T 1396/15 15-04-2020
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Hörtestverfahren
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Einsprechenden legten Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den gemeinsam eingelegten Einspruch zurückzuweisen. In der angefochtenen Entscheidung wurde entschieden, dass die vorgebrachten Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) und b) EPÜ betreffend die Anforderungen der Artikel 53 c), 54, 56 und 83 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegenstünden.
II. Die Einsprechenden (Beschwerdeführerinnen) beantragten in der Beschwerdeschrift und der Beschwerdebegründung, sowie im späteren Schreiben vom 12. April 2018, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Weitere Anträge, insbesondere einen Antrag zur Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, stellten die Beschwerdeführerinnen nicht.
III. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag) oder hilfsweise das Patent auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 28. Dezember 2015 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 aufrechtzuerhalten. Für den Fall, dass der Hauptantrag nicht gewährbar sein sollte, wurde hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt.
IV. Die folgenden Dokumente sind für diese Entscheidung von Bedeutung:
E1: J. Verschuure et al.: "Intelligibility of interrupted meaningful and nonsense speech with and without intervening noise", Perception & Psychophysics, 1983, 33(3), Seiten 232-240
E6: C. Lorenzi et al.: "Speech perception problems of the hearing impaired reflect inability to use temporal fine structure", PNAS, 5. Dezember 2006, Bd. 103, Nr. 49, Seiten 18866-18869
E8: D. Gnansia et al.: "Effect of masker modulation depth on speech masking release", Hearing Research, 239, 2008, Seiten 60-68
D1: G.C. Stecker et al.: "Perceptual training improves syllable identification in new and experienced hearing aid users", Journal of Rehabilitation Research and Development, Bd. 43, Nr. 4, 2006, Seiten 537-551
D3: C. Füllgrabe et al.: "Masking release for consonant features in temporally fluctuating background noise", Hearing Research, Bd. 211, 2006, Seiten 74-84
V. Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) lautet wie folgt:
"1. Verfahren zum Test des Hörvermögens einer Person durch:
a) Bereitstellen einer Hörtestanwendung auf einem über ein Netzwerk zugänglichen Computer,
b) Aufruf der Hörtestanwendung durch die Person über das Netzwerk mittels eines persönlichen Computers der Person,
c) Auswahl und Darbietung eines akustischen Sprachsignals in Form wenigstens einer sinnlosen Silbe,
d) Darstellung der sinnlosen Silbe und eine Anzahl weiterer sinnlosen Silben auf einer grafischen Benutzeroberfläche des persönlichen Computers,
e) Auswahl einer gehörten sinnlosen Silbe aus den dargestellten sinnlosen Silben durch den Benutzer,
f) Auswertung der getroffenen Auswahl,
g) Wiederholen der Verfahrensschritte c) bis f), bis ein Abbruchkriterium erreicht ist,
[h)] wobei dem dargebotenen Sprachsignal ein Störsignal, insbesondere Rauschen, überlagert wird,
[i)] wobei ein fluktuierendes Störsignal überlagert wird,
[j)] gekennzeichnet dadurch, dass das Sprachsignal jeweils im Bereich eines Minimums des fluktuierenden Störgeräusches dargeboten wird."
Ansprüche 2 bis 4 sind abhängige Ansprüche.
VI. Die von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Ausführbarkeit
Merkmal j) im Anspruch 1 werde durch unklare Parameter definiert. Insbesondere sei unklar, was die Begriffe "im Bereich", "Minimum" und "fluktuierendes" Störgeräusch bedeuten sollten. Der Fachmann könne diese Begriffe auf vielfältigste Weise interpretieren, so dass es nicht zumutbar sei herauszufinden, in welchem Fall optimale Resultate erreicht würden, um die gestellte Aufgabe zu lösen.
Neuheit
Der Einspruchsabteilung werde zugestimmt, dass D1 die Merkmale a) bis i) offenbare. Ein "speech spectrum noise", wie es D1 offenbare, würde definitionsgemäß fluktuieren. Das Merkmal j) sei so unklar, dass es ungeeignet sei, eine Abgrenzung zum Stand der Technik herzustellen (T 728/98). Der Begriff der jeweiligen Darbietung des Sprachsignals, insbesondere im Bereich des Minimums des Störgeräusches, und der Begriff eines fluktuierenden Störgeräusches seien unklar. Nach dieser Definition könne das Sprachsignal irgendwo in der Nähe des Minimums eines fluktuierenden Störgeräusches dargeboten werden. Auch in T 1459/05, und nachfolgend in T 1440/08 und G 3/14, sei entschieden worden, dass ein vages und unklares Merkmal keinen wesentlichen, eindeutigen und für die Prüfung unter Artikel 54 und 56 EPÜ notwendigen Unterschied zum Stand der Technik definieren könne.
Erfinderische Tätigkeit
Der nächstliegende Stand der Technik sei zunächst D1. Es sei nicht plausibel, dass der Hörtest auf Grund des Unterscheidungsmerkmals j) reproduzierbarer oder zuverlässiger werde. Der einzige Effekt, den das Unterscheidungsmerkmal j) überhaupt haben könnte, sei ein nicht-technischer Effekt in den Hörorganen der zu testenden Person. Demzufolge werde durch das beanspruchte Verfahren keine objektive technische Aufgabe gelöst, so dass das Verfahren auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe. In mehreren Entscheidungen sei hervorgehoben worden, dass der Gegenstand eines Anspruch nicht erfinderisch sei, wenn die Unterscheidungsmerkmale zum Stand der Technik keinen technischen Effekt begründeten (T 1741/08, T 530/07, T 641/00, T 619/02 und T 154/04).
Aus der Kombination der Dokumente D1 mit E6 oder D1 mit E8 ergäbe sich das beanspruchte Verfahren in naheliegender Weise. Aus E6 sei der Effekt des "dip listening" und "glimpsing" bereits bekannt, wonach das Sprachsignal in Tälern ("dips") des Störgeräusches dargeboten werde. Merkmal j) des Anspruchs 1 sei so zu verstehen, dass das Sprachsignal in der Gegend des Minimums des Störgeräusches dargeboten werde. Mit dieser Interpretation offenbare auch E8 Merkmal j).
Auch wenn man von E8 als nächstem Stand der Technik ausginge, würde der Fachmann mit seinem Fachwissen oder der Lehre aus D1 zum beanspruchten Verfahren gelangen.
VII. Die von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Ausführbarkeit
Bei einem sinusförmig fluktuierenden Störsignal würde der Fachmann, wie in der Entscheidung unter Punkt 11.2 zutreffend festegestellt worden sei, das "Tal" (also den Bereich des Minimums) gängigerweise mit der negativen Halbwelle der Fluktuation gleichsetzen. Nach dem Merkmal j) müsse das fluktuierende Störgeräusch somit ein hinreichend weites (d.h. zeitlich ausgedehntes) Tal aufweisen, in dem das gesamte Sprachsignal dargeboten werde. Die in Absatz [0016] der Patentschrift vorgeschlagene Ausführung des Verfahrens mit zufällig amplitudenmoduliertem Rauschen als Störgeräusch sei somit von dem Fachmann geradlinig umsetzbar. Hörtests, bei denen Logatome mit unterlagertem fluktuierendem Störgeräusch dargeboten werden, seien an sich Stand der Technik (Absatz [0006] des Patents).
Neuheit
Dem Dokument D1 sei keine Offenbarung zu einer eventuellen Fluktuation des Geräusch-Samples während der Sprachausgabe zu entnehmen, so dass das Merkmal i) als neu gegenüber D1 betrachtet werden müsse. Das Merkmal j) sei ein klares Merkmal, das der Fachmann dahingehend verstünde, dass das gesamte Sprachsignal (also das gesamte gesprochene Logatom) in dem Bereich des Minimums des fluktuierenden Störgeräusches enthalten sein müsse. Das im Anspruchswortlaut enthaltene Wort "jeweils" bestätige diesen Aussagegehalt. Wie unter Punkt 11.2 der Entscheidung zutreffend festgestellt worden sei, würde der Fachmann bei einem sinusförmigen fluktuierenden Störsignal das "Tal", also den Bereich des Minimums, gängigerweise mit der negativen Halbwelle der Fluktuation gleichsetzen. Nach dem Merkmal j) müsse das fluktuierende Störgeräusch somit ein hinreichend weites (d.h. zeitlich ausgedehntes) Tal aufweisen, in dem das gesamte Sprachsignal dargeboten werde.
Erfinderische Tätigkeit
Der Hörtest des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem aus D1 insbesondere darin, dass das Sprachsignal in den Minima eines fluktuierenden Störgeräusches dargeboten wird (Merkmal j)). Dadurch werde der Hörtest reproduzierbarer und zuverlässiger, im Einklang mit Absatz [0017] des Patents. Keines der herangezogenen Zweitdokumente, E6 und E8, die sich auf den Effekt des "dip listening" oder "glimpsing" bezögen, offenbarten oder legten das Unterscheidungsmerkmal j) nahe. Ganz im Gegenteil, in diesen Dokumenten hätten die Täler des fluktuierenden Störgeräusches eine wesentlich geringere zeitliche Ausdehnung als das überlagerte Sprachsignal. Somit ergäbe sich das Merkmal j) nicht aus der Zusammenschau der Dokumente D1 und E6 bzw. D1 und E8, und auch nicht aus E8 selber bzw. aus E8 in Kombination mit D1.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Erfindung
Das Patent betrifft ein Verfahren zum Test des Hörvermögens einer Person. Bei derartigen Verfahren ist es üblich, dass neben oder zusätzlich zu der Veränderung der Lautstärke der dargebotenen akustischen Signale auch Störsignale überlagert werden (Absatz [0005] des Patents). Vielen schwerhörigen Personen fällt es nämlich besonders schwer, Sprache bei gleichzeitigem Störlärm zu verstehen.
Bei dem beanspruchten Verfahren wird im Wesentlichen dem dargebotenen Sprachsignal ein fluktuierendes Störgeräusch überlagert, wobei das Sprachsignal im Bereich eines Minimums des fluktuierenden Störgeräusches dargeboten wird. Es sei bemerkt, dass im Anspruch zwei leicht unterschiedliche Begriffe - "fluktuierendes Störsignal" und "fluktuierendes Störgeräusch" - verwendet werden, die aber offensichtlich ein und dasselbe Merkmal bezeichnen.
3. Artikel 100 b) EPÜ
3.1 Die Beschwerdeführerinnen beanstanden, dass das Merkmal j) im Anspruch 1 durch unklare Parameter definiert werde. Insbesondere sei unklar, was die Begriffe "im Bereich", "Minimum" und "fluktuierendes" Störgeräusch bedeuten sollten. Der Fachmann könne diese Begriffe auf vielfältigste Weise interpretieren, so dass es nicht zumutbar sei herauszufinden, in welchem Fall optimale Resultate erreicht würden, um die gestellte Aufgabe zu lösen.
3.2 Die Kammer ist von diesen Einwänden nicht überzeugt. Der Fachmann würde als fluktuierendes Störgeräusch insbesondere ein amplitudenmoduliertes Rauschen heranziehen, wie es im Absatz [0016] des Patents erwähnt wird. Derartige amplitudenmodulierte Rauschsignale für Hörtestverfahren werden ferner in D3 offenbart (siehe Figur 1), das im Absatz [0006] des Patents zitiert wird. Das Patent offenbart ferner im Absatz [0017], das Sprachsignal im "Bereich eines Minimums des fluktuierenden Störsignals" anzuordnen, was der Fachmann in naheliegender Weise so interpretieren würde, dass das Sprachsignal innerhalb eines "Tals" des amplitudenmodulierten Rauschsignals anzuordnen ist.
3.3 Nach Ansicht der Kammer offenbart das Patent somit die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann, im Einklang mit den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ.
4. Neuheit
4.1 Dokument D1 offenbart einen Test des Hörvermögens einer Person, bei dem dem dargebotenen Sprachsignal ("stimuli") ein Störgeräusch ("speech-spectrum noise") überlagert wird (Seite 540, letzter Absatz). In D1 wird ferner offenbart, dass das Sprachsignal in Form einer Silbe mit einer Länge von 280 bis 850 ms während eines 1200 ms andauernden Störgeräusches dargeboten wird.
4.2 Die Offenbarung der Anspruchsmerkmale a) bis h) in D1 ist unstrittig. Die Beschwerdegegnerin bestritt hingegen die Offenbarung des Anspruchsmerkmals i), wonach das Störgeräusch fluktuiert, und des Anspruchsmerkmals j), wonach das Sprachsignal jeweils im Bereich eines Minimums des fluktuierenden Störgeräusches dargeboten wird.
4.3 Die Kammer ist der Meinung, dass D1 Anspruchsmerkmal i) offenbart, jedoch nicht Anspruchsmerkmal j). Die Gründe sind wie folgt.
4.3.1 Dem in D1 verwendeten Begriff eines "speech-spectrum noise" ist bereits inhärent entnehmbar, dass das Störgeräusch Frequenzen des Sprachspektrums aufweist. Mit diesen Frequenzen oszilliert oder fluktuiert das Störgeräusch. Folglich ist in D1 auch Merkmal i) offenbart.
4.3.2 Die Beschwerdeführerinnen waren der Auffassung, dass das Merkmal j) so unklar sei, dass es ungeeignet sei, eine Abgrenzung zum Stand der Technik herzustellen (T 728/98). Der Begriff der jeweiligen Darbietung des Sprachsignals, insbesondere im Bereich des Minimums eines fluktuierenden Störgeräusches, und der Begriff eines fluktuierenden Störgeräusches selber seien unklar. Auch in T 1459/05, und nachfolgend in T 1440/08 und G 3/14, sei entschieden worden, dass ein vages und unklares Merkmal keinen wesentlichen, eindeutigen und für die Prüfung unter Artikel 54 und 56 EPÜ notwendigen Unterschied zum Stand der Technik definieren könne.
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerinnen ist die Kammer der Auffassung, dass dem Merkmal j) eine klare temporale Zuordnung von zwei erzeugten akustischen Signalen zu entnehmen ist, und zwar die, dass die Darbietung oder Präsentation des Sprachsignals im Bereich eines Minimums des Störgeräusches stattfindet. Der Fachmann würde dieser Definition sinnvoller Weise die Bedeutung zusprechen, wonach das fluktuierende Störgeräusch ein temporal derart ausgeprägtes Minimum (oder "Tal") besitzt, dass das dargebotene Sprachsignal temporal darin hineinpasst. Die zusätzliche von den Beschwerdeführerinnen suggerierte Bedeutung, wonach das Sprachsignal lediglich irgendwo in der Nähe des Minimums des fluktuierenden Störgeräusches darzubieten sei, würde der Fachmann auf Grund ihrer Unbestimmtheit nicht ernsthaft in Betracht ziehen.
4.3.3 D1 offenbart, dass das fluktuierende Störgeräusch ("speech-spectrum noise" mit einer Länge von 1200 ms) vor dem Start einer Silbe (mit einer Länge von 280 bis 850 ms) startet und nach der Silbe endet (Seite 540, letzter Absatz). Über die Ausgestaltung des Störgeräusches und der Zuordnung der Silben zu einem Minimum desselben wird in D1 nichts gesagt. Folglich wird in D1 nicht offenbart, dass das Sprachsignal im Bereich eines Minimums des fluktuierenden Störgeräusches dargeboten wird.
4.3.4 Anspruchsmerkmal j) begründet daher die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber D1. Anspruch 1 erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ.
5. Erfinderische Tätigkeit
D1 als nächster Stand der Technik
5.1 Es ist unter den Parteien strittig, ob das Unterscheidungsmerkmal j) einen technischen Effekt besitzt, und welcher dieser sein könnte.
Gemäß Absatz [0017] ist der Effekt dieses Unterscheidungsmerkmals , dass der Test besonders zuverlässige und gute Ergebnisse erzielt. Es ist nach Meinung der Kammer durchaus plausibel, dass mittels Merkmal j) ein sogenanntes "dip listening" erfolgt, wonach der Hörer das Sprachsignal in Tälern des Störsignals angeboten bekommt und somit leichter wahrnehmen kann (bei besserem signal-to-noise ratio SNR). Ein derartiges "dip listening" oder "listening in the background dips" ist aus Dokument E6 bereits bekannt (Abstract, letzte zwei Sätze), das im Absatz [0006] des Patents erwähnt wird. Das Patent erwähnt ebenfalls auf Spalte 3, Zeilen 9-12, dass die Sensitivität des Hörtests aus einer Variation des SNR-Verhältnisses resultiert. Es ist jedoch von der Beschwerdegegnerin nicht plausibel gezeigt worden, dass der Hörtest dadurch reproduzierbarer oder zuverlässiger wird, wenn das Sprachsignal in den Minima eines fluktuierenden Störgeräusches dargeboten wird (s.a. Punkt 14.2 der angefochtenen Entscheidung, letzte zwei Absätze).
Da der von der Beschwerdegegnerin angegebene technische Effekt nicht plausibel erscheint, ist die zu lösende objektive technische Aufgabe darin zu sehen, ein zu D1 alternatives Hörtestverfahren bereitzustellen.
5.2 Die Beschwerdeführerinnen waren der Auffassung, dass der einzige Effekt, den das Unterscheidungsmerkmal j) überhaupt haben könnte, bestenfalls ein nicht-technischer Effekt in den Hörorganen der zu testenden Person sei. Demzufolge werde durch das beanspruchte Verfahren keine objektive technische Aufgabe gelöst, so dass das Verfahren auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe. In mehreren Entscheidungen sei hervorgehoben worden, dass der Gegenstand eines Anspruch nicht erfinderisch sei, wenn die Unterscheidungsmerkmale zum Stand der Technik keinen technischen Effekt begründeten und somit keine technische Aufgabe lösten (T 1741/08, T 530/07, T 641/00, T 619/02 und T 154/04).
5.3 Ein Hörtestverfahren, bei dem akustische Signale mittels einer dazu geeigneten Vorrichtung erzeugt werden, ist eindeutig technischer Natur. Ein akustisches Signal ist ein physikalisches Phänomen, das durch technische Mittel erzeugt wird. Der alleinige Umstand, dass die beim Hörtest erzeugten akustischen Signale von einem Menschen sensoriell wahrgenommen werden und somit zwangsläufig neuronale Prozesse auslösen, hat auf den technischen Charakter des Verfahrens keinen Einfluss. Wenn dem nicht so wäre, wäre jedwedes technische Verfahren, dass eine sensorielle oder neuronale Response beim Menschen produziert, aus dem Grund als nicht-technisch anzusehen.
Das beanspruchte Hörtestverfahren ist somit ein technisches Verfahren. Daraus folgt, dass die Aufgabe, ein zu dem aus dem nächstliegenden Stand der Technik bekanntes alternatives Hörtestverfahren bereitzustellen, ebenfalls technischer Natur ist. Im vorliegenden Fall sind die technischen Schallerzeugungsmittel des nächstliegenden Standes der Technik derart zu ändern, dass die beanspruchte temporale Zuordnung des erzeugten Sprachsignals zum Störgeräusch entsprechend Merkmal j) erfolgt. Dadurch wird plausibler Weise das "dip listening" und folglich die Aussagekraft des gesamten Hörtestverfahrens verändert. Bereits der Grund, dass im vorliegenden Fall eine zu lösende technische Aufgabe vorliegt, unterscheidet diesen Fall von der Rechtsprechung, die die Beschwerdeführerinnen diesbezüglich zitierten.
5.4 Keines der herangezogenen Zweitdokumente, E6 und E8, offenbart oder legt das Unterscheidungsmerkmal j) nahe.
5.4.1 Dokument E6 bezieht sich eher generell auf den Effekt des "dip listening" oder "glimpsing", demzufolge das menschliche Gehör kurzzeitige "Täler" in einem Hintergrundrauschen nutzt, um einen von dem Hintergrundrauschen gestörten Sprachstrom zu identifizieren und somit ein verbessertes Sprachverständnis zu erzielen (Zusammenfassung, letzte zwei Sätze). Die Länge der "Täler" oder "dips" eines sinusoidal modulierten Hintergrundrauschens wird im Absatz zwischen Seiten 18867 und 18868 mit Verweis auf die Publikation [17], d.h. D3, angesprochen, wobei die Modulationsfrequenz des Hintergrundrauschens mit 8 Hz angegeben wird (siehe Fig. 1 von D3). Bei einer Modulation mit 8 Hz haben die Täler eine Länge von nur etwa 60 ms, die wesentlich kürzer als die von Sprachsignalen in Form von Silben ist, die in D1 eine Länge von 280 bis 850 ms besitzen. Folglich ist es nicht möglich, die Sprachsignale innerhalb eines derart kurzzeitigen Minimums des Störgeräusches von E6 unterzubringen. Aus der Kombination von D1 und E6 würde folglich der Fachmann das Sprachsignal nicht innerhalb eines Minimums des Störgeräusches, also "im Bereich eines Minimums des fluktuierenden Störgeräusches", darbieten.
5.4.2 In dieser Beziehung ist die Situation in E8, das sich ebenfalls mit dem oben beschriebenen "glimpsing" beschäftigt, analog zu E6. In E8 haben die Täler des fluktuierenden Störgeräusches eine zeitliche Ausdehnung von lediglich 16 bis 60 ms (Seite 61, linke Spalte, 2. Absatz), während das Sprachsignal eine wesentlich längere Ausdehnung von 648 ms besitzt (Seite 62, linke Spalte, 4. Absatz). Folglich ergibt sich für den Fachmann auch aus der Kombination von D1 und E8 nicht die Möglichkeit, das Sprachsignal innerhalb eines Minimums des Störgeräusches, also "im Bereich eines Minimums des fluktuierenden Störgeräusches", darzubieten.
5.5 Somit würde der Fachmann bei der Suche eines zu D1 alternativen Hörtestverfahrens aus der Kombination von D1 mit E6 oder D1 mit E8 nicht das Verfahren des Anspruchs 1 in Betracht ziehen.
5.6 E8 als nächster Stand der Technik
Die Beschwerdeführerinnen schlugen ebenfalls vor, von Dokument E8 als dem nächsten Stand der Technik auszugehen. Wie oben erläutert, wird in E8 nicht offenbart, das Sprachsignal "im Bereich eines Minimums des fluktuierenden Störgeräusches" darzubieten, wie im Anspruchsmerkmal j) definiert wird. Es ist von den Beschwerdeführerinnen auch nicht begründet worden, in wie fern dieses Merkmal für den von E8 ausgehenden Fachmann durch Hinzuziehung seines Fachwissens oder durch Kombination mit der Lehre aus D1 nahelag.
5.7 Die Kammer kommt folglich zu dem Schluss, dass das Verfahren des Anspruchs 1 das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ erfüllt. Dies gilt gleichfalls für die bevorzugten Ausführungen des Verfahrens der abhängigen Ansprüche 2 bis 4.
6. Die vorgebrachten Einspruchsgründe stehen daher der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen. Über die Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin ist folglich nicht zu entscheiden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.