittelt würden, sei grundsätzlich irrelevant. Selbst wenn die Entfernungen sich aus Zip-Code-Daten ableiten ließen, die bei Postämtern in Erfahrung gebracht werden könnten, sei dies für die Frage, ob der Gegenstand als technisch anzusehen sei oder nicht, ohne Belang.
Die Formulierung eines Gewichtungsfaktors und die Vornahme einer Schätzung anhand der Verkaufsdaten und der Gewichtungsfaktoren seien auf jeden Fall Schritte, die eindeutig mit technischen Überlegungen einhergingen und daher das Erfordernis des technischen Charakters nach Maßgabe der Entscheidung T 769/92 - Universelles Verwaltungssystem/SOHEI (ABl. EPA 1995, 525) erfüllten. Das System nach Anspruch 7 sei eine Vorrichtung im Sinne der Entscheidung T 931/95 - Steuerung eines Pensionssystems/PBS Partnership (ABl. EPA 2001, 441), sodass ihm ein technischer Charakter zuerkannt werden müsse.
Die vorliegende Erfindung stelle ein nützliches Hilfsmittel zur Steuerung einer Versorgungskette in einem weitläufigen geografischen Gebiet und zur Überwachung der Bestände in diesem Gebiet dar. Dass das neue Hilfsmittel in Verbindung mit geschäftlichen Verfahren eingesetzt werden könne, ändere nichts an der Tatsache, dass es ein technisches Hilfsmittel sei.
Die zu lösende technische Aufgabe bestehe darin, eine präzisere Technik zur Schätzung des Absatzes in einer bestimmten Verkaufsstelle zu finden, bei der ein Datenverarbeitungssystem dazu verwendet werde, Daten, die den Absatz in anderen Verkaufsstellen darstellten, zu verarbeiten, obwohl der Absatz eine unstetige Funktion des Standorts sei.
Dokument D1 als nächster Stand der Technik offenbare lediglich, dass jedes Geschäft über eine Vorrichtung vor Ort verfüge, die Daten in Echtzeit erfasse, interpretiere, verarbeite und speichere. Die technische Lösung der vorliegenden Erfindung bestehe darin, die Entfernungen zwischen den verschiedenen Verkaufsstellen zu messen, anhand dieser Entfernungsinformationen für jede der herangezogenen Verkaufsstellen und anhand von deren charakteristischen Merkmalen einen Gewichtungsfaktor zu formulieren und diese Daten dann so zu verarbeiten, dass der gewünschte Schätzwert generiert werde. Im Stand der Technik sei keine Rede davon, Verkaufsdaten eines Geschäfts dazu zu verwenden, die Verkaufsdaten eines anderen Geschäfts, das diesbezüglich keinen Bericht erstatte, anhand der geografischen Entfernung zwischen den Geschäften zu schätzen. Die Erfindung sei daher gegenüber dem Stand der Technik eindeutig neu und erfinderisch.
Die Vorlage an die Große Beschwerdekammer sei gerechtfertigt, weil die Beschwerdeführerin den "COMVIK-Ansatz" ausdrücklich ablehne, den die Kammer in der Entscheidung T 641/00 - Zwei Kennungen/COMVIK (ABl. EPA 2003, 352) sowie in der oben erwähnten Pensionssystem-Entscheidung T 931/95 zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit angewandt habe. Bei diesem Ansatz werde im Zusammenhang mit dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit eine Rechtsfiktion eingeführt, die intellektuell schlichtweg unredlich sei; etwas dem Stand der Technik zuzurechnen, was gar nicht dazu gehöre, sei abartig. Würde beispielsweise in den Entscheidungen VICOM (T 208/84 - Computerbezogene Erfindung/VICOM, (ABl. EPA 1987, 14) oder AT&T (T 212/94, nicht im ABl. EPA veröffentlicht) unterstellt, dass das mathematische Verfahren und das Computerprogramm dem Durchschnittsfachmann als solche bekannt seien, so wären zur Ausführung der Erfindung nur noch die konventionellen Schritte der Programmierung und des Betriebs eines Computers vonnöten. Dem Erfinder bliebe damit der Schutz für eine neue und nützliche technische Erfindung versagt.
Der COMVIK-Ansatz sei eindeutig zu beanstanden, weil er sich zur Bestimmung des Stands der Technik einer rückschauenden Betrachtungsweise bediene. Der Stand der Technik sei definitionsgemäß das, was der Öffentlichkeit tatsächlich zugänglich sei, in COMVIK werde jedoch Naheliegen von einem verborgenen, geheimen Ausgangspunkt aus beurteilt, was logisch unsauber sei. Es sei einfach nicht korrekt, zu behaupten, eine Erfindung sei von einem geheimen Ausgangspunkt aus naheliegend.
Der Fachmann sei ein routinierter Praktiker. Von Dingen, die nicht öffentlich gemacht worden seien, habe er keine Kenntnis. Dies gelte für nichttechnische Offenbarungen bzw. angebliche Offenbarungen ebenso wie für technische Offenbarungen. Der "HITACHI-Ansatz", der in der HITACHI-Entscheidung (T 258/03 - Auktionsverfahren/HITACHI, ABl. EPA 2004, 575) und in der Pensionssystem-Entscheidung (T 931/95 s. o.) angewandt worden sei, sei insofern verkehrt, als er zur Beurteilung des Naheliegens dem Fachmann geheime und bislang unbekannte Wünsche hinsichtlich der herbeizuführenden Funktion unterstelle und davon ausgehe, dass die gewünschte Funktion bekannt sei. Dem sei aber nicht so.
Weshalb der HITACHI-Ansatz in einigen Fällen versage, werde am Beispiel der gesamten pharmazeutischen Industrie überdeutlich. Die (vom Patentschutz ausgeschlossene) Entdeckung, dass die Chemikalie XXX die Krankheit YYY heile, bilde den Schlüssel zur Entwicklung eines neuen Arzneimittels. Sei dies erst einmal bekannt, so sei der restliche Prozess der Entwicklung eines neuen Arzneimittels reine Routine und nicht erfinderisch. Dem HITACHI-Ansatz zufolge wären somit alle pharmazeutischen Patente ungültig.
Richtig sei der Ansatz, dem die Große Beschwerdekammer in der Stellungnahme G 1/04 - Diagnostizierverfahren (ABl. EPA 2006, 334) gefolgt sei, als sie die Ausschlüsse eng ausgelegt und die vom Gesetzgeber bewusst verwendeten Worte "als solche" in den Ausschlussbestimmungen des Artikels 52 EPÜ hervorgehoben habe.
Die beanspruchte Erfindung müsse bei der Beurteilung der Patentfähigkeit als Ganzes behandelt werden, da die Kombination von Merkmalen auch dann technischer Natur sein könne, wenn einzelne Merkmale für sich genommen als nichttechnisch anzusehen seien. Der COMVIK-Ansatz stehe hierzu in Widerspruch, da Ansprüche in ihre Einzelteile zerlegt und die geheimen, nichttechnischen Merkmale aus dem Anspruch herausgelöst und dem Durchschnittsfachmann zugeschrieben würden.
VIII. Die Kammer verkündete die Entscheidung über die Beschwerde am Ende der mündlichen Verhandlung.
1. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Aus den nachfolgenden Gründen erfüllt die mit dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 3 beanspruchte Erfindung nicht die Erfordernisse der Patentfähigkeit, während die Ansprüche der Hilfsanträge 4 und 5 unzulässige Änderungen enthalten.
Dem Hilfsantrag, die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an die erste Instanz zurückzuverweisen, kann nicht stattgegeben werden, da es sinn- und zwecklos wäre, eine weitere Prüfung auf der Grundlage von Ansprüchen anzuordnen, die in der Sache nicht gewährbar wären.
Der weitere Hilfsantrag, mit dem eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer nach Artikel 112 (1) a) EPÜ begehrt wird, wird zurückgewiesen. Da die Gründe hierfür auch für die Entscheidung über die vorangehenden Beschwerdeanträge relevant sind, soll zunächst der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer behandelt werden.
Vorlage an die Große Beschwerdekammer
2. Nach Artikel 112 (1) a) EPÜ ist die Befassung der Großen Beschwerdekammer nur zulässig, wenn eine Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung erforderlich ist oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Die Antwort auf die Vorlagefrage darf nicht nur von theoretischem oder allgemeinem Interesse sein, sondern muss für die Entscheidung der betreffenden Beschwerde wesentlich sein (siehe z. B. G 3/98 - Sechsmonatsfrist/University Patents (ABl. EPA 2001, 62), Nr. 1.2.3 der Entscheidungsgründe).
Nach Artikel 16 VOBK wird die Große Beschwerdekammer mit einer Frage befasst, wenn die vorlegende Kammer von einer Auslegung oder Erläuterung des Übereinkommens, die in einer Stellungnahme oder Entscheidung der Großen Beschwerdekammer enthalten ist, abweichen will.
Eine Entscheidung, die von der in einer anderen Beschwerdekammerentscheidung vertretenen Auffassung abweicht, eine divergierende Auffassung, die in Entscheidungen verschiedener Kammern zum Ausdruck kommt, oder eine Abweichung von der nationalen Rechtsprechung eines Landes - beispielsweise von der Rechtsprechung des Court of Appeal des Vereinigten Königreichs, auf die sich die Beschwerdeführerin zur Stützung ihres Vorbringens beruft - sind für sich genommen kein hinreichender Vorlagegrund (siehe auch Artikel 15 VOBK). Das Rechtssystem des Europäischen Patentübereinkommens lässt damit Raum für die Fortentwicklung der Rechtsprechung (die somit kein Fallrecht nach streng angelsächsischem Verständnis ist) und stellt es in das Ermessen der Kammern, ob sie ein Abweichen von anderen Entscheidungen begründen oder die Große Beschwerdekammer mit einer Rechtsfrage befassen wollen. Der Präsident des Europäischen Patentamts kann nach Artikel 112 (1) b) EPÜ eine Vorlage veranlassen, insbesondere, wenn die Gesetzeslage für erstinstanzliche Verfahren unklar wird.
3. Im Sinne der Harmonisierung von nationalen und internationalen Rechtsvorschriften ziehen die Beschwerdekammern bei der Rechtsauslegung auch Entscheidungen und Stellungnahmen der nationalen Gerichte in Betracht (siehe G 5/83 - Zweite medizinische Indikation/EISAI (ABl. EPA 1985, 64), Nr. 6 der Entscheidungsgründe). Solche Betrachtungen befreien eine Beschwerdekammer in Verfahren vor dem Europäischen Patentamt aber nicht von der ihr als unabhängigem Gerichtsorgan obliegenden Pflicht, das Europäische Patentübereinkommen auszulegen und anzuwenden und in letzter Instanz über Fragen der Patenterteilung zu entscheiden. Außerdem ist selbst bei harmonisierten Rechtsvorschriften nicht davon auszugehen, dass diese Vorschriften von verschiedenen Gerichten ein und desselben Staates, geschweige denn von den Gerichten verschiedener Vertragsstaaten auch einheitlich ausgelegt werden, sodass die Beschwerdekammern vor der Wahl stünden, welcher Auslegung sie denn folgen sollten, wenn sie sich nicht ihr eigenes unabhängiges Urteil bilden würden.
4. Im Lichte der vorstehenden Kriterien ist der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer zurückzuweisen:
Frage 3 a) betrifft die Patentfähigkeit von Computerprogrammen, die auf ein Speichermedium geladen sind, was keiner der eingereichten Ansprüche zum Gegenstand hat. Damit mag diese Frage zwar von allgemeinem Interesse sein, für die sachliche Entscheidung der vorliegenden Beschwerde ist sie aber völlig irrelevant.
In Frage 4 geht es um etwas sehr Spezifisches, nämlich um die Patentfähigkeit eines Systems zur Schätzung des Vertriebs eines Produkts in Verkaufsstellen, die diesbezüglich keinen Bericht erstatten. Damit wird weder eine Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung angesprochen, noch ist eine Antwort der Großen Beschwerdekammer erforderlich, um die einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten.
Die Fragen 1, 2, 3 b) und 5 a) und b) betreffen zwar wichtige und für die vorliegende Beschwerde relevante Rechtsfragen, rechtfertigen jedoch ebenso wenig eine Befassung der Großen Beschwerdekammer, da für die Kammer außer Zweifel steht, wie diese Fragen auf der Grundlage des Übereinkommens gemäß der ständigen Rechtsprechung zur Patentfähigkeit von Erfindungen zu beantworten sind.
Rechtsprechung zur Patentfähigkeit von Erfindungen
5. Bei näherer Betrachtung laufen die Fragen 1, 2, 3 b) sowie 5 a) und b) auf die Anwendung der Artikel 52, 54 und 56 EPÜ im Zusammenhang mit einem Gegenstand bzw. mit Tätigkeiten hinaus, die nach Artikel 52 (2) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind.
Die für den vorliegenden Fall relevante ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern lässt sich kurz und bündig in den folgenden Grundsätzen zusammenfassen:
A) Artikel 52 (1) EPÜ nennt vier Erfordernisse, die eine patentfähige Erfindung erfüllen muss: Es muss eine Erfindung vorliegen, und wenn eine Erfindung vorliegt, muss sie die Erfordernisse der Neuheit, der erfinderischen Tätigkeit und der gewerblichen Anwendbarkeit erfüllen.
B) Eine implizite Bedingung für eine "Erfindung" im Sinne von Artikel 52 (1) EPÜ ist ihr technischer Charakter (Erfordernis der "Technizität").
C) Artikel 52 (2) EPÜ steht der Patentfähigkeit von Gegenständen oder Tätigkeiten mit technischem Charakter auch dann nicht entgegen, wenn sie sich auf in dieser Vorschrift angegebene Sachverhalte beziehen, da diese nur "als solche" ausgeschlossen sind (Art. 52 (3) EPÜ).
D) Die vier Erfordernisse - Vorliegen einer Erfindung, Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit - sind im Wesentlichen eigenständige und voneinander unabhängige Patentfähigkeitskriterien, die zu konkurrierenden Beanstandungen Anlass geben können. So ist insbesondere Neuheit nicht etwa Voraussetzung für eine Erfindung im Sinne von Artikel 52 (1) EPÜ, sondern ein eigenständiges Erfordernis der Patentfähigkeit.
E) Bei der Prüfung auf Patentfähigkeit einer Erfindung in Bezug auf einen Anspruch sind die technischen Merkmale der Erfindung, d. h. die Merkmale, die zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, durch Auslegung des Anspruchs zu bestimmen.
F) Es ist zulässig, dass ein Anspruch eine Mischung aus technischen und "nichttechnischen" Merkmalen aufweist, wobei die nichttechnischen Merkmale sogar den bestimmenden Teil des beanspruchten Gegenstands bilden können. Neuheit und erfinderische Tätigkeit können jedoch nur auf technische Merkmale gestützt werden, die somit im Anspruch deutlich definiert sein müssen. Nichttechnische Merkmale, die nicht mit dem technischen Gegenstand des Anspruchs zur Lösung einer technischen Aufgabe zusammenwirken, d. h. nichttechnische Merkmale "als solche", leisten keinen technischen Beitrag zum Stand der Technik und werden daher bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht berücksichtigt.
G) Für die Zwecke des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes muss es sich bei der Aufgabe um eine technische Aufgabe handeln, die einem Fachmann des betreffenden technischen Gebiets am relevanten Prioritätstag zur Lösung angetragen werden könnte. Die technische Aufgabe kann unter Verweis auf eine Zielsetzung auf einem nichttechnischen Gebiet formuliert werden, die folglich nicht Teil des technischen Beitrags ist, den die Erfindung zum Stand der Technik leistet. Dies kann insbesondere durch die Definition einer zu erfüllenden Bedingung erreicht werden (auch wenn sich die Zielsetzung erst a posteriori in Kenntnis der Erfindung erschließt).
6. Diese Grundsätze haben eine klare und solide Basis im Übereinkommen und in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern, insbesondere der Großen Beschwerdekammer.
Die wichtigste für die Patentfähigkeit von Erfindungen maßgebliche Vorschrift des EPÜ ist Artikel 52 (1) EPÜ, der wie folgt lautet:
"Europäische Patente werden für Erfindungen erteilt, die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind."
Im revidierten EPÜ 2000 hat diese Bestimmung folgenden Wortlaut erhalten:
"Europäische Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind."
Artikel 52 (1) EPÜ bringt die grundlegende Maxime zum Ausdruck, wonach alle Erfindungen auf sämtlichen Gebieten der Technik generell Anspruch auf Patentschutz haben (G 5/83 (s. o.), Nr. 21 der Entscheidungsgründe; G 1/98 - Transgene Pflanze/NOVARTIS II (ABl. EPA 2000, 111), Nr. 3.9 der Entscheidungsgründe; G 1/03 - Disclaimer/PPG (ABl. EPA 2004, 413), Nr. 2.2.2 der Entscheidungsgründe, G 1/04 (s. o.), Nr. 6 der Entscheidungsgründe). Eine Einschränkung des generellen Anspruchs auf Patentschutz ist somit keine Frage des richterlichen Ermessens, sondern bedarf einer eindeutigen Rechtsgrundlage im Europäischen Patentübereinkommen.
Die Anwendung von Artikel 52 (1) EPÜ wirft ein Auslegungsproblem auf, denn bei Abschluss des Übereinkommens im Jahr 1973 gab es keine gesetzliche oder allgemein anerkannte Definition des Begriffs der "Erfindung". Das EPA hat eine solche explizite Definition auch in der Zwischenzeit nicht entwickelt, und zwar aus guten Gründen. Der zweite Absatz von Artikel 52 EPÜ ist nichts weiter als eine nicht erschöpfende Negativliste dessen, was nicht als Erfindung im Sinne von Artikel 52 (1) EPÜ anzusehen ist. Es war die erklärte Absicht der Vertragsstaaten, dieser Liste der "ausgeschlossenen" Gegenstände keinen allzu weiten Anwendungsbereich zu geben, wie die Entstehungsgeschichte von Artikel 52 (2) EPÜ zeigt, dem damaligen Artikel 50, der auf Initiative der deutschen Delegation mit folgender Begründung geändert wurde:
"Hieraus könnte der unzutreffende Schluss gezogen werden, dass die in Absatz 2 nicht auf diese Weise eingeschränkten Begriffe extensiv auszulegen sind."
(s. die Materialien (Travaux préparatoires) zum Europäischen Patentübereinkommen, München 1999, Dokument M/11 von März 1973, Bd. 35E, Nr. 21, sowie Dokument M/PR/I, Bd. 42E, Nr. 42).
Absatz 3 des gegenwärtigen Artikels 52 EPÜ wurde eingeführt, um einer derartigen weiten Auslegung von Artikel 52 (2) EPÜ vorzubeugen. Durch die ausdrückliche Erwähnung der "Patentfähigkeit der [...] Gegenstände oder Tätigkeiten" wurde der Anspruch auf Patentschutz für die in Absatz 2 aufgezählten Nichterfindungen in Absatz 3 de facto festgeschrieben - wenn auch mit der Einschränkung, dass die Patentierbarkeit "insoweit" ausgeschlossen ist, "als sich die europäische Patentanmeldung oder das europäische Patent auf die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche bezieht".
7. Artikel 52 (3) EPÜ sollte eindeutig gewährleisten, dass alles, was zuvor nach den herkömmlichen Patentierungskriterien eine patentfähige Erfindung gewesen war, auch nach dem Europäischen Patentübereinkommen patentierbar bleiben würde. Dass kein Paradigmenwechsel beabsichtigt war, zeigt auch das Beispiel der Schweiz, die es als Vertragsstaat bei der Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften mit dem EPÜ für überflüssig erachtet hat, den Inhalt von Artikel 52 (2) und (3) EPÜ in das nationale Recht zu übernehmen (s. "Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über drei Patentübereinkommen und die Änderung des Patentgesetzes", 76.021, 24. März 1976, S. 67).
Wie in der VICOM-Entscheidung T 208/84 (s. o.), Nr. 16 der Entscheidungsgründe, zum Ausdruck gebracht wurde, ist für die Patentfähigkeit einer Erfindung "[e]ntscheidend [...], welchen technischen Beitrag die im Anspruch definierte Erfindung als Ganzes zum Stand der Technik leistet". Dieser Grundsatz bezieht sich auf eine patentfähige Erfindung, d. h. auf eine Erfindung, die alle Patentfähigkeitskriterien des Übereinkommens erfüllt. In der VICOM-Entscheidung wird nicht etwa postuliert, dass der technische Beitrag zum Stand der Technik das Kriterium schlechthin sei, das über das Vorliegen einer Erfindung entscheide.
Unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck der Patentfähigkeitserfordernisse und der Rechtspraxis in den Vertragsstaaten des EPÜ haben die Beschwerdekammern den technischen Charakter der Erfindung als das allgemeine Kriterium angesehen, das in Artikel 52 Absätze 2 und 3 EPÜ enthalten ist (siehe z. B. die Entscheidungen T 22/85 - Zusammenfassung und Wiederauffinden von Dokumenten/IBM (ABl. EPA 1990, 12), Nr. 3 der Entscheidungsgründe, Pensionssystem T 931/95 (s. o.), Nr. 2 der Entscheidungsgründe, sowie in jüngerer Zeit die Entscheidungen T 619/02 - Geruchsauswahlverfahren/QUEST INTERNATIONAL (ABl. EPA 2007, 63), Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe, und T 930/05 - Modellieren eines Prozessnetzwerkes/XPERT (nicht im ABl. EPA veröffentlicht), Nr. 2 der Entscheidungsgründe). Hat ein Produkt, Verfahren o. ä. technischen Charakter, so unterliegt es auch dann nicht dem Patentierbarkeitsausschluss gemäß Artikel 52 Absätze 2 und 3 EPÜ, wenn es sich formal auf einen der in Absatz 2 aufgezählten Gegenstände bezieht.
8. In der Tat war immer unstreitig, dass Schöpfungen in den Bereichen der Technik nach dem Europäischen Patentübereinkommen schutzfähig sind. Wie die Kammer in T 930/05 (s. o.), Nr. 2 der Entscheidungsgründe befand, ergibt sich dieses Kriterium aus dem inneren Zusammenhang der Absätze 1 und 2 des Artikels 52 EPÜ. Schon die Tatsache, dass die Liste der nicht als Erfindungen anzusehenden Gegenstände in Artikel 52 (2) EPÜ nicht erschöpfend formuliert ist ("insbesondere"), weist auf die Existenz eines Ausschlusskriteriums hin, das allen diesen Dingen gemeinsam ist und eine denkbare Erweiterung der Liste erlaubt. Die Aufzählung typischer Nichterfindungen in Artikel 52 (2) EPÜ umfasst Tatbestände, die als gemeinsames Merkmal den fehlenden technischen Charakter erkennen lassen. Dabei geht die Gesetzesformulierung letzten Endes auf den vom Gesetzgeber übernommenen klassischen Erfindungsbegriff zurück, der zwischen praktischen naturwissenschaftlichen Anwendungen und geistigen Leistungen im Allgemeinen unterscheidet. Der Zusammenhang zwischen dem Erfindungsbegriff und dem technischen Charakter der Erfindung erschließt sich unmittelbar, da der auf Artikel 52 (1) EPÜ Bezug nehmende Ausnahmenkatalog des Artikels 52 (2) EPÜ als Negativdefinition des Erfindungsbegriffs aufzufassen ist. Dieser Zusammenhang kommt auch in weiteren Bestimmungen des EPÜ zum Ausdruck, siehe z. B. die Artikel 18 und 56 sowie die Regeln 27 (1) und 29 (1) EPÜ, die diesen patentrechtlichen Grundgedanken verdeutlichen.
Der technische Charakter als gesetzliche Voraussetzung für eine Erfindung wurde auf der Konferenz der Vertragsstaaten zur Revision des Europäischen Übereinkommens vom 20. bis zum 29. November 2000 ausdrücklich bekräftigt. Die Neufassung des Artikels 52 (1) EPÜ wurde von den Vertragsstaaten auf der Grundlage des Basisvorschlags für die Revision des Europäischen Patentübereinkommens (MR/2/00) gebilligt, der damit - als Teil einer späteren Übereinkunft der Vertragsstaaten zum EPÜ - ein gültiges Instrument zur Auslegung des Übereinkommens gemäß den üblichen Auslegungsregeln ist (G 5/83 (s. o.), Nr. 5 der Entscheidungsgründe, Regel (4) sowie den entsprechenden Artikel 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge von 1969).
Der Basisvorschlag macht deutlich, dass der Patentschutz grundsätzlich technischen Erfindungen aller Art offenstehen soll (MR/2/00, S. 43, Nr. 1) und dass der technische Charakter eine zwingende Voraussetzung für jede patentfähige Erfindung ist. In Absatz 4 heißt es dazu unmissverständlich:
"4. Gleichwohl ist festzuhalten, dass der Patentschutz Schöpfungen auf dem Gebiet der Technik vorbehalten ist. Die Neufassung von Artikel 52 (1) EPÜ bringt dies nun klar zum Ausdruck. Um patentfähig zu sein, muss der beanspruchte Gegenstand "technischen Charakter" aufweisen oder - etwas präziser umschrieben - eine "Lehre zum technischen Handeln" zum Gegenstand haben, d. h. eine an den Fachmann gerichtete Anweisung, eine bestimmte technische Aufgabe mit bestimmten technischen Mitteln zu lösen. Dieses Verständnis des Erfindungsbegriffs liegt auch der Erteilungspraxis des EPA und der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zugrunde. Für die Beurteilung von Computerprogrammen gilt nichts anderes.
Es bleibt daher weiterhin Rechtssprechung und Amtspraxis überlassen, festzustellen, ob ein als Erfindung beanspruchter Gegenstand technischen Charakter aufweist, und den Erfindungsbegriff im Lichte der technischen Entwicklung und dem jeweiligen Erkenntnisstand entsprechend sachgerecht weiter zu entwickeln."
9. Dass eine Erfindung technischen Charakter haben muss, ist (ebenso wie die gewerbliche Anwendbarkeit) ein absolutes Erfordernis, das nicht zwingend mit einem neuen Beitrag zum Stand der Technik einhergeht. Natürlich aber muss eine patentfähige Erfindung, d. h. eine Erfindung, die alle Patentfähigkeitskriterien erfüllt, einen neuen und erfinderischen technischen Beitrag zum Stand der Technik leisten.
Aus dem Wortlaut von Artikel 52 (1) EPÜ und der Verwendung des Begriffs "Erfindung" im Zusammenhang mit den Patentfähigkeitskriterien geht klar hervor, dass es sich bei den Erfordernissen der Erfindung, der Neuheit, der erfinderischen Tätigkeit und der gewerblichen Anwendbarkeit um jeweils eigenständige und voneinander unabhängige Kriterien handelt, die hinsichtlich der Erfordernisse mehrere Einwände gleichzeitig begründen können.
Für diese Auslegung von Artikel 52 (1) EPÜ findet sich eine eindeutige Grundlage in der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer. Am Beispiel einer Entdeckung, die keine neuen technischen Merkmale aufwies, machte die Große Beschwerdekammer in G 2/88 - Reibungsverringernder Zusatz/Mobil Oil III (ABl. EPA 1990, 93) unter Nr. 7.2, 7.3 und 8 der Entscheidungsgründe Folgendes deutlich:
"7.2 [...] der Anspruch [enthält] kein neues technisches Merkmal und ist nach Artikel 54 (1) und (2) EPÜ ungültig (weil die einzigen technischen Merkmale des Anspruchs bekannt sind).
7.3 Bei einem solchen Anspruch, der kein neues technisches Merkmal enthält, braucht natürlich nicht geprüft zu werden, ob die beanspruchte Erfindung eine Entdeckung ist [...] oder ob sie aufgrund des Artikels 52 (2) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgenommen ist.
8. [...] Es gibt Fälle, in denen gleichzeitig Einwände nach Artikel 54 (1) und (2) EPÜ und nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ erhoben werden können. Diese Einwände sind jedoch getrennt zu behandeln."
In der Entscheidung G 1/95 - Neue Einspruchsgründe/DE LA RUE (ABl. EPA 1996, 615), Nr. 4 ff. der Entscheidungsgründe wird festgestellt:
"4.3 Artikel 100 a) EPÜ bezieht sich - ganz abgesehen von der allgemeinen Definition patentfähiger Erfindungen nach Artikel 52 (1) EPÜ und den Ausnahmen von der Patentierbarkeit nach Artikel 53 EPÜ - auf eine Reihe von Definitionen, die in den Artikeln 52 (2) bis (4) und 54 bis 57 EPÜ zu den Begriffen "Erfindung", "Neuheit", "erfinderische Tätigkeit" und "gewerbliche Anwendbarkeit" aufgestellt werden und in Verbindung mit Artikel 52 (1) EPÜ bestimmte Erfordernisse vorgeben und somit gesonderte Einspruchsgründe im Sinne gesonderter rechtlicher Einwände oder Rechtsgrundlagen für einen Einspruch verkörpern."
In der Entscheidung T 1002/92 - Warteschlangensystem/PETTERSSON (ABl. EPA 1995, 605) machte der Beschwerdeführer geltend, der beanspruchte Gegenstand leiste keinen Beitrag zum Stand der Technik auf einem vom Patentschutz nicht ausgeschlossenen Gebiet, da das einzige im Stand der Technik nicht offenbarte Anspruchsmerkmal keinen technischen Charakter habe; dazu stellte die Kammer unter Nr. 1 der Entscheidungsgründe Folgendes fest:
"Nach Auffassung der Kammer zeugt diese Argumentation von einem falschen Verständnis des Verhältnisses zwischen den Artikeln 52 und 56 EPÜ. In Fällen wie diesem ist zunächst zu prüfen, ob der Beschwerdeführer zu Recht behauptet, dass der Gegenstand - hier des Anspruchs 1 - keine "Erfindung" im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ verkörpert. Ist der beanspruchte Gegenstand entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers nach Artikel 52 EPÜ nicht vom Patentschutz ausgeschlossen, so stellt sich die - vom Beschwerdeführer ebenfalls aufgeworfene - weitere, unabhängige Frage, ob er denn eine erfinderische Tätigkeit aufweist."
10. Die Frage, ob eine Erfindung im Sinne von Artikel 52 (1) bis (3) EPÜ vorliegt, ist daher strikt von den drei anderen in Artikel 52 (1) EPÜ genannten Patentfähigkeitserfordernissen zu trennen und sollte nicht mit diesen vermengt werden. Diese Unterscheidung löst den Begriff "Erfindung" als ein allgemeines und absolutes Erfordernis der Patentfähigkeit von den relativen Kriterien Neuheit und erfinderische Tätigkeit, die in der gewöhnlichen umgangssprachlichen Bedeutung als Attribute jeder Erfindung angesehen werden, ebenso wie von dem Erfordernis der gewerblichen Anwendbarkeit. Entscheidend für das Vorhandensein einer (potenziell patentierbaren) Erfindung ist der grundlegende Charakter des beanspruchten Gegenstands.
11. Die Unterscheidung zwischen dem absoluten Erfordernis der Erfindung und den relativen Erfordernissen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit ist in der nationalen Rechtsprechung der Vertragsstaaten nicht unbekannt. So hat zum Beispiel der Richter am England and Wales Court of Appeal, Lord Justice Mustill, in dem Urteil in der Sache Genentech Inc.'s Patent [1989] R.P.C. 147, S. 262 f. Folgendes ausgeführt:
"Der Hinweis, dass die Erfindung identifiziert werden muss, führt mich zu einem Aspekt des Falls, der mir einiges Kopfzerbrechen bereitet hat. Die meisten Argumente konzentrieren sich auf die drei Voraussetzungen für die Erteilung eines Patents, die in den Buchstaben a bis c von Section 1 (1) festgelegt sind - was angesichts der Ausgestaltung des alten Gesetzes verständlich ist. Allerdings kann dieser Ansatz leicht den Blick auf ein grundlegenderes Erfordernis verstellen, das erfüllt sein muss, damit ein Patent wirksam erteilt werden kann, nämlich, dass der Anmelder überhaupt eine "Erfindung" gemacht hat. [...]
[...] Meines Erachtens zeigt dies, dass zunächst die Frage bejaht werden muss, ob der Anspruch etwas offenbart, das als Erfindung bezeichnet werden kann, bevor relevant wird, ob die Buchstaben a bis d erfüllt sind; und der Wortlaut von Artikel 52 macht dies in allen drei Sprachen sogar noch deutlicher. [...]
[...] Auf den ersten Blick mag dies als eine völlig überflüssige, zusätzliche Komplikation erscheinen, wo doch in den Absätzen a bis c alles Erforderliche getan wird, um den zulässigen Gegenstand des Ausschließlichkeitsrechts zu definieren, und es mag absurd klingen, von einer Erfindung zu sprechen, die nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht - dazu aber muss man bereit sein, wenn die soeben vorgeschlagene Auslegung zutreffend ist [...].
Auch wenn sich also der gegen ein Patent erhobene Einwand, es werde ein Monopol auf etwas beansprucht, das gar keine Erfindung ist, sehr oft mit einem anderen potenziellen Einwand überschneiden dürfte - und derartige Überschneidungen sind im Patentrecht nichts Neues -, ist dies dennoch ein gesonderter Aspekt, der im jeweiligen Fall gesondert zu prüfen ist."
Der Bundesgerichtshof (BGH) ist von einem ähnlichen, breiten Erfindungsbegriff ausgegangen, etwa in dem Beschluss X ZB 20/03 - Elektronischer Zahlungsverkehr vom 24. Mai 2004 (siehe Nr. II 3. b) (1) und II 4. der Gründe), wo festgestellt wird:
"(1) [...] Dessen Bekanntheit hingegen ist ein Gesichtspunkt, der nicht die Frage eines Patentierungsausschlusses, sondern die nach den Patentierungsvoraussetzungen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit (§§ 3, 4 PatG) berührt. Wie der Senat bereits hinsichtlich des Erfordernisses der Technizität ausgeführt hat (BGHZ 143, 255, 263 - Logikverifikation), darf auch bei computerbezogenen oder Datenverarbeitung nutzenden Lehren die Wertung, ob ein konkretes technisches Problem besteht und gelöst wird oder ob mangels eines solchen ein gesetzlicher Patentierungsausschluss nach § 1 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 PatG greift, im Ergebnis nicht davon abhängen, ob der zu beurteilende Vorschlag neu und erfinderisch ist."
"4. Das Bundespatentgericht wird deshalb die Anmeldung einer erneuten sachlichen Prüfung unterziehen müssen, wobei hinsichtlich der gesetzlichen Patentierungsvoraussetzungen und Patentierungsausschlüsse keine bestimmte Prüfungsreihenfolge eingehalten werden muss [...]".
12. Diese Auffassungen stehen voll und ganz mit dem von der Kammer im Zusammenhang mit Artikel 52 (1) bis (3) EPÜ zugrunde gelegten Rechtsbegriff der "Erfindung" in Einklang, was nicht mit dem gewöhnlichen Verständnis eines Laien von einer Erfindung als einem neuen und oftmals auch erfinderischen Beitrag zum Stand der Technik verwechselt werden darf. Die gleichzeitige Anwendung dieser beiden sehr unterschiedlichen Erfindungsbegriffe wäre ein rechtlicher Schlussfehler.
Der von Lord Justice Jacob im Aerotel/Macrossan-Urteil (s. Nrn. 26 (2) und 38) bekräftigte "Ansatz des technischen Effekts" scheint in dieser zweiten, umgangssprachlichen Bedeutung des Erfindungsbegriffs begründet zu sein - eine Praxis, die "angesichts der Ausgestaltung des alten Gesetzes" (Lord Justice Mustill, a. a. O.) verständlich sein mag, mit einer Auslegung des Europäischen Patentübereinkommens nach Treu und Glauben gemäß Artikel 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge von 1969 jedoch nicht zu vereinbaren ist.
Tatsächlich würde eine Bezugnahme auf den Stand der Technik im Kontext des Artikels 52 (2) und (3) EPÜ zu unüberwindlichen Schwierigkeiten führen; der "Stand der Technik" ist ein komplexer, durch eine Kombination von Vorschriften, nämlich die Artikel 54 bis 56 EPÜ, fein differenzierter Begriff, dessen Inhalt vom Anmelde- und Prioritätstag der Anmeldung bzw. des Patents ebenso abhängt wie von dem jeweils betrachteten Patentfähigkeitserfordernis. Es gibt jedoch keinerlei Regelung, die bestimmt, welcher Stand der Technik im Zusammenhang mit Artikel 52 (2) EPÜ maßgeblich sein soll. Dass die Vertragsstaaten bei Abschluss des Übereinkommens einen derartig wichtigen Punkt übersehen haben sollten, ist einfach undenkbar. Es sind also stichhaltige Gründe, warum der "Beitrags"- oder "technische Effekt"-Ansatz aufgegeben werden sollte, was die Kammern vor etwa zehn Jahren getan haben.
13. Der im Aerotel/Macrossan-Urteil befolgte "technische Effekt-Ansatz (mit Zusatzklausel)" ist mit dem Europäischen Patentübereinkommen auch aus dem weiteren Grund unvereinbar, als er davon ausgeht, dass ein "neuer und erfinderischer, völlig ausgeschlossener Gegenstand nicht als 'technischer Beitrag' zählt" (Aerotel/Macrossan, z. B. Nr. 26 (2) der Gründe). Dies entbehrt jeder Grundlage im Übereinkommen und steht nicht im Einklang mit klassischen Patentfähigkeitskriterien; so hat die Große Beschwerdekammer etwa in Bezug auf mathematische Methoden und Entdeckungen in der Entscheidung G 2/88 (s. o.), Nr. 8 der Entscheidungsgründe ausgeführt:
"Wie in der Entscheidung T 208/84 [...] festgestellt worden ist, bei der es zwar nicht um eine Entdeckung, sondern um eine mathematische Methode ging, aber der gleiche Grundsatz angewendet wurde, bedeutet [...] die Tatsache, dass die dem beanspruchten Gegenstand zugrunde liegende Idee in einer Entdeckung liegt, nicht zwangsläufig, dass der beanspruchte Gegenstand eine Entdeckung 'als solche' ist".
Tatsächlich kann ein nichttechnisches Merkmal mit technischen Elementen so zusammenwirken, dass eine technische Wirkung entsteht, etwa durch seine Anwendung zur technischen Lösung einer technischen Aufgabe (siehe z. B. die Stellungnahme G 1/04 (s. o.), Nr. 5.2 ff. der Gründe). Wenn dies für einen schlichtweg ausgeschlossenen Gegenstand gilt, z. B. für die in der Stellungnahme erwähnte geistige Tätigkeit, dann muss dieser Gegenstand - soweit er zur technischen Wirkung beiträgt - als Beitrag zum technischen Charakter zählen.
14. Während Neuheit nicht notwendig ist, um den technischen Charakter einer Erfindung zu bejahen, gilt dies umgekehrt nicht, da Neuheit und erfinderische Tätigkeit nur anhand der technischen Merkmale der Erfindung festgestellt werden können. Dies steht mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern in Einklang; so hat die Große Beschwerdekammer etwa in der Entscheidung G 2/88 (s. o.), Nr. 7 der Entscheidungsgründe, ausgeführt:
"7. [...] die Ansprüche eines europäischen Patents [müssen] die technischen Merkmale der Erfindung und damit den technischen Gegenstand des Patents so eindeutig definieren, dass dessen Schutzbereich festgelegt und ein Vergleich mit dem Stand der Technik angestellt werden kann, um sicherzustellen, dass die beanspruchte Erfindung unter anderem neu ist. Eine beanspruchte Erfindung ist nur dann neu, wenn sie mindestens ein wesentliches technisches Merkmal enthält, durch das sie sich vom Stand der Technik unterscheidet.
Bei der Beurteilung der Neuheit eines Anspruchs besteht eine erste grundlegende Bewertung zunächst darin, den Anspruch auf seine technischen Merkmale hin zu untersuchen."
"7.2 [...] Enthält ein Anspruch auf eine neue Verwendung [...] bei richtiger Auslegung kein technisches Merkmal, das diese neue Verwendung wiedergibt, und ist der Wortlaut des Anspruchs, der sich auf diese neue Verwendung bezieht, rein gedanklicher Art und definiert er keine technischen Merkmale, so enthält der Anspruch [...] folglich kein neues technisches Merkmal und ist nach Artikel 54 (1) und (2) EPÜ ungültig (weil die einzigen technischen Merkmale des Anspruchs bekannt sind)."
15. Aus der Unterscheidung zwischen technischen und nichttechnischen Merkmalen ("rein gedanklicher Art" im obigen Zitat) folgt, dass die nichttechnischen Merkmale insoweit, als sie mit den technischen Merkmalen nicht so zusammenwirken, dass eine technische Wirkung entsteht, weder Neuheit noch erfinderische Tätigkeit begründen können (s. auch die Entscheidungen unter I.D.8.4 in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 5. Auflage Dezember 2006, Europäisches Patentamt 2006). Im Aerotel/Macrossan-Urteil heißt es unter Nr. 27 der Entscheidungsgründe, es sei "intellektuell einfach unredlich, die neue Musik bzw. Erzählung dem Stand der Technik zuzurechnen (der in Sachen Pensionssystem und Hitachi verwendete Kunstgriff)". Damit wird jedoch der Ansatz missverstanden, den die Kammer verfolgt, um die technischen Merkmale in einem Anspruch zu bestimmen, wenn technische und nichttechnische Aspekte in einem Mischanspruch eng miteinander verknüpft sind, wie dies bei computerimplementierten Erfindungen typischerweise der Fall ist (siehe z. B. die Entscheidungen T 172/03 - Order management/RICOH (nicht im ABl. EPA veröffentlicht), Nr. 4 ff. der Entscheidungsgründe, und T 619/02 (s. o.), Nr. 4.2 der Entscheidungsgründe).
16. Für die Zwecke des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, der als Test dafür entwickelt wurde, ob eine Erfindung dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit genügt, muss es sich bei der Aufgabe um eine technische Aufgabe handeln (COMVIK-Entscheidung T 641/00 (s. o.), Nr. 5 ff. der Entscheidungsgründe). Es ist jedoch schwierig, die technische Aufgabe zu definieren, wenn die eigentliche neue und kreative Idee, die den Kern der beanspruchten Erfindung ausmacht, völlig außerhalb jedes technischen Gebiets liegt, wie dies bei computerimplementierten Erfindungen häufig der Fall ist. Falls es überhaupt möglich ist, die Aufgabe zu definieren, ohne auf den nichttechnischen Teil der Erfindung Bezug zu nehmen, ist das Ergebnis im Allgemeinen entweder eine unverständliche Rumpfdefinition oder eine gekünstelte Aussage, die den tatsächlichen zum Stand der Technik geleisteten technischen Beitrag nicht angemessen wiedergibt.
Die Kammer hat es daher in COMVIK für zulässig erachtet, eine Zielsetzung auf einem nichttechnischen Gebiet in der Formulierung der Aufgabe als Teil der Rahmenbedingungen für die zu lösende technische Aufgabe, insbesondere als eine zwingend zu erfüllende Vorgabe, anzugeben (Nr. 7 der Entscheidungsgründe). Eine derartige Formulierung hat darüber hinaus den begrüßenswerten Effekt, dass die nichttechnischen Aspekte der beanspruchten Erfindung, die sich im Allgemeinen auf nicht patentfähige erwünschte Wirkungen, Ideen oder Konzepte beziehen und der Vorphase einer jeden Erfindung zuzurechnen sind, bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit automatisch ausgeklammert werden und nicht als technische Merkmale missdeutet werden können, die zur erfinderischen Tätigkeit beitragen. Da nur technische Merkmale und Aspekte der beanspruchten Erfindung bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden dürfen, die Innovation also die technische Seite betreffen muss und nicht auf einem nicht patentierbaren Gebiet liegen darf (s. auch die Entscheidungen T 531/03 - Discount certificates/CATALINA (nicht im ABl. EPA veröffentlicht), Nr. 2 ff. der Entscheidungsgründe, und T 619/02 (s. o.), Nr. 4.2.2 der Entscheidungsgründe), spielt es keine Rolle, ob eine solche nichttechnische Zielsetzung vor dem Prioritätstag der Anmeldung bekannt war oder nicht.
Dieser Ansatz war zwar vor der COMVIK-Entscheidung T 641/00 nicht explizit zum Ausdruck gebracht worden, steht aber mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern in Einklang, wie die Analyse einiger früherer Entscheidungen in T 764/02 - Banking Services/ONLINE RESOURCES (nicht im ABl. EPA veröffentlicht), Nr. 11 der Entscheidungsgründe, zeigt.
17. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Praxis und Rechtsprechung der Kammer, auf die in den Fragen 1, 2, 3 b) sowie 5 a) und b) Bezug genommen wird, eine tragfähige rechtliche Grundlage im Übereinkommen haben und mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer in Einklang stehen. Eine Antwort der Großen Beschwerdekammer auf irgendeine dieser Fragen ist daher für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde nicht erforderlich, und somit ist der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer zurückzuweisen.
Patentfähigkeit: Erfordernis der Erfindung
Hauptantrag
18. Anspruch 1 des Hauptantrags definiert ein Verfahren zum Schätzen des Absatzes eines Produkts in einer Verkaufsstelle, die diesbezüglich keinen Bericht erstattet. Der geschätzte Absatz wird im Wesentlichen dadurch berechnet, dass die Absatzzahlen von berichterstattenden Verkaufsstellen entsprechend der jeweiligen Entfernung zwischen berichterstattenden und nicht berichterstattenden Verkaufsstellen korreliert werden (siehe z. B. Anspruch 1 und WO-Veröffentlichung, S. 4, Z. 33 ff. und S. 8, Z. 3 bis 36). Ein solches Verfahren ist keine Erfindung im Sinne von Artikel 52 (1) bis (3) EPÜ.
19. Die Erzeugung von Informationen über Absatzzahlen oder andere Geschäftsdaten mithilfe von mathematischen oder statistischen Methoden zur Evaluierung von im jeweiligen Geschäftsumfeld gesammelten Daten ist eine betriebswirtschaftliche Forschungstätigkeit, die ebenso wenig wie andere Forschungsverfahren der Lösung einer technischen Aufgabe auf irgendeinem Gebiet der Technik dient. Nach Auffassung der Kammer sind betriebswirtschaftliche Forschungsverfahren analog zu Plänen, Regeln und Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ "als solche" von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.
20. Es gehört zum Wesen jeder geschäftlichen Tätigkeit, dass sie in Wechselwirkung mit der physischen Welt erfolgt und die Auswertung diesbezüglicher Informationen umfasst. Würden diese Merkmale ausreichen, um Patentfähigkeit zu bejahen, so würde der Ausschluss von Geschäftsverfahren nach Artikel 52 (2) c) EPÜ gegenstandslos. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass das Sammeln und das Auswerten von Daten im Rahmen eines betriebswirtschaftlichen Forschungsverfahrens, selbst wenn die Daten sich wie im vorliegenden Fall auf physikalische Parameter oder geografische Informationen beziehen, einem solchen Verfahren keinen technischen Charakter verleihen, es sei denn, diese Schritte tragen zur technischen Lösung einer techni schen Aufgabe bei.
21. Mit der Ermittlung von Verkaufsdaten und geografischen Entfernungen zwischen Verkaufsstellen und der Verwendung dieser Daten zur Schätzung des Absatzes in bestimmten Verkaufsstellen mithilfe des in der Anmeldung beanspruchten und offenbarten statistischen Verfahrens wird keine technische Aufgabe auf einem technischen Gebiet gelöst. Die Definitionen in Anspruch 1 implizieren nicht, dass ein technisches System oder Mittel eingesetzt wird. Insbesondere kann der Begriff "Datenbank" dahin gehend ausgelegt werden, dass er beliebige Datensammlungen bezeichnet, sodass Anspruch 1 Verfahren einschließt, die ganz ohne technische Mittel auskommen.
Das Verfahren nach Anspruch 1 ist daher nach Artikel 52 (1), (2) c) und (3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.
Erster Hilfsantrag
22. Mit dem ersten Hilfsantrag werden ausdrücklich technische Mittel (Prozessor) für die Durchführung der einzelnen Verfahrensschritte beansprucht. Aus der HITACHI-Entscheidung T 258/03 (s. o.), Nrn. 4.1 bis 4.7 der Entscheidungsgründe, folgt, dass das beanspruchte Verfahren eine Erfindung im Sinne von Artikel 52 (1) EPÜ ist.
Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit
23. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit können der Systemanspruch 7 des Hauptantrags und des ersten Hilfsantrags sowie der Systemanspruch 1 des zweiten und des dritten Hilfsantrags zusammen erörtert werden, da der technische Gegenstand dieser Ansprüche sich nur marginal unterscheidet.
24. Das beanspruchte System besteht im Wesentlichen aus einer Zentralstation, die mit mehreren ersten (berichterstattenden) Verkaufsstellen verbunden ist, die der Zentralstation Verkaufsdaten liefern, mit denen sich der Absatz (Produktvertrieb, Verkaufsvolumen) von mindestens einer anderen (nicht berichterstattenden) Verkaufsstelle schätzen lässt. Es ist unstreitig, dass Dokument D1 in Bezug auf ein derartiges System ein relevanter Stand der Technik und ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist.
25. Dokument D1 offenbart - in der Terminologie der vorliegenden Anmeldung - ein System mit mehreren ersten Verkaufsstellen (Abb. 1: Geschäft 1,..., Geschäft N), die Daten zum Absatz/Verkaufsvolumen/Vertrieb generieren (Identifizierung des Einzelhandelsgeschäfts, Datum der Transaktion, universeller Produktcode (UPC), gekaufte Menge usw., die eine Warenkorbanalyse ermöglichen, s. Spalte 7, Z. 19 bis 45).
Dieses bekannte System umfasst eine Zentralstation ("Zentralstelle 24", s. Abb. 1 und 7), die diese Verkaufsdaten über einen Datenempfänger ("Telefon 102") von jeder der ersten Verkaufsstellen erhält (s. Spalte 11, Z. 14 bis 23, und Spalte 16, Z. 19 bis 35). In einem Speicher ist eine Datenbank mit Daten zu jeder der Verkaufsstellen gespeichert ("sehr große Direktzugriffsspeicher-Vorrichtung DASD 112", s. insbesondere Spalte 16, Z. 40 bis 45). In dieser Datenbank sind die für eine Marktanalyse benötigten Daten gespeichert, beispielsweise kennzeichnende Daten und geografische Daten (s. Spalte 7, Z. 21 f. und Spalte 19, Z. 66 ff.).
Ein Zentralprozessor/Prozessor ("Zentralprozessor 110", "Zentralprozessor 114", siehe Abb. 7 und Spalte 16, Z. 49 bis 55) verarbeitet die Daten, beispielsweise anhand von "statistischen Berechnungen, die erforderlich sind, um Ausgabeberichte für Kunden des Marktforschungssystems zu erstellen".
26. Das beanspruchte System gemäß den vorliegenden Anträgen unterscheidet sich hiervon durch folgende Merkmale:
- Es gibt mindestens eine andere Verkaufsstelle, die keine Verkaufsdaten/Produktvertriebsdaten generiert und/oder nicht mit der Zentralstation verbunden ist.
- Das System führt eine andere Marktanalyse aus; die Verkaufsdaten, die geografischen Daten und die sonstigen kennzeichnenden Daten werden verarbeitet, um Schätzwerte zum Absatz/Produktvertrieb/Verkaufsvolumen in mindestens einer anderen Verkaufsstelle mithilfe eines in der vorliegenden Anmeldung speziell offenbarten Verfahrens und eines Algorithmus zu erhalten.
27. Der Beitrag zum Stand der Technik besteht in der Verwendung des bekannten Systems zur Durchführung einer neuartigen Marktanalyse, die sich von den in Dokument D1 offenbarten statistischen Berechnungen unterscheidet und daher die Implementierung eines neuen Algorithmus zur Verarbeitung der Verkaufsdaten und zur Erzeugung der gewünschten Informationen über die nicht berichterstattenden Verkaufsstellen erfordert. Dies impliziert jedoch nicht den Einsatz irgendeines neuen technischen Mittels. Der Beitrag zum Stand der Technik ist daher auf die Implementierung des neuen Algorithmus beschränkt.
28. Aus den vorstehenden Gründen sind der neue Algorithmus und das Verfahren zum Schätzen des Absatzes in einer nicht berichterstattenden Verkaufsstelle Teil eines betriebswirtschaftlichen Forschungsverfahrens und tragen nicht zur Lösung irgendeiner technischen Aufgabe bei. Sie sind daher bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Acht zu lassen. Der einzige technische Aspekt des beanspruchten Systems, nämlich die Verwendung eines Prozessors zur Implementierung des nichttechnischen Verfahrens und des entsprechenden Algorithmus, ist das naheliegende Resultat der Verwendung von Computersystemen für Marktanalysen wie beispielsweise in Dokument D1. Infolgedessen sind der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 3 mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar (Art. 56 EPÜ).
Unzulässige Änderungen (vierter und fünfter Hilfsantrag)
29. Anspruch 1 des vierten und des fünften Hilfsantrags ist jeweils gerichtet auf eine "Vorrichtung zur Bestandsführung auf der Grundlage des Absatzes eines Produkts in Verkaufsstellen". In der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung wird die Bestandsführung jedoch nicht als Gegenstand der Erfindung offenbart. Die gesamte Anmeldung ist auf die Schätzung des Absatzes in mindestens einer nicht berichterstattenden Verkaufsstelle gerichtet (siehe z. B. die Zusammenfassung der Erfindung auf S. 4 bis 10 und die Ansprüche in der ursprünglich eingereichten Fassung). Der knappe Hinweis "zur ordentlichen Bestandsführung" auf Seite 1 bezieht sich nur auf den Hintergrund der Erfindung und nicht auf die tatsächlich in der Anmeldung offenbarte Erfindung. Den Anmeldungsunterlagen lässt sich nichts entnehmen, was den fachkundigen Leser auf den Gedanken bringen könnte, die Schätzung von Verkaufsdaten in einer nicht berichterstattenden Verkaufsstelle mit Bestandsführung in Verbindung zu bringen, geschweige denn darauf, wie die Schätzwerte in die Bestandsführung einfließen sollten.
Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, ein solcher Gedanke ergebe sich für den fachkundigen Leser in naheliegender Weise aus der ursprünglichen Offenbarung. Dies genügt jedoch nicht den nach Artikel 123 (2) EPÜ anzulegenden Maßstäben, wonach Änderungen sich unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglichen Offenbarung herleiten lassen müssen. Anspruch 1 des vierten und des fünften Hilfsantrags ist daher nach Artikel 123 (2) EPÜ zurückzuweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.