Erfindung: Funksignale zur Verbesserung der Satellitennavigation
Satellitengestützte Funknavigations- und Ortungssysteme haben in den letzten Jahrzehnten rasante Fortschritte gemacht. Mit Galileo, dem europäischen globalen Satellitennavigationssystem (GNSS) wird jetzt ein weiterer Quantensprung eingeleitet. Dank der von einem Team europäischer Ingenieure entwickelten Signalübertragungstechnik erzielt Galileo nicht nur eine höhere Genauigkeit und bessere Unterdrückung unerwünschter Störsignale, sondern hebt darüber hinaus die Satellitennavigation und deren Merkmale auf eine neue Ebene.
Ein europäisches Team unter Leitung des französischen Ingenieurs Laurent Lestarquit und seines spanischen Kollegen José Ángel Ávila Rodríguez, dem außerdem der Deutsche Günter Hein und der Belgier Lionel Ries angehören, hat sich auf etwas ganz Besonderes spezialisiert: die Übertragung störungsfreier Signale aus dem All. Die derzeit mehr als 50 im Umlauf befindlichen Navigations- und Ortungssatelliten - dazu gehören diejenigen des US-geführten Global Positioning Systems (GPS), des russischen GLObal NAvigation Satellite Systems (GLONASS) und des neueren europäischen Galileo-Systems - senden eine wahre Kakophonie von Funksignalen aus. Die Arbeit dieses Teams trägt dazu bei, dass diese Signale sich nicht gegenseitig stören und dass Nutzer und Entwickler gleichermaßen von der nächsten Generation der Ortungstechnologie profitieren können, die ihnen mit Galileo zur Verfügung steht.
Die vom Team entwickelten Modulations- und
Frequenzspreizungstechnologien für die Signalübertragung sind ein Kernbestandteil
des gemeinsamen europäischen Satellitennavigationssystems. Sie verbessern die
Genauigkeit der Signale, senken den Energieverbrauch der Satelliten und
gewährleisten die Kompatibilität mit GLONASS und dem aktuellen GPS-System und dessen
eventuellen Upgrades.
Wenn das System 2020 voll in Betrieb ist, wird Galileo
mit einer horizontalen und vertikalen Positionsgenauigkeit von einem Meter bei
Standardsignalen - und bei Verwendung von High-End-Signalen und
Präzisionsortungstechnologien sogar bis zu wenigen Zentimetern - das modernste
und präziseste Satellitensysteme weltweit sein. Außerdem bietet das System
bessere Ortungsdienste in hohen geographischen Breiten, leistungsstarke Funktionen
für globale Such- und Rettungsdienste (SAR) und eine Vielzahl weiterer Merkmale.
Gesellschaftlicher Nutzen
Abgesehen von der bereits von Anfang an erzielten besseren Navigations- und
Ortungsgenauigkeit bietet Galileo seinen Nutzern weitere Vorteile: Sein
zukunftsorientiertes Konzept ist auf eine Zusammenarbeit mit kommenden
Technologien ausgelegt, angefangen vom autonomen Fahren und der Fahrtoptimierung
bis hin zur Kommunikation zwischen Maschinen und dem Internet der Dinge.
In der nicht allzu fernen Zukunft wird GNSS mit hoher Wahrscheinlichkeit
einen unmittelbaren Einfluss auf das Transportwesen haben, zu einer Senkung von
Zeitaufwand und Kraftstoffverbrauch sowie zur Verbesserung der Verkehrssicherheit
beitragen. Galileo kann zum Beispiel in nationale Mautsysteme integriert
werden, oder die Landwirtschaft auf intelligente Weise bei einer besseren Bodennutzung
unterstützen und eine genauere Landvermessung ermöglichen.
Längerfristig ist
zu erwarten, dass moderne "Smart Cities" in Europa die von Galileo gelieferten
Daten für ein besseres Stadtmanagement und eine effizientere Stadtplanung nutzen
werden. Bereits heute verwenden Transportunternehmen GNSS-basierte Lösungen im
Rahmen einer multimodalen Logistik zur besseren Verfolgung und zeitlichen
Planung von Sendungen. Auch für drängende internationale Fragen wie
Klimawandel, Umweltschutz oder Naturkatastrophen könnten
Satellitenortungssysteme künftig innovative Lösungen anbieten.
Galileo bereichert eine breite Palette von Anwendungen im öffentlichen und
privaten Sektor und in der Forschung, weil dieses System - anders als GLONASS und
GPS, deren Wurzeln im militärischen Bereich liegen - speziell für die zivile
Nutzung konzipiert wurde. Das System hält ein gesichertes Signal für
strategische und Sicherheitsanwendungen bereit, alle anderen stehen der
Öffentlichkeit zur Verfügung und gewährleisten damit Nutzern in Europa und
anderswo den Zugriff auf ein unabhängiges Satellitennavigationssystem.
Wirtschaftlicher Nutzen
Galileo soll den Anteil Europas am
internationalen Markt für GNSS-Systeme erhöhen, der bis zum Jahre 2020
geschätzte Umsätze von 350 Mrd. EUR
pro Jahr generieren soll. Ein Bericht der Agentur für das Europäische GNSS aus
dem Jahre 2015 sagt voraus, dass der globale nachgelagerte GNSS-Markt (d. h.
der volle Einzelhandelspreis von Geräten mit GNSS-Chipsets) innerhalb dieses Zeitraums insgesamt um jährlich 7 Prozent
und damit schneller wachsen wird als das BIP.
GNSS-Technologien
beflügeln die Entwicklung in vielen Unternehmen - angefangen von den großen Herstellern
von Mobiltelefonen und mobilen Endgeräten bis hin zu den kleinen Spezialisten
im Bereich der Satellitennavigation. Laut AZO, einem Beratungsunternehmen für Start-ups, werden Galileo-Signale allein
im Bundesland Bayern von 119 Start-up-Unternehmen, implementiert oder genutzt.
Diese beschäftigen 1600 Mitarbeiter an hoch qualifizierten Arbeitsplätzen und
generieren einen Gesamtumsatz von schätzungsweise 130 Mio. EUR.
Wenn Galileo 2020 mit insgesamt 30 geplanten
Satelliten - einschließlich der 6 Reservesatelliten - seine volle
Einsatzfähigkeit erreicht hat, ist ein erheblicher wirtschaftlicher Nutzen zu
erwarten. Dazu gehören z. B. auch Investitionen in die Forschung und
Entwicklung aufseiten des Luftfahrtsektors, die eine soziale Rendite von ca. 70 Prozent
generieren werden. Mit anderen Worten: Pro 100 Mio. EUR, die in die
Forschung und Entwicklung investiert werden, ist zu erwarten, dass das BIP in
anderen Bereichen langfristig um 70 Mio. EUR wächst.
Es wird damit gerechnet, dass Galileo nach
Erreichen der vollen Einsatzfähigkeit innerhalb der kommenden 20 Jahre
wirtschaftliche Auswirkungen in Höhe von 90 Mrd. EUR haben wird.
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Lionel Ries, Günter Hein und Jean-Luc Issler (von links nach rechts)
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José Ángel Ávila Rodríguez (links) und Laurent Lestarquit mit Satellitenmodell
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Günter Hein (links) und Lionel Ries
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Laurent Lestarquit, Lionel Ries, José Ángel Ávila Rodríguez, Jean-Luc Issler und Günter Hein (von links nach rechts)
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Jean-Luc Issler, Lionel Ries und José Ángel Ávila Rodríguez (von links nach rechts)
Funktionsweise
Laurent Lestarquit hat eine patentgeschützte
Modulationstechnik mit der Bezeichnung "Alternative Binary Offset Carrier Modulation"
(Alt-BOC) entwickelt, bei der effektiv vier Signale zu einem großen Signal
zusammengefasst werden: zwei hochgenaue Signale für den offenen Dienst (Open
Service, OS) des Galileo-Systems - den kostenlosen Kanal für Verbraucheranwendungen -
und zwei Signale seines sicherheitskritischen Dienstes (Safety-of-Life Service,
SOL) - des kostenpflichtigen Diensts für Anwendungen wie z. B. den
Luftverkehr, bei denen Menschenleben von der Signalintegrität abhängen. Die Alt-BOC-Technologie
bietet nicht nur eine extrem hohe Genauigkeit für spezielle Empfänger, sondern
trägt auch zu einer Senkung des Energiebedarfs des Satelliten bei.
Außerdem entwickelte das Team eine innovative Frequenzspreizungstechnik,
bei der eine einzelne neue Wellenform mit der Bezeichnung "Composite
Binary Offset Carrier" (CBOC) erzeugt wird. Dieses Signal ermöglicht
High-End-Empfängern eine präzise Berechnung von Positionen, ist aber
gleichzeitig auch mit älteren, weniger komplexen Geräten und anderen
GNSS-Signalen kompatibel. Das CBOC-Patent umfasst ein neuartiges Konzept, das
eine Kombination von offenen CBOS-Signalen und gesicherten Signalen für den "Public
Regulated Service" (PRS) in einer einzigen Frequenz ermöglicht. PRS-Signale
werden von Zivilbehörden verwendet, z. B. von Polizei, Küstenwache oder Zollbehörden.
PRS ist verschlüsselt und beinhaltet auch Anti-jamming-Funktionen.
Die Erfinder
Laurent Lestarquit, der Erfinder der Alt-BOC-Modulation und Miterfinder der
CBOC-Wellenform, interessierte sich bereits zu einem Zeitpunkt für die
GNSS-Technologie, als diese noch ein neu entstehendes Forschungsgebiet war, das
an den Universitäten noch gar nicht gelehrt wurde. Er schloss sein Studium am
französischen Institut für Luft- und Raumfahrt (ISAE-SUPAERO) 1996 ab, ein Jahr
nachdem das unter amerikanischer Führung entwickelte Satellitennavigationssystem
GPS in Betrieb ging. Neben seiner Arbeit an Alt-BOC und CBOC arbeitete er auch
an der Entwicklung des PRS-Signals mit und war Mitglied der französischen
Delegation bei den GPS- und Galileo-Verhandlungen, bei denen die Parameter für
die Kompatibilität der beiden Systeme festgelegt wurden. Die Aktivitäten von
Laurent Lestarquit im Bereich der Navigation reichen jedoch über seine berufliche
Tätigkeit hinaus: Er nahm auch an hochkarätig besetzten Orientierungsläufen mit
konventionellen Mitteln ohne Unterstützung durch Satellitennavigation teil. Außerdem
war er als Copilot Teilnehmer der internationalen Off-Road-Rallye "Camel Trophy".
José Angel Ávila Rodríguez promovierte an der Universität der Bundeswehr in
München in Luft- und Raumfahrttechnik und war in den letzten 15 Jahren in
verschiedenen Funktionen auf dem Gebiet der GNSS tätig. Er arbeitete außerdem
als leitender Consultant und als Leiter oder Teammitglied zahlreicher
GNSS-bezogener Programme. Ávila Rodríguez ist Verfasser oder Mitverfasser von
mehr als 60 wissenschaftlichen Veröffentlichungen im Bereich der
Satellitennavigation und hat seit 2015 auch die Position eines Leitenden
Ingenieurs für GNSS-Entwicklungen für Signale und Sicherheit bei der Europäischen
Weltraumagentur (ESA) inne. Für seine Arbeit im Bereich der globalen
Satellitennavigation hat er bereits zahlreiche Auszeichnungen erhalten.
Unterstützt wurden Ávila Rodríguez und Lestarquit durch Jean-Luc Issler (FR), Mitglied der Galileo Signal Task Force und
Miterfinder des CBOC-Patents, der nicht nur bei der Zusammenstellung des Teams
mithalf, sondern auch eines der anderen von Galileo verwendeten Frequenzbänder
entwickelte; durch den deutschen Wissenschaftler Günter Hein, der über sein
40-jähriges Arbeitsleben hinweg Navigationstechnologie entwickelte und
konstruierte und auf diesem Gebiet lehrte; sowie den Franco-Belgier Lionel Ries, der Autor oder Mitautor von
mehr als 25 Patenten und ca. 100 wissenschaftlichen Veröffentlichungen
überwiegend auf dem Gebiet der Satellitennavigation ist.
Wussten Sie das?
Die globale
Ortung mithilfe von Satelliten hat unzählige Anwendungen, und eine ganz spezielle
besteht darin, dass man mit dieser Technik einen zusätzlichen Nachweis der speziellen
und der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein führen kann. Die
spezielle Relativitätstheorie besagt, dass die Zeit auf einem Objekt relativ zu
einem sich langsamer bewegenden Objekt umso langsamer vergeht, je schneller
sich das Objekt bewegt. Die allgemeine Relativitätstheorie sieht die
Gravitation als Krümmung der "Raumzeit": Objekte mit einer höheren Masse
krümmen Zeit und Raum um sich herum.
Beides lässt sich mit Hilfe der GNSS-Technologie messen. Sich schnell
bewegende Navigationssatelliten mit einer Atomuhr weisen aufgrund ihrer Bahngeschwindigkeiten
von ungefähr 14.000 km/Std. eine relative
Zeitverschiebung von ca. 7 zusätzlichen Mikrosekunden (Millionstel Sekunden)
pro Tag auf. Umgekehrt jedoch sorgen die Auswirkungen einer
geringeren Gravitationskraft (geringere Krümmung der Raumzeit)
tatsächlich dafür, dass die Uhren der Satelliten ca. 40 Mikrosekunden
schneller laufen als sie es auf der Erde tun würden.
Die Atomuhren des Galileo-Systems berücksichtigen diese Effekte und darüber
hinaus weitere Phänomene, die die Zeit beeinflussen, wie z. B. den Sagnac-Effekt,
der von der Erdrotation verursacht wird. Dazu wird die Geschwindigkeit der
Uhren geringfügig verlangsamt und die Uhren werden ungefähr alle 100 Minuten
synchronisiert. Es ist aber sicher interessant zu wissen, dass man mit der Technologie
in unseren GNSS-Geräten nachweisen kann, dass Einstein recht hatte. Lesen Sie
nach, wie Raumfahrt- und Satellitentechnologien auf vielfältige Weise Wissenschaft und
Industrie unterstützen.