Europäischer Erfinderpreis

Eine unbekannte Heldin des 21. Jahrhunderts

Sophie Wilson

Sophie Wilson, Erfinderin des ARM-Prozessors

Nicht jedes technische Genie hat das Profil von Steve Jobs, dem Apple-Gründer, oder Tim Berners-Lee, dem Erfinder des World Wide Web. Das schmälert aber den Beitrag solcher Genies keineswegs. Sophie Wilson ist ein lebender Beweis dafür.
 
Zweifellos nimmt Wilson mit ihrer bahnbrechenden Arbeit einen wichtigen Platz unter den wegweisenden Architekten unserer modernen computergestützten Welt ein.


ARM-Prozessor In ihrer 35-jährigen beruflichen Laufbahn hat sie 59 Patente angemeldet, und zu ihren Verdiensten zählen die Entwicklung von einigen der weltweit ersten, kommerziell erfolgreichen Computer und die Erfindung des ursprünglichen ARM-Computer-Prozessors, dessen Nachfolgerversionen nun in den meisten mobilen Computern und Smartphones der Welt verwendet werden.

Wilson ruhte sich nicht auf ihren Lorbeeren aus und entwarf nach dieser ersten großen Leistung den FirePath-Prozessor, mit dem Geräte für den Breitband-Internet-Zugang betrieben werden können. Das von Sophie Wilson und anderen gegründete Unternehmen, in dem der FirePath-Prozessor entwickelt wurde, wurde nur zwei Jahre nach der Markteinführung für den sensationellen Betrag von 594 Mio. USD verkauft.

Von der Viehfütterung zu Spielautomaten

Sophie Wilsons Werdegang, in dessen Verlauf sie immer mehr Bekanntheit als eine der einflussreichsten Frauen in der Informatikgeschichte erlangte, ist alles andere als konventionell. Ihr erstes kommerzielles Produkt war eine Maschine zur automatischen Viehfütterung, die sie 1979 während eines Sommerurlaubs entwickelte, als sie noch an der Universität von Cambridge Mathematik und Informatik studierte.

Was war das Besondere an dieser Maschine zur Viehfütterung? Sie wurde auf der Grundlage des Prozessors MOS 6502 entwickelt, einem neuen kostengünstigen Mikrochip, der vom US-Hersteller MOS Technology Inc. gebaut wurde. Dieser Prozessor leitete Ende der 70er Jahre die Ära erschwinglicher Computer ein, und Wilson gelang bald danach direkt nach ihrem Studienabschluss eine bahnbrechende Erfindung.

„In der aktuellen IT und Hardware-Geschäftswelt sind Patente ein entscheidendes Mittel zur Sicherung langfristigen Erfolgs.“

Lösungen? – Kein Problem

Schon vor Abschluss ihres Studiums wurde Wilson vor eine interessante Herausforderung gestellt, bei der sie nicht nur ihre Vielseitigkeit unter Beweis stellen konnte, sondern auch einem Mann begegnete, der ihre frühe Laufbahn stark prägen sollte – Hermann Hauser. Hauser war ein 28-jähriger Physiker, der an der Universität von Cambridge studiert und das Unternehmen Cambridge Processor Unit gegründet hatte.

Der erste Auftrag des Unternehmens stammte von einem Hersteller für Spielautomaten, der ein skurriles, aber dennoch ernstes technisches Problem hatte: Ein neuer Typ von elektrischen Feuerzeugen löste bei elektrischen Spielautomaten eine automatische Geldauszahlung aus.

Wilson hatte die Aufgabe, eine Lösung zu finden, und dies gelang ihr auf brillante Art. Ihre Strategie bestand darin, dass die vom Feuerzeug erzeugte elektrische Ladung entdeckt und die unerwünschte Gewinnauszahlung verhindert wurde, indem in die Elektronik der Maschine ein Breitbandradio-Empfänger installiert wurde.

Hauser reagierte schnell und entschieden. Er stellte Wilson unmittelbar nach Abschluss ihres Studiums als leitende Entwicklerin ein und legte damit die Grundlagen für die Herausforderung, der sie sich ein Leben lang stellte: die Entwicklung erschwinglicher Computer durch wegweisende Erfindungen.

Vielversprechende Anfänge bei Acorn

Nach der Neugründung seines Unternehmens als Acorn Computers im März 1979 in Cambridge setzte Hauser Wilson als Trumpfkarte bei der Entwicklung eines erschwinglichen Computers ein.

Während des gesamten Entwicklungsprozesses war Wilson für das Projekt verantwortlich. Sie entwarf das Betriebssystem (BBC Basic), entwickelte die Hardware, leitete die Mitarbeiter und war für die Dokumentation zuständig, die für die erfolgreiche Umsetzung erforderlich war.

Der Erfolg war sensationell, und am Ende des Produktlebenszyklus im Jahr 1989 hatte das Unternehmen das Produkt mehr als eine 1 Million Mal verkauft und übertraf so das ursprüngliche Umsatzziel von 12.000 bei weitem.

Dies war jedoch nur eine Vorstufe zu Wilsons wichtigster Leistung.

Wilsons erstes kommerzielles Produkt war eine Maschine zur automatischen Viehfütterung, wohl kaum der glanzvollste Beginn für eine IT-Karriere.

Ein neuer Prozessortyp: ARM

ARM-Prozessor Nach dem Erfolg des Computers BBC Micro versuchte Hauser, detaillierte Kenntnisse über das Chip-Design zu erlangen, um den richtigen Prozessor für den Betrieb der Nachfolgerversion des Computers zu finden. Wilson und Furber hatten die Aufgabe, eine von IBM entwickelte Idee zu untersuchen, die als „Reduced Instruction Set Computing“ (Rechnen mit reduziertem Befehlssatz) oder RISC bezeichnet wurde.
Dies war der Moment, in dem Wilsons wahres Genie zum Vorschein trat. Während sich IBM monatelang erfolglos um eine Lösung bemühte und dabei riesige Großrechner als Computerressourcen einsetzte, um die Befehlssätze für den RISC-Prozessor zu simulieren, war Wilson in der Lage, die Simulationen in ihrem Kopf durchzuspielen. Damit nicht genug, sie konnte ihre Ideen so klar an Furber weitergeben, dass er diese in ein für die Produktion geeignetes Format umwandeln konnte. Innerhalb von 18 Monaten war der erste Advanced-RISC-Machine-Chip (ARM-Chip) von Acorn Computers kommerziell einsatzbereit.

Übrigens war eine der wichtigsten Chip-Eigenschaften – der geringe Stromverbrauch – ursprünglich kein Hauptziel des Projekts. Diese Eigenschaft wurde nur zufällig entdeckt.

In der Testphase wurde durch einen Fehler verhindert, dass der Strom zur Computer-Hauptplatine und letztendlich zum Chip gelangen konnte, aber der Chip funktionierte trotzdem. Es stellte sich heraus, dass der Chip mit Strom aus einem Leck des restlichen Schaltkreises betrieben wurde – mit weniger als einem zehntel Watt.

Dank der hervorragenden Effizienz des Prozessors betreiben seine Nachfolgerversionen nun viele der heutigen mobilen Computergeräte.

Der Weg für FirePath wird gebahnt

Nach der Auflösung von Acorn Computers Mitte bis Ende der 90er Jahre setzte Wilson ihre Arbeit im Bereich der Prozessorentwicklung fort und war eine der Mitbegründerinnen des Unternehmens Element 14. Dort entwickelte sie den FirePath-Prozessor, mit dem die moderne Internet-Infrastruktur Digital Subscriber Line (DSL) betrieben wird. Im Jahr 2001 wurde Element 14 für 594 Mio. USD an Broadcom, einen Hersteller von Netzwerkanwendungen, verkauft.

Laut Wilson basiert dieser hohe Preis vor allem auf dem exzellenten Portfolio der Patente von Element 14, von denen sie viele entwickelt hat.

„In der aktuellen IT und Hardware-Geschäftswelt sind Patente ein entscheidendes Mittel zur Sicherung langfristigen Erfolgs. Es ist wichtig, Chancen zu erkennen und ausreichend Zeit und Ressourcen zu investieren, um das eigene Patentportfolio aufzubauen und auf dem neuesten Stand zu halten“, erklärte Wilson.

Heute arbeitet Wilson weiterhin als DSL-Leiterin bei Broadcom. Sie spielt eine führende Rolle bei der Entwicklung des FirePath-Befehlssatzes und arbeitet daran, neue Mikroarchitektur-Implementierungen zu entwerfen und die FirePath-Verwendung in weiteren Nicht-DSL-Systemen zu ermöglichen.

Wilsons Verdienste im Unternehmen und im gesamten IT-Bereich wurden durch die Ernennung zur herausragenden Broadcom-Informatikerin (Broadcom Distinguished Engineer) sowie durch die Ernennung zum Fellow des Computer History Museum in Silicon Valley im Jahr 2012 honoriert.

Im Jahr 2011 betrieben ARM-Prozessoren 95 % aller Smartphones, 10 % der tragbaren Computer und 40 % der digitalen Fernseher und Digitalempfänger.

Anhaltender Erfolg

Ohne Zweifel ist Wilsons wichtigste Hinterlassenschaft ihre Arbeit am ersten ARM-Prozessor. Im Jahr 2011 wurden 95 % aller Smartphones, 10 % der tragbaren Computer und 40 % der digitalen Fernseher und Digitalempfänger sowie viele Drucker und andere Geräte mit dem ARM-Prozessor betrieben.

Einer der Ableger von Acorn, ARM Holdings, ist mittlerweile der führende Spezialist für ARM-Prozessoren und lizenziert diese Technologie an wichtige Computerhersteller. Im Jahr 2012 betrug der Jahresumsatz von ARM Holdings 577 Mio. GBP. Die Lizenzeinnahmen und gebühren aus den entsprechenden ARM-Projekten stellten dabei den Großteil des Umsatzes dar.

Jedes Jahr werden etwa fünf Milliarden ARM-Chips verkauft. Diese Zahl dürfte weiter steigen, wenn das neue Microsoft-Betriebssystem Windows 8 an Popularität gewinnt. Das Marktforschungsunternehmen IHS sagt voraus, dass im Jahr 2015 23 % aller PCs weltweit ARM-Prozessoren verwenden werden.

Sophie Wilsons Erfindungen haben insgesamt einen Umsatz von 30 Mrd. USD – Tendenz steigend – generiert, und die Verarbeitungseffizienz sowie der niedrige Energieverbrauch haben dazu geführt, dass die Verwendung tragbarer Computer rasant zunimmt. Ohne Zweifel zeigt sich gerade darin Sophie Wilsons Genialität.


Funktionsweise

Wilsons wichtigste Erfindung war das Umschreiben des Befehlssatzes für ARM-Prozessoren, um die Anzahl und Komplexität der Befehle zu verringern, die für das Funktionieren des Chips erforderlich sind, sowie ihre Verwaltung zu vereinfachen.

Aufgrund der geringeren Anzahl an zu verarbeitenden Befehlen konnte der Chip erheblich schneller arbeiten und benutzte sehr viel weniger Transistoren als andere Chips – ungefähr 25.000 im Vergleich zu 135.000 bei einem gleichwertigen Chip, den Intel zu diesem Zeitpunkt produzierte. Durch die geringere Anzahl an Transistoren konnte der Energieverbrauch erheblich gesenkt werden, und dies ist ein entscheidender Grund, weshalb der Chip für moderne mobile Computergeräte eine so wichtige Rolle spielt.

Ein weiteres Schlüsselelement des Prozessor-Designs stellt die Verwendung der Load/Store-Architektur dar. Dies bedeutet, dass nur bei einer geringen Anzahl an spezifischen Befehlen auf den Computerspeicher zugegriffen wird. Außerdem behandelt Wilsons RISC-Chip Befehle als Teil einer Pipeline, anstatt einzeln auf sie zuzugreifen und sie einzeln zu verarbeiten.

Das bedeutet, dass nur ein Befehl verarbeitet wird, während der nächste Befehl abgerufen wird, und dadurch kann die Performance verbessert werden.

Von strengster Geheimhaltung zur lizenzierten Technologie

In den frühen Tagen der ARM-Prozessorentwicklung bis zur Auflösung von Acorn Computers in mehrere Unternehmen wurden die Geheimnisse des begehrten Prozessors streng unter Verschluss gehalten.

Als der italienische Computerhersteller Olivetti 1985 seinen Anteil an Acorn nach und nach erhöhte und schließlich der größte Anteilseigner wurde, wurden die firmeneigenen Informationen über ARM noch lange, nachdem Olivetti eine Mehrheitsbeteiligung erlangt hatte, zurückgehalten.

Diese umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen stehen in starkem Gegensatz zu der Strategie im Zusammenhang mit geistigem Eigentum, die Acorn später verfolgte und die heute auch bei ARM Holdings Anwendung findet. ARM Holdings vertraut auf die Qualität der firmeneigenen Patente sowie der internen Forschungs- und Entwicklungsprojekte, um seine Technologie zu schützen.

Das Unternehmen verfügt über umfassende Lizenzvereinbarungen mit vielen der weltweit führenden Halbleiter und Computerhersteller. ARM entwickelt die Prozessor-Designs, und die entsprechenden Unternehmen sind für die Produktion und den Vertrieb zuständig.

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