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T 0197/86 (Photographische Kuppler) 04-02-1988
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Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Vergleichsversuche, Voraussetzungen hierfür
I. Gegen das europäische Patent Nr. 28 099, das am 23. November 1983 mit sechs Ansprüchen auf die europäische Patentanmeldung Nr. 80 303 642.5 erteilt worden war, wurde am 20. August 1984 unter Berufung auf Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ Einspruch eingelegt. Im Rahmen des Einspruchs wurden dem Patent unter anderem folgende Schriften entgegengehalten:
b) US-A-3 446 622
K. Venkatamaran, "The Chemistry of Synthetic Dyes", Academic Press, New York und London, Band IV (1971), Kapitel VI: J. Bailey und L. A. Williams, "The Photographic Color Development Process", Seiten 360, 361, 367, 370, 371 und Tabelle VI
US-A-3 880 661
II. Anspruch 1 des angefochtenen Patents lautet wie folgt: Photographischer Blaugrünkuppler mit der Strukturformel
(FORMEL)
wobei
X Wasserstoff oder eine abkuppelnde Gruppe und
R eine Ballastgruppe ist.
III. Mit Entscheidung vom 25. April 1986 wurde der Einspruch von der Einspruchsabteilung zurückgewiesen und das Patent in unveränderter Form aufrechterhalten. Die Entscheidung wurde wie folgt begründet: Zwar könne ausgehend vom strukturell nächstliegenden Stand der Technik nach Dokument d, das (insbesondere in Gestalt des Kupplers Nr. 9, Spalte 7) eine spezifische Kupplerverbindung mit der vorstehenden Formel I, jedoch ohne die para-Cyanosubstitution offenbare, eine Kombination der Dokumente d und c zu einem unter den Schutzumfang des Anspruchs I fallenden Erzeugnis führen, da c die Einführung eines p-Cyanosubstituenten in die Phenylgruppe mit einer bathochromen Verschiebung (größeren Wellenlänge des Absorptionsmaximums) in Verbindung bringe. Der Fachmann habe jedoch offenbar keinen Grund gehabt, die beiden Dokumente zu kombinieren oder gerade diesen nächstliegenden Stand der Technik zur Abwandlung auszuwählen.
IV. Am 28. Juni 1986 legte die Einsprechende Beschwerde ein ... Kurz vor der mündlichen Verhandlung gingen am 22. und am 28. Januar 1988 noch gesonderte Schriftsätze der Beschwerdeführerin mit Versuchsberichten als Beweismitteln ein. Ein weiteres Dokument wurde von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Der letztere der beiden Schriftsätze sowie das weitere Dokument wurden von der Kammer gemäß Artikel 114 (2) EPÜ unberücksichtigt gelassen, nachdem die Beschwerdegegnerin ihren späten Eingang und ihre mangelnde Relevanz beanstandet hatte.
V. Die Beschwerdeführerin brachte in ihren Schriftsätzen und bei der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgende Argumente vor:
i) Der nächstliegende Stand der Technik sei der Kuppler Nr. 9 des Dokuments d; angesichts dessen sei die technische Aufgabe ausschließlich darin zu sehen, die Absorptionsmaxima ( max) der resultierenden Farbstoffe soweit wie möglich zu erhöhen.
ii) Gemäß Dokument c sei mit einer elektronenanziehenden Substitution des Phenylkerns im Kuppler - im Sinne einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit - eine Verschiebung zu längeren Wellenlängen verbunden, wobei für die para-Cyanosubstitution eine maximale Verschiebung auf 711 nm offenbart sei; da für Farbnegative Absorptionsmaxima über 700 nm erforderlich seien, wäre der Fachmann entgegen der Feststellung der Einspruchsabteilung auf den Gedanken gekommen, der allgemeinen Gesetzmäßigkeit zu folgen und Dokument c mit Dokument d zu kombinieren.
iii) Da eine solche Kombination nahegelegen habe, sei auch ein etwaiger zusätzlicher Vorteil (wie die Abnahme der Halbbandbreite der Absorptionsbande, HBW) unvermeidlich und könne nicht die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit rechtfertigen.
iv) Die Vergleichsversuche, die die Beschwerdegegnerin zum Nachweis der zusätzlichen Wirkung einer HBW-Verringerung vorgelegt habe, seien für diesen Zweck nicht geeignet, da kein echter Vergleich vorgenommen und der Erfindung nicht der strukturell nächstliegende Kuppler aus dem Stand der Technik gegenübergestellt worden sei.
VI. Die Beschwerdegegnerin setzte dem im wesentlichen folgende Argumente entgegen:
i) Das Dokument d bilde zwar anerkanntermaßen den nächstliegenden Stand der Technik, doch komme ihm das Dokument c nicht nahe genug, um die von der Beschwerdeführerin angestrebte Kombination zu rechtfertigen.
ii) Die Lehre des Dokuments c stelle keine allgemeine Gesetzmäßigkeit dar, sondern sei nur eine Zusammenfassung bestimmter Versuchsergebnisse.
iii) Die entscheidende Wirkung einer HBW-Verringerung sei weder in den Entgegenhaltungen c und d noch in den anderen entgegengehaltenen Dokumenten erwähnt.
iv) Es seien genaue Vergleiche der erfindungsgemäßen Kuppler mit anderen Kupplern angestellt worden, die sich von den ersteren nur durch die fehlende para-Cyanogruppe unterschieden.
(...)
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Das angefochtene Patent bezieht sich auf phenolische Blaugrünkuppler und ihre Verwendung in photographischen Emulsionen und Verfahren.
Der strukturell nächstliegende Stand der Technik gemäß Dokument d offenbart - als Kuppler Nr. 9 - eine spezifische farbstoffbildende Kupplerverbindung mit der Formel
(FORMEL)
die damit der vorstehenden Formel I entspricht, wobei die Ballastgruppe R
(FORMEL)
und X = H ist,
die para-Cyanosubstitution jedoch fehlt. Die technische Aufgabe ist in der Bereitstellung eines Kupplers zu sehen, der Farbstoffe ergibt, die einerseits eine schmalere Halbbandbreite der Absorptionsbande (HBW) als die in Dokument d offenbarten haben und andererseits im langwelligeren Teil des roten Spektralbereichs absorbieren, lichtecht und stabil gegen Eisen++-Ionen sind.
3. Diese Aufgabe wurde im angefochtenen Patent durch Einführung einer Cyanogruppe in die para-Stellung des über eine 2- Ureidogruppe gebundenen Phenylkerns gelöst. Die Kuppler haben ferner eine Amido-Ballastgruppe in der 5- Stellung des Phenolkerns sowie Wasserstoff oder eine abkuppelnde Gruppe in der 6-Stellung wie im Stand der Technik, tragen jedoch die eingeführte -CN-Gruppe in der para-Stellung des Ureidophenylkerns (siehe vorstehende Formel I). Die Ballastgruppe R soll verhindern, daß der Kuppler diffundiert, wenn er in einer photographischen Emulsionsschicht festgehalten werden soll. Die X-Gruppe wird freigesetzt, wenn der Kuppler mit einem Oxidationsprodukt des Farbentwicklers reagiert und einen Blaugrünfarbstoff bildet.
Diese Farbstoffe sollen nicht nur dieselben Eigenschaften wie die des nächstliegenden Stands der Technik haben, nämlich i) gute Lichtechtheit, ii) Absorptionsmaxima im langwelligeren Teil des roten Spektralbereichs ( max > 650 nm) und iii) gute Beständigkeit gegen die in Bleichbädern üblicherweise enthaltenen Fe++-Ionen, sondern auch iv) verbesserte, enge Spektralabsorptionsbanden aufweisen, wie sie mit der Halbbandbreite beschrieben werden. Daß die Lichtechtheit und die Beständigkeit gegen Fe++-Ionen mit der Ureidobindung bzw. der Amido-Ballastgruppe in 5-Stellung einhergehen, war bereits bekannt.
4. Den Grundsätzen zufolge, die in der hochrelevanten Entscheidung T 181/82, "Spiroverbindungen" (ABl. EPA 1984, 401) aufgestellt wurden, müssen sich Vergleichsversuche, wenn diese als Beweismittel für eine unerwartete Wirkung vorgelegt werden, bei vergleichbarem Anwendungsgebiet auf Vergleichsverbindungen größtmöglicher Strukturnähe zum Erfindungsgegenstand beziehen. Im vorliegenden Fall stimmten die beiden Beteiligten darin überein, daß die Verbindung, die dem beanspruchten Gegenstand strukturell am nächsten kommt und zum veröffentlichten Stand der Technik gehört, der Kuppler Nr. 9 des Dokuments d ist. Bei Anwendung der vorstehend angesprochenen Grundsätze auf den vorliegenden Fall scheint von den erfindungsgemäßen Kupplern der Kuppler Nr. 5 die größte strukturelle Ähnlichkeit mit dem Kuppler Nr. 9 des Dokuments d zu haben, da X jeweils gleich ist und in beiden Fällen der t-Butylsubstituent an der Phenylgruppe des Ballasts erscheint. Gemäß der Erklärung von Dr. Bass vom 4. Dezember 1981 wurden mit den Entwicklern A und B die nachstehenden Ergebnisse erzielt. Die Zahlen für max und HBW sind in nm angegeben.
(TABELLE) Demnach bewirkt der Kuppler des angefochtenen Patents im Vergleich zur nächstliegenden Verbindung aus dem Stand der Technik in beiden Fällen eine Erhöhung von max und eine HBW-Verringerung. Nach den in der Entscheidung "Spiroverbindungen" aufgestellten Grundsätzen liegt damit ein in jeder Hinsicht korrekter Vergleich vor.
Auf dieser Grundlage ist die ursprünglich gestellte Aufgabe durch den Gegenstand des angefochtenen Patents somit glaubhaft gelöst worden.
(...)
6. Im Zusammenhang mit der erfinderischen Tätigkeit stellen sich zwei Fragen:
6.1 Im Hinblick auf die Frage, welcher Art die durch die Erfindung erzielten Wirkungen eigentlich sind, hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, daß die in den Beispielen des angefochtenen Patents angestellten Vergleiche keinen richtigen Nachweis für die Abhängigkeit der schmaleren HBW vom Merkmal p- CN- bei gleichem oder höherem max erbrächten, da sich die für den Vergleich ausgewählten Kuppler aus dem Stand der Technik durch mehr als einen Parameter von dem getesteten Kuppler des angefochtenen Patents unterschieden, so z. B. durch eine unterschiedliche Ballastgruppe und/oder abkuppelnde Gruppe oder durch weitere oder andere Substituenten an dem über eine Ureidogruppe gebundenen Phenylkern. Deshalb sei nicht bewiesen worden, daß eine etwaige HBW-Verringerung tatsächlich nur auf die Gegenwart des Unterscheidungsmerkmals der para-Cyanogruppe am Phenylkern zurückzuführen sei.
6.1.1. Die Kritik der Beschwerdeführerin setzt daran an, daß sich selbst der Kuppler Nr. 5 durch mehr als nur die para-Cyanogruppe vom Kuppler Nr. 9 des Dokuments d unterscheidet. So ist insbesondere die Ballastgruppe eine andere. In dem Maße, wie die Wahl der Ballastgruppe max und/oder HBW beeinflußt, werden die aus dem Vergleich des Kupplers Nr. 9 mit dem Kuppler Nr. 5 gezogenen Rückschlüsse auf die Rolle der para-Cyanogruppe relativiert. Man könnte auch sagen, daß ein solcher Vergleich nur nachdrücklich die Überlegenheit einer Kombination von fünf Substituenten, d. h. der Cyanogruppe und der besonderen Merkmale des Ballasts, belegt. Hier stellt sich dann jedoch die Frage nach dem Schutzumfang, d. h. danach, inwieweit die besonderen Beweismittel belegen können, daß die anderen unter den Gattungsanspruch fallenden Verbindungen nicht naheliegend sind. Allerdings ist es nun Aufgabe der Beschwerdeführerin als Einsprechende, im Einspruchsverfahren zu beweisen, daß in dieser Hinsicht keine erfinderische Tätigkeit vorliegt (vgl. T 219/83, "Zeolithe", ABl. EPA 1986, 211), wenn die Prüfungsabteilung diese Frage vor der Erteilung nicht aufgeworfen hat.
6.1.2. Die Beschwerdegegnerin hat ihren Anspruch jedoch mittlerweile stärker untermauert, indem sie freiwillig Vergleiche mit Varianten vorgelegt hat, die zwar nicht ausdrücklich zum Stand der Technik gehören, sich aber von den beanspruchten getesteten Kupplern nur durch die para-Cyanogruppe unterscheiden. Dies ist ein zusätzlicher Beitrag zur Klärung des Sachverhalts, der über die aus der Entscheidung T 181/82 resultierenden Verpflichtungen hinausgeht und einen Anspruch stützen könnte, in dem die Ballastgruppe breiter definiert wird, so daß die Cyanogruppe als einziges kennzeichnendes Merkmal, d. h. als einziges Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Stand der Technik, übrigbleibt. Den für diese Vergleiche herangezogenen Varianten fehlte gegenüber bestimmten beanspruchten Kupplern nur die para- Cyanogruppe (s. Schriftsatz der Beschwerdegegnerin vom 14. Januar 1987 und von der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 22. Januar 1988 eingereichte Erklärung von Dr. Bass für die Beschwerdegegnerin). Aus den Zahlen in Anlage I des Schriftsatzes vom 14. Januar 1987 (die den Angaben im Affidavit entsprechen) ist beispielsweise ersichtlich, daß die Kuppler Nr. 1, 5 und 7 gemäß dem angefochtenen Patent höhere Absorptionsmaxima und geringere HBW ergeben als die Vergleichskuppler, die zwar H anstelle der para-Cyanogruppe haben, sonst aber identisch sind. Für den Kuppler Nr. 5 werden im Vergleich zum entsprechenden Kuppler mit -H anstelle von -CN je nach Entwickler folgende max- und HBW-Werte angegeben:
(TABELLE)
Daraus ergibt sich offensichtlich, daß es bei para- Cyanosubstitution immer zu einer Erhöhung von max und gleichzeitiger HBW-Verringerung kommt. Die vorstehende Tabelle läßt ferner erkennen, daß die Größenordnung der HBW-Verringerung nicht in vorhersagbarer Weise mit dem Umfang der max-Erhöhung korreliert; im angegebenen Fall geht die größere HBW-Verringerung mit der geringeren Erhöhung von max einher (Entwickler A).
6.1.3. Angesichts dieser freiwilligen Vergleiche neigt die Kammer der Auffassung der Beschwerdegegnerin zu, da die vorteilhafte Wirkung der para-Cyanogruppe eindeutig nachgewiesen wird. Einer früheren Entscheidung (T 35/85 vom 16.12.86) zufolge kann der erforderliche Beweis durch "Vergleichsversuche mit neu hergestellten Varianten des nächstliegenden Standes der Technik" erbracht werden, "wobei die mit der Erfindung gemeinsamen Merkmale so gewählt werden, daß sie identisch sind, so daß eine näher an der Erfindung liegende Variante zur Verfügung steht und die den Unterscheidungsmerkmalen der Erfindung zuzuschreibende vorteilhafte Wirkung damit eindeutiger nachgewiesen wird". Im vorliegenden Fall ist die Kammer zu dem Schluß gelangt, daß dann, wenn Vergleichsversuche durchgeführt werden, um eine erfinderische Tätigkeit mit einer verbesserten Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich nachzuweisen, der Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik so angelegt sein muß, daß die Wirkung überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung zurückgeführt wird. Hierfür kann es erforderlich sein, die Vergleichselemente so abzuwandeln, daß sie nur in diesem Unterscheidungsmerkmal von der Erfindung abweichen (in Ergänzung zu T 181/82, "Spiroverbindungen", ABl. EPA 1984, 401). Dies wurde dadurch erreicht, daß nicht beanspruchte Varianten des Stands der Technik ohne para-Cyanosubstitution als genaues Gegenstück zu den drei als Beispielen angeführten Verbindungen aus dem beanspruchten Bereich hergestellt und die Wirkungsunterschiede, die ausschließlich der Cyanogruppe zuzuschreiben waren, verglichen wurden. Die Kritik der Beschwerdeführerin, daß die Vergleichsverbindung im Stand der Technik nicht auffindbar sei, ist daher unangebracht, da die Beweismittel genau die unerwarteten Verbesserungen belegen, die sich auf direktem Weg zu der Erfindung ergeben.
(...)
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
6.4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit. Dasselbe gilt für die abhängigen Ansprüche und die Verwendungsansprüche, die die beanspruchten Kuppler umfassen.
Damit stehen die Einspruchs- und Beschwerdegründe der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.