T 1308/14 (Wohnungsstation für eine Tür-Kommunikationsanlage/RITTO) 18-09-2018
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Wohnungsstation für eine Tür-Kommunikationsanlage
Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Ein Einspruch wurde gegen das europäische Patent Nr. 1353490 in seiner Gesamtheit gestützt auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 und 56 EPÜ und nach den Artikeln 100 b) und 100 c) EPÜ eingelegt. Das Patent wurde von der Einspruchsabteilung widerrufen.
II. Die Einspruchsabteilung entschied, dass die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) und c) der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehen. Anspruch 1 des Hauptantrags, d.h. Anspruch 1 in der erteilten Fassung, verletze die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ und dessen Gegenstand sei nicht neu (Artikel 52 (1) und 54 EPÜ). Der Gegenstand des Anspruchs 1 eines am 15. November 2013 eingereichten, aber im Laufe der mündlichen Verhandlung zurückgenommenen Hilfsantrags 1, der dem jetzt vorliegenden ersten Hilfsantrag entspricht, war nicht neu (Artikel 52 (1) und 54 EPÜ). Ein während der mündlichen Verhandlung eingereichter Hilfsantrag 1 wurde wegen einer unzulässigen Erweiterung (Artikel 123 (2) EPÜ) nicht in das Verfahren zugelassen.
III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) Beschwerde ein und begründete diese. Sie beantragte, die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche eines mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung mit. Unter anderem wies sie darauf hin, dass das Weglassen des Merkmals "handelsüblich" im Rahmen des Artikels 100 c) EPÜ zu untersuchen sein würde.
VI. Mit Schreiben vom 25. Juni 2018 bzw. 22. August 2018 brachten die Beschwerdeführerin bzw. die Beschwerdegegnerin weitere Argumente vor.
VII. Die mündliche Verhandlung fand am 18. September 2018 vor der Kammer statt.
Die Beschwerdeführerin reichte zusätzlich zu ihren zuvor gestellten Anträgen Ansprüche eines zweiten Hilfsantrags ein, wodurch der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hilfsantrag zum ersten Hilfsantrag wurde, und beantragte abschließend die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf Grundlage der Ansprüche des ersten Hilfsantrags, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, oder auf Grundlage der Ansprüche des zweiten Hilfsantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung.
Die Beschwerdegegnerin bestätigte ihren Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde.
Am Ende der Verhandlung schloss der Vorsitzende die Debatte und verkündete nach Beratung die Entscheidung der Kammer.
VIII. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:
"Wohnungsstation für eine Tür-Kommunikationsanlage mit einem UP-Gehäuse, in das Funktionseinheiten eingesetzt und mittels eines Rahmens mit Abdeckungen abgedeckt sind,
wobei das UP-Gehäuse aus mindestens zwei aneinanderreihbaren UP-Dosen oder einer Doppeldose zusammengesetzt ist,
wobei in die eine UP-Dose (1) ein Steuerungsmodul (2a) mit einem Rechner sowie einem Steuerbefehlempfänger und einem Steuerbefehlsender und in die andere UP-Dose (1) ein Verstärkermodul (2b) eingesetzt sind,
wobei das Steuerungsmodul (2a) und das Verstärkermodul (2b) mittels eines Rahmens (3) abgedeckt sind,
wobei in die dem Steuerungsmodul (2a) zugeordnete Ausnehmung des Rahmens (3) eine Abdeckung (5) mit Bedienungs- und/oder Anzeigeelementen eingesetzt ist und in die dem Verstärkermodul zugeordnete Ausnehmung des Rahmens (3) eine Abdeckung (4) mit Lautsprecher und/oder Mikrofon eingesetzt ist,
wobei das Steuerungsmodul (2a) und das Verstärkermodul (2b) einen dosenförmigen Gehäuseunterteil (13), und einen das Gehäuseunterteil (13) abdeckenden Gehäuseoberteil (11) aufweist,
wobei in das Gehäuseunterteil (13) eine Leiterplatte (8) mit zum zugeordneten Modul verbundenen Bauelementen (10) eingesetzt ist und
wobei die Leiterplatte (8) mit einer Modul-Schnittstelle (9) versehen ist, an der die weiterführenden Leitungen zur zugeordneten Abdeckung (4, 5 oder 6) abgehen und die durch das Gehäuseoberteil (11) hindurch mit der im Rahmen (3) eingesetzten Abdeckung (4, 5 oder 6) verbunden ist."
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags weist das weitere Merkmal auf (durch die Kammer hervorgehoben), dass die Modul-Schnittstelle "durch das Gehäuseoberteil (11) und eine das Modul tragende Trägerplatte (12) hindurch mit der im Rahmen eingesetzten Abdeckung (4, 5 oder 6) verbunden ist".
In Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags wurde im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags bei der erstmaligen Erwähnung der Begriffe UP-Dosen, Doppeldose und Rahmen der Begriff "handelsüblich" eingefügt. Weiterhin weisen das Steuerungsmodul und das Verstärkermodul im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags zusätzlich "eine die zusammengesetzte Moduleinheit (2a, 2b) tragende Trägerplatte (12)" auf.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag und erster Hilfsantrag: unzulässige Erweiterung (Artikel 100 c) EPÜ)
1.1 Anspruch 1 des Streitpatents sowie Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags gehen, neben weiteren Änderungen, aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 6 hervor. Im Vergleich zu dieser ursprünglichen Offenbarung ist, unter anderem, das Merkmal "handelsüblich" bezogen auf UP-Dosen, Doppeldosen und Rahmen weggelassen worden.
1.2 Bei der Beurteilung, ob dadurch eine unzulässige Erweiterung im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ vorliegt, ist zu berücksichtigen, dass jede Änderung an den die Offenbarung betreffenden Teilen einer europäischen Patentanmeldung oder eines europäischen Patents (der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen) dem in Artikel 123 (2) EPÜ statuierten zwingenden Erweiterungsverbot unterliegt und daher unabhängig vom Kontext der vorgenommenen Änderung nur im Rahmen dessen erfolgen darf, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (G 2/10, ABl. EPA 2012, 376, Punkt 4.3 der Gründe: "Goldstandard").
1.3 Der Fachmann entnimmt dem Merkmal "handelsüblich" bezogen auf UP-Dosen, Doppeldosen und Rahmen unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig, dass es sich bei den fraglichen UP-Dosen, Doppeldosen und Rahmen um eine endliche und abzählbare Menge dieser Gegenstände handelt, nämlich diejenige Menge, die vor dem Anmeldetag handelsüblich war, die bestimmte technische Parameter bezüglich zum Beispiel des Materials, ihrer Form und ihrer Dimensionen aufweisen. Somit ergibt sich indirekt durch die Angabe des Vertriebsweges durch den Begriff "handelsüblich" eine Einschränkung dieser Parameter, bezogen auf den Anmeldetag, im Vergleich zu solchen Gegenständen, die nicht mit diesem Begriff bezeichnet sind. Somit sind die Parameter für die gemäß Anspruch 1 verwendbaren Gegenstände, die sich durch das Weglassen des Begriffs "handelsüblich" ergeben, weiter gefasst.
1.4 Für diese Erweiterung kann der Fachmann der ursprünglich eingereichten Fassung keine Grundlage entnehmen. Zwar werden die Begriffe "UP-Dose", "Doppeldose" und "Rahmen" in der ursprünglich eingereichten Fassung mehrfach ohne das Merkmal "handelsüblich" verwendet. Es ergibt sich jedoch aus dem Gesamtzusammenhang, dass für diese Gegenstände stets ihre handelsübliche Form zu verstehen war. So ist die Aufgabe der vorliegenden Erfindung, an Stelle spezieller UP-Gehäuse solche Gegenstände zu verwenden, die in der Installationstechnik handelsüblich und daher kostengünstig sind (Spalte 1, Zeilen 9-19, der Patentanmeldung in der veröffentlichten Fassung).
1.5 Es wurde auch von der Beschwerdeführerin nicht behauptet, dass die ursprünglichen Unterlagen so verstanden werden könnten, dass die dort ohne das Merkmal "handelsüblich" bezeichneten Gegenstände eine Grundlage für den Wegfall dieses Merkmals darstellen könnten. Vielmehr argumentierte die Beschwerdeführerin, dass dieses Merkmal als unbestimmter, nicht-technischer Begriff wegen mangelnder Klarheit zu streichen gewesen sei und dieser Begriff lediglich besage, dass die bezeichneten Gegenstände im Handel erhältlich seien und, da er viele, auch sich wandelnde Ausführungen betreffen könne, es keine Rückschlüsse auf eine technische Ausprägung betreffender Gegenstände zulasse. Ferner führe der Begriff "handelsüblich" zu keiner besonderen Definition oder Beschränkung der damit bezeichneten Gegenstände.
1.6 Dazu merkt die Kammer an, dass gemäß der unter Punkt 1.2 zitierten Entscheidung G 2/10 der Kontext, hier also das wegen eines Klarheitsmangels erforderliche Weglassen eines Merkmals, für die Beurteilung, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, unerheblich ist.
Die Kammer tritt ferner dem Argument entgegen, dass für die Frage, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, der Begriff "handelsüblich" wandelnde Ausführungen betreffen könne. Aus der unter Punkt 1.2 zitierten Entscheidung G 2/10 folgt, dass die vorgenommene Änderung nur im Rahmen dessen erfolgen darf, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann. Der Umstand, dass der Begriff "handelsüblich" wandelnde Ausführungen betreffen kann, spielt also bei der Frage, ob eine unzulässige Änderung vorliegt, keine Rolle.
Weiterhin akzeptiert die Kammer zwar, dass der Begriff "handelsüblich" zu keiner besonderen Definition oder Beschränkung der damit bezeichneten Gegenstände in dem Sinne führt, dass diese Gegenstände einer bestimmten Norm unterliegen oder sonst wie bestimmte Eigenschaften aufweisen würden. Dieser Begriff führt jedoch zu einer allgemeiner zu sehenden Beschränkung. Diese besteht, wie schon unter Punkt 1.3 ausgeführt, darin, dass die Menge der möglichen, für die beanspruchte Wohnungsstation verwendbaren Gegenstände endlich war und, zumindest theoretisch, vom Fachmann auch mit ihren technischen Eigenschaften hätte aufgezählt werden können. Jetzt ist jedoch ihre Menge unbegrenzt.
1.7 Aus den oben ausgeführten Gründen folgt, dass durch das Weglassen des Merkmals "handelsüblich" der beanspruchte Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Folglich ist das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ nicht erfüllt, so dass Artikel 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags und des ersten Hilfsantrags entgegensteht.
2. Zweiter Hilfsantrag: Zulässigkeit (Artikel 13 (1) VOBK)
2.1 Gemäß Artikel 12 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) muss "Die Beschwerdebegründung ... den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten". Artikel 13 (1) VOBK räumt der Kammer einen Ermessensspielraum ein, "Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung ... zuzulassen und zu berücksichtigen". Bei der Ausübung ihres Ermessens zur Zulässigkeit von Anträgen, die wie im vorliegenden Fall erst in der mündlichen Verhandlung, also nach der Beschwerdebegründung, eingereicht wurden, berücksichtigt die Kammer gemäß der gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern u.a., ob diese Anträge eindeutig gewährbar sind.
2.2 Im vorliegenden Fall wurde in Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags unter anderem bei der erstmaligen Erwähnung der Begriffe UP-Dosen, Doppeldose und Rahmen der Begriff "handelsüblich" eingefügt. Dieser Begriff ist jedoch prima facie nicht klar, da er nicht geeignet ist, den Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, anzugeben (Artikel 84 EPÜ). Es ist nämlich nicht klar, welcher Handel, etwa Einzelhandel oder Großhandel, mit diesem Begriff gemeint ist, noch ist klar, ob sich dieser Begriff auf einen regionalen Bereich beziehen kann oder mit "handelsüblich" ein überregionaler Handel oder der Welthandel gemeint ist. Ferner ist nicht klar, ab welcher Handelsmenge ein Produkt "handelsüblich" wird. Schließlich unterliegt dieser Begriff auch zeitlichen Änderungen, so dass er ungeeignet ist, den Gegenstand anzugeben, für den Schutz gewährt wird.
2.3 Da der zweite Hilfsantrag aus vorgenannten Gründen nicht eindeutig gewährbar ist, hat die Kammer in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (1) VOBK den zweiten Hilfsantrag nicht in das Verfahren zugelassen.
3. Da kein gewährbarer Antrag vorliegt, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.