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T 0229/85 (Ätzverfahren) 27-10-1986
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Erfinderische Tätigkeit
Einfachheit der Lösung
Rückkehr zu einem als überholt geltenden Konzept
I. Die am 29. Oktober 1981 eingegangene und am 16. Juni 1982 veröffentlichte europäische Patentanmeldung 81 109 230.3 mit der Veröffentlichungsnummer 0 053 719, für welche die Priorität der Voranmeldung in der Bundesrepublik Deutschland vom 10. Dezember 1980 in Anspruch genommen wird, wurde durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 23. Mai 1985 zurückgewiesen. Der Entscheidung liegen die ursprünglichen 5 Ansprüche zugrunde, von denen Anspruch 1 folgenden Wortlaut hat: "Verfahren zum Ätzen von Metalloberflächen, insbesondere gedruckten Schaltungen, bei welchem man das Metall (wie Kupfer) auf der Schaltung mittels einer Schwefelsäure oder Phosphorsäure und Wasserstoffperoxid enthaltenden Lösung abätzt und diese Lösung im Kreislauf führt und wiederholt zum Ätzen verwendet, dadurch gekennzeichnet, daß man der Lösung unmittelbar vor jedem Aufbringen oder beim Aufbringen auf die zu ätzende Schaltung nur so viel Wasserstoffperoxid zugibt, daß es gerade für einen Ätzvorgang ausreicht und nach dem Ätzvorgang im wesentlichen kein Wasserstoffperoxid in der Lösung enthalten ist."
II. Die Zurückweisung wird mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit begründet.
In der US-A-3 756 957 (1) sei ein Verfahren zum Ätzen von Metalloberflächen mittels einer Lösung, die Schwefelsäure und Wasserstoffperoxid enthält, beschrieben. Die unerwünschte Zersetzung des Wasserstoffperoxids werde hierbei durch den Zusatz eines negativen Katalysators verringert. Für den Fachmann, der sich die Aufgabe gestellt habe, die Zersetzung des Wasserstoffperoxids durch Kupferionen nach dem Ätzvorgang auch ohne negative Katalysatoren zu vermeiden, liege das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1 nahe. Denn der Fachmann wisse, daß ein Überschuß von Wasserstoffperoxid nur vorteilhaft sei, um die Ätzgeschwindigkeit zu erhöhen und daß die Anwesenheit von Wasserstoff peroxid nur während des Ätzvorganges unabdingbar sei. Das anmeldungsgemäße Verfahren verzichte bewußt auf die höhere Ätzgeschwindigkeit und gebe daher nur soviel Wasser stoffperoxid zu, daß es gerade für einen Ätzvorgang ausreiche. Bei der Umsetzung dieser Idee in die Praxis habe der Fachmann keiner Schwierigkeit gegenübergestanden, vielmehr sei nur die ausreichende Menge von Wasserstoff peroxid durch Routineversuche festzulegen gewesen.
III. Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 3. Juli 1985 unter Entrichtung der Beschwerdegebühr erhobene Beschwerde, die am 27. August 1985 im wesentlichen wie folgt begründet wurde:
Nach dem Stand der Technik sei es nicht möglich, einen Ätzvorgang mittels Wasserstoffperoxid in saurer Lösung ohne den Zusatz von stabilisierenden Additiven unter wirtschaftlichen Bedingungen durchzuführen.
Das erfindungsgemäße Verfahren sei gegenüber dem Stand der Technik erfinderisch, da in den gesamten Druckschriften, die sich mit dem Einsatz von Wasserstoffperoxid beim Ätzprozeß befassen, kein Hinweis zu finden sei, daß sich die Probleme der katalytischen Zersetzung von Wasserstoff peroxid durch die erfindungsgemäßen Maßnahmen beherrschen lassen. Im Gegenteil werde darauf verwiesen, daß dies nur mit stabilisierenden Agenzien möglich sei, wobei selbst dann zum Teil wesentlich reduzierte Reaktionsgeschwindigkeiten bei der Oxidation des elementaren Metalls in Kauf genommen werden müßten.
Die Beschwerdeführerin beantragt die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der ursprünglich eingereichten Unterlagen.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. In der Beschreibungseinleitung zur vorliegenden Anmeldung (Seite 2) wird ausgeführt, daß bereits Verfahren zum Ätzen von Metalloberflächen, insbesondere gedruckten Schaltungen, bei welchem man das Metall (wie Kupfer) auf der Schaltungmittels einer Schwefelsäure oder Phosphorsäure und Wasser stoffperoxid enthaltenden Lösung abätzt und diese Lösung im Kreislauf führt und wiederholt zum Ätzen verwendet, bekannt sind. Diese Verfahren konnten keinen Eingang in die Praxis finden, weil sie den schwerwiegenden Nachteil aufweisen, daß die beim Ätzen gelösten Metallionen die Zersetzung des Wasserstoffperoxids katalysieren, so daß der Verbrauch des Peroxids unrentabel hoch wird (vgl. die Ausführungen in (1) Spalte 2, Zeile 68 - Spalte 3, Zeile 5 und Spalte 3, Zeilen 40 - 46).
3. Nach der US-A-3 756 957 (1) begegnet man dem Problem der Zersetzung des Wasserstoffperoxids in Schwefelsäure enthaltenden Ätzlösungen durch Zugabe von bestimmten Aminen, Amiden und Iminen als Stabilisatoren (vgl. Spalte 1, Zeile 10 - 18, Spalte 2, Zeile 15 - 20, Spalte 2, Zeile 67 - Spalte 3, Zeile 53 und Anspruch 1). Durch die hintangehaltene Zersetzung des Wasserstoffperoxids wird das Ätzverfahren wirtschaftlich und selbst die ökonomisch und ökologisch erforderliche Aufarbeitung und Recyclisierung der Ätzlösung wird möglich, wenn man dafür sorgt, daß die aufzuarbeitende Lösung nur noch unter 5 g/l, besonders 2 g/l Wasserstoffperoxid enthält (vgl. Spalte 7, Zeile 27 - 33).
4. Demgegenüber ist die technische Aufgabe, die der vorliegen den Anmeldung zugrunde liegt, darin zu sehen, ein weiteres Ätzverfahren mit gleichfalls möglichst geringem Wasserstoffperoxidverbrauch und problemloser Aufarbeitung von verbrauchten Ätzlösungen (hohe Stromausbeute) anzugeben. Diese Aufgabe wird dadurch gelöst, daß man der Lösung unmittelbar vor jedem Aufbringen oder beim Aufbringen auf die zu ätzende Schaltung nur soviel Wasserstoffperoxid zugibt, daß es gerade für einen Ätzvorgang ausreicht und nach dem Ätzvorgang im wesentlichen kein Wasserstoffperoxid in der Lösung enthalten ist.
Dieser Vorschlag ermöglicht ein Arbeiten ohne Stabilisator und mit geringer Wasserstoffperoxidkonzentration. Die Angabe des Fehlens eines Stabilisierungsmittels im Anspruch erscheint der Kammer entbehrlich, weil der Anspruch klar ist und sich der genannte Sachverhalt eindeutig aus der gesamten Beschreibung ergibt.
Die Vorteile dieser Arbeitsweise sprechen für sich, so daß die Kammer die bestehende Aufgabe auch als tatsächlich gelöst betrachtet.
5. Ein derartiges Verfahren ist in dem der Kammer vorliegenden druckschriftlichen Stand der Technik nicht vorbeschrieben, also neu.
Es ist daher zu untersuchen, ob dieses auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Dabei geht die Kammer - übereinstimmend mit der Beurteilung der Vorinstanz - von (1) aus. Wie bereits ausgeführt, ist dort ein Verfahren zum Ätzen von Metalloberflächen beschrieben, bei dem die katalytische Zersetzung des Wasserstoffperoxids durch Zugabe bestimmter Stabilisatoren stark vermindert wird.
In der angefochtenen Entscheidung wird ausgeführt, daß sich der anmeldungsgemäße Lösungsvorschlag für den Fachmann bei Kenntnis von (1) angesichts der bestehenden Aufgabe aufgrund einfacher Überlegungen in naheliegender Weise ergab. Dabei wird die Aufgabe darin gesehen, daß die Wasserstoffperoxid-Zersetzung ohne negative Katalysatoren (Stabilisatoren) vermieden werden soll. Mit dieser Definition, die vielleicht durch die Angaben in der vorliegenden Anmeldung beeinflußt worden sein mag (S. 2, letzter Absatz), wird in unzulässiger Weise ein Teil des erfindungsgemäßen Lösungsgedankens in die Aufgabe miteinbezogen; denn die Idee des Verzichts auf Stabilisatoren ist ein wesentlicher Teil der anmeldungemäßen Erkenntnis, die ihren Niederschlag in der o.g. Aufgabenlösung gefunden hat und letztlich in der mengenmäßigen und zeitlichen Regelung des Wasserstoff peroxid-Zusatzes besteht. Die technische Aufgabe einer Erfindung ist aber so zu formulieren, daß sie keine Lösungsansätze enthält; denn das Einbeziehen eines Teils eines Lösungsgedankens aus der Erfindung in die Aufgabe muß bei der Bewertung des Standes der Technik unter dem Aspekt dieser Aufgabe zwangsläufig zu einer retrospektiven Betrachtungsweise der erfinderischen Tätigkeit führen. Schon aus diesem Grund kann die Entscheidung der Vorinstanz keinen Bestand haben.
6. Definiert man hingegen die hier bestehende, an sich wenig ambitionierte technische Aufgabe, wie unter Abschnitt 4 dieser Entscheidung geschehen, so geht von (1) keine Anregung für die anmeldungsgemäß gefundene Lösung aus; denn aus (1) wird keine Alternative für den - auch anmeldungsgemäß anvisierten - möglichst niedrigen Wasserstoffperoxid-Verbrauch bei gleichzeitiger problemloser Wiederaufarbeitung der Ätzlösung erkennbar. Im Gegenteil, die in (1) vorgeschlagene Lösung geht in eine völlig andere Richtung, indem sie Stabilisierungsmittel und zudem hohe Wasserstoffperoxid-Konzentrationen in der Ätzlösung empfiehlt (vgl. besonders die Beispiele 2 - 5 mit bis zu 50 g/l Wasserstoffperoxid). Dieser Vorschlag kann nicht die konträre Lösung nach der vorliegenden Anmeldung nahelegen, die gerade die Vermeidung eines Stabilisierungsmittels und die Vermeidung hoher Wasserstoffperoxid-Konzentrationen in der Ätzlösung vorsieht.
7. Die Notwendigkeit eines Stabilisierungsmittels für Wasserstoffperoxid enthaltende Ätzlösungen ergibt sich neben (1) übrigens aus weiteren Druckschriften: (2) GB-A-1 176 892 (vgl. Seite 2, Zeilen 19 - 22) und (3) FR-A-2 392 100 (vgl. Seite 2, Zeilen 17 - 20, Zeilen 24 - 29). Nachdem alle diese Druckschriften den Weg der stabilisierten Ätzlösungen lehren, sind sie nicht dazu geeignet, den Fachmann zur Aufgabe dieses Konzepts anzuregen. Vielmehr ist die anmeldungsgemäß vollzogene Abkehr von der bislang gebräuchlichen Wasserstoffperoxid-Stabilisierung in der Ätzlösung und die Rückkehr zu den als überholt angesehenen unstabiliserten Wasserstoffperoxid-Lösungen als typische Anzeichen für erfinderische Tätigkeit zu werten. In die gleiche Richtung weist auch die besondere Einfachheit der erfindungsgemäßen Lösung, an der die Fachwelt trotz intensiver Bearbeitung dieses Gebiets vorbeigegangen ist.
Das Verfahren nach Anspruch 1 der Anmeldung beruht daher auf erfinderischer Tätigkeit. Dies gilt auch für die von der Patentfähigkeit des Hauptanspruchs getragenen und auf diesen rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 5.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, ein europäisches Patent aufgrund der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu erteilen.