J 0007/82 (Wegfall des Hindernisses) 23-07-1982
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1. Regel 78(2) letzter Satz EPÜ, wonach die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt angesehen wird, ist für die Zwecke des Artikels 122 EPÜ nicht auf Fälle anzuwenden, in denen der Eingang einer Mitteilung nach Regel 69(1) EPÜ zur Bestimmung des Zeitpunkts maßgeblich ist, zu dem ein der Einhaltung einer Frist entgegenstehendes Hindernis weggefallen ist. In diesen Fällen ist der Zeitpunkt des tatsächlichen Eingangs beim Anmelder maßgeblich.
2. Wenn eine Entscheidung das Vorbringen eines Beteiligten nicht berücksichtigt und auf einen Grund gestützt wird, zu dem sich der Beteiligte nicht äussern konnte, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr kann nach Regel 67 EPÜ auch dann angeordnet werden, wenn sie nicht beantragt worden ist, sofern die in dieser Regel dafür genannten Bedingungen erfüllt sind.
Wegfall des Hindernisses
Wiedereinsetzung
Rechtliches Gehör
Wesentlicher Verfahrensmangel
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
I. Am 6. September 1979 reichte der Beschwerdeführer in den Vereinigten Staaten von Amerika die internationale Anmeldung Nr. 79901231.5 nach dem Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens ein; er nahm dabei die Priorität einer am 6. September 1978 eingereichten US-Patentanmeldung in Anspruch und benannte 8 Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens, in denen ein europäisches Patent begehrt wurde.
II. Die nationale Gebühr, die Recherchengebühr und die Benennungsgebühren wurden nicht innerhalb der in Artikel 22(1) (3) PCT und in Regel 104b(1) EPÜ vorgeschriebenen Fristen, die am 6. Juni 1980 abliefen, entrichtet.
III. In einer Mitteilung vom 5. August 1980 unterrichtete die Eingangsstelle des EPA den Beschwerdeführer nach Regel 69(1) EPÜ davon, daß die Anmeldung als zurückgenommen gelte, da diese Gebühren nicht innerhalb eines Monats nach Ablauf der Frist nach Artikel 22(1) PCT gezahlt worden seien.
IV. Der Beschwerdeführer beantragte keine Entscheidung nach Regel 69(2) EPÜ; hingegen beantragte sein europäischer zugelassener Vertreter am 9. Juni 1981 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ, nachdem am 5. Juni 1981 die bis dahin unbezahlten Gebühren und eine Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet worden waren. Die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nach Artikel 122(2) Satz 3 EPÜ wäre normalerweise am 6. Juni 1981 abgelaufen, wurde jedoch aufgrund der Regel 85(1) EPÜ bis zum nächstfolgenden Arbeitstag, nämlich dem 9. Juni 1981, verlängert.
V. Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vor, daß er die Frist zur Zahlung der nationalen Gebühr, der Recherchengebühr und der Benennungsgebühren nicht habe einhalten können, weil er nicht in der Lage gewesen sei, die erforderlichen finanziellen Mittel aufzubringen. Er habe später das Geld von den US-Patentanwälten geliehen, die versuchten, ihm bei der Finanzierung der Entwicklung und Vermarktung seiner Erfindung zu helfen, indem sie der Öffentlichkeit Anteile an seinem Unternehmen zum Kauf anböten. Für den vorliegenden Zweck kann darauf verzichtet werden, das sonstige Vorbringen des Beschwerdeführers und die übrigen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags abgegebenen Erklärungen zusammenzufassen.
VI. In der angefochtenen Entscheidung der Eingangsstelle des EPA vom 29. Dezember 1981 wurde die Auffassung vertreten, daß der Antrag auf Wiedereinsetzung unzulässig sei. Als Begründung dafür wurde angegeben, daß er bis zum 6. Oktober 1980 hätte eingereicht werden müssen, da nach Ansicht der Eingangsstelle bei der Berechnung der in Artikel 122(2) Satz 1 EPÜ vorgeschriebenen Frist von 2 Monaten nach Wegfall des Hindernisses von dem Datum der Mitteilung nach Regel 69(1) EPÜ ausgegangen werden mußte.
VII. Am 4. März 1982 legte der Vertreter des Beschwerdeführers Beschwerde gegen die Entscheidung der Eingangsstelle mit der Begründung ein, daß die Entscheidung rechtlich falsch sei, gegen die Bestimmungen des EPÜ verstoße und der Grund für die Nichteinhaltung der Frist nach Artikel 122(2) EPÜ in den fehlenden Mitteln des Beschwerdeführers gelegen habe; dieses Hindernis sei erst im Juni 1981 weggefallen. Der Beschwerdeführer sei deshalb der Ansicht, daß der Wiedereinsetzungsantrag zulässig sei und von der Sache her beurteilt werden müsse. Die Beschwerdegebühr wurde fristgerecht entrichtet.
VIII. Am 19. April 1982 reichte der Vertreter des Beschwerdeführers eine Beschwerdebegründung ein, der Kopien der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags abgegebenen Erklärungen beigefügt waren. In der Begründung wiederholte der Beschwerdeführer, daß das der fristgerechten Zahlung der Gebühren entgegenstehende Hindernis Geldmangel und nicht, wie offensichtlich von der Eingangsstelle angenommen, Unkenntnis der Frist gewesen sei. Er gab zu bedenken, daß der Beschwerdeführer sich größte Mühe gegeben habe, die entsprechenden Mittel aufzutreiben, und daß er den Wiedereinsetzungsantrag aus Gründen, die er nicht zu vertreten habe, erst im Juni 1981 habe stellen können.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Nach dem Vorbringen des Anmelders lag der Grund für die Nichteinhaltung der Frist nach Artikel 122(2) Satz 1 EPÜ in den ihm fehlenden Mitteln. Die Eingangsstelle entschied, daß das Erfordernis des Artikels 122(2) Satz 1 EPÜ nicht erfüllt sei, ohne auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen.
3. Aus welchen Gründen eine Frist nicht eingehalten worden ist, kann nur entschieden werden, wenn die jeweiligen Umstände berücksichtigt werden. Es kommt sicher häufig vor, daß eine Frist aus Unkenntnis oder Unachtsamkeit versäumt wird, so daß davon ausgegangen werden kann, daß das Hindernis durch eine Mitteilung nach Regel 69(1) EPÜ beseitigt wird; der vorliegende Fall ist jedoch anders gelagert.
4. Es ist zu bedenken, daß in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach Regel 69(1) EPÜ für die Zwecke von Artikel 122(2) EPÜ maßgebend ist, vom tatsächlichen Eingang der Mitteilung beim Beschwerdeführer und nicht, wie im vorliegenden Falle, von der Absendung der Mitteilung durch das EPA ausgegangen werden muß.
5. Daraus ergibt sich, daß die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Antrag an die Eingangsstelle zur Sachentscheidung zurückzuverweisen ist.
6. Da die angefochtene Entscheidung keines der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumente berücksichtigt und sich auf einen Grund gestützt hat, zu dem er sich nicht hatte äußern können (vgl. Artikel 113(1) EPÜ), entspricht es nur der Billigkeit, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ anzuordnen. Obwohl der Beschwerdeführer keinen entsprechenden Antrag gestellt hat, kann die Juristische Beschwerdekammer die Rückzahlung anordnen, da sie nicht auf die Anträge der Beteiligten beschränkt ist: Vgl. Artikel 114(1)EPÜ.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle des Europäischen Patentamts vom 29. Dezember 1981, daß ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in der europäischen Patentanmeldung Nr. 79901231.5 nicht zulässig ist, wird aufgehoben und der Antrag an die Eingangsstelle zur Sachentscheidung zurückverwiesen.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.