Erfindung: Blutschnelltest für Malaria
Malaria ist eine der zehn tödlichsten Krankheiten unserer Zeit. Aber sie wird nur in zehn Prozent aller Fälle erkannt. Mit der Entwicklung eines automatisierten, computerbasierten Bluttests für Malaria setzen der niederländische Hämatologe Jan van den Boogaart und der österreichische Biochemiker Oliver Hayden neue Maßstäbe. Im Zusammenspiel von Medizin und Informationstechnik erkennt der Test, der auf einem Computeralgorithmus basiert, Infektionen mit nie dagewesener Zuverlässigkeit.
Vor dieser
Erfindung gab es in der modernen Medizin noch keinen automatisierten Bluttest,
der die tropische Infektionskrankheit Malaria, an der alle zwölf Sekunden ein
Mensch stirbt, zuverlässig erkennen konnte. Jan van den Boogaart und Oliver
Hayden setzten erstmalig auf einen datenbasierten Ansatz - und fanden damit den
Schlüssel zum Erfolg. Anstatt das Blut auf Malariaerreger zu untersuchen,
setzten sie die Informationstechnologie ein, um die schädlichen Auswirkungen
der Krankheit zu erkennen, die durch wichtige Blutwerte wie beispielsweise eine
verminderte Thrombozytenzahl angezeigt werden.
Die Idee dazu kam
van den Boogaart durch ein Gespräch, das er 2008 mit einem Kollegen aus
Südafrika führte. Dieser hatte in den Hämogrammen - dem Blutbild - mehrerer
Malariapatienten ähnliche Veränderungen beobachtet. Einzeln betrachtet reichte
keiner dieser Faktoren aus, um eine Diagnose stellen zu können, aber eine
Kombination von 30 Parametern führte zu einem "Datenfingerabdruck"
der Malaria, mit dessen Hilfe die Krankheit mit einer Sicherheit von 97 Prozent diagnostiziert werden kann.
Hayden steuerte
die entscheidende statistische Auswertung bei, und so meldeten die Erfinder
2011 ein europäisches Patent an. Sie nahmen Kontakt mit einem
Siemens-Forschungsteam in Wien auf, das im Bereich Biosensoren arbeitete, und
entwickelten einen malariaspezifischen Algorithmus für das Bluttestsystem des
Unternehmens. Aktuell sind van den Boogaart und Hayden dabei, ihre Methode des
"Datenfingerabdrucks" in Blutproben auch auf andere Erkrankungen wie
beispielsweise Leukämie auszudehnen.
Gesellschaftlicher Nutzen
Die Möglichkeit,
große Patientengruppen schnell und zuverlässig in automatisierten Verfahren auf
Malaria testen zu können, könnte im Kampf gegen die tödliche Krankheit eine
Wende herbeiführen. Etwa 3,2 Milliarden Menschen sind von Malaria bedroht. 2015
waren mehr als 200 Millionen von der Krankheit betroffen; etwa 430 000
starben daran (WHO). Kürzlich durchgeführte Studien kamen zu dem Ergebnis, dass
man mit einem zuverlässigen Malariatest jedes Jahr 100 000 Todesfälle und
über 400 Millionen Falschbehandlungen allein in Afrika verhindern könnte.
Auch für
Patienten aus westlichen Ländern, die sich auf Reisen eine Malariainfektion
zuziehen, könnte der neue Test zu besseren Behandlungsergebnissen führen.
Derzeit wird bei diesen Patienten in mehr als 59 Prozent aller Fälle zunächst
eine Fehldiagnose gestellt, und so vergehen fast acht Tage, bevor die Ärzte die
richtige Behandlung einleiten. Dadurch erhöht sich das Risiko von
Komplikationen und auch die Sterblichkeitsrate.
Wirtschaftlicher Nutzen
Die Verfügbarkeit
einer Methode, große Patientengruppen schnell und zuverlässig auf Malaria zu
testen, könnte dazu beitragen, den Teufelskreis von Armut und Malaria zu
durchbrechen, der weite Teile Afrikas und der tropischen Regionen Asiens seit
Jahrhunderten fest im Griff hat. Während die Krankheit in Nordamerika und
Europa ausgemerzt werden konnte und hier seit Mitte der 1950er-Jahren
verschwunden ist, wütet sie in den Malaria-"Hotspots" ungehemmt
weiter. In Afrika - wo nahezu 86
Prozent aller Infektionen stattfinden - wird der von Malaria verursachte
wirtschaftliche Schaden derzeit auf rund 11 Mrd. EUR jährlich geschätzt.
Experten des
Marktforschungsunternehmens Grand View
Research bezifferten den Markt für Malariadiagnostik 2015 auf
535 Mio. EUR. Sie gehen davon aus, dass er bis 2022 auf einen Wert
von insgesamt 728 Mio. EUR anwächst. Dabei wird der größte
Marktanteil (58 Prozent) nach wie vor auf Afrika entfallen.
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Jan van den Boogaart (links) und Oliver Hayden
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Jan van den Boogaart (links) und Oliver Hayden im Labor
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Jan van den Boogaart (links) und Oliver Hayden
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Oliver Hayden (links) und Jan van den Boogaart
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Oliver Hayden und Jan van den Boogaart mit dem ADVIA 2120i Hämatologie-System von Siemens
Funktionsweise
Bisher konnte
Malaria nur mittels einer zeitaufwendigen mikroskopischen Untersuchung
festgestellt werden, mit der ein Labortechniker etwa eine Stunde lang
beschäftigt ist, oder mittels eines Reaktionstests zum Nachweis von
Malariaerregern, der ähnlich wie ein Schwangerschaftstest funktioniert, aber
keine zuverlässigen Ergebnisse liefert.
Der Schlüssel zu
der Erfindung war ein statistisches Verfahren, das als "lineare
Diskriminanzanalyse" (LDA) bezeichnet wird. Van den Boogaart und Hayden
berechneten mithilfe von Statistiksoftware die Durchschnittswerte bestimmter
Blutparameter bei gesunden Menschen und bei Malariapatienten.
Diese Daten
bildeten die Grundlage für die Festlegung einer Kombination aus 30 Parametern,
die eine Malariainfektion anzeigen, darunter beispielsweise die Dichte der
roten Blutkörperchen oder der Wert des Blutfarbstoffs Hämoglobin. Außerdem
wurde aus diesen Daten die prozentuale Abweichung von den Werten gesunder
Menschen ermittelt, die erforderlich ist, damit der Test
"malariapositiv" signalisiert.
Die Erfinder
entwickelten einen Algorithmus, um den "Datenfingerabdruck" der
Malaria in das Hämatologiesystem ADVIA 2120i einzubinden. Dieses Gerät zur
automatisierten Blutanalyse, das in etwa die Ausmaße einer Waschmaschine hat,
wird in der klinischen Praxis bereits vielfach eingesetzt (mehr als 3 000
Stück weltweit). Es kann stündlich 120 Blutproben verarbeiten und davon
Hämogramme mit 300 bis 500 Parametern erstellen. Das System erkennt Malaria mit
nahezu hundertprozentiger Sicherheit in einer Blutprobe, selbst wenn diese nur
wenige Krankheitserreger enthält.
Die Erfinder
Van den Boogaart
absolvierte seine Ausbildung an der höheren berufsbildenden Schule (HBO) in
Eindhoven, wo er 1980 seinen Bachelor in Mikrobiologie und ein Jahr später
einen weiteren Bachelor in klinischer Chemie erwarb. Seine berufliche Laufbahn
startete er im Schullabor der HBO Eindhoven, bevor er 1981 als Labortechniker
zu Bayer wechselte. Der Bereich bei Bayer, in dem er arbeitete, wurde später
Teil von Siemens Healthineers.
Seit über 35 Jahren hat sich
van den Boogaart ganz der Forschung im Bereich der Hämatologie und der
Entwicklung von Bluttests verschrieben. In drei weltweit angemeldeten Patenten
ist er als Erfinder genannt. Als DX-Produktmanager bei Siemens Healthineers in Den Haag ist er
momentan dabei, das Verfahren des "Datenfingerabdrucks" für
automatisierte Bluttests zum Nachweis der Sichelzellenanämie und der akuten
Promyelozytenleukämie (APL) zu perfektionieren.
Hayden forschte als Postdoktorand auf dem Gebiet der Nanotechnologie an der
Universität Harvard, nachdem er 1999 in Wien in Biochemie promoviert hatte.
2011 erwarb er zusätzlich einen Abschluss als Master of Business Administration
an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
Bis vor Kurzem war Hayden bei Siemens Healthineers in Erlangen als Leiter "In-Vitro Diagnostics & Bioscience" tätig. Er hat mehr als 80 Artikel veröffentlicht und ist in etwa 100 Patentfamilien als Erfinder oder Miterfinder genannt. Seine Forschung wurde 2002 mit dem "Young Investigator Award" der Gesellschaft Österreichischer Chemiker ausgezeichnet, 2016 erhielt er den AMA-Innovationspreis und 2013 den Siemens NTF Preis für medizinische Bildgebungspatente. Außerdem wurden ihm der EUREKA-Lillehammer-Preis (2006) sowie der "Best of Biotech Award" für das Start-up-Unternehmen Polymimetics (2000) verliehen. Seit Juni 2017 ist Hayden Inhaber des Heinz-Nixdorf-Lehrstuhls für Biomedizinische Elektronik in der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der Technischen Universität München.
Wussten Sie das?
Die Geschichte
der Malaria war lange Zeit eines der größten Rätsel der Medizin.
240 v. Chr. führte Hippokrates, der berühmte Arzt der griechischen
Antike, die Krankheit auf das Trinken des Wassers aus stehenden Gewässern in
Sumpfgebieten zurück, aber die eigentliche Ursache blieb im Dunkeln. Schon der
Name "Malaria" basiert auf einer falschen Annahme, nämlich, dass die
Krankheit durch schlechte Luft (italienisch "mala aria") aus
sumpfigen Gegenden hervorgerufen wird.
Der wahre
Auslöser der todbringenden Malaria war tatsächlich
in den Sümpfen zu finden, wie der französische Militärarzt Alphonse Laveran
zeigen konnte, als er 1880 in Algerien stationiert war. Laveran machte einen
Parasiten, ein Protozoon der Gattung Plasmodium, das über Stechmücken
verbreitet wird, als Schuldigen aus. Dank dieser Entdeckung konnte der unter
französischer Federführung vorangetriebene Bau des Panamakanals schließlich
doch noch realisiert werden. 20 Jahre lang war dieses Vorhaben aufgrund von
Malariaausbrüchen immer wieder gescheitert. 1907 erhielt Laveran für seine
Entdeckung den Nobelpreis.
Die Behandlung
der Malaria wurde im Laufe der Jahre sehr viel besser. In diesem Zusammenhang
ist auch ein wirksames, auf der traditionellen chinesischen Medizin basierendes
Medikament zu nennen, das von Professor Yiqing Zhou, Gewinner des
Europäischen Erfinderpreises 2009 in der Kategorie "Außereuropäische
Staaten", entwickelt wurde. Die Diagnose von Malaria hingegen blieb noch lange
ein Ratespiel, zumindest bis es Hayden und van den Boogaart mit ihrer Erfindung gelang, Malaria mit annähernd
hundertprozentiger Sicherheit zu erkennen.