T 0686/18 (Geschäumte Polymermasse/TESA) 14-07-2020
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Verfahren zur Herstellung schäumbarer Polymermassen, Verfahren zur Herstellung geschäumter Polymermassen daraus, geschäumte Polymermassen und Klebeband damit
Hauptantrag: Ausreichende Offenbarung - (ja)
Hauptantrag: Neuheit - (ja)
Hauptantrag: Erfinderische Tätigkeit - (ja) (rückschauende Betrachtungsweise)
Erfinderische Tätigkeit - Neuformulierung der technischen Aufgabe
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent EP 2 463 332 B1 in der Fassung des am 14. März 2016 eingereichten Hauptantrags die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patents im gesamten Umfang auf Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), Artikel 100 b) EPÜ und Artikel 100 c) EPÜ beantragt.
III. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung wurden unter anderem vorgelegt:
D1: |DE 10 2009 015 233 A1 |
D2: |WO 02/072701 A1 |
D4: |US 2004/0241417 A1 |
D5: |US 5,753,362 |
D8: |US 2009/0181250 A1 |
D11:|Auszüge aus "Dampfdruck.de", eingereicht von der Patentinhaberin mit Schreiben vom 14.03.2016|
D12:|Mikroskopische Aufnahmen, eingereicht von der Patentinhaberin mit Schreiben vom 10.08.2017 |
IV. Die Ansprüche 1 und 15 des Hauptantrags lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung einer schäumbaren Polymermasse unter Verwendung expandierbarer Mikrohohlkugeln, gekennzeichnet dadurch, dass das Verfahren mit zwei separaten Verfahrenssträngen beginnt, wobei
- nur in einem der beiden separaten Verfahrensstränge expandierbare Mikrohohlkugeln eingesetzt sind;
- in einem ersten Verfahrensstrang erste Ausgangsstoffe, zu denen zumindest der überwiegende Teil des oder der zu verwendenden Polymeren gehört, zu einer Vormischung vermischt und entgast werden;
- in einem zweiten Verfahrensstrang zweite Ausgangsstoffe, zu denen die zu verwendenden Mikrohohlkugeln gehören, entgast werden;
- die Vormischung mit einem solchen Druck beaufschlagt wird, dass die Paarung dieses Druckes mit der Temperatur der Vormischung unterhalb der für die Expansionsauslösung der zu verwendenden Mikrohohlkugeln kritischen Paarung von Druck und Temperatur liegt; und
- die im zweiten Verfahrensstrang behandelten Ausgangsstoffe der Vormischung bei dieser unterhalb der für die Expansionsauslösung der zu verwendenden Mikrohohlkugeln kritischen Paarung von Druck und Temperatur zugesetzt werden,
- wonach die zweiten Ausgangsstoffe in der Vormischung vermischt werden".
"15. Geschäumte Polymermasse umfassend expandierte Mikrohohlkugeln, insbesondere erhältlich nach einem der vorhergehenden Verfahren, dadurch gekennzeichnet, dass der Anteil an Kavernen ohne eigene Polymerhülle nicht mehr als 2 Vol.-%, bevorzugt nicht mehr als 0,5 Vol.-% beträgt".
V. Die Einspruchsabteilung hat unter anderem entschieden, dass die Anforderung des Artikels 83 EPÜ erfüllt ist, dass der Gegenstand von Anspruch 15 des Hauptantrags gegenüber D4 und D5 neu ist und dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 15 gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik, allein oder in Kombination mit D1, D2, D5 oder D8, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
VI. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
VII. Mit der Beschwerdeerwiderung beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß der Entscheidung der Einspruchsabteilung bzw. gemäß einem der mit dem Schreiben vom 10. August 2017 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4.
VIII. Der einzige für die vorliegende Entscheidung relevante Antrag ist der Hauptantrag, der der angegriffenen Entscheidung zugrunde lag.
IX. Die Argumente der Beschwerdeführerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:
- Die in den Ansprüchen 1, 2, 7 und 15 definierte Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie über den gesamten beanspruchten Bereich und ohne unzumutbaren Aufwand ausführen könne.
- Der Gegenstand von Anspruch 15 sei gegenüber D4 und D5 nicht neu.
- Das im Anspruch 1 beanspruchte Verfahren beruhe gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik allein oder in Kombination mit D1, D2, D5 oder D8 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ebenso wenig beruhe das im Anspruch 15 definierte Produkt gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik allein oder in Kombination mit D5 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
X. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:
- Die Erfindung sei so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
- Der Gegenstand von Anspruch 15 des Hauptantrags sei gegenüber D4 und D5 neu.
- Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 15 des Hauptantrags beruhe gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik allein oder in Kombination mit den anderen zitierten Dokumenten auf einer erfinderischen Tätigkeit.
XI. Anträge
Beide Parteien hielten an ihren gestellten Anträgen (siehe die vorstehenden Punkte VI und VII) fest.
Hauptantrag
1. Ausführbarkeit
1.1 Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann den im Anspruch 1 definierten ersten Verfahrensstrang, der die Mikrokugeln enthält, ohne die Verwendung eines Dispergierhilfsmittels entgasen könne. Des Weiteren sei der Fachmann nicht in der Lage, die Mikropartikel ohne die Verwendung eines Unterdrucks gemäß dem im Anspruch 2 dargestellten Verfahren zu entgasen und die im Anspruch 7 definierte Flüssigkeit ohne unzumutbaren Aufwand auszuwählen.
Die Beschwerdeführerin wies darauf hin, dass in allen im Patent gezeigten Experimenten die Mikropartikel sowohl in einer Flüssigkeit dispergiert als auch einem Unterdruck unterzogen worden seien. Die Ansprüche seien nicht auf diesen Verfahrensablauf beschränkt.
1.2 Die Kammer hält dieses Vorbringen für nicht überzeugend. Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, war der Fachmann zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents in der Lage, den Extruder und andere Mischgeräte mit allgemein verfügbaren Apparaten zum Erzeugen von Unterdruck - z. B. Pumpen - zu versehen, um in bestimmten Abschnitten dieser Geräte einen Unterdruck zu erzeugen. Auf diese Weise war er in der Lage, die Partikel ohne Einbettung in einem Dispergierhilfsmittel zu entgasen. Eine Verfahrensweise in Gestalt der Entgasung in einer Unterdruckzone wird im Absatz [0038] des Streitpatents beschrieben. Schon die einleitenden Worte dieses Absatzes - "Wie an sich bekannt, ... " - verweisen diesbezüglich auf das allgemeine Fachwissen des Fachmanns. So verfügt beispielsweise der in den Beispielen des Streitpatents verwendete Doppelschneckenextruder der Firma Berstorf über einen "Vakuumdom" (siehe Absatz [0145]). Folglich ist der Fachmann in der Lage, die Entgasung auch ohne Dispergierhilfsmittel vorzunehmen.
1.3 Darüber hinaus scheint es plausibel zu sein, dass, wie im Absatz [0037] des Patents erläutert, die Entgasung einfach durch das Tränken der expandierbaren Mikrohohlkugeln in einer Flüssigkeit erfolgen kann. Dass dies für eine Entgasung schon ausreichend sein kann, geht aus Absatz [0037] hervor, der lehrt, dass die zu entfernenden Gase in den Zwischenräumen zwischen den Granulatkörnern durch die eindringende Flüssigkeit verdrängt werden und aus dieser entweichen. Es wurde kein Beweis für das Gegenteil vorgelegt.
1.4 Außerdem vermittelt das Patent (z. B. Absätze [0031-0033], [0035]) dem Fachmann ausreichende Informationen darüber, wie die im Anspruch 7 definierte Flüssigkeit (Dispergiermittel) auszuwählen ist. Konkrete Beispiele für eine solche Flüssigkeit werden in den Beispielen und im Absatz [0035] erwähnt. Des Weiteren führt Absatz [0033] aus, dass die Dispergierhilfsmittel so ausgewählt werden, dass sie bei den nach Zusammenführung der Verfahrensstränge herrschenden Temperatur-Druck-Paarungen nicht verdampfen. Ob eine bestimmte Substanz diesem Verhalten unterliegt oder nicht, lässt sich schon anhand von Dampfdruckkurven, wie z.B. in D11 gezeigt, feststellen. Außerdem scheint es kein unzumutbarer Aufwand zu sein, die zur Auswahl weiterer Flüssigkeiten erforderlichen Experimente durchzuführen.
1.5 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin sei im Streitpatent nicht ausreichend offenbart, wie Kavernen ohne eigene Polymerhülle von den Mikrohohlkugeln zu unterscheiden seien und wie der im Anspruch 15 definierte Anteil an Kavernen ohne Polymerhülle bestimmt werden solle.
1.6 Die Kammer kann sich diesem Argument ebenfalls nicht anschließen. Das Patent (Absatz [0155]) erwähnt die Rasterelektronenmikroskopie als eine geeignete Methode zur Bestimmung des Gasblasenanteils, der nicht durch Mikrohohlkugeln verursacht wird, und veranschaulicht dies durch Fig. 3. D12, das eine erweiterte Ansicht der Bilder zeigt, bestätigt, dass es wesentliche Unterschiede zwischen den zwei Arten von Hohlräumen in der geschäumten Polymermasse gibt. Auch wenn D12 nachträglich eingereicht wurde, bestätigt es doch, dass die im Patent erwähnte Unterscheidung zwischen expandierten Mikrohohlkugeln und Kavernen ohne Polymerhülle möglich ist. Plausibel ist auch, dass es möglich ist, mittels Durchführung mehrerer Aufnahmen und Anwendung statistischer Methoden den in Anspruch 15 angegebenen Wert zu ermitteln. Es wurde kein konkreter Beweis dafür vorgelegt, dass eine solche Bestimmung nicht möglich ist. Dies gilt auch für den Fall, dass die Mikrohohlkugeln und die sie umfassende Polymermasse aus dem gleichen Material bestehen.
Schließlich wird darauf hingewiesen, dass eine gewisse Unsicherheit bei der Bestimmung des Volumenanteils der Kavernen ohne eigene Polymerhülle eher eine Frage der Klarheit zu sein scheint als eine der ausreichenden Offenbarung. Ausschlaggebend ist die Tatsache, dass das Streitpatent offenbart, wie die Schäume mit geringem Anteil an Kavernen ohne eigene Polymerhülle gemäß Anspruch 15 herzustellen sind.
1.7 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die beanspruchte Erfindung ausreichend offenbart ist (Artikel 83 EPÜ).
2. Neuheit
2.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass der Gegenstand von Anspruch 15 gegenüber D4 und D5 nicht neu sei. Diese Auffassung teilt die Kammer nicht.
2.2 D4 offenbart eine geschäumte Polymermasse umfassend expandierte Mikrokugeln (siehe z. B. Absatz [0067]). Es offenbart jedoch nicht das Merkmal, wonach der Anteil an Kavernen ohne eigene Polymerhülle nicht mehr als 2 Vol.-% beträgt. D4 offenbart keinen expliziten Wert in Bezug auf den Anteil an solchen Kavernen. Außerdem wird das Vakuum - gemäß dem in D4 offenbarten Verfahren - nach Zugabe der Mikrokugeln zur Polymermasse erzeugt, ohne dass diese vorher entgast wurden. Im Streitpatent wird dieser Schritt vermieden (siehe z. B. Absätze [0040]-[0041]). Daher ist es - allein anhand des in D4 offenbarten Verfahrens - nicht möglich nachzuweisen, ob das in D4 beschriebene Verfahren ein Produkt nach Anspruch 15 ergibt.
2.3 Die Beschwerdeführerin brachte zudem vor, dass der Unterdruck, der während des in Absatz [0147] von D4 beschriebenen Verfahrens verwendet wurde, ähnlich dem sei, der nach Absatz [0038] des Streitpatents in der Praxis schon geeignet sein könne, die Mischung zu entgasen.
2.4 Die Tatsache, dass dieser Unterdruck angewandt wurde, bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass das Endprodukt den in Anspruch 15 angegebenen Anteil an Kavernen ohne eigene Polymerhülle enthält. Diese Menge hängt nämlich, wie von der Beschwerdegegnerin richtig ausgeführt, nicht nur vom Unterdruck, sondern auch von den in der Mischung enthaltenen Materialien und von den Verfahrensschritten ab.
2.5 Darüber hinaus argumentierte die Beschwerdeführerin, angesichts der Ungewissheit bei der Messung der Anzahl der Kavernen könne dieses Merkmal nicht berücksichtigt werden, um den beanspruchten Gegenstand vom Stand der Technik zu unterscheiden.
2.6 Doch selbst wenn aufgrund einer Messunsicherheit die 2-Volumenprozent-Grenze großzügig ausgelegt würde, scheint D4 nicht neuheitsschädlich zu sein, weil die Beschwerdeführerin nicht den Nachweis erbracht hat, dass der Anteil der Kavernen in den Beispielen von D4 überhaupt in der Nähe des in Anspruch 15 genannten Grenzwertes liegt.
2.7 Somit ist der Gegenstand von Anspruch 15 gegenüber D4 als neu anzusehen.
2.8 D5 offenbart Acrylfolien, die Partikel und einen Luftblasengehalt von nicht mehr als 10 Vol.-% enthalten. Acrylfolien, die einen Luftblasengehalt von nicht mehr als 2 % umfassen, sind in Spalte 26, Zeilen 9-17, in Tabelle 2 in Spalte 31 (Beispiele 5 und 6) und in Tabelle 7 in Spalte 41 (Beispiele 22 bis 25) offenbart.
Als Beispiele für Partikel erwähnt D5 u. a. feste Partikel aus Metallen, kristallinen und organischen Stoffen, Glas- und Keramikpartikel sowie Ballons und Polymerpartikel-Ballons (siehe Spalte 19, Zeilen 12-62). Keine dieser Partikel können jedoch als "expandierte Mikrohohlkugeln" im Sinne von Anspruch 15 angesehen werden. Insbesondere ist die Bezeichnung "polymer particle balloons" in Spalte 19, Zeile 55 zu unspezifisch, um expandierte Mikrohohlkugeln zu offenbaren, die aus expandierbaren Mikrokugeln gewonnen wurden. Wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht, können Mikroballons sowohl expandierbar als auch nicht expandierbar sein (siehe Absatz [0008] des Streitpatents). Darüber hinaus bezieht sich keine der Passagen von D5, das Acrylfolien mit einem Anteil an Luftblasen von weniger als 2 % offenbart, auf hohle Polymerpartikel. Die in den Beispielen 1-6 und in den Tabellen in den Spalten 31 und 41 offenbarten Acrylfolien enthalten jeweils vernetzte PMMA-Partikel, Aluminiumpartikel und keramische Hohlpartikel.
Somit fehlt es der D5 an eindeutiger und unmittelbarer Offenbarung einer Zusammensetzung, die expandierte Mikrohohlkugeln umfasst und in der der Anteil an Kavernen ohne eigene Polymerhülle nicht mehr als 2 Vol.-% beträgt.
2.9 Daher ist der im Anspruch 15 definierte Gegenstand neu gegenüber D5.
3. Erfinderische Tätigkeit
Anspruch 1
3.1 Anspruch 1 bezieht sich auf ein Verfahren zur Herstellung einer geschäumten Polymermasse, deren Hohlräume von expandierten Mikrohohlkugeln gebildet werden. Das Verfahren sieht vor, dass zwei getrennte Stränge erzeugt werden, von denen der erste den überwiegenden Teil des Polymers und der zweite expandierbare Mikropartikel enthält, und dass diese Stränge getrennt entgast werden, bevor sie vermischt werden. Die Entgasung ist erforderlich, um die Bildung von Hohlräumen, die nicht durch Mikroballons erzeugt werden, zu vermeiden. Laut Streitpatent verhindert die getrennte Entgasung der beiden Stränge die vorzeitige Zerstörung der expandierbaren Mikroballons. Ausgangsstoffe, die nicht besonders scheranfällig sind, werden vermischt und getrennt entgast (siehe Absätze [0025] und [0040] des Streitpatents).
3.2 Die Kammer hält es im Übrigen für glaubhaft, dass die getrennte Entgasung der beiden Prozessstränge wirksam ist, um die in den Strängen vorhandene Luft zu entfernen und die Bildung von Kavernen, die nicht durch die Expansion der Mikroballons entstehen, zu verringern. Dies wird durch die mikroskopische Aufnahme der Abbildung 3 und durch die Eigenschaften der erfindungsgemäßen Produkte, die in den Beispielen dargestellt sind, belegt.
3.3 Es wurde nicht bestritten, dass D4 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt
3.4 Es ist weiterhin unstreitig, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von D4 nur darin unterscheidet, dass die Bestandteile des ersten Verfahrensstrangs, der den überwiegenden Teil der zu verwendenden Polymere enthält, und die Bestandteile des zweiten Verfahrensstrangs, der die expandierbaren Mikrokugeln enthält, separat entgast werden. Nach D4 erfolgt die Entgasung nämlich erst, nachdem alle Bestandteile, einschließlich der expandierbaren Mikropartikel, gemischt worden sind (Absätze 67 und 68 und Abbildung 4). Darüber hinaus lehrt D4, dass die vorzeitige Zerstörung der expandierbaren Mikrokugeln durch eine geeignete Wahl von Temperatur, Druck und Scherrate verhindert werden kann (Absatz 68).
3.5 Es kann dahinstehen, ob die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Wirkungen über diejenigen hinausgehen, die bereits bei der Durchführung des Verfahrens von D4 erzielt werden, und ob das beanspruchte Verfahren als ein verbessertes Verfahren angesehen werden kann.
Denn selbst wenn die zugrunde liegende Aufgabe lediglich als die Bereitstellung eines alternativen Verfahrens formuliert wird, kommt die Kammer aus folgenden Gründen zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
3.6 So enthält weder D4 noch eines der anderen zitierten Dokumente (D1, D2, D5 und D8) auch nur den geringsten Hinweis auf eine Entgasung der Ausgangsmaterialien in getrennten Strängen. Insbesondere lehrt keines der Dokumente eine separate Entgasung der Materialien des ersten Verfahrensstrangs, der keine Mikrohohlkugeln enthält.
3.7 Das in D4 beschriebene Verfahren sieht eindeutig vor, dass die Mischung nach Zugabe der expandierbaren Mikrohohlkugeln entgast wird, und die in diesem Dokument beschriebene Vorrichtung ist speziell dafür ausgelegt, das Verfahren auf diese Weise durchzuführen: siehe D4, Abbildung 4, insbesondere den Eingang 313, der für die Zugabe der Hohlkugeln verwendet wird, und den Eingang 309, der zur Erzeugung eines Unterdrucks nach Zugabe der Hohlkugeln dient.
3.8 D5 offenbart zwar ein Verfahren, bei dem Partikel getrennt von den weiteren Bestandteilen der Zusammensetzung entgast werden (Spalte 24, Zeilen 48-52), es wird aber gelehrt, dass die weiteren Komponenten der Zusammensetzung zusammen mit den (ggf. schon entgasten) Partikeln in einem weiteren Schritt entgast werden (Spalte 24, Zeilen 27-35). Dies steht dem Verfahren nach Anspruch 1 klar entgegen, wonach eben nicht nur die Bestandteile des zweiten Verfahrensstrangs, der expandierbare Mikrokugeln enthält, sondern auch die Bestandteile des ersten Verfahrensstrangs, welcher keine Mikrohohlkugeln enthält, separat entgast werden sollen. Mit anderen Worten würde der Fachmann ausgehend von D4 im Lichte von D5 allenfalls zu einem Verfahren, bei dem nur im die Mikroholkugeln führenden Verfahrensstrang entgast würde, und somit nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen.
3.9 Dieselben Überlegungen gelten für das Dokument D2. Keine der zitierten Passagen von D2 (insbesondere Seiten 6 und 7 sowie Abbildungen 1 und 2) beschreibt ein Verfahren, bei dem ein Verfahrensstrang, der keine Partikel enthält, getrennt entgast wird.
3.10 D1 und D8 belegen, dass der Einsatz von Mikrohohlkörpern als wässrige Dispersion bereits aus dem Stand der Technik bekannt war. Jedoch vermögen D1 und D8 dem Fachmann keinen Hinweis darauf zu geben, dass die Komponenten sowohl des ersten als auch des zweiten Verfahrensstrangs getrennt entgast werden.
3.11 Aus diesen Gründen basiert der Ansatz, wonach der Fachmann, der mit der Aufgabe der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zu dem von D4 konfrontiert ist, in D4 allein oder in Kombination mit D1, D2, D5 oder D8 den Hinweis auf die beanspruchte Lösung gefunden hätte, auf einer rein rückschauenden Betrachtung in Kenntnis des Streitpatents.
3.12 Deshalb beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Anspruch 15
3.13 Die Parteien waren sich einig, dass D4 den nächstliegenden Stand der Technik für den Gegenstand von Anspruch 15 darstelle und dass sich die beanspruchte geschäumte Polymermasse von derjenigen gemäß D4 dadurch unterscheide, dass der Anteil an Kavernen ohne eigene Polymerhülle unterscheidet nicht mehr als 2 Vol.-% beträgt.
3.14 Die Beschwerdeführerin vertrat allerdings die Meinung, dass D4 bereits lehre, die Ausgangsmaterialien zu entgasen und damit zwangsläufig auch die Bildung von Luftkavernen durch Entgasung zu verhindern. Die Auswahl des im Anspruch 15 definierten Anteils an Luftkavernen sei mit keinem technischen Effekt verbunden und deswegen naheliegend. Außerdem machte die Beschwerdeführerin geltend, dass Anspruch 15 lediglich angebe, was gemäß Absatz [0008] des Streitpatents das zu erzielende Ergebnis sei. Die Lösung dieser Aufgabe könne nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
3.15 Die Kammer ist von diesen Argumenten nicht überzeugt.
Zwar ist bei der Bestimmung der objektiv zu lösenden Aufgabe zunächst grundsätzlich von der im Patent genannten Aufgabe auszugehen (siehe z.B. T 606/99, Punkt 5.3.1 der Gründe, dritter Absatz). Die im Patent genannte Aufgabe ist jedoch mitunter umzuformulieren, insbesondere wenn diese nicht gelöst bzw. bereits im nächstliegenden Stand der Technik gelöst ist (siehe z.B. T 39/93, Punkte 5.3.1 bis 5.3.3 der Gründe). Nach ständiger Rechtsprechung ist die technische Aufgabe einer Erfindung darüber hinaus so zu formulieren, dass sie keine Lösungsansätze enthält oder teilweise die Lösung vorwegnimmt, denn dies würde zwangsläufig zu einer rückschauenden Betrachtungsweise der erfinderischen Tätigkeit führen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage, I-D, 4.3.1 und insbesondere die darin zitierte Entscheidung T 229/85, Punkt 5 der Gründe).
Daraus folgt, dass eine technische Aufgabe, welche zwar im Patent erwähnt wird, jedoch Lösungsansätze enthält bzw. teilweise die Lösung vorwegnimmt, als objektiv zu lösende Aufgabe ausscheidet.
3.16 Im vorliegenden Falle heißt es in Absatz [0003] des Patents wie folgt:
"Die bekannten Typen mit Mikroballons geschäumter Polymere [...] weisen neben den durch Mikroballons erzeugten Hohlräumen (häufig "Kavernen" genannt) auch solche Hohlräume auf, die nicht umgeben sind...".
Auf die dort erwähnten Hohlräume wird dann im in Streit stehenden Absatz [0008] Bezug genommen, wo es wie folgt heißt:
"Aufgabe der Erfindung ist es, eine geschäumte Polymermasse [...] zur Verfügung zu stellen, die frei ist von solchen Hohlräumen, die nicht durch Mikroballons erzeugt sind..."
3.17 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich dabei vom nächstliegenden Stand der Technik gerade darin, dass der Anteil an Kavernen ohne eigene Polymerhülle, d.h. der Anteil der genannten Hohlräume, nicht mehr als 2 Vol.-% beträgt (siehe Punkt 3.13 oben). Folglich enthält die in Absatz [0008] genannte Aufgabe bereits einen Lösungsansatz bzw. nimmt die Lösung wenigstens teilweise vorweg. Diese Aufgabe scheidet daher als objektive zu lösende Aufgabe aus.
3.18 Darüber hinaus müssen, wie von der Beschwerdegegnerin erwähnt, bei der Formulierung der technischen Aufgabe die Absätze [0003] und [0055] des Streitpatents berücksichtigt werden. Diese lehren, dass geschäumte Materialien, die unter Einsatz von expandierbaren Mikroballons hergestellt werden, verbesserte Eigenschaften aufweisen, wenn sie eine geringe Anzahl von Hohlräumen enthalten. Insbesondere werden eine höhere Festigkeit und Kohäsion, eine bessere Dichtung gegen Staub und flüssige Medien und ein höherer Permeationswiderstand für Gase erzielt.
Es ist glaubhaft, dass das Unterscheidungsmerkmal (der im Anspruch 15 angegebene maximale Anteil an Kavernen ohne eigene Polymerhülle) die im Patent erwähnten verbesserten Eigenschaften bewirkt. Dies wurde im Übrigen von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten.
3.19 Die objektive technische Aufgabe ist daher die Bereitstellung einer geschäumten Polymermasse umfassend expandierte Mikrohohlkugeln, die die obengenannten verbesserten mechanischen Eigenschaften aufweist. Diese Aufgabe ist auch, wie oben dargelegt, als gelöst anzusehen.
3.20 Keines der zitierten Dokumente lehrt, im beanspruchten Bereich zu arbeiten, um diese Eigenschaften zu erzielen.
3.21 D4 befasst sich nicht mit dieser Eigenschaften, sondern eher mit der Bereitstellung von thermisch leitfähigen Schäumen. Ferner zielt D4 nicht ausdrücklich auf die Vermeidung von Gaseinschlüssen ab, da es als Alternative zu expandierbaren Mikrokugeln die Verwendung von Gasen als Treibmittel für die Schäumung vorsieht (siehe Absatz [0067] und Anspruch 21).
3.22 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin gebe D5 dem Fachmann den Anreiz, die Gaseinschlüsse zu verringern. D5 zielt jedoch ebenfalls nicht auf die Bereitstellung eines Schaumstoffs ab, der die oben genannten Eigenschaften aufweist. Darüber hinaus offenbart D5, wie bereits oben festgestellt (Punkt 2.8), keine geschäumten Materialien, die mit expandierbaren Mikropartikeln hergestellt wurden. Der Fachmann wäre daher davon ausgegangen, dass eine Übertragung der Lehre von D5 auf seine Aufgabenstellung nicht möglich war. Deshalb vermag D5 keinen Hinweis auf die beanspruchte Lösung zu geben.
3.23 In Analogie zu dem, was für Anspruch 1 entschieden worden ist, basiert der Ansatz, dass der Fachmann, der mit der dem Anspruch 15 zugrunde liegenden Aufgabe konfrontiert ist, in D4 allein oder in Kombination mit D5 den Hinweis auf die beanspruchte Lösung gefunden hätte, auf einer rein rückschauenden Betrachtung in Kenntnis des Streitpatents. Deshalb beruht auch der Gegenstand des Anspruchs 15 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.