T 0213/85 (Beschwerdebegründung II) 16-12-1986
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I. Auf die am 23. Februar 1979 mit schweizerischer Priorität vom 3. März 1978 eingereichte europäische Patentanmeldung 79 100 533.3 wurde am 22. September 1982 das europäische Patent 4002 erteilt.
II. Gegen die Patenterteilung legten zwei Einsprechende Einspruch ein: Die eine Einsprechende (I) machte unter Bezugnahme auf vorher noch nicht in Betracht gezogenen Stand der Technik mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend; die andere Einsprechende (II) berief sich auf fehlende Neuheit, da das beanspruchte Produkt bereits vor dem maßgebenden Prioritätsdatum im Handel erhältlich gewesen sei.
III. Durch Entscheidung vom 21. Juni 1985 wies die Einspruchsabteilung den Einspruch I als zwar zulässig, aber unbegründet zurück; den Einspruch II verwarf sie als unzulässig. Auf die Gründe für die Zurückweisung des Einspruches I braucht hier nicht eingegangen zu werden, da hiergegen keine Beschwerde erhoben wurde.
Die Verwerfung des Einspruches II als unzulässig wurde im wesentlichen damit begründet, bei einem Angriff auf die Neuheit obliege es der Einsprechenden, innerhalb der Einspruchsfrist die Identität zwischen dem Patentgegenstand und dem Stand der Technik so vollständig darzulegen, daß dazu abschließend Stellung genommen werden könne. Dies habe die Einsprechende II unterlassen, da aus den genannten Beweismitteln kein Zusammenhang zwischen dem beanspruchten und dem dort beschriebenen Produkt erkennbar, insbesondere keine Identität ableitbar sei.
IV. Die Einsprechende II (jetzige Beschwerdeführerin) hat am 16. August 1985 gegen diese Entscheidung Beschwerde erhoben und hat die vorgeschriebene Gebühr entrichtet. Mit einem am 21. Oktober 1985 eingegangenen Schreiben hat sie u.a. einen vierseitigen, mit "Mémoire de recours" überschriebenen Schriftsatz sowie eine Reihe in einer gleichzeitig überreichten Liste aufgeführter neuer Beweismittel vorgelegt, aus denen nunmehr die Identität der beanspruchten mit den vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents auf dem Markt befindlichen Produkten hervorgehen soll. Sie erläutert dies in ihrem "Mémoire ..." im einzelnen, ohne jedoch auf die im vorangehenden Absatz zusammengefaßten Ausführungen der angefochtenen Entscheidung einzugehen.
V. In einem Zwischenbescheid hat die Kammer auf bestehende Bedenken hingewiesen, ob diese Begründung der Beschwerde für deren Zulässigkeit ausreicht. Hierzu hat die Beschwerdeführerin innerhalb der gesetzten Äußerungsfrist nicht mehr Stellung genommen.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 und 107, ferner den Sätzen 1 und 2 von Art. 108 sowie Regel 64 EPÜ. Ihre Zulässigkeit hängt daher einzig davon ab, ob das innerhalb von vier Monaten nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung eingegangene "Mémoire ..." eine "Begründung" der Beschwerde im Sinne von Art. 108, Satz 3, enthält.
2. Schon aus dem unmittelbaren Wortsinn des in Art. 108, Satz 3, EPÜ verwendeten Ausdrucks "begründen" ergibt sich, daß eine Beschwerdebegründung, um dem Zulässigkeitskriterium der angezogenen Gesetzesbestimmung zu genügen, angeben muß, warum die angefochtene Entscheidung nach Auffassung des Beschwerdeführenden keinen Bestand haben kann, oder - wie es in Satz 2 des Leitsatzes der Entscheidung T 220/83, ABl. EPA 1986, 249, heißt - "aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen die Entscheidung aufgehoben werden soll". Die Beschwerdebegründung darf sich also inhaltlich nicht darin erschöpfen, die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu behaupten; denn damit ginge sie aussagegemäß nicht über das hinaus, was implizit bereits mit der Beschwerdeerhebung als solcher zum Ausdruck kam.
3. Wenn in der angezogenen Entscheidung, wo eine bestimmte Druckschrift in erster Instanz eine entscheidende Rolle gespielt hatte, für die Zulässigkeit der Beschwerde gefordert wurde, daß sich die Beschwerdebegründung "mit diesem Dokument im einzelnen auseinandersetzt" (Punkt 4, Zeilen 24 bis 29, a.a.O., Seite 251), so ergibt sich daraus ganz allgemein, daß sich eine für die Zulässigkeit einer Beschwerde ausreichende Begründung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen muß. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die vorgetragenen Argumente auch tatsächlich durchgreifen, d.h. die angestrebte Rechtsfolge herbeizuführen vermögen; wohl aber darauf, daß Umstände dargetan werden, die die vertretene Auffassung stützen und ihrer Natur nach grundsätzlich dafür in Frage kommen, die vorinstanzlichen Entscheidungsgründe zu erschüttern.
4. Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz die Verwerfung des Einspruchs II als unzulässig damit begründet, daß Angaben, die nach ihrer Meinung innerhalb der neunmonatigen Einspruchsfrist hätten erbracht werden müssen, damals unter blieben waren. Damit ist gegenüber der Beschwerdeführerin keine Entscheidung in der Sache, d.h. über die Rechtsbeständigkeit des Patents, ergangen; die angegriffene Entscheidung beschränkt sich vielmehr auf die Verfahrensfrage der Zulässigkeit des Einspruches. Die Beschwerdeführerin hat nun zwar im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung durch Vorlage neuen Beweismaterials das nach Ansicht der Vorinstanz Versäumte möglicherweise nachgeholt; sie hat jedoch nicht einmal behauptet, geschweige denn zu begründen versucht, sie habe das, was von ihr innerhalb der neunmonatigen Einspruchsfrist zurecht gefordert werden konnte, auch tatsächlich getan; ihr Einspruch sei daher zulässig gewesen und folglich zu Unrecht als unzulässig verworfen worden. Mit anderen Worten hat sich die Beschwerdeführerin auf fehlende Patentfähigkeit des Patentgegenstandes berufen und es unterlassen, den tragenden Grund der angefochtenen Entscheidung, nämlich das behauptete Fehlen einer ausreichenden Einspruchsbegründung, anzugreifen. Ein solcher Angriff ist in der Beschwerdebegründung weder ausdrücklich enthalten, noch können die dortigen Ausführungen der Beschwerdeführerin in diese Richtung gedeutet werden. Sie hat ihre Beschwerde somit nicht im Sinne von Art. 108, Satz 3, begründet; denn ist ein Einspruch wegen ungenügender Begründung als unzulässig verworfen worden und setzt sich die Beschwerdebegründung allein mit der Patentierbarkeit auseinander, ohne die Zulässigkeit des Einspruches darzulegen, so ist die Beschwerde mangels ausreichender Begründung unzulässig.
5. Mangels einer zulässigen Beschwerde kann weder geprüft werden, ob die Einspruchsabteilung die Frage der Zulässigkeit des Einspruches zutreffend beurteilt hat, noch ist zu untersuchen, ob die nunmehr vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstünden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.