T 0360/90 07-05-1992
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Sattdampfturbinenlage
Erfinderische Tätigkeit - bejaht
Inventive step (yes)
I. Auf den Gegenstand der am 20. Oktober 1983 angemeldeten europäischen Patentanmeldung Nr. 83 110 462.5, ist am 2. September 1987 das einen einzigen Patentanspruch umfassende europäische Patent Nr. 0 110 101 erteilt worden.
Der erteilte Patentanspruch hat folgenden Wortlaut:
"Sattdampfturbinenanlage bei Nuklearbetrieb, im wesentlichen bestehend aus einer Hochdruckturbine (1), mindestens einer Niederdruckturbine (3), einem Generator (4), wobei in der Verbindungsleitung zwischen Hochdruckturbine und Niederdruckturbine ein Hochgeschwindigkeits-Wasserabscheider (6) und nachgeschaltet ein Zwischenüberhitzer (7) plaziert sind, dadurch gekennzeichnet, daß der dem Hochgeschwindigkeits- Wasserabscheider nachgeschaltete, im Kreuzstrom von Heizdampf angeströmte Zwischenüberhitzer annähernd denselben Durchflußquerschnitt wie die Verbindungsleitung (2) aufweist."
II. Gegen das erteilte Patent hat die jetzige Beschwerdeführerin Einspruch eingelegt und beantragt, das Patent zu widerrufen (Artikel 100 a) und b) EPÜ), da die technische Lehre des einzigen Patentanspruches nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, daß ein Fachmann sie ausführen könne und da die unvollständige technische Lehre des Patentanspruches durch den Stand der Technik in Verbindung mit dem üblichen Fachwissen nahegelegt sei. In der Begründung hat sie sich u. a. bezogen auf
D1 = B. Andrieux et al, "EVOLUTION DES CONDENSEURS, DES POSTES D'EAU ET DES SEPARATEURS DE VAPEUR", A.I.M - Liège, "Centrales Electriques Modernes", 1981, Seiten 45.1 und 45.10 bis 45.15;
D2 = DE-A-1 551 209
D3 = CH-A-458 398
D4 = BE-A-360 228
III. Nachdem der Einspruch von der Einspruchsabteilung durch Entscheidung vom 11. Januar 1990 zurückgewiesen wurde, hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 2. Mai 1990 unter gleichzeitiger Bezahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 2. Juli 1990 begründet.
IV. Die Beschwerdeführerin nannte zur Stützung der Beschwerde erstmals die Druckschrift
D6 = "Betriebserfahrungen mit neuen Vor- und Hochgeschwindigkeitsabscheidern", ABB Technik 3/90, Seiten 3 - 10.
Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vorgebracht:
Die vorgebliche Erfindung sei nicht in der Weise ausführbar, daß durch die vorgeschlagenen technischen Maßnahmen der gewünschte Erfolg, die Konstanz der Geschwindigkeit der Dampfströmung, erzielt werde.
Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe sei nicht richtig gefaßt. Die Aufgabe könne darin gesehen werden eine Geschwindigkeitseinbuße zu verhindern.
Die erzielbare höhere Effizienz gehe nicht auf den Zwischenüberhitzer (ZÜ) zurück, sondern auf den bereits bekannten Hochgeschwindigkeits-Wasserabscheider (HGW).
Bei dem im Dokument D1 beschriebenen HGW handele es sich um eine Neuentwicklung. Der Fachmann bekäme im Dokument D1 bereits einen Hinweis (vgl. Seite 45.10, linke Spalte, zweiter Absatz und Seite 45.15, dritter Absatz), die Anlage zu verkleinern und würde aufgrund seines fachlichen Könnens auch die weiteren Apparate, wie den ZÜ, an die durch den neuen HGW gegebenen Vorteile anpassen und verkleinern. Überdies sei im Dokument D3 eine Anlage dargestellt, die einen Wasserabscheider und einen ZÜ zeige deren Durchmesser nur geringfügig größer seien als der Durchmesser der Leitungen. Man könne daraus schließen, daß der Durchflußquerschnitt des ZÜ annähernd denselben Durchflußquerschnitt wie die Verbindungsleitung aufweise. Auch das Dokument D2 zeige, verglichen mit den Verbindungsleitungen, einen ZÜ mit einem geringen Durchmesser. Außerdem stelle die vermeintliche Erfindung nur eine zufällige Aggregation von bekannten Merkmalen dar.
V. Am 7. Mai 1992 fand vor der Beschwerdekammer eine mündliche Verhandlung statt, in der seitens der Beschwerdeführerin im wesentlichen nur die erfinderische Tätigkeit in Frage gestellt und auf die Dokumente D1 bis D4 hingewiesen wurde. Die Neuheit des Gegenstandes des Streitpatentes wurde nicht bestritten und die Frage der Ausführbarkeit des Gegenstandes wurde nach Anfrage der Kammer nicht mehr aufgegriffen.
Die Beschwerdegegnerin widersprach den Ausführungen der Beschwerdeführerin und wies darauf hin, daß aus keinem der im Verfahren zum Stand der Technik genannten Dokumente das Merkmal zu entnehmen sei, daß der ZÜ annähernd denselben Durchflußquerschnitt wie die Verbindungsleitung aufweise. Es bestand jedoch Übereinstimmung darin, daß die Merkmale des Oberbegriffes des Patentanspruches aus dem Dokument D1 bekannt seien und daß es allgemein üblich sei bei Sattdampfturbinenanlagen einen Kreuzstromwärmetauscher zu verwenden.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ; sie ist zulässig.
2. Offenbarung der Erfindung (Art. 100 b) EPÜ)
Die Beschwerdekammer ist übereinstimmend mit der Einspruchsabteilung der Auffassung, daß die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart ist, daß sie ein Fachmann ausführen kann. Die Frage der Ausführbarkeit wurde von der Beschwerdeführerin bei der mündlichen Verhandlung am Ende des Beschwerdeverfahrens nach Anfrage der Kammer nicht mehr aufgegriffen. Deshalb erübrigt sich eine Begründung.
3. Zulässigkeit von Änderungen (Art. 123 (2) und (3) EPÜ)
Daß der Patentanspruch und die übrigen vorliegenden Unterlagen des angefochtenen Patents die formalen Erfordernisse gemäß der Art. 123 (2) und (3) EPÜ erfüllen, ist unter den Parteien nicht umstritten. Nach Meinung der Beschwerdekammer sind die im Prüfungsverfahren vorgenommenen Änderungen im Hinblick auf Art. 123 (2) EPÜ zulässig. Im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren wurde der Patentanspruch des Streitpatents nicht geändert, so daß sich die Frage der Zulässigkeit nach Art. 123 (3) EPÜ nicht stellt.
4. Neuheit
Die Sattdampfturbinenanlage nach dem Patentanspruch des angefochtenen Patents ist, wie die Prüfung der vorliegenden, zum Stand der Technik genannten Druckschriften durch die Kammer ergeben hat, neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ. Im einzelnen braucht die Neuheit nicht begründet zu werden, da diese von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nicht bestritten worden ist.
5. Nächstkommender Stand der Technik
Übereinstimmend mit der Beschwerdeführerin sieht die Kammer als nächstkommenden Stand der Technik denjenigen gemäß Dokument D1 an, auf den sich der Oberbegriff des Patentanspruches bezieht.
In diesem Dokument D1 wird im wesentlichen die Anwendung eines neuentwickelten HGW anstelle eines konventionellen Wasserabscheiders beschrieben. Es geht daraus hervor, daß der HGW zunächst zu Versuchszwecken in verschiedenen Anlagen mit konventionellem ZÜ eingebaut wurde. In der Zusammenfassung des Berichtes ist angeführt, daß die Investitionskosten dank einer Reduzierung des Raumbedarfes der Abscheider- Überhitzer- Anlage verringert werden können (vgl. Seite 45.15, dritter Absatz). Weiterhin ist für die Zukunft eine Verringerung der Kosten durch die Verwendung zweier HGW unter Verzicht auf einen ZÜ in Aussicht gestellt.
6. Aufgabe und Lösung
6.1. Der im Dokument D1 beschriebenen HGW wurde in Anlagen mit konventionellem ZÜ erprobt. Diese Anlagen wiesen teilweise einen noch nicht optimalen Wirkungsgrad auf (vgl. Seite 45.14, rechte Spalte, Zeilen 1 und 2).
6.2. Ausgehend von diesem aus dem Dokument D1 bekannten Stand der Technik besteht die objektive Aufgabe, die durch die Erfindung zu lösen ist, darin, bei einer Sattdampfturbinenanlage mit einem HGW und ZÜ die Vorteile des HGW durch Anpassung der Anlage weiter zu nutzen und mit einfachstem Aufwand eine Minimierung des Energiebedarfs für die Zwischenüberhitzung des zur Niederdruckturbine strömenden Dampfes zu erzielen.
6.3. Diese gegenüber dem Stand der Technik objektive Aufgabenstellung unterscheidet sich von der in der angefochtenen Patentschrift genannten Aufgabe in ihrem sachlichen Inhalt dadurch, daß sie nicht die schon bekannte optimale Wasserabscheidung durch den HGW zum Ziel hat, sondern die Anpassung der weiteren Teile der Anlage an die Vorteile des HGW. Die Kammer kann auch der durch die Beschwerdeführerin vorgetragenen Aufgabe nicht zustimmen, weil sie schon die Lösung oder das Resultat der Lösung direkt anspricht, nämlich das Vermeiden von Geschwindigkeitseinbuße, das direkt mit dem beanspruchten Durchflußquerschnitt zusammenhängt. Dies um so mehr als diese Geschwindigkeitseinbuße beim Durchfließen der Überhitzer bisher stets in Kauf genommen wurde. Die so definierte Aufgabe bezieht sich daher bereits auf Lösungsansätze, die im vorliegenden Stand der Technik nicht vorhersehbar waren und ist somit nicht zulässig (vgl. T 229/85, ABl. EPA, 1987, 237).
6.4. Die Aufgabe wird durch den Gegenstand des Patentanspruches gelöst. Durch das Anströmen des Zwischenüberhitzers im Kreuzstrom wird zwar nur der bei Sattdamfturbinenanlagen allgemein bekannte Vorteil des Kreuzstrom-Wärmeaustausches ausgenutzt, worin keine spezielle Anpassung der Anlage an den HGW gesehen werden kann. Durch die Angleichung des Durchflußquerschnittes des ZÜ an den der Verbindungsleitung, wird jedoch eindeutig eine Anpassung der Anlage an den HGW erreicht. Diese Ausbildung vermeidet nämlich eine bis zum Prioritätstag übliche Geschwindigkeitsverringerung im ZÜ. Die durch die Vermeidung der Geschwindigkeitsabbremsung erzielbare Verringerung der Druckverluste im ZÜ trägt zur Wärmeersparnis bei. Die Kammer kann dem Einwand der Beschwerdeführerin, die Erfindung sei nicht in der Weise ausführbar, daß der gewünschte Erfolg, und zwar das in der Patentschrift erwähnte Konstanthalten der Geschwindigkeit der Dampf- strömung (Spalte 2, Zeilen 50 bis 54), erzielt werde, nicht folgen. Es ist zwar richtig, daß die Aufgabe der Erfindung in der Beschreibung klarer formuliert werden hätte können, doch ist darin kein Einspruchsgrund zu sehen. Aus der Beschreibung geht jedoch hervor, daß im Vergleich mit den üblichen ZÜ nicht das Konstanthalten der Geschwindigkeit erforderlich ist, sondern das Vermeiden einer Geschwindigkeitseinbuße der Dampfströmung (vgl. Spalte 1, Zeilen 46 bis Spalte 2, Zeile 26), wie dies die Beschwerdeführerin bei ihrem Einwand zur Aufgabenstellung auch richtig erkannt hat.
7. Erfinderische Tätigkeit
7.1. Die dem angefochtenen Patent zugrundeliegende Aufgabe, die Sattdampfturbinenanlage an den HGW anzupassen, ist zwar aus dem Dokument D1 ableitbar, doch erhält der Fachmann aus keinem der in Betracht gezogenen Entgegenhaltungen eine Anregung zu der im Patentanspruch des Streitpatents angegebenen speziellen Ausbildung des Zwischenüberhitzers.
7.2. Selbst wenn der Fachmann, angeregt durch den Hinweis im Dokument D1 (Seite 45.15, dritter Absatz) die Anlage zu verkleinern und durch den Hinweis auf eine verbesserte Wasserabscheidung im HGW, die Abmessungen des ZÜ verkleinern würde, so ist es nach Meinung der Kammer nicht naheliegend den Durchflußquerschnitt des ZÜ soweit zu verringern, daß er annähernd gleich dem der Verbindungsleitung ist. Hierzu gibt weder das Dokument D1 einen Anhaltspunkt, noch die übrigen im Verfahren genannten Entgegenhaltungen. Zwar ist zu berücksichtigen, daß es sich bei dem HGW um eine Neuentwicklung handelt, bei der der Fachmann erwartungsgemäß von sich aus eine Weiterbildung der mit dieser Neuentwicklung in Verbindung stehenden Teile ins Auge fassen wird, doch kann dabei nicht davon ausgegangen werden, daß er die bisher üblichen Ausbildungsmerkmale dieser Teile unberücksichtigt läßt. Die Beschwerdeführerin konnte nicht schlüssig nachweisen, daß aufgrund der Angaben im Dokument D1 der Fachmann von den konventionellen ZÜ, die im allgemeinen eine Querschnittserweiterung gegenüber der Verbindungsleitung aufweisen und damit eine Geschwindigkeitsverringerung der Strömung zur Folge haben, so weit abweicht, daß der im Patentanspruch des angegriffenen Patentes angegebene Querschnitt erreicht wird. Im Gegenteil, um die von den ZÜ begleiteten hohen thermodynamischen Verluste zu vermeiden ist im Dokument D1 vorgeschlagen (vgl. Seite 45.14, rechte Spalte und Seite 45.15, fünfter Absatz) auf den ZÜ völlig zu verzichten und zwei HGW vorzusehen. Es ist daher nicht naheliegend, selbst bei einer Verkleinerung der Anlage im Hinblick auf eine Wirkungsgradverbesserung, den Durchflußquerschnitt des ZÜ bis herab zum Durchflußquerschnitt der Verbindungsleitung zu verringern. Vielmehr würde der Fachmann einen Verzicht auf den ZÜ in Betracht ziehen.
7.3. Eine Anregung, den Durchflußquerschnitt des ZÜ dem der Verbindungsleitung anzugleichen, ist auch nicht aus den Dokumenten D2 und D3 zu entnehmen. Die Sattdampfturbinenanlagen nach Dokument D2 und nach Dokument D3, auf die seitens der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung noch besonders hingewiesen wurde, enthalten jeweils einen Wasser- abscheider und einen nachgeschalteten ZÜ. Ein Hochgeschwindigkeits-Wasserabscheider ist dort nicht genannt. In den Zeichnungen sind zwar die ZÜ nur geringfügig breiter dargestellt als die Verbindungsleitungen, hier handelt es sich jedoch, wie dies in der Beschreibung jeweils deutlich angeführt ist, um schematische Darstellungen. Querschnittsverhältnisse zwischen den ZÜ und den Verbindungsleitungen oder Abmessungen, sind weder in den Zeichnungen noch in den Beschreibungen angegeben. Bei diesen schematischen Darstellungen sieht sich der Fachmann nicht veranlaßt, die erwartungsgemäß zufälligen Abmessungen zu vergleichen und nicht ersichtliche Durchschnittsquerschnitte davon abzuleiten.
7.4. Das weitere im Beschwerdeverfahren genannte Dokument D4 wurde nur zum Nachweis des Bekanntseins von im Kreuzstrom von Heizdampf angeströmten ZÜ herangezogen. Es ist jedoch unbestritten, daß die Verwendung von im Kreuzstrom angeströmten ZÜ bei Sattdampfturbinenanlagen bekannt ist. Ein Indiz, Durchflußquerschnitte anzupassen, ist diesem Dokument nicht zu entnehmen.
7.5. Die Druckschrift D6 ist lediglich zur Stützung der Argumente der Beschwerdeführerin genannt und ist nach dem Anmeldetag der dem Patent vorausgegangenen Anmeldung veröffentlicht. Sie ist daher kein Stand der Technik nach Art. 54 (2) und (3) EPÜ.
7.6. Da das Merkmal, das besagt, daß der ZÜ annähernd denselben Durchflußquerschnitt aufweist wie die Verbindungsleitung, aus dem Stand der Technik nicht als naheliegend hergeleitet werden kann, ist der Gegenstand des Patentanspruches insgesamt als auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruhend anzusehen (vgl. Beschwerdeentscheidung T 111/86).
8. Angesichts der in den Abschnitten 4 bis 7 genannten Gründe kann das erteilte Patent in unveränderter Form aufrechterhalten werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.