Europäischer Erfinderpreis

Mit Nanotechnologie gegen Krebs

Patrick Couvreur

Gewinner des Europäischen Erfinderpreises 2013 in der Kategorie Forschung

Patrick Couvreur, Barbara Stella, Véronique Rosilio und Luigi Cattel, Erfinder von Krebsmedikamenten in Form von Nanokapseln

Wissenschaftler auf dem Gebiet der Krebsmedizin träumen schon lange von einer Art Zauberkugel, mit der sich die Krebszellen ohne Beeinträchtigung des gesunden Gewebes beseitigen lassen. Dieser Traum wurde Wirklichkeit, seitdem Nanokapseln, die wirksame Krebsmedikamente direkt zum Tumor transportieren, Einzug in den klinischen Alltag gehalten haben.

Die revolutionäre Therapie basiert auf den bahnbrechenden, patentierten Entdeckungen des aus Belgien stammenden Nanotechnologiepioniers Patrick Couvreur, Professor und Direktor der Abteilung für Physikalische Chemie, Pharmakotechnologie und Biopharmazie der Universität Paris Sud in Frankreich.

Krebs heilen?

Laboratory Trotz Fortschritten bei der Behandlung zählt Krebs weltweit immer noch zu den häufigsten Todesursachen. Und damit nicht genug: Bis zum Jahr 2030 rechnen Forscher der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) mit 22,2 Mio. neuen Krebsfällen auf der ganzen Welt und damit einem Anstieg um 75 % gegenüber 2008.

Die Chemotherapie, also die Behandlung von Krebs mit toxischen Chemikalien zur Unterdrückung der Vermehrung der Krebszellen, zählt zu den wichtigsten Methoden zur Bekämpfung der Erkrankung.

Die Chemotherapie wurde erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts eingesetzt und beruht stets auf demselben Prinzip: Die aggressiven Chemikalien lassen Zellen mit einer hohen Zellteilungsrate absterben, beispielsweise Krebszellen.

Die Nebenwirkungen der Chemotherapie können jedoch verheerend sein, da sie nicht nur auf Tumoren wirkt, sondern auch die gesunden Zellen in der Leber, dem Verdauungstrakt und dem Knochenmark der Patienten schwer schädigen kann. Es kommt auch auf die richtige Dosierung an: Der Unterschied zwischen Gift und Heilmittel besteht häufig in nur wenigen Milligramm.

„Bei Pharma-unternehmen müssen Patentfragen stets eindeutig und zielgerichtet geklärt werden, bevor in Entwicklung und Produktion investiert werden kann.“

Eine Zauberkugel gegen Krebs

Auf der Suche nach einer Alternative hatte der „Vater“ der Chemotherapie und Träger des Medizinnobelpreises 1908, Paul Ehrlich, die Vision von einer kontrollierteren Methode zur Beseitigung der betroffenen Zellen. Der Pionier träumte von Medikamenten gleich – wie er sie nannte – Zauberkugeln, die niemals ihr Ziel verfehlen.

Der Wunsch nach diesen Zauberkugeln blieb bis zum Jahr 1977 ein Traum, als Nanotechnologiepionier Professor Peter Paul Speiser an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich den jungen Forscher Patrick Couvreur kennenlernte.

Gemeinsam erforschten sie das Grundprinzip der heutigen Nanotechnologie: Durch das Einschließen des Wirkstoffs in Nanokapseln – winzigen Materialien, die sich nach der Verabreichung nach und nach auflösen – wirken die Medikamente nachhaltiger und kontrollierter. Auch unerwünschte Nebenwirkungen werden gemindert.

Der lange Weg zum wissenschaftlichen Durchbruch

Im Jahr 1979 konnte Couvreur erfolgreich Medikamente mit biologisch abbaubaren Nanopartikeln umhüllen und sie damit – zumindest theoretisch – für die Anwendung beim Menschen nutzbar machen.

Bald darauf setzte Couvreur seine Forschung an der Universität Paris Sud fort, wo er eine Schlüsselposition als Forscher und Koordinator zwischen der Welt der Wissenschaft und der Pharmaindustrie bekleidete.

Um klinische Studien für seine Erfindung zu ermöglichen, gründete Couvreur 1997 das Unternehmen BioAlliance Pharma mit Sitz in Paris. Zu den ersten Herausforderungen zählte die Steigerung des Volumens bei der Nanopartikel-Produktion: „Für die Labortests benötigten wir stets nur wenige Milligramm, für die klinischen Studien Kilogramm“, erzählt Couvreur.

Auch die Sicherung eines europäischen Patents war für den Erfolg des jungen Unternehmens entscheidend: „Bei Pharmaunternehmen müssen Patentfragen stets eindeutig und zielgerichtet geklärt werden, bevor in Entwicklung und Produktion investiert werden kann“, sagt Couvreur.

„Bislang konnten wir das Verhältnis von Arznei-mitteltransporter und Arznei-mittelwirkstoff um den Faktor 50 optimieren. Ich bin gespannt, wo wir in ein paar Jahren stehen werden.“

Brückenschlag zwischen Forschung und Praxis

LaboratorySeit seiner Gründung im Jahr 1997 brachte Couvreurs Unternehmen BioAlliance Pharma über Finanzinvestoren und strategische Investoren eine Summe von 20,8 Mio. EUR (27,0 Mio. USD) auf. Die aktuellen Ergebnisse sind sehr vielversprechend:

„Bislang konnten wir das Verhältnis von Arzneimitteltransporter und Arzneimittelwirkstoff um den Faktor 50 optimieren. Ich bin gespannt, wo wir in ein paar Jahren stehen werden“, so Couvreur.

Die Nanomedikamente von Couvreur eignen sich insbesondere zur Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs und betreffen damit ein Segment des Arzneimittelmarktes, dessen Umfang bis 2015 voraussichtlich 1,5 Mrd. USD überschreiten wird. In Europa ist Bauchspeicheldrüsenkrebs die zehnthäufigste Krebserkrankung, von der 2,6 % der Krebspatienten beiderlei Geschlechts betroffen sind. Sie ist außerdem die achthäufigste Hauptursache für Todesfälle im Zusammenhang mit Krebs und fordert jedes Jahr etwa 65.000 Opfer.

„Unsere Forschung beinhaltet auch andere Krankheiten, z. B. HIV. Die ersten Tests waren sehr ermutigend und haben gezeigt, dass unsere Nanokapseln auch die Effizienz der Medikamentendosierung in der HIV-Behandlung steigern können“, erläutert Couvreur.

Der Traum von einem Institut zur Entdeckung von Medikamenten

Im Einklang mit seinem konstanten Streben nach medizinischen Durchbrüchen und deren Entwicklung bis hin zur klinischen Praxis hat Patrick Couvreur an der Universität Paris Sud die Therapeutics Innovation Doctoral School mitbegründet, wo er jetzt Direktor der Abteilung für Physikalische Chemie, Pharmakotechnologie und Biopharmazie mit einem Team von 110 Forschern ist.

„Mein großer Traum ist die Entwicklung eines wirksamen Krebsmedikaments und die Einrichtung eines Instituts zur Entdeckung von Medikamenten in der Region Ile-de-France, um Frankreich auf diesem Gebiet zu internationaler Aufmerksamkeit zu verhelfen“, erzählt Couvreur.

Lebenslanges Engagement für die Forschung

Gemeinsam mit seinem Forschungsteam beim Start-up-Unternehmen Medsqual arbeitet Couvreur zurzeit an der dritten Generation von Nanopartikeln. Die Forscher kombinieren das Krebsmedikament Gemcitabin mit dem kompakten Lipid Squalen, um die Wirkung auf Tumoren um das Zehnfache zu steigern. Das neue Medikament wurde 2011 patentiert und durchläuft derzeit Phase III der klinischen Studien. Die Zulassung seitens der FDA und der EU-Regulierungsbehörden wird für 2015/2016 erwartet.

Durch sein Engagement für die Forschung und die konstante Lobbyarbeit in der Pharmaindustrie hat Patrick Couvreur eine Schlüsselrolle dabei gespielt, Paul Ehrlichs mehr als 100 Jahre alten Traum von den Zauberkugeln wahr werden zu lassen.


Funktionsweise

Die von Patrick Couvreur erfundenen Nanopartikel sind zwischen 10 und 1.000 Nanometer groß und können den Körper passieren, ohne wie herkömmliche Medikamente, die ins Blut injiziert werden, absorbiert oder aufgelöst zu werden.

Anstatt ihre biologisch aktiven Wirkstoffe direkt nach der Injektion freizusetzen, werden die Medikamente innerhalb der Nanokapseln erst wirksam, nachdem sich die äußere Hülle aufgelöst hat, und zwar entweder aufgrund einer Temperaturveränderung oder aufgrund chemischer Faktoren, z. B. dem Abbau von Fetten in bestimmten Körperregionen.

Aus diesem Grund bieten Nanokapseln gegenüber herkömmlichen Injektionen eine deutlich längere Halbwertzeit in der Blutbahn und können außerdem wesentlich konzentrierter und räumlich präziser wirken.

Ein weiterer Vorteil der Umhüllung von Medikamenten mit Polymeren liegt in der Tatsache, dass das menschliche Immunsystem das Medikament erst erkennt, wenn sich die Hülle aufgelöst hat. In Verbindung mit der geringen Größe ermöglicht diese „Tarnumhüllung“ den Transport dieser mit Medikamenten gefüllten Nanopartikel durch das Blut und sogar das Passieren der Blut-Hirn-Schranke.

Science-Fiction, Nanoroboter und ferngesteuerte Medikamente

Vor der Entwicklung zu einem Milliarden-Dollar-Markt (bis 2015 wird mit einem Umfang von mehr als 30 Mrd. USD gerechnet) war die Nanotechnologie Stoff für Science-Fiction-Filme. Im Jahr 1966 wurde in dem Film „Die phantastische Reise“ ein Team von Forschern auf Nanogröße geschrumpft und in die Blutbahn eines Menschen injiziert. An medizinischen Hochschulen wurde der Film gezeigt, um die Grundsätze der Immunologie zu veranschaulichen.

Heute arbeiten Forscher eifrig an der Konstruktion von Nanorobotern, winzigen Maschinen mit einer Größe zwischen 0,1 und 10 Mikrometern. In der Zukunft könnten diese Mikromaschinen Patienten injiziert werden, um eine Reihe von Aufgaben wahrzunehmen, von der Diagnostik bis hin zur Reparatur von Zellen mittels Nanochirurgie.

Ein weiterer aktueller Ansatz zur kontrollierten Wirkstoffabgabe liegt in der Kombination von Nanopartikeln und magnetischen Nanokristallen, die mittels Hochresonanzmagnetfeldern wie ferngesteuert gezielt an Stellen innerhalb des menschlichen Körpers dirigiert werden können.

Der Bedarf an wirksamen Krebsmedikamenten ist höher als je zuvor. Krebs ist derzeit weltweit die Haupttodesursache. Die Weltgesundheitsorganisation rechnet damit, dass im Jahr 2030 die Zahl der Krebsopfer auf 13,1 Mio. angestiegen sein wird.

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