T 0428/98 (Wiedereinsetzung/KLIMA) 23-02-2001
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1. Wird der Anmelder durch eine Mitteilung des Amtes von einer Fristversäumnis in Kenntnis gesetzt, so entfällt das Hindernis für die Vornahme der versäumten Handlung im Sinne von Artikel 122 (2), Satz 1 EPÜ im Regelfall mit dem tatsächlichen Eingang der Mitteilung, mit der der Anmelder von der Versäumnis in Kenntnis gesetzt wird, wenn die Versäumnis bloß auf der bis dahin bestehenden Unkenntnis davon beruht hat, daß die Verfahrenshandlung nicht vorgenommen wurde. Die Zustellungsfiktion der Regel 78 (3) EPÜ (bis zum 31.12.1998 anwendbare Fassung) ist auf die Bestimmung des Zeitpunktes des Wegfalls des Hindernisses auch dann nicht anwendbar, wenn sich dies zulasten des Anmelders auswirkt, weil der tatsächliche Eingang der Mitteilung vor dem nach Regel 78 (3) EPÜ berechneten Zeitpunkt liegt (2.2).
2. Ein Beschwerdeführer darf auf eine nachweislich gegebene telefonische Auskunft des Geschäftsstellenbeamten der Kammer zur Art und Weise der Berechnung einer vom Beschwerdeführer vor der Kammer einzuhaltenden Frist vertrauen, wenn die der Auskunft zugrundeliegende Rechtsfrage in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden ist (2.2).
3. Zu den Sorgfaltsanforderungen an ein anwaltliches Fristüberwachungssystem gehört im allgemeinen, daß die Fristüberwachung nicht einer einzelnen Person überlassen wird, sondern zumindest ein wirksamer Kontrollmechanismus im gewählten System der Fristüberwachung eingebaut ist (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung, 3.5).
4. Die Nichtvorlage vorhandener Beweismittel trotz einer entsprechenden Aufforderung der Kammer kann als Indiz dafür gewertet werden, daß die Beweismittel den behaupteten Sachverhalt möglicherweise nicht bestätigen (3.6).
Wiedereinsetzung in Beschwerdebegründungsfrist
Rechtzeitigkeit des Antrags (ja)
Berechtigtes Vertrauen auf Auskunft
Glaubhaftmachung aller gebotenen Sorgfalt (nein)
Keine ausreichende Darlegung eines an sich effizient arbeitenden Fristüberwachungssystems
Nichtvorlage vorhandener Beweismittel trotz Aufforderung der Kammer dazu
Indiz für Zweifel an Wahrheitsgehalt
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 9. März 1998, mit der das europäische Patent Nr. 0 563 508, Anmeldenummer 92 890 079.4, in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde.
II. Beschwerdeführer ist der Einsprechende. Am 23. April 1998 legte er unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein.
III. Mit Schreiben vom 21. August 1998 teilte die Geschäftsstelle der Kammer dem Beschwerdeführer mit, daß seine Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht begründet worden sei und die Beschwerde daher gemäß Artikel 108 und Regel 65 (1) EPÜ voraussichtlich als unzulässig zu verwerfen sei. Auf Artikel 122 EPÜ (Wiedereinsetzung) wurde hingewiesen. Diese Mitteilung wurde den Vertretern des Beschwerdeführers ausweislich der Beschwerdeakte am 24. August 1998 zugestellt.
IV. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 1998, im Europäischen Patentamt eingegangen am 28. Oktober 1998, beantragte der Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung, entrichtete die Wiedereinsetzungsgebühr, und begründete die Beschwerde und seinen Antrag auf Wiedereinsetzung. Zur Begründung der Rechtzeitigkeit seines Wiedereinsetzungsantrages berief er sich auf Regel 78 (3) EPÜ (bis zum 31. Dezember 1998 geltende Fassung).
V. In einem ersten Bescheid teilte die Kammer ihre vorläufige Auffassung mit, daß es für den Beginn der Frist von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses, innerhalb der der Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß Artikel 122 (2), Satz 1 EPÜ zu stellen sei, darauf ankomme, bis zu welchem Zeitpunkt der Anmelder oder Patentinhaber tatsächlich gehindert gewesen sei, die versäumte Handlung nachzuholen. Die Zustellungsfiktion der Regel 78 (3) EPÜ sei in diesem Zusammenhang nicht anwendbar. Soweit ein Einsprechender gemäß der Entscheidung G 1/86, ABl. EPA 1987, 447) wieder in den vorigen Stand eingesetzt werden könne, seien die zur Auslegung von Artikel 122 EPÜ für Anmelder und Patentinhaber entwickelten Grundsätze anzuwenden. Deshalb sei das Hindernis für die Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist im vorliegenden Fall an dem Tag weggefallen, an dem der Vertreter des Beschwerdeführers auf die Fristversäumung aufmerksam gemacht worden sei. Dies sei der 24. August 1998, der Tag der Zustellung der Mitteilung der Geschäftsstelle vom 21. August 1998.
VI. Der Beschwerdeführer wandte sich gegen diese Rechtsansicht und verwies auf die Entscheidung J 29/94, ABl. EPA 1998, 147. Darüber hinaus erklärte er, ein Patentanwalt der ihn im vorliegenden Beschwerdeverfahren vertretenden Kanzlei habe im Auftrag seiner zugelassenen Vertreter am 13. Oktober 1998 ein Telefongespräch mit der Geschäftsstellenbeamtin der Kammer geführt. Dies sei auch bei Nichtanwendung der Zustellungsfiktion der Regel 78 (3) EPÜ rechtzeitig vor Ablauf der Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrages gewesen. Die Geschäftsstellenbeamtin der Kammer habe bestätigt, daß Regel 78 (3) EPÜ im Zusammenhang mit der Berechnung der Zwei-Monatsfrist nach Artikel 122 (2) EPÜ anzuwenden sei. Eine dies bestätigende eidesstattliche Versicherung des Patentantwaltes wurde vorgelegt.
VII. Auf Ersuchen der Kammer, sich zu dem behaupteten Vorgang dienstlich zu erklären, gab die Geschäftsstellenbeamtin der Kammer eine dienstliche Erklärung ab.
VIII. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages in der Sache trug der Beschwerdeführer folgendes vor:
Die für die Führung des Fristenkalenders in der Kanzlei zuständige Bürovorsteherin habe nach Zustellung der Entscheidung der Einspruchsabteilung die Beschwerdefrist und die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung notiert und habe als Fristablauf für die Einreichung der Beschwerdebegründung den 9. Juli 1998 notiert. Die Abläufe am 2. Juli 1998 könnten nicht mehr genau rekonstruiert werden. Jedoch habe die Bürovorsteherin aus auch ihr selbst unerklärlichen Gründen ohne direkte oder indirekte Anweisung die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung als erledigt gestrichen, ohne daß eine Beschwerdebegründung eingereicht worden sei. Die Bürovorsteherin habe bereits die ganze Woche und ganz besonders an diesem Tag unter starken Kopfschmerzen gelitten. Sie könne sich die Streichung der Frist nur mit ihrem schlechten Gesundheitszustand und mit einer möglichen Verwechslung des Verfahrens mit einem Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht erklären, bei dem eine Beschwerde nicht notwendigerweise begründet werden müsse. Die Bürovorsteherin sei seit 33 Jahren in der Kanzlei der Vertreter des Beschwerdeführers tätig, sei eine extrem zuverlässige Fachkraft und habe bis dahin noch keine Fristen versäumt. Die Patentanwälte der Kanzlei nähmen in regelmäßigen Abständen im Rahmen von Besprechungen, an denen auch die Bürovorsteherin teilnehme, Belehrungen in Bezug auf die Notwendigkeit sorgfältigen Arbeitens und die einzelnen Erfordernisse fristgebundener Tätigkeiten vor, wobei die damit verbundenen Rechtsfolgen betont würden. Der Beschwerdeführer legte diesem Vortrag inhaltlich entsprechende eidesstattliche Versicherungen der Bürovorsteherin und der den Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren vertretenen zugelassenen Vertreter vor.
IX. In einem weiteren Bescheid teilte die Kammer mit, im Hinblick darauf, daß die Frage nach der Anwendbarkeit der Zustellungsfiktion des Absatzes (3) der Regel 78 EPÜ bei der Bestimmung des Zeitpunktes des Wegfalls des Hindernisses in der Rechtsprechung der Kammern noch nicht ausdrücklich entschieden worden sei, sei die Kammer der vorläufigen Auffassung, daß der Beschwerdeführer für die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt er seinen Wiedereinsetzungsantrag einreichen mußte, von der telefonischen Auskunft der Geschäftsstellenbeamtin der Kammer habe ausgehen dürfen und daß der Wiedereinsetzungsantrag daher im vorliegenden Fall als rechtzeitig gestellt anzusehen sei.
Zur Frage, ob der Sachvortrag der Beschwerdeführerin die Schlußfolgerung rechtfertige, daß sie trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt an der Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist gehindert gewesen sei, wurde in dem Bescheid u. a. ausgeführt:
Zwar könne das versehentliche Streichen einer Beschwerdebegründungsfrist durch eine ansonsten zuverlässig arbeitende Mitarbeiterin, das auf vorübergehende gesundheitliche Schwierigkeiten dieser Mitarbeiterin zurückzuführen sei, einen isolierten Fehler darstellen, der eine Wiedereinsetzung rechtfertigen könne. Jedoch müsse in einem solchen Fall auch nachgewiesen werden, daß in der Kanzlei an sich ein effizient arbeitendes Fristüberwachungssystem bestanden habe, das nur aus den besonderen Gründen des Einzelfalles versagt habe. Zu den Sorgfaltsanforderungen an ein Fristüberwachungssystem gehöre nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern im allgemeinen, daß die Fristüberwachung nicht einer Person allein überlassen werde, sondern zumindest ein wirksamer Kontrollmechanismus im gewählten System der Fristüberwachung eingebaut sei. Dazu habe die Beschwerdeführerin bisher nichts vorgetragen. Daß die Anwälte der Kanzlei, wie die Beschwerdeführerin vorgetragen und durch eine eidesstattliche Versicherung der Patentanwälte Dr. Hafner und Stippl erhärtet habe, regelmäßig in Besprechungen, an denen auch die Bürovorsteherin teilgenommen habe, allgemein auf die Erfordernisse fristgebundener Tätigkeiten und die Bedeutung sorgfältigen Arbeitens hingewiesen hätten, sage nichts darüber aus, wie Kontrollen der Fristüberwachung und des korrekten Arbeitens der Mitarbeiter konkret durchgeführt wurden, falls sie vorgenommen worden seien. Auch sehe es die Kammer als üblich und zumutbar an, daß zum Nachweis der behaupteten Vorgänge alle damit zusammenhängenden vorhandenen Beweismittel vorgelegt würden, hier also nicht nur eine eidesstattliche Erklärung der betroffenen Mitarbeiterin, sondern z. B. auch der entsprechende Auszug aus dem Fristenkalender der Vertreter des Beschwerdeführers, auf den sich der Beschwerdeführer bezogen habe.
X. Darauf erwiderte der Beschwerdeführer wie folgt:
Die Kanzlei seiner Vertreter sei derzeit mit zwei Patentanwälten, zwei Rechtsanwälten, einer Patentassessorin und einer Volljuristin sowie einer Bürovorsteherin und jeweils mindestens zwei Anwaltsfachangestellten besetzt. Die mit der Fristüberwachung betrauten Angestellten seien somit speziell ausgebildete und erfahrene Kräfte.
Sofern eine Frist zu beachten sei, werde diese nicht nur im Hauptkalender notiert, sondern grundsätzlich auf einer Fristfahne an der Akte doppelt und deutlich sichtbar vermerkt, so daß bereits aus dem äußeren Erscheinungsbild der Akte hervorgehe, daß eine Frist notiert und zu beachten sei. Die Akte werde kurzfristig nach der ersten Fristnotierung dem Sachbearbeiter - Anwalt oder Assessor - vorgelegt, der die Aufgabe habe, die auf der Akte notierte Frist gegenzuprüfen. Darüber hinaus seien alle Angestellten der Kanzlei strikt angewiesen, bei jeder wesentlichen Bewegung der Akte erneut zu überprüfen, ob die Frist eingehalten sei. Auch würden die Mitarbeiter von Anwälten in täglichen Gesprächen und auch anhand von Einzelfällen immer wieder darauf hingewiesen, wie sorgsam die Fristüberwachung durchzuführen sei und daß die eingebauten Kontrollmechanismen strikt einzuhalten seien.
Weitere Beweismittel wurden nicht vorgelegt.
XI. Der Beschwerdegegner vertrat die Auffassung, daß die Beschwerde wegen verspäteter Begründung als unzulässig zu verwerfen sei. Der Beschwerdeführer habe nicht nachgewiesen, daß seine Vertreter die nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt hätten walten lassen. Es sei zu wenig, seine Angestellten auf ihre Pflichten hinzuweisen. Vielmehr müsse ein Vertreter dafür Sorge tragen, daß diese Pflichten auch erfüllt würden und nicht bei Kopfweh einer einzelnen Angestellten gröblichst vernachlässigt würden.
XII. Der Beschwerdeführer beantragt,
ihn in die Frist zu Einreichung der Beschwerdebegründung wiedereinzusetzen und das Patent zu widerrufen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. In vorliegendem Beschwerdeverfahren lief die Frist zur Begründung der gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 9. März 1998 eingelegten Beschwerde gemäß Artikel 108, Satz 3, Regel 78 (3) in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung, 83 (4) und 85 (1) EPÜ am 20. Juli 1998 ab. Die Einreichung der Beschwerdebegründung am 28. Oktober 1998 war daher verspätet. Gemäß Regel 65 (1) EPÜ ist eine Beschwerde, die nicht innerhalb der Frist des Artikel 108, Satz 3 EPÜ begründet wurde, als unzulässig zu verwerfen.
Zulässigkeit des Antrags auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist
2. Der Beschwerdeführer, der Einsprechender des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung war, hat mit seinem am 28. Oktober 1998 im Europäischen Patentamt eingegangenen Schriftsatz vom 27. Oktober 1998 beantragt, hinsichtlich der Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung wieder in den vorigen Stand eingesetzt zu werden.
2.1. Gemäß der Entscheidung G 1/86, ABl. EPA 1987, 447, der Großen Beschwerdekammer kann auch ein Beschwerdeführer, der Einsprechender ist, nach Artikel 122 EPÜ in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung wieder in den vorigen Stand eingesetzt werden. Die zur Auslegung von Artikel 122 EPÜ für Anmelder und Patentinhaber entwickelten Grundsätze sind anzuwenden.
2.2. Gemäß Artikel 122 (2), Satz 1 EPÜ ist der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses für die Einhaltung der Frist einzureichen.
Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers waren seine Vertreter an der Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist deshalb gehindert, weil die Bürovorsteherin der Kanzlei den als "9. Juli" notierten Termin für die Einreichung der Beschwerdebegründung am 2. Juli 1998 versehentlich als erledigt gestrichen habe. Die Kammer wertet dies dahin, daß der Beschwerdeführer vortragen will, seine Vertreter seien sich aufgrund dieser Streichung nicht bewußt gewesen, daß die Beschwerde nicht begründet worden war.
Daß dies nicht geschehen war, wußten sie jedoch jedenfalls ab dem 24. August 1998, dem Tag des Eingangs der entsprechenden Mitteilung der Geschäftsstelle. Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Beschwerde wurde mit dem am 28. Oktober 1998 im Europäischen Patentamt eingegangenen Schriftsatz beantragt und damit, vom 24. August an gerechnet, nach Ablauf von zwei Monaten.
Der Beschwerdeführer hat sich zur Begründung der Rechtzeitigkeit seines Wiedereinsetzungsantrages auf Regel 78 (3) EPÜ in der bis zum 31. Dezember 1998 anwendbaren Fassung berufen, nach der Briefe, hier die Mitteilung der Geschäftsstelle vom 21. August 1998, bei der Zustellung mittels eingeschriebenem Brief mit dem zehnten Tag nach der Abgabe zur Post als zugestellt gelten.
Die Kammer ist zwar der Auffassung, die sie auch in ihrem ersten Bescheid gegenüber den Parteien geäußert hatte, daß die Zustellungsfiktion der Regel 78 (3) EPÜ auf die Frage, wann bei einer Fristversäumnis das Hindernis für die Vornahme der versäumten Handlung im Sinne von Artikel 122 (2), Satz 1 EPÜ weggefallen ist, nicht anwendbar ist. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die Frage nach dem Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses eine Tatsachenfrage. Es kommt darauf an, bis zu welchem Zeitpunkt der Anmelder tatsächlich gehindert war, die versäumte Handlung vorzunehmen. Deshalb können für die Bestimmung dieses Zeitpunkts bei einer Mitteilung des Amtes die Zustellungsfiktionen der Regel 78 EPÜ nicht angewendet werden. Vielmehr entfällt das Hindernis, eine versäumte Handlung vorzunehmen, im Regelfall mit dem tatsächlichen Eingang der Mitteilung, mit der der Anmelder von der Versäumnis in Kenntnis gesetzt wird, wenn die Versäumis bloß auf der Unkenntnis davon beruht hat, daß die Verfahrenshandlung nicht vorgenommen wurde (ständige Rechtsprechung im Anschluß an J 7/82, ABl. EPA 1982, 391, Entscheidungsgründe 3 und 4, siehe insbesondere J 27/90, ABl. EPA 1993, 422, Sachverhalt III und Entscheidungsgründe 2.3, 2.4 und 2.5, jeweils erster Absatz).
Dies ist in Entscheidungen der Beschwerdekammern sowohl für die Fälle der Regel 78 (2), Satz 1 als auch der Regel 78 (3) EPÜ in der bis zum 31. Dezember 1998 anwendbaren Fassung anerkannt worden, soweit sich die Nichtanwendung der Zustellungsfiktionen zugunsten der Betroffenen auswirkte, weil sie eine Mitteilung des Amtes tatsächlich später als zu dem nach Regel 78 EPÜ berechneten Zeitpunkt erhalten hatten oder der Zugang der Mitteilung überhaupt nicht nachweisbar war (zu Regel 78 (2) EPÜ siehe J 7/82 aaO und LS I und z. B. J 22/92 vom 15. Dezember 1994, Entscheidungsgründe 3.3.2, zu Regel 78 (3) EPÜ J 15/84 vom 4. Juni 1985, Entscheidungsgründe 2 ff.).
Zwar kann nach Auffassung der Kammer der Grundsatz, daß es für die Frage nach dem Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses im Sinne von Artikel 122 (2) EPÜ auf den tatsächlichen Zeitpunkt ankommt, ab dem der Anmelder oder sein Vertreter von der Fristversäumung Kenntnis hatte oder haben mußte, nur einheitlich angewendet werden und muß deshalb auch dann gelten, wenn er sich im Einzelfall zulasten des Anmelders auswirkt. Auch dies ist in anderem Zusammenhang bereits in der Rechtsprechung anerkannt. So kann sich der Anmelder auch auf den Zeitpunkt einer Mitteilung des Amtes über eine Fristversäumnis als dem Zeitpunkt für den Wegfall des Hindernisses dann nicht berufen, wenn aus anderen Gründen feststeht, daß er bzw. sein Vertreter bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von der Fristversäumung hatte (J 17/89 vom 9. Januar 1990, Entscheidungsgründe 4 und 5, T 900/90 vom 9. Januar 1990, Entscheidungsgründe 2.2).
Jedoch ist die Frage, ob Regel 78 (3) EPÜ auch dann nicht auf die Bestimmung des Zeitpunktes des Wegfalls des Hindernisses im Sinne von Artikel 122 (2) EPÜ anwendbar ist, wenn sich dies zulasten des Anmelders auswirkt, in der Rechtsprechung der Kammern bisher noch nicht ausdrücklich behandelt worden, wenn auch einzelnen Entscheidungen, darunter gerade auch der von dem Beschwerdeführer für seine gegenteilige Auffassung zitierten Entscheidung J 29/94, ABl. EPA 1998, 147, eher die Tendenz zu entnehmen sein mag, daß es auch für diesen Fall auf den tatsächlichen Eingang der Mitteilung ankommt. So wird in der genannten Entscheidung unter 3 der Entscheidungsgründe ausgeführt, daß der Beschwerdeführer spätestens beim tatsächlichen Eingang der Mitteilung des EPA von seiner Fristversäumnis Kenntnis hatte. Sodann wird lediglich zugunsten des Beschwerdeführers davon ausgegangen, daß er die Miteilung nicht vor dem zehnten Tag nach Aufgabe zur Post (R. 78 (3) EPÜ) erhalten habe. Jedoch ist, soweit ersichtlich, bisher keine Beschwerdekammerentscheidung streitentscheidend auf die hier vertretene Auffassung gestützt worden.
Unter diesen Umständen durften die Vertreter des Beschwerdeführers nach Auffassung der Kammer für die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt sie ihren Wiedereinsetzungsantrag einreichen mußten, von der ihnen telefonisch gegebenen Auskunft der Geschäftsstellenbeamtin der Kammer ausgehen, daß Regel 78 (3) EPÜ auf die Berechnung des Fristablaufes der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages anzuwenden sei. Daß den Vertretern des Beschwerdeführers eine derartige Auskunft gegeben wurde, sieht die Kammer aufgrund der dienstlichen Erklärung der Geschäftsstellenbeamtin der Kammer als erwiesen an, auch wenn sich die Geschäftsstellenbeamtin nicht mehr an das genaue Datum dieses Telefongesprächs erinnern konnte, sondern nur daran, daß dies im Oktober 1998 gewesen sei. Da sie jedoch zugleich bekundet hat, daß ihr eine derartige Frage seit ihrem Dienstantritt am 1. März 1998 nur ein einziges Mal gestellt worden sei und ein Vertreter eine derartige Auskunft normalerweise zu einem Zeitpunkt einholen wird, in dem er notfalls auch bei einer negativen Antwort noch rechtzeitig tätig werden kann, vermag die Kammer der eidestattlichen Versicherung des Patentanwaltes aus der Kanzlei der Vertreter des Beschwerdeführers zu folgen, daß er diesen Telefonanruf bei der Geschäftsstelle am 13. Oktober 1998 und damit auch vom 24. August 1998 als dem Tag des Wegfalls des Hindernisses ausgehend rechtzeitig vor Ablauf der Frist für die Einreichung des Wiedereinsetzungsantrages getätigt habe. Der Beschwerdegegner hat dieser, im zweiten Bescheid der Kammer vorläufig mitgeteilten Betrachtungsweise nicht widersprochen.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist deshalb als rechtzeitig gestellt zu behandeln.
2.3. Da gleichzeitig mit Einreichung des Wiedereinsetzungsantrages die Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet und der Antrag sowie die Beschwerde begründet wurden, sind die Erfordernisse des Artikels 122 (2), Satz 2 und (3) EPÜ ebenfalls erfüllt. Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig.
Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrages
3. Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, daß er trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt im Sinne von Artikel 122 (1) EPÜ verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten.
3.1. Der Beschwerdeführer hat sich darauf berufen, daß die Beschwerdebegründungsfrist aufgrund eines einmaligen Versehens einer in der Kanzlei seiner Vertreter tätigen, äußerst zuverlässigen und erfahrenen Bürovorsteherin versäumt wurde. Die in der Kanzlei für die Führung des Fristenkalenders zuständige Bürovorsteherin habe am 2. Juli 1998 die mit dem 9. Juli 1998 als Tag des Fristablaufs notierte Beschwerdebegründungsfrist im Fristenkalender versehentlich als erledigt gestrichen.
3.2. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern im Anschluß an die Entscheidung J 5/80, ABl. EPA 1981, 343, kann im Fall der Vertretung des Anmelders durch einen zugelassenen Vertreter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur gewährt werden, wenn auch der Vertreter die in Artikel 122 (1) EPÜ von dem Anmelder verlangte Sorgfalt beachtet hat. Zwar kann sich der Vertreter für die Erledigung von Routinearbeiten Hilfspersonen bedienen. Dazu ist das Notieren und Überwachen von Fristen als solches im Regelfall zu rechnen. Auch hat die Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß an die Sorgfalt der Hilfspersonen nicht die gleichen strengen Anforderungen wie an die des Anmelders oder seines Vertreters gestellt werden können (J 5/80, aaO, Entscheidungsgründe 6).
3.3. Es ist als Sinn der Wiedereinsetzung in ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern anerkannt, daß nicht schon ein einmaliges Versehen in einem ansonsten gut funktionierenden System zu einem endgültigen Rechtsverlust führen soll. (Siehe die Nachweise aus der Rechtsprechung in: Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (Rechtsprechung), 3. Auflage 1998, VI-E, 9.2.2.)
3.4. Das versehentliche Streichen einer Beschwerdebegründungsfrist durch eine ansonsten zuverlässig arbeitende Mitarbeiterin, das auf vorübergehende gesundheitliche Schwierigkeiten dieser Mitarbeiterin zurückzuführen ist, kann einen isolierten Fehler darstellen.
3.5. Jedoch muß in einem solchen Fall nach ständiger Rechtsprechung auch nachgewiesen werden, daß in der Kanzlei an sich ein effizient arbeitendes Fristüberwachungssystem bestand (Rechtsprechungsnachweise in: Rechtsprechung aaO), das nur aus den besonderen Gründen des Einzelfalles versagt hat. Zu den Sorgfaltsanforderungen an ein Fristüberwachungssystem gehört nach der Rechtsprechung im allgemeinen, daß die Fristüberwachung nicht einer Person allein überlassen wird, sondern zumindest ein wirksamer Kontrollmechanismus im gewählten System der Fristüberwachung eingebaut ist (Rechtsprechung, VI-E, 9.2.3, siehe z. B. T 828/94 vom 18. Oktober 1996, Entscheidungsgründe 2 ff., m. w. Nachw. aus der Rspr.).
Dazu haben die Vertreter des Beschwerdeführers jedoch auch nach einem ausdrücklichen Hinweis der Kammer auf diese Rechtslage nichts vorgetragen. Sie haben in Beantwortung des Bescheids lediglich erklärt, eine Frist werde in ihrer Kanzlei nicht nur im Fristenkalender, sondern auch auf einer Fristfahne an der Akte doppelt und deutlich sichtbar vermerkt und die Akte werde kurzfristig danach dem Sachbearbeiter zugeleitet, der die notierte Frist gegenzuprüfen habe. Es wurden jedoch keinerlei weitere Ausführungen dazu gemacht, auf welche Weise sichergestellt wird, daß die notierte Frist auch eingehalten wird. Für ein wirksames Fristüberwachungssystem ist es nicht genügend, eine Frist zu notieren. Es muß auch ein Mechanismus der Erinnerung an die Frist oder der Wiedervorlage der Akte vorhanden sein, der sicherstellt, daß die Akte dem Bearbeiter rechtzeitig vor Fristablauf zur Bearbeitung vorliegt. Zur Organisation der Büroabläufe und der Aktenbehandlung insoweit haben die Vertreter des Beschwerdeführers jedoch überhaupt nichts vorgetragen. Sie haben insbesondere auch nicht das Vorhandensein irgendeines Kontrollmechanismus dargelegt, sei es z. B. in Form einer Gegenkontrolle der Fristüberwachung durch eine weitere Person oder durch andere Maßnahmen, wie etwa eine computergestützt generierte Fristerinnerung. Daß - wie die Vertreter des Beschwerdeführers vorgetragen haben - alle Angestellten der Kanzlei strikt angewiesen sind, bei jeder "wesentlichen Bewegung" der Akte die Einhaltung der Frist zu überprüfen, ist nicht genügend, da es vom Zufall abhängt, ob Akten, in denen Fristen zu wahren sind, rechtzeitig vor Fristablauf aus anderen Gründen, z. B. wegen einer Anfrage oder Instruktion des Mandanten, "wesentlich bewegt" werden. Eine derartige allgemeine Anweisung ist daher nicht geeignet, bei einem Versehen der mit der Fristüberwachung betrauten Person für den Normalfall noch sicherzustellen, daß fristgebundene Akten dem Bearbeiter trotz des Versehens noch rechtzeitig vor Fristablauf vorliegen, ganz abgesehen davon, daß der Begriff der "wesentlichen Aktenbewegung" alles andere als klar ist. Im vorliegenden Fall ist die Akte jedenfalls offensichtlich nicht "wesentlich bewegt" worden, da die Vertreter des Beschwerdeführers erst durch die Mitteilung der Geschäftsstellenbeamtin über den Rechtsverlust darauf aufmerksam wurden, daß sie die Beschwerdebegründungsfrist versäumt hatten.
Dem Vortrag der Vertreter des Beschwerdeführers entsprechend ist deshalb für das vorliegende Verfahren davon auszugehen, daß das versehentliche Streichen der Beschwerdebegründungsfrist durch die Bürovorsteherin die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nach sich gezogen hat, und daß, da irgendwelche anderen systematischen, d. h. auf den jeweiligen Termin bezogenen Überwachungs- oder Kontrollmechanismen trotz Hinweises der Kammer auf die Notwendigkeit entsprechenden Vortrags nicht dargelegt wurden, ein der Bürovorsteherin unterlaufender Fehler zwangsläufig zur Versäumung der Frist führen mußte, falls nicht ein anderer Mitarbeiter der Kanzlei zufällig noch rechtzeitig auf die Akte und die Tatsache aufmerksam wurde, daß die Frist zwar im Fristenkalender als erledigt gestrichen, in der Akte selbst jedoch keine Erledigung zu verzeichnen war.
Lediglich unter ganz besonderen Umständen in Fällen, in denen das Büro des Vertreters aus einer kleinen Arbeitseinheit bestand, in der er im wesentlichen allein für die sachliche Bearbeitung der Akten verantwortlich und der Umfang erforderlicher Fristüberwachung damit entsprechend begrenzt war, sowie auch die Fristüberwachung durch eine intensive persönliche Zusammenarbeit des Vertreters mit seiner Hilfskraft gekennzeichnet war, haben die Beschwerdekammern die erforderliche Sorgfalt durch den Vertreter als gewahrt angesehen, obwohl ein genereller, von der für die Fristenkontrolle zuständigen Person unabhängiger Kontrollmechanismus nicht vorgesehen war, siehe z. B. J 31/90 vom 10. Juli 1992, Entscheidungsgründe 4 ff. und T 166/87 vom 16. Mai 1988, Entscheidungsgründe 2. Der Ausnahmecharakter dieser Wertung ist betont worden. Eine vergleichbare Sachlage ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers ist die Kanzlei seiner Vertreter mit zwei zugelassenen Vertretern und zwei Rechtsanwälten, sowie je einem Patentassessor und einem Volljuristen besetzt, also mit sechs hauptberuflich tätigen Personen, die sich mit gewerbliche Schutzrechte betreffenden Verfahren befassen. Deren Bearbeitung ist regelmäßig fristgebunden, mit unmittelbaren negativen Rechtsfolgen für den Mandanten, wenn eine Frist nicht eingehalten wird. Der Fristüberwachung kommt daher in einer solchen Kanzlei bedeutungs- wie umfangsmäßig großes Gewicht zu.
3.6. Darüber hinaus verbleiben für die Kammer auch unter Berücksichtigung der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin aufgrund des Prozeßverhaltens der Vertreter des Beschwerdeführers im vorliegenden Verfahren Zweifel daran, ob sich der von dem Beschwerdeführer vorgetragene Sachverhalt der Eintragung und Streichung der Beschwerdebegründungsfrist in der Kanzlei der Vertreter des Beschwerdeführers tatsächlich so wie behauptet zugetragen hat. In diesem Fall hätte es für die Vertreter des Beschwerdeführers ein Leichtes sein müssen, die dafür vorhandenen schriftlichen Beweismittel, z. B. eine Kopie der Eintragungen des Fristenkalenders und der Fristfahne der Akte zur Erhärtung der Angaben der Bürovorsteherin in ihrer eidesstattlichen Versicherung vorzulegen, über deren Zustandekommen die Kammer sich kein Bild machen kann. Zu einer Vorlage aller im Zusammenhang mit den behaupteten Geschehnissen vorhandenen schriftlichen Beweismittel, insbesondere eines Auszuges aus dem Fristenkalender, auf den sich der Beschwerdeführer bezogen hat, waren dessen Vertreter durch den zweiten Bescheid der Kammer auch ausdrücklich aufgefordert. Daß trotzdem keinerlei schriftliche Beweismittel eingereicht wurden, die nach dem Vortrag des Beschwerdeführers vorhanden sein müßten, und auch keinerlei Erklärung darüber abgegeben wurde, warum dies nicht geschah, wertet die Kammer als Indiz, daß die genannten Schriftstücke den behaupteten Sachverhalt möglicherweise nicht bestätigt hätten.
4. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung war daher zurückzuweisen und die Beschwerde gemäß Artikel 108, Satz 3, Regel 65 (1) EPÜ als unzulässig zu verwerfen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.