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T 0176/84 (Stiftspitzer) 22-11-1985
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Erfinderische Tätigkeit
Relevanter Stand der Technik
Stand der Technik - relevanter
I. Die am 27. November 1980 angemeldete, unter der Nummer 0 031 470 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nummer 80 107 426.1, für die die Priorität einer früheren Anmeldung vom 29. November 1979 in Anspruch genommen wird, ist von der Prüfungsabteilung 087 durch Entscheidung vom 14. März 1984 zurückgewiesen worden. Der Entscheidung lagen die am 4. Oktober 1983 eingegangenen Patentansprüche zugrunde.
II. Die Prüfungsabteilung führt in der Entscheidung aus, der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, und begründet ihre Auffassung unter Hinweis auf die deutschen Offenlegungsschriften 2 819 134 und 1 960 978.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Anmelderin am 10. Mai 1984 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, und die Beschwerde in einem am 13. Juli 1984 eingegangenen Schriftsatz begründet.
IV. In der mündlichen Verhandlung am 18. Dezember 1984 beantragt die Anmelderin, das Patent mit dem gleichzeitig überreichten Patentanspruch 1, in Reinschrift eingegangen am 21. Dezember 1984, den am 4. Oktober 1983 eingegangenen Patentansprüchen 2-13, den in der mündlichen Verhandlung überreichten, in Reinschrift ebenfalls am 21. Dezember 1984 eingegangenen Seiten 1, 2, 2a und 2b der Beschreibung, den Seiten 3-8 der ursprünglichen Beschreibung sowie der ursprünglichen Zeichnung Blatt 1 bis 4 zu erteilen. Unter Berufung auf Artikel 112 EPÜ beantragt sie außerdem hilfsweise, der Großen Beschwerdekammer folgende Rechtsfrag zur Entscheidung vorzulegen:
"Ist es unter Berücksichtigung der Artikel 54 und 56, der Prüfungsrichtlinien C IV 9.6 und 9.7 sowie der Entscheidungen T 11/81 und T 09/82 zulässig, für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu verlangen bzw. zu erwarten, daß der Durchschnittsfachmann sich auch auf solchen Sachgebieten des Standes der Technik bei der Recherche nach seiner Erfindung entgegenstehenden Merkmalen zu orientieren hat, welche dem Sachgebiet seiner Erfindung fernliegen".
Der geltende Patentanspruch 1 lautet wie folgt:
"1. Von Hand zu betätigender Stiftspitzer mit einem die Spitzabfälle auffangenden Gehäuse, das gegen den Austritt von Spitzabfällen abgeschlossen ist, wobei im Betriebszustand des Nichtspitzens die Einführungsöffnung für den zu spitzenden Stift durch einen Schieber vollständig gegen den Austritt von Spitzabfällen verschließbar ist, wobei das Gehäuse aus einem Tragteil (2, 2') für den Spitzerteil (3) und den Schieber (1, 1'), einem auf das Tragteil gesteckten und daran festgehaltenen Oberteil (5), sowie einem Späne sammelteil (6) besteht, in den der Tragteil mit Schiebesitz einsteckbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Schieber (1, 1') eine Widerlagerfläche (15, 15', 15") für die Spitze des einzuführenden Stiftes aufweist, die so geformt ist bzw. in einem solchen Winkel zur Schieberichtung (B, C, B', C') des Schiebers verläuft, daß der Druck (A) der Stiftspitze ein Bewegen des Schiebers in die Öffnungslage bewirkt, wobei eine Rückstellfederung (16, 16') für die selbsttätige Bewegung des Schiebers in die, das Gehäuse innere gegen einen Austritt der Spitzabfälle abschließende Lage vorgesehen ist und daß die Widerlagerfläche die Stiftspitze zur Einführungsöffnung (10,11) hin leitet."
Die Anmelderin ist der Auffassung, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei durch die entgegengehaltenen Druckschriften nicht nahegelegt. Die deutsche Offenlegungsschrifft 1 960 978 stamme aus einem Gebiet, das mit dem Gebiet des Stiftspitzer keine Berührung habe. Die durch sie bekanntgewordene bauliche Gestaltung einer Spardosen-Einwurfschlitzssicherung sei auch nicht geeignet, die der Anmeldung zugrundeliegende Aufgabe zu lösen.
Nach Beratung der Kammer teilte der Vorsitzende mit, die Entscheidung werde schriftlich ergehen.
V. Nachdem der Anmelderin mitgeteilt worden war, daß sich die Zusammensetzung der Kammer nach der nündlichen Verhandlung geändert habe, hat sie mit Schriftsatz vom 10. Oktober 1985, eingegangen am 12. Oktober 1985, erklärt, eine erneute mündliche Verhandlung gemäß Artikel 7 Abs. 1 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern werde nur für den Fall beantragt, daß die Kammer der Patenterteilung mit den Unterlagen gemäß Antrag vom 18. Dezember 1984 un dem nunmehr beantragten Ersatz der Seiten 2a und 2b dieser Unterlagen durch die neue Seite 2a nicht zustimmen sollte.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zuläßig.
2. Im geltenden Patentanspruch 1 sind die in den am Anmeldetag eingegangenen Patentansprüchen 1 und 8 aufgeführten Merkmale zusammengefaßt. Der Gegenstand des Anspruchs geht deshalb nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ).
Im Oberbegriff des Anspruchs ist von einem Stiftspitzer der durch die deutsche Auslegeschrift 1 003 093 bekanntgewordenen Art ausgegangen. Hiergegen bestehen keine Bedenken. Ein dem Gegenstand des Anspruchs 1 näher kommender Stiftspitzer ist nicht ermittelt worden. Die Aufteilung der Merkmale auf Oberbegriff und kennzeichnenden Teil des Anspruchs ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Merkmale des Spitzers, die schon der Stiftspitzer nach der vorstehenden deutschen Auslegeschrift aufweist, sind sämtlich im Oberbegriff aufgeführt. Der Anspruch 1 genügt somit insoweit den formalen Vorschriften des Übereinkommens.
3. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von dem Stiftspitzer nach der deutschen Auslegeschrift 1 003 093 durch die im kennzeichnenden Teil des Anspruchs angegebenen Merkmale. Von den durch die weiteren Entgegenhaltungen bekanntgewordenen Stiftspitzern unterscheidet er sich schon durch die im Oberbegriff spezifizierte Ausbildung seines Gehäuses aus einem Tragteil, einem Oberteil sowie einem Spänesammelteil.
Der Stiftspitzer nach Anspruch 1 ist mithin gegenüber dem zu berücksichtigenden Stand der Technik neu.
4. Bei dem Stiftspitzer nach der deutschen Auslegeschrift 1 003 093 muß der im Tragteil angeordnete Schieber zum Abdecken der Einführungsöffnung mit der Hand sowohl in die Freigabe- als auch in die Schließstellung geschoben werden.
Gemäß der Beschreibung wird diese Handhabung von der Anmelderin als umständlich empfunden. Außerdem bestehe die Gefahr, daß der in der jeweiligen Lage durch ein Federglied gehaltene Schieber nach Gebrauch des Spitzers nicht wieder in die Schließstellung geschoben werde und daß infolgedessen Spitzabfälle aus dem Behälter fallen können.
5. Zur Frage, ob es nahelag, diese Nachteile durch die im Anspruch 1 angegebene Ausbildung eines Spitzers zu beseitigen, ist folgendes auszuführen:
5.1. Mit der Lösung des der Anmeldung zugrundeliegenden Teil problems, nach Gebrauch des Spitzers selbsttätig ein Herausfallen von Spitzabfällen durch die Einführungsöffnung zu verhindern, hat sich die Fachwelt schon beschäftigt.
5.1.1. So wird nach der Lehre der deutschen Offenlegungsschrift 2 513 051 das den Spitzerteil tragende Gehäuse mit einem federbelasteten Deckel ausgestattet, dessen Feder den Deckel bei Nichtgebrauch des Spitzers in eine die Einführungsöffnung abdeckenden Stellung hält. Bei diesem Spitzer muß infolgedessen der Deckel vor dem Einführen des Stifts mit der Hand gegen die Wirkung der Feder in seine die Öffnung freigebende Stellung geschoben und zumindest während des Einführens des Stifts in dieser Stellung gehalten werden.
5.1.2. Eine in Schließrichtung wirkende und daher ein selbsttätiges Schließen der Einführungsöffnung bewirkende Belastungsfeder ist auch bei dem Spitzer nach der deutschen Offenlegungsschrift 2 819 134 vorgesehen. Bei ihm besteht das Verschlußglied wie beim Gegenstand des Anspruchs 1 aus einem längs beweglichen Schieber. Er muß jedoch wie der Deckel bei dem Spitzer nach der deutschen Offenlegungsschrift 2 513 051 mit der Hand vor dem Einführen des Stifts in die Freigabestellung geschoben werden. Zu diesem Zweck ist er mit einer nach außen vorstehenden Handhabe ausgestattet.
5.2. Von dem Gedanken, ein Offenlassen der Einführungsöffnung nach Benutzung des Spitzers durch eine auf den Schieber in Schließrichtung wirkende Rückstellfeder zu verhindern, wird zwar auch bei dem Stiftspitzer nach Anspruch 1 Gebrauch gemacht. Seine Ausbildung beruht jedoch zugleich auf der Idee, den anzuspitzenden Stift als Betätigungsmittel für den Schieber zu verwenden. Mit ihm wird der Schieber erst beim Einführen des Stifts in die Offenstellung bewegt. Einen Weg zu den zur Verwirklichung der Gesamtidee im Anspruch 1 angegebenen Maßnahmen konnten die vorstehend erörterten Offenlegungsschriften weder für sich noch in Verbindung miteinander, noch unter Berücksichtigung des Spitzers nach der USA-Patentschrift 2 169 908 weisen. Nach der Lehre dieses Dokuments wird nämlich das Herausfallen von Abfällen durch Aufstecken eines mit einer Einführungsöffnung versehenen Deckels in einer um 180° gedrehten Lage verhindert.
5.3. Ob der Stiftspitzer nach Anspruch 1 eine dem Fachmann sich anbietende geänderte Ausführungsform der Spardosen-Einwurfschlitzsicherung nach der deutschen Offenlegungsschrift 1 960 978 darstellt, wie die Prüfungsabteilung meint, die Anmelderin hingegen bestreitet, kann dahin gestellt bleiben, da es hierauf nicht ankommt. Grundlage für diese Beurteilung ist die Auffassung der Prüfungsabteilung, daß von einem Fachmann, der den Spitzer nach der deutschen Auslegeschrift 1 003 093 verbessern wollte, erwartet werden könne, daß er sich gegebenenfalls auch dem Gebiet der Spardosen-Einwurfschlitzsicherungen zuwende. Derartige Sicherungen stellten deshalb ein benachbartes Gebiet der Technik dar, weil Stiftspitzer und Spardosen dem "weiteren Gebiet des Verschließens von Behältern" zuzuordnen seien. Dem kann die Kammer nicht folgen.
5.3.1. Es ist zwar richtig, daß es einem Fachmann ohne weiteres zuzumuten ist, bei Bedarf, d.h., wenn er auf dem ein schlägigen Fachgebiet keine brauchbaren Anregungen zur Lösung des jeweiligen Problems findet, auch auf benachbarten Fachgebieten nach geeigneten Vorbildern zu suchen. Welche Gebiete als Nachbargebiete anzusehen sind, ist eine Tatfrage, bei deren Entscheidung nach Auffassung der Kammer von Bedeutung ist, ob die Gebiete so nahe verwandt sind, daß der Fachmann auf der Suche nach einer Lösung für die jeweilige Aufgabe die Entwicklung auf dem Nachbargebiet berücksichtigt. Es ist von einem Fachmann ferner ohne weiteres zu erwarten, den Stand der Technik auf dem allgemeinen technischen Gebiet heranzuziehen, auf dem sich gleiche oder ähnliche Probleme wie auf dem Spezialgebiet der Anmeldung in großem Umfang stellen und von dem erwartet werden muß, daß es dem Fachmann geläufig ist.
5.3.2. Auch wenn man im vorliegenden Fall mit der Prüfungsabteilung davon ausgeht, daß der Fachmann durch Abstrahieren der Problemstellung dazu gelangt, sich bei der Suche nach Anregungen für eine Lösung der der Anmeldung zugrundeliegenden Aufgabe dem weiteren,d. h. allgemeinen Gebiet des Verschließens von Behältern zuzuwenden, so war er damit zwar auf dem nach Auffassung der Prüfungsabteilung übergeordneten Gebiet, jedoch nicht auf dem Gebiet der Spardosen-Einwurfschlitzsicherungen angelangt. Auf diesem, wie die Prüfungsabteilung meint, ebenfalls unter das weitere Gebiet fallenden Spezialgebiet nach Lösungsvorbildern zu suchen, bestand aufgrund der technologischen Unterschiede zwischen beiden Gebieten - Aufbewahrung von Geldstücken in einem Behälter einerseits; Spitzen von Stiften oder Auffangen der Spitzabfälle andererseits - kein Anlaß.
5.3.3. Durch die IPC wird die Aufmerksamkeit des Fachmanns auch nicht auf das Gebiet der Spardosen-Einwurfschlitzsicherungen gelenkt, da die Unterklasse 23/00 und die zugehörigen Gruppen der Klasse B43L keinen Querverweis auf die Klasse A45C, geschweige denn auf Spardosen enthalten.
5.3.4. Das Gebiet dieser Sicherungen ist demnach nicht jenen Nachbargebieten zuzurechnen, auf denen der mit der Entwicklung von Stiftspitzern befaßte Fachmann sich bei Bedarf ebenfalls nach Anregungen für eine geeignete Problemlösung umsieht.
5.4. Gegenüber dem im vorliegenden Fall somit allein relevanten Stand der Technik auf dem Gebiet der Stiftspitzer beruht der Gegenstand des Anspruchs 1, wie dargelegt, auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
6. Der Patentanspruch 1 ist deshalb gewährbar (Artikel 52 EPÜ).
7. Die auf ihn rückbezogenen Ansprüche 2-13 sind auf besondere Ausführungsarten des Spitzers nach Anspruch 1 gerichtet. Sie können daher ebenfalls gewährt werden.
8. Bei dieser Sachlage braucht auf den Hilfsantrag der Anmelderin nicht eingegangen zu werden.
9. Die Beschreibung ist dem geänderten Wortlaut der Patentansprüche angepaßt und durch einen Abschnitt ergänzt worden, in dem noch auf einen bei der Recherche ermittelten weiteren Stiftspitzer eingegangen ist. Gegen sie bestehen folglich keine Bedenken.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurück verwiesen, auf die Anmeldung ein europäisches Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen ...