T 0900/97 25-02-1999
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Vorrichtung zum Verriegeln von Eingangstüren beim Scharfschalten einer Einbruchmeldeanlage
I. Die am 22. August 1997 unter gleichzeitiger Entrichtung der Gebühr eingelegte und am 23. Oktober 1997 begründete Beschwerde ist gegen die Entscheidung einer Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts vom 19. Juni 1997 gerichtet, die einen Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 0 315 766 zurückgewiesen hat. Gemäß dieser Entscheidung beruhen die Gegenstände der beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Patents in seiner erteilten Fassung auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die folgenden, von der Einsprechenden innerhalb der Einspruchsfrist genannten Entgegenhaltungen:
E1: EP-B-0 118 001
E2: US-A-3 794 848
E3: Richtlinien für Einbruchmeldeanlagen, (Gewerbliche Risiken), Verband der Sachversicherer e.V. Köln (VdS), Form 3026, Mai 1982.
E4: DE-C-433 321
Die nach Ablauf der Einspruchsfrist geltend gemachten Entgegenhaltungen
E5: US-A-4 013 930
E6: DE-A-26 52 562
E7: US-A-3 785 187
wurden nach Artikel 114 (2) EPÜ als verspätet nicht in das Einspruchsverfahren eingeführt, da sie nicht relevant seien.
II. Anspruch 1 des Streitpatents lautet wie folgt:
"Vorrichtung zum Verriegeln von Eingangstüren beim Scharfschalten einer Einbruchmeldeanlage, wobei für die Scharfschaltung der Einbruchmeldeanlage eine Tür zugeschlossen werden muß, und der Zustand aller Türen elektrisch überwacht wird, und wobei ein in die Türzarge eingebauter Blockmagnet zur zusätzlichen elektrischen Verriegelung vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Blockmagnet aus einem Verriegelungs-Elektromagnet (VM) und einem Entriegelungs-Elektromagnet (EM) besteht und in der Türzarge (Z) eingebaut ist, wobei der Verriegelungs-Elektromagnet (VM) beim Scharfschalten der Einbruchmeldeanlage (EMA) einen Impuls erhält, und dabei einen Schieber (S) betätigt, welcher über einen Hebelarm (HA) einen Stahlbolzen (STB) in eine Bohrung der Tür (T) schiebt, und das Öffnen einer auch unverschlossenen Tür (T) solange verhindert, bis beim Unscharfschalten der Einbruchmeldeanlage (EMA) ein Entriegelungs-Elektromagnet (EM) einen Impuls erhält, wodurch mit dem Schieber (S) und dem Hebelarm (HA) der Stahlbolzen (STB) wieder zurückgezogen wird."
Anspruch 2 lautet wie folgt :
"Vorrichtung zum Verriegeln von Eingangstüren beim Scharfschalten einer Einbruchmeldeanlage, wobei für die Scharfschaltung der Einbruchmeldeanlage eine Tür zugeschlossen werden muß, und der Zustand aller Türen elektrisch überwacht wird, und wobei ein in die Türzarge eingebauter Blockmagnet zur zusätzlichen elektrischen Verriegelung vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, daß an einem durch Elektromagnete (VM, EM) betätigbaren Schieber (S) eine Nase (N) angebracht ist, welche in eine Kerbe der Schloßfalle (F) eingreift und das Öffnen einer auch unverschlossenen Tür (T) solange verhindert, bis beim Unscharfschalten der Einbruchmeldeanlage (EMA) ein Entriegelungs-Elektromagnet (EM) einen Impuls erhält, wodurch der Schieber (S) die Schloßfalle (F) wieder freigibt."
III. Nach vorbereitendem Bescheid der Kammer, in dem auf die Relevanz der Entgegenhaltungen E1 und E7 für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der Gegenstände des Streitpatents hingewiesen wurde, hat am 25. Februar 1999 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Entsprechend ihrer schriftlichen Mitteilung vom 18. Februar 1999 hat die ordnunungsgemäß geladene Beschwerdegegnerin hieran nicht teilgenommen.
IV. Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Die in der Entgegenhaltung E1 beschriebene Zentralverriegelungsanlage stelle eine praktische Ausführung einer Einbruchmeldeanlage dar, die den Richtlinien nach E3 entspreche. Da jedoch bei dieser Ausführung die elektromagnetischen Antriebseinrichtungen für den Riegel jeder Tür in der Tür selbst angeordnet seien, bedürfe man flexibler elektrischer Leitungen zwischen der Tür und der Türzarge. Allerdings könnten diese flexiblen Kabel wegen starker Beanspruchung durch Öffnen und Schließen der jeweiligen Tür zu Störungen führen und bildeten einen Schwachpunkt der Anlage. Deshalb sei es wünschenswert, eine derartige Anlage anders auszubilden. Aus der Entgegenhaltung E7 sei eine Anlage zur Überwachung eines Sicherungsbereichs bekannt, bei der eine Vielzahl von schlüsselbetätigten Türen überwacht und ver- oder entriegelt werden könne. Die Ver- und Entriegelung jeder Tür erfolge mittels elektromechanischer Bauelemente, die genau den konstruktiven mechanischen und elektromechanischen Merkmalen des Kennzeichens des Anspruchs 1 entsprächen und in der Türzarge eingebaut seien. Eine Übertragung der Verriegelungsvorrichtung jeder Tür gemäß E7 auf die Türen der aus E1 bekannten Anlage sei für einen Fachmann naheliegend.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 315 766.
Die Beschwerdegegnerin hatte schriftlich beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Richtlinien für Einbruchmeldeanlagen gemäß E3 offenbaren lediglich eine Reihe von Zielsetzungen oder Anforderungen, jedoch zeigen sie keine konkrete Realisierung einer solchen Anlage. Deshalb können diese Richtlinien nicht den der Erfindung am nächsten kommenden Stand der Technik darstellen.
Die Entgegenhaltung E1, die eine Vorrichtung gemäß diesen Richtlinien offenbart, stellt daher den nächstkommenden Stand der Technik dar. Diese Druckschrift offenbart eine Zentralverriegelungsanlage für mehrere Türen, die je durch ein mit einem Schlüssel betätigbares Schloß ver- und entriegelbar sind. Weiterhin weist jedes Schloß einen elektromechanischen Antrieb (Elektromotor) für den Riegel und ferner einen Elektromagnet auf, welcher mittels eines Drehankers eine Bewegung des Riegels verhindern kann. Der Elektromotor, die Wicklung des Elektromagnets sowie elektrische Arbeitskontakte bzw. Anzeigegeber jedes Schlosses sind über ein elektrisches Kabel mit einer zentralen Einheit verbunden.
Ein Scharfschalten der Anlage geschieht wie folgt: Wird durch einen Schlüssel eines beliebig ausgewählten Schlosses ein Schließwunsch eines Benutzers der Steuerzentrale der Anlage gemeldet, wird zuerst automatisch die Zuleitung zum Elektromotor dieses Schlosses unterbrochen und der Zustand aller anderen Schlösser geprüft. Ist dieser Zustand in Ordnung, d. h. sind alle anderen Türen geschlossen, jedoch nicht zwangsläufig verriegelt, werden erstens die Magnetspulen dieser anderen Türen aktiviert, so daß jeder Drehanker die Bewegung des Riegels freigibt, und zweitens die Elektromotoren eingeschaltet, so daß diese Türen verriegelt werden. Nur dann kann das Schloß der gewählten Tür nach einer Freigabe der Riegelbewegung mittels des Drehankers durch den Schlüssel vollständig geschlossen werden, so daß auch diese Tür verriegelt wird. Nach Bewegung des Riegels wird ein Signal gegeben, das die Einbruchmeldeanlage scharfschaltet. Somit werden die Richtlinien für Einbruchmeldeanlagen gemäß E3 eingehalten, wonach eine Anlage durch ein Blockschloß erst scharfgeschaltet werden kann, wenn alle anderen Sperrschlösser verschlossen sind. Das Unscharfschalten der EMA erfolgt von einer beliebigen Tür durch Drehung des Schlüssels.
3. Wie bereits angegeben, ist jede Tür durch ein elektrisches Kabel mit der Zentraleinheit verbunden. Infolge aller Türverschwenkungen bewegt sich das Kabel zwischen der Tür und der Türzarge und wird deshalb stark deformiert. Das hat eine schnelle Abnutzung des Kabels zur Folge. Außerdem ist das Kabel nicht ästhetisch und leicht von außen zugänglich.
Die der vorliegenden Erfindung zugrundeliegende Aufgabe kann in der Schaffung einer Einbruchmeldeanlage der erwähnten Art gesehen werden, die zum Ziel hat, diese Nachteile zu vermeiden.
4. Allerdings wird diese Aufgabe im Streitpatent nicht erwähnt. Nach dessen Beschreibung besteht nämlich die Aufgabe darin, eine Vorrichtung zum Verriegeln von Eingangstüren beim Scharfschalten einer EMA anzugeben, durch die es möglich wird, nicht nur eine einzige, sondern auch mehrere Türen automatisch zu verriegeln. Diese Aufgabe ist allerdings durch die in E1 offenbarte Anlage bereits gelöst. Bei dieser bekannten Anlage ist noch eine weitere Aufgabe des Streitpatents gelöst, wonach es nicht erforderlich ist, eine zugedrückte Tür, bei der lediglich die Schloßfalle eingerastet ist, zusätzlich abzuschließen, wenn die EMA scharf geschaltet ist.
Der Beschreibung des Streitpatents ist weiterhin zu entnehmen, daß ein Vorteil der beanspruchten Lösung darin besteht, die Türschlösser und die Türen selbst unverändert beibehalten zu können, so wie sie handelsüblich angeboten werden. Bei der Anlage nach E1 ergibt sich dieser Vorteil nicht, weil dort Elektromotoren sowie Blockmagnete und die damit verbundenen mechanischen Teile in die Türen eingebaut werden müssen. Jedoch kann dieser Vorteil nicht als Grundlage für eine andere Aufgabe dienen, da diese implizit einen Hinweis auf das Vorhandensein von zusätzlichen, in die Türzarge eingebauten Verriegelungen und somit auf einen Teil der Lösung enthalten würde. Eine derartige Formulierung der Aufgabenstellung ist zu vermeiden (T 99/85, ABl. EPA 1987, 413 und T 229/85, ABl. EPA 1987, 237).
Die oben abgeleitete Aufgabe ist dagegen als ein Folge eines praktisch feststellbaren Mangels zu sehen und kann von jedem Fachmann gestellt werden. Im Gegensatz zu den bezüglich des im Streitpatent angegebenen Vorteils im Hinblick auf eine mögliche Aufgabe angestellten Erwägungen enthält diese Aufgabe auch keinen Lösungsteil. Sie kann deshalb bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit anhand der Kriterien "Aufgabe und deren Lösung" als Ausgangspunkt dienen (T 13/84, ABl. EPA 1986, 253).
5. Gelöst wird diese Aufgabe durch die Merkmale des Kennzeichens des Anspruchs 1 des Streitpatents. Da die Verriegelungsvorrichtung jeder Tür in die Türzarge eingebaut wird, werden auf diese Weise von außen sichtbare, schnell verschleißende Kabel vermieden. Das Ergebnis ist ohne weiteres glaubhaft.
6. Aus der Entgegenhaltung E7 ist eine Vorrichtung zum Verriegeln von Eingangstüren bekannt, bei welcher von einer zentralen Kontrollstelle der Zustand aller Türen elektrisch überwacht wird und die Türen elektromagnetisch ver- und entriegelt werden können, indem diese Türen zum mechanischen Öffnen und Verschließen jeweils mit einem durch Schlüssel betätigbaren, üblichen Schloß ausgerüstet sind. Die elektrische Schließvorrichtung jeder Tür umfaßt einen in der Tür bzw. Türzarge eingebauten Riegelmechanismus, der aus einem Verriegelungs-Elektromagnet (Fig. 10, 72a), einem Entriegelungs-Elektromagnet (Fig. 10, 85), und einem durch diese Elektromagnete betätigbaren Schieber (Fig. 10, 63) besteht, welcher über einen Hebelarm (Fig. 9, 67) einen Riegel in eine bzw. aus einer Bohrung der Tür vor- bzw. zurückschiebt.
7. Dieser Riegelmechanismus bildet eine zusätzliche Verriegelung jeder Tür, die durch elektrische Impulse über die Zentralsteuereinheit bzw. Kontrollstelle gesteuert wird. Da sich die gesamte Anordnung in der Türzarge befindet, erkennt der Fachmann sofort, daß von außen sichtbare, flexible elektrische Kabel zwischen Tür und Türzarge nicht mehr notwendig sind und daß sich diese Anordnung daher auch zur Lösung des Problems des Streitpatents eignet. Ferner können die Türschlösser bzw. die Türen selbst unverändert bleiben. Für den Fachmann, der ausgehend von der EMA nach E1 die Nachteile, die die Anordnung von Elektromotoren, Elektromagneten und elektrischen Schaltern in den Türen mit sich bringen, beseitigen will, liegt es auf der Hand, sich die Lehre der Entgegenhaltung E7 zunutze zu machen und diese bekannte Anordnung durch die in die Türzarge eingebaute Verriegelungsanordnung nach E7 zu ersetzen.
8. Von der Beschwerdegegnerin wurde die Meinung vertreten, daß sich die Entgegenhaltung E7 nicht um den Schutz vor Einbrüchen, sondern um den Schutz vor Ausbrüchen bemühe, weil sie ein Anstalts-Sicherheit-System beschreibe. Auch seitens der Einspruchsabteilung wurde die nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereichte Entgegenhaltung E7 als nicht relevant betrachtet und somit nicht in das Einspruchsverfahren einbezogen, weil die Druckschrift lediglich ein Schloß mit einer zentralen Verriegelung zeige.
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (vgl. T 176/84, ABl. EPA 1986, 50; T 195/84, ABl. EPA 1986, 121; T 199/83, unveröffentlicht) kann jedoch der für die Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe zuständige Fachmann sich durchaus auf benachbarten Fachgebieten nach Anregungen umsehen, sofern dort entsprechende Probleme auftreten können. Da die Entgegenhaltung E7 auch eine Vorrichtung zum Verriegeln von Eingangstüren verbunden mit einem Überwachungssystem aller Türen betrifft und somit zum unmittelbaren Nachbargebiet des für das Streitpatent relevanten technischen Gebiets gehört, stößt der Fachmann ohne weiteres auch auf dieses Fachgebiet vor. Weil außerdem die ungeschützte Anordnung von elektrischen Kabeln in einer Verwahranstalt gefährlich wäre, tritt dort dasselbe Problem auf, und der Fachmann wird bei seiner Suche nach einer Lösung des gestellten Problems insbesondere diese Art von Sicherheitsystem in Betracht ziehen.
Bei der zu lösenden Aufgabe ist die eigentliche Steuerung der Verriegelungsvorrichtungen von geringer Bedeutung und zudem bereits aus E1 bekannt. Aus diesem Grund kann die Kammer der Auffassung der Einspruchsabteilung nicht zustimmen. Zwar sind bei der Anlage gemäß E7 die Vorgehenweise bzw. die Anforderungen für das Verriegeln der Türen etwas anders als bei einer EMA, jedoch spielt dies keine Rolle für die dem Streitpatent zugrunde liegende, objektive Aufgabe.
9. Aus den oben genannten Gründen ergibt sich die Vorrichtung nach Anspruch 1 des Steitpatents in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, so daß dieser Anspruch 1 nicht den Erfordernissen der Artikel 52. und 56 EPÜ entspricht. Da das Streitpatent in seiner Gesamtheit zu betrachten ist, ist es nicht notwendig, den weiteren unabhängigen Anspruch 2 zu prüfen. Die Kammer kann über den Rechtsbestand des Patents nur im Rahmen des einzigen, von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Antrags entscheiden (Artikel 113 (2) EPÜ). Somit steht der in Artikel 100 a) EPÜ genannte Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung entgegen.
10. Nun hat die große Beschwerdekammer in ihrer Stellungnahme G 4/92 (ABl, EPA 1994, 149) die Bestimmung über das rechtliche Gehör gemäß Artikel 113 (1) EPÜ dahingehend ausgelegt, daß eine Entscheidung zu Lasten eines ordnungsgemäß geladenen, aber nicht erschienenen Beteiligten nicht auf erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Tatsachen gestützt werden darf und neue Beweismittel nur berücksichtigt werden dürfen, wenn sie vorher angekündigt waren. Diesen Anforderungen hat die Kammer entsprochen, indem sie in ihrem Ladungszusatz auf die Relevanz der Entgegenhaltung E7, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen worden war, hingewiesen hat. Somit ist ein Widerruf des Patents trotz der Abwesenheit der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung möglich.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Aus diesen Gründen wird entscheiden:
1. Die angefochten Entscheidung wird aufgehoben,
2. Das europäische Patent Nr. 0 315 766 wird widerrufen.