D 0026/22 23-02-2023
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Bewertung der am 17. März 2022 abgenommenen Prüfungsaufgabe C im Rahmen der Hauptprüfung der Europäischen Eignungsprüfung ("EEP") 2022.
II. Mit E-Mail an das Prüfungssekretariat vom 17. März 2022, 16.17 Uhr, reichte der Beschwerdeführer eine Beschwerde gemäß Regel 19 (3) der Ausführungsbestimmungen zu den Vorschriften über die EEP ("ABVEP"; Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2019, S. 18 ff.) ein, in welcher er einen Störungssachverhalt während des Ablaufs des Prüfungsteils C-2 (der Lockdownbrowser stürzte einmal ab; der Chat funktionierte nach Wiederanmeldung nicht mehr, so dass die Aufsichtsperson nicht mehr erreicht werden konnte) schilderte. Aufgrund der Störung des Chats, über den er sich für eine Pause hätte abmelden müssen, habe er keine Pausen einlegen können und die Bearbeitung der Aufgabe C-2 vorzeitig beenden müssen, um auf die Toilette gehen zu können. Der Beschwerdeführer machte einen Zeitverlust von insgesamt etwa 40 Minuten sowie erhöhten Stress während der Bearbeitung der Aufgabe C-2 geltend und beantragte einen entsprechend angemessenen Ausgleich.
III. Mit Schreiben des Prüfungssekretariats vom 6. Juli 2022 teilte der Vorsitzende der Prüfungskommission dem Beschwerdeführer mit, dass dieser unter anderem für die Prüfungsarbeit C die Punktzahl 42 erreicht habe. Auf dieser Grundlage habe die Prüfungskommission entschieden, dass die Bedingungen des Artikels 14 (1) der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für zugelassene Vertreter ("VEP"; Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2019, S. 2 ff.) nicht erfüllt seien und der Beschwerdeführer daher die EEP nicht bestanden habe. Aus den auf der Rückseite des Schreibens enthaltenen Einzelheiten zur Notenvergabe geht hervor, dass der Prüfungsausschuss II übereingekommen sei, dem Beschwerdeführer für die Prüfungsarbeit C 37 Punkte zu vergeben.
IV. Mit gesondertem Schreiben vom 6. Juli 2022 teilte die Prüfungskommission dem Beschwerdeführer außerdem Folgendes mit:
"The Examination Board has considered your complaint and has awarded you a compensation of 5 marks for the issues you described therein. This compensation has been based on the time you lost, and the amounts of marks you obtained during the effective time you had for the examination."
V. Mit undatiertem Schreiben, eingegangen beim Europäischen Patentamt im Original am 21. Juli 2022, legte der Beschwerdeführer gegen die Entscheidung der Prüfungskommission vom 6. Juli 2022 Beschwerde ein. Er entrichtete zudem am 18. Juli 2022 die Beschwerdegebühr.
VI. Mit Schreiben vom 15. September 2022 teilte das Prüfungssekretariat dem Beschwerdeführer mit, dass die Prüfungskommission "nach eingehender Beurteilung der in [der] Beschwerde [...] vorgebrachten Argumente" ihr nicht abgeholfen habe.
VII. In zwei weiteren Schreiben vom 20. September 2022 und vom 2. November 2022 machte der Beschwerdeführer ergänzende Ausführungen zu seiner Beschwerde.
VIII. Mit Bescheid vom 15. Februar 2023 wurde dem Beschwerdeführer gemäß Artikel 14 der Ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten ("VOBKD"; Zusatzpublikation 1, ABl. EPA 2023, S. 72 ff.) die vorläufige Meinung der Kammer mitgeteilt.
IX. Am 23. Februar 2023 fand eine mündliche Verhandlung statt. Der Beschwerdeführer erklärte dort, dass er seine Beschwerde auf die Rüge der ungenügenden Begründung der Prüfungskommission für den gewährten Nachteilsausgleich beschränke. Er beantragte ferner als Hauptantrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und an die Prüfungskommission zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
X. Die Argumente des Beschwerdeführers können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Im Rahmen der in der Entscheidung D 37/21 vorgeschlagenen und von der Prüfungskommission vorliegend offensichtlich angewandten strengeren Ausgleichsberechnung für einen Zeitverlust (also "erzielte Punkte geteilt durch effektiv hierfür zur Verfügung gestandene Zeit, diese errechnet als Gesamtprüfungszeit minus Zeitverlust, multipliziert mit erlittenem Zeitverlust") sei als Gesamtprüfungszeit die gesamte Zeit von 360 Minuten und nicht nur die Prüfungszeit für Teil C-2 von 180 Minuten anzusetzen. Sein Zeitverlust in C-2 habe 41 Minuten betragen.
b) Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer vergessen anzumerken, dass auch seine Pause zwischen C-1 und C-2 aufgrund von Abgabeschwierigkeiten in C-1 um 8 Minuten verkürzt gewesen sei, was zusätzlichen Stress ausgelöst habe. Auch für die verkürzte Pause begehrt er daher eine Kompensation.
c) Es sei ferner fragwürdig, vor dem Hintergrund der konkret vorliegenden Umstände die am wenigsten wohlwollende Ausgleichsformel anzuwenden, da bekannt sei, dass gegen Ende der Prüfung C - zu dem der Zeitverlust eintrat - mehr Punkte geholt würden als am Anfang, an welchem verstärkt gesucht und gelesen werden müsse. Als Grundlage für die Kompensation komme daher eher zum Beispiel C-1 alleine, als ungestörte Prüfung, in Betracht.
d) In seiner nachgeschobenen Begründung vom 20. September 2022 argumentierte der Beschwerdeführer, dass die Minuten im Teil C-2 deutlich wertvoller seien als diejenigen im Teil C-1, da im Teil C-2 mehr Punkte zu erreichen gewesen seien als im Teil C-1.
e) Ferner bestünde die Prüfung C zumindest zu etwa 33 % aus reiner Lese- und/oder Angriffskoordinationszeit, während Punkte nur für die "Punktezeit" von circa 2/3 der gesamten Prüfungszeit vergeben würden. Die Punkte verteilten sich also nicht linear über die Prüfungszeit in Prüfung C. Vor diesem Hintergrund solle nicht Teil C-2 als Kompensationsgrundlage herangezogen werden, sondern der beim Beschwerdeführer ungestörte Teil C-1.
f) Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte machte der Beschwerdeführer alternative Kompensationsberechnungen geltend, aufgrund derer ihm mindestens 8 Ausgleichspunkte zustünden.
XI. Weder der Präsident des Europäischen Patentamtes noch der Präsident des Rats des Instituts der zugelassenen Vertreter, denen nach Artikel 24 (4) Satz 1 VEP in Verbindung mit Artikel 12 der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern ("VDV"; Zusatzpublikation 1, ABl. EPA 2023, S. 146 ff.) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, äußerten sich schriftlich zur Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt sowie ordnungsgemäß begründet und die Beschwerdegebühr rechtzeitig eingezahlt. Sie entspricht daher den in Artikel 24 (2) VEP niedergelegten Voraussetzungen und ist zulässig.
2. Der für die Kammer geltende Prüfungsmaßstab
Gemäß Artikel 24 (1) VEP und nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (im Anschluss an D 1/92, ABl. EPA 1993, 357) sind Entscheidungen der Prüfungskommission grundsätzlich nur dahingehend zu überprüfen, ob nicht die Vorschriften der VEP oder der bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen oder höherrangiges Recht verletzt wurden. Es ist nicht die Aufgabe der Beschwerdekammer, das Prüfungsverfahren sachlich zu überprüfen. Den Prüfungsausschüssen und der Prüfungskommission steht nämlich im Grundsatz ein Beurteilungsspielraum zu, der nur sehr begrenzt der gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist.
3. Vergabe einer konkreten Punktzahl und in der Konsequenz einer konkreten Note
Hält die Kammer eine Beschwerde aufgrund eines gegebenen schweren und eindeutigen Fehlers, der eine Verletzung der Vorschriften der VEP oder der bei ihrer Durchführung anzuwendenden Bestimmungen oder höherrangigen Rechts darstellt, für zulässig und begründet, so ist sie gemäß Artikel 24 (4) Satz 2 VEP grundsätzlich nur befugt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung an die Prüfungskommission zurückzuverweisen. In Ermessensfragen kann sie die angefochtene Entscheidung nicht durch ihre eigene Entscheidung ersetzen. Daher können Anträge auf Vergabe zusätzlicher Punkte oder einer bestimmten Note grundsätzlich nicht im Beschwerdeverfahren vor der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten behandelt werden.
4. Verletzung von Regel 19 (4) ABVEP
4.1 Vorliegend kommt als rügefähige Verletzung (siehe oben Ziffer 2) die Verletzung von Regel 19 (4) ABVEP als eine bei Durchführung der VEP anzuwendende Bestimmung in Betracht. Nach dieser Vorschrift muss die Prüfungskommission, sofern ein Prüfling eine Beschwerde über den Ablauf der Prüfung gemäß Regel 19 (3) ABVEP vorgebracht hat, hierüber eine schriftliche und mit Gründen versehene Entscheidung treffen, die alle Beweismittel berücksichtigt.
4.2 Der Beschwerdeführer hat über den Ablauf der Prüfung der Aufgabe C, welche am letzten Prüfungstag der EEP 2022 abgenommen wurde, mit E-Mail vom 17. März 2022, 16.17 Uhr, und damit am selben Tage der Prüfung eine Beschwerde im Sinne von Regel 19 (3) ABVEP eingereicht (siehe oben Ziffer II). Diese Beschwerde entsprach den Form- und Fristvorschriften gemäß Ziffer I.8 der Anweisungen an die Bewerber für den Ablauf der europäischen Eignungsprüfung ("Anweisungen"; ABl. EPA 2022, A20), wonach beschwerdeführende Personen ihre Beschwerde "spätestens innerhalb des Tages der entsprechenden Prüfungsaufgabe [...] per E-Mail" einzureichen haben. Regel 19 (3) ABVEP sieht zwar hinsichtlich der Frist zumindest für die am letzten Prüfungstag einer EEP stattfindende Prüfung eine strengere Regel vor ("spätestens 30 Minuten nach dem Schlusssignal am letzten Prüfungstag"). Beschwerdeführende Personen dürfen aber darauf vertrauen, dass bei Befolgung der vom Prüfungssekretariat gemäß Artikel 9 (2) b) VEP aufgestellten Anweisungen ihnen nicht die abweichende Regelung in Regel 19 (3) ABVEP entgegengehalten wird (vergleiche D 45/21, Gründe 4.4 und 4.5). Vorliegend hätte der Beschwerdeführer im Übrigen ohnehin selbst die strengeren Voraussetzungen gemäß Regel 19 (3) ABVEP eingehalten, da die Prüfung der Aufgabe C um 16.15 Uhr beendet wurde.
4.3 Indem außerdem der Beschwerdeführer die Entscheidung der Prüfungskommission vom 6. Juli 2022, mit der das Nichtbestehen der EEP 2022 festgestellt wurde (siehe oben Ziffer III), angefochten hat, hat er nach Auffassung der Kammer gleichzeitig implizit die parallele (und mit der gerade genannten Entscheidung zusammenhängende) Entscheidung der Prüfungskommission vom selben Tage über seine Ablaufbeschwerde (siehe oben Ziffer IV) angefochten: Die Prüfungskommission hat nämlich in der erstgenannten Entscheidung - ohne hierauf in geeigneter Form hinzuweisen, was in zukünftigen Fällen geschehen sollte - bei der Berechnung der für die Bearbeitung der Prüfungsaufgabe C vom Beschwerdeführer erreichten Punktzahl die in der zweitgenannten Entscheidung als Ausgleich für die Störung des Prüfungsablaufs vergebene Punktzahl mitberücksichtigt (vergleiche die Gesamtpunktzahl 42 im Vergleich zur im Bewertungsbogen angegebenen Punktzahl 37).
4.4 Zu beachten ist vorliegend weiterhin, dass die Bewertung einer bestimmten Störung während des Prüfungsablaufs im Rahmen einer Beschwerde vor der Kammer ohne vorangehende Entscheidung der Prüfungskommission nicht zulässig ist. Denn durch das Unterlassen eines Vorbringens gleich nach der Prüfung (wie von Regel 19 (3) ABVEP beziehungsweise von Ziffer I.8 der Anweisungen vorgesehen), entzieht eine beschwerdeführende Person der Prüfungskommission die Möglichkeit, die genauen Umstände festzustellen und darauf zu reagieren, gegebenenfalls eine angemessene Entscheidung gemäß Regel 19 (4) ABVEP zu treffen, oder auch die vorgebrachten Tatsachen in der Entscheidung über das Prüfungsergebnis gemäß Artikel 6 (5) VEP zu behandeln (vergleiche D 3/10, Gründe 14; D 45/21, Gründe 5.1). Dies ist hier aber hinsichtlich des erstmals durch den Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift erwähnten Zeitverlusts während der Pause zwischen den beiden Teilen der Aufgabe C der Fall. Dieser Umstand, den der Beschwerdeführer vergaß in seiner Beschwerde gemäß Regel 19 (3) ABVEP anzuführen (siehe oben Ziffer X. b)), hat daher in der weiteren Prüfung des angemessenen Ausgleichs für die Beeinträchtigung des Prüfungsablaufs außen vor zu bleiben.
4.5 Hinsichtlich der zwei weiteren Schreiben des Beschwerdeführers mit nachgeschobenen Begründungen (siehe oben Ziffer VII) merkt die Kammer außerdem an, dass grundsätzlich eine Beschwerdebegründung innerhalb der hierfür vorgesehenen einmonatigen Frist gemäß Artikel 24 (2) VEP einzureichen ist. Die Kammer hat gemäß den Artikeln 24 (4) Satz 1 VEP, 25 (1) VDV, 114 (2) EPÜ ein Ermessen, nach Ablauf dieser Frist verspätet vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht zu berücksichtigen. Dies gilt aber nicht für die lediglich vertiefende Argumentation hinsichtlich solcher Tatsachen und Beweismittel, die bereits fristgemäß mit der Beschwerdebegründung vorgebracht wurden. Letzteres ist der Fall bei der mit dem Schreiben vom 20. September 2022 eingereichten ergänzenden Argumentation des Beschwerdeführers zur Frage des angemessenen Punkteausgleichs aufgrund von Störungen des Prüfungsablaufs.
4.6 In der Entscheidung der Prüfungskommission gemäß Regel 19 (4) ABVEP über die Beschwerde des Beschwerdeführers im Sinne von Regel 19 (3) ABVEP wurde nicht explizit ausgeführt, auf welcher Berechnungsgrundlage der Ausgleich von 5 Punkten vorgenommen und welcher Umfang des Zeitverlusts dabei angesetzt wurde. Es ist jedoch hinsichtlich des Zeitverlusts naheliegend, dass die eigene Angabe des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde, also 40 Minuten, als Basis für die Ausgleichsberechnung diente. Außerdem kann aus den weiteren Angaben der Prüfungskommission sowie aus der Gewährung von 5 Ausgleichspunkten geschlossen werden, dass die Prüfungskommission die in D 37/21, Gründe 23, erstgenannte, "strengere" Berechnungsmethode (siehe oben Ziffer X. a)) angewandt und dabei als Gesamtzeit die gesamte Bearbeitungszeit für beide Teile der Prüfungsarbeit C angesetzt hat (42 / 320 x 40 = 5,25).
4.7 Die Kammer versteht den Vortrag des Beschwerdeführers als Rüge, dass die Prüfungskommission bei ihrer Entscheidung gemäß Regel 19 (4) ABVEP über seine Ablaufbeschwerde relevante Kriterien für die Frage des angemessenen Ausgleichs unberücksichtigt gelassen habe. Insofern könnte die Prüfungskommission gegen ihre aus der genannten Vorschrift folgende Begründungspflicht verstoßen haben.
4.7.1 Die Pflicht der Prüfungskommission gemäß Regel 19 (4) ABVEP, ihre Entscheidung über die Ablaufbeschwerde eines Prüflings zu begründen, umfasst die Pflicht, sich mit dem gesamten Sachverhalt auseinanderzusetzen, der von dem Prüfling als Beeinträchtigung des Prüfungsablaufs behauptet wird. Ebenso müssen zumindest die wesentlichen Argumente der beschwerdeführenden Person hinsichtlich der begehrten Rechtsfolge behandelt werden, sofern vorgebracht. Die Kammer betont, dass es spiegelbildlich zu diesen Pflichten der Prüfungskommission grundsätzlich einem Prüfling obliegt, in seiner Beschwerde im Sinne von Regel 19 (3) ABVEP alle wesentlichen Gesichtspunkte in tatsächlicher und argumentativer Hinsicht vorzubringen, damit die Prüfungskommission diese berücksichtigen kann.
4.7.2 Auf der anderen Seite darf der Umstand nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein Prüfling, der sich wegen Störungen im Ablauf der Prüfung beschweren will, dies gemäß Ziffer I.8 der Anweisungen "spätestens innerhalb des Tages der entsprechenden Prüfungsaufgabe" tun muss. Von einem Prüfling kann aber nicht erwartet werden, dass er innerhalb weniger Stunden eine elaborierte Begründung für die Frage gibt, welche Umstände auf welche Art und Weise bei der Findung des angemessenen Ausgleichs aus seiner Sicht zu berücksichtigen seien. Insofern sollte einem Prüfling, der eine Beschwerde im Sinne von Regel 19 (3) ABVEP erhoben hat, vor Entscheidung der Prüfungskommission Gelegenheit gegeben werden, zu einer vorläufigen Meinung der Prüfungskommission Stellung zu nehmen und für ihn relevante Gesichtspunkte und Argumente noch vorzubringen, damit diese bei der Entscheidung gemäß Regel 19 (4) ABVEP erwogen werden können. Eine solche Vorgehensweise steht im Einklang mit den Ausführungen in den Entscheidungen D 2/99 und D 3/99, jeweils Gründe 2, und verhindert außerdem, dass wesentliche Diskussionen - wie vorliegend - in das Beschwerdeverfahren vor der Kammer verlagert werden.
4.7.3 Weiterhin ist es im Einklang mit den oben in Ziffer 3 ausgeführten Grundsätzen nicht Aufgabe der Kammer, sich an die Stelle der Prüfungskommission zu setzen und im Falle einer gegebenen Beeinträchtigung des Prüfungsablaufs selbst einen angemessenen Ausgleich anzuordnen. Das Finden eines angemessenen Ausgleichs obliegt der Prüfungskommission, welche diesbezüglich ein Ermessen hat. Die Kammer hat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens lediglich die Aufgabe, die Entscheidung der Prüfungskommission auf Rechtsfehler zu überprüfen; insbesondere kann die Kammer, sofern die Prüfungskommission eine Ermessensentscheidung getroffen hat, lediglich überprüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt.
4.7.4 Im vorliegenden Fall kommt die Kammer zum Ergebnis, dass die Entscheidung der Prüfungskommission im Sinne von Regel 19 (4) ABVEP ihrem aus dieser Vorschrift folgenden Begründungserfordernis nicht gerecht geworden ist. In der vorliegend gegebenen besonderen Konstellation, in der der Beschwerdeführer aufgrund des (von der Prüfungskommission anerkannten) technischen Problems die Prüfungsaufgabe deutlich vor Ende der Bearbeitungszeit beenden musste, drängt sich tatsächlich die Frage auf, ob die von der Prüfungskommission gewählte Berechnungsweise für die zu gewährende Kompensation den konkreten Umständen gerecht wird. Insofern hat der Beschwerdeführer zu Recht auf Umstände hingewiesen, die Berücksichtigung finden könnten, wie etwa die höhere Punktegewichtung des zweiten Teils der Prüfungsaufgabe und insbesondere der Umstand, dass der erlittene Zeitverlust gerade in die Schreib- und damit "Punktephase" fiel. In der Tat macht es aus Sicht der Kammer einen zu berücksichtigenden Unterschied, ob ein Zeitverlust zu Beginn der Prüfung oder wie vorliegend erst an deren Ende aufgetreten ist, da nur im ersteren Fall ein Prüfling seine weitere Vorgehensweise und Zeiteinteilung für den Rest der Prüfungszeit noch anpassen kann.
4.7.5 Aus der angefochtenen Entscheidung ist aber nicht ersichtlich, ob diese Umstände überhaupt berücksichtigt wurden und falls ja, warum sie keinen Eingang in die Ausgleichsfindung gefunden haben. Ebenso wenig hat die Prüfungskommission begründet, warum sie gerade die erste, in D 37/21 vorgeschlagene Berechnungsmethode angewendet hat und nicht die zweite dort vorgeschlagene Methode oder etwa das rechnerische Mittel aus diesen beiden Methoden, wie ebenfalls in D 37/21 angesprochen. Für die gewählte Berechnungsmethode mag es aus Sicht der Prüfungskommission gute und zutreffende Gründe gegeben haben, die jedoch nicht ausgeführt wurden.
4.7.6 Aus den oben in Ziffer 4.7.3 genannten Gründen ist es der Kammer verwehrt, selbst über die Frage eines konkreten angemessenen Punkteausgleichs zu entscheiden. Entsprechend dem Hauptantrag des Beschwerdeführers ist die Angelegenheit daher zur erneuten Entscheidung hinsichtlich der Prüfungsaufgabe C an die Prüfungskommission zurückzuverweisen. Diese wird sodann Gelegenheit haben, ihre Entscheidung über den Punkteausgleich näher zu begründen und sich dabei mit den in der Beschwerde vorgebrachten und gegebenenfalls im wiedereröffneten Verfahren noch hinzugefügten Argumenten des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen.
4.7.7 Die Kammer merkt schließlich als grundsätzlichen und bei der Frage des angemessenen Punkteausgleichs für Zeitverlust relevanten Gesichtspunkt an, dass ein solcher Punkteausgleich nicht unbegrenzt nach oben offen sein kann: Die letztlich vergebene Bewertung der Prüfungsarbeit muss stets vorrangig die tatsächliche Leistung des Prüflings widerspiegeln. Ein Ausgleich auf Grundlage der während der effektiven (also tatsächlich zur Verfügung gestandenen) Zeit erreichten Punkte basiert aber ohnehin bereits auf der großzügigen bloßen Fiktion, der Prüfling hätte ohne Zeitverlust quasi linear weiter Punkte gesammelt. Eine solche Hochrechnung der Punkte würde, erfolgte sie unbegrenzt, nach Ansicht der Kammer ab einer gewissen Höhe den Gleichbehandlungsgrundsatz insofern verletzen, als dass ein von einer solchen Vorgehensweise profitierender Prüfling gegenüber anderen Prüflingen, bei denen keine Störung des Prüfungsablaufs mit einhergehendem Zeitverlust erfolgte, ohne hinreichend sachlichen Grund bevorzugt würde. Je größer also ein auszugleichender Zeitverlust beträgt, desto eher ist der gerade ausgeführte Gesichtspunkt zu bedenken. In der Konsequenz wäre dann an alternative Ausgleichsmaßnahmen wie zum Beispiel die Behandlung der Prüfungsaufgabe als nicht abgelegt, unter entsprechender Auswirkung auf bereits gezahlte oder noch zu zahlende Prüfungsgebühren, zu denken. Ab wann freilich ein Punkteausgleich konkret nicht mehr als angemessene Ausgleichsmaßnahme in Betracht kommt, wird von der Prüfungskommission unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und zu begründen sein.
5. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Da die Beschwerde im Ergebnis vollumfänglich begründet ist, entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit, Artikel 24 (4) Satz 3 VEP.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung der Prüfungskommission wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird hinsichtlich der Prüfungsaufgabe C zur erneuten Entscheidung an die Prüfungskommission zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.