T 0880/16 11-11-2021
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Verfahren zum Herstellen grundierter Paneele aus Holzwerkstoff
Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag, Hilfsanträge I und II: nein)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (ja)
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (Hilfsanträge II A, IV, VI und VIII: nein)
Patentansprüche - Klarheit (Hilfsanträge III, V und VII: nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 402 174 (im Nachfolgenden als "das Patent" bezeichnet) zu widerrufen.
II. Der Einspruch war gegen das Patent in vollem Umfang eingelegt worden und auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit) und i.V.m. Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit), gemäß Artikel 100 b) EPÜ und gemäß Artikel 100 c) EPÜ gestützt worden.
III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 sowohl in der erteilten, dem Hauptantrag entsprechenden Fassung als auch in der Fassung der Hilfsanträge I, II, III, IV und VII nicht erfinderisch ist. Außerdem war sie der Auffassung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge V, VI und VIII nicht deutlich gefasst ist.
IV. Im Beschwerdeverfahren wurde unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D6 |WO 2008/114117 A2; |
D10|DE 10 2007 019 851 A1; |
D12|DIN 6174, Oktober 2007; |
D14|"Farbmetrik - Praktische Farbmessung / Farbwissenschaften in der Papiertechnik", Vorlesung im Sommersemester 2011, Prof. Dr.-Ing. E. Dörsam, Technische Universität Darmstadt;|
D15|"The CIELAB Reference White", Internetauszug (http://www.color-image.com/2011/10/the-cielab-reference-white/), Parker Plaisted, 15 Oktober 2011; |
D16|Fogra-Gutachten Nr. 33656, A. Kraushaar und M. Mattuschka, August 2020; |
D17|"Warum verwendet die Druckindustrie nicht D65?", A. Kraushaar, Fogra München, Der Siebdruck 02.2012, Seiten 52 bis 54. |
V. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) neue Hilfsanträge I bis VI ein.
VI. Die Dokumente D14 und D15 hat die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) zum ersten Mal mit ihrer Erwiderung eingereicht.
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VII. Mit einer Ladung vom 18. November 2019 wurden die Beteiligten zu einer für den 19. November 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung geladen.
VIII. In der am 12. Juni 2020 erlassenen Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung (VOBK 2020) brachte die Kammer ihre vorläufige Auffassung zum Ausdruck, dass Anspruch 1 in der erteilten Fassung bzw. Anspruch 1 der Hilfsanträge I und II den Erfordernissen des Artikels 56 EPÜ nicht genüge und dass Anspruch 1 der Hilfsanträge III bis VI die Erfordernissen der Artikel 123 (2) und 84 EPÜ nicht erfülle.
IX. Mit Schreiben vom 17. September 2020 reichte die Beschwerdeführerin neue Hilfsanträge IV bis VIII sowie das Dokument D16 ein.
X. Daraufhin reichte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 19. Oktober 2020 das Dokument D17 ein.
XI. Den von der Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 6. November 2020 und 16. November 2020 gestellten Anträgen auf Verlegung der mündlichen Verhandlung wurde jeweils stattgegeben. Ein neues Datum für die mündliche Verhandlung wurde den Beteiligten am 20. November 2020 mitgeteilt.
XII. Am 11. November 2021 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Während der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Anspruch 1 als Hilfsantrag II A ein.
XIII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in erteilter Fassung aufrechtzuerhalten (Hauptantrag), oder, hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge I oder II, weiter hilfsweise auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags II A oder auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags III oder eines der mit Schreiben vom 17. September 2020 eingereichten Hilfsanträge IV bis VIII aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
XIV. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem Patent in der erteilten Fassung (entsprechend dem vorliegenden Hauptantrag) lautet wie folgt:
"Verfahren zum Herstellen verpackter grundierter Paneele als Halbzeuge mit den Schritten in dieser Reihenfolge:
a) Bereitstellen einer Holzwerkstoffplatte (1),
b) Aufbringen einer Grundierung (24) in Form einer Kunstharzschicht auf wenigstens eine Oberseite der Holzwerkstoffplatte (1),
c) Aufbringen einer Beschichtung auf eine der Oberseite der Holzwerkstoffplatte (1) gegenüberliegende Unterseite der Holzwerkstoffplatte (1),
d) Verpressen des Schichtaufbaus aus Holzwerkstoffplatte (1), Grundierung (24) und Beschichtung unter Druck- und gegebenenfalls Temperatureinfluss,
e) Aufteilen der grundierten und beschichteten Holzwerkstoffplatte (1) in einzelne Paneele (12),
f) Spanabhebendes Bearbeiten von Seitenflächen der Paneele (12) zum Anarbeiten von Verbindungs- und Verriegelungsmitteln,
g) Transportsicheres Verpacken der grundierten Paneele (12)".
XV. Anspruch 1 des Hilfsantrags I unterscheidet sich vom erteilten Anspruch 1 durch die folgenden Änderungen:
"Verfahren zum Herstellen verpackter grundierter Paneele als Halbzeuge in einem Herstellerbetrieb mit den Schritten in dieser Reihenfolge:"
und
"g) Transportsicheres Verpacken der grundierten Paneele (12), um die Herstellerkette zu unterbrechen und die Paneele zu einem weiterverarbeitenden Betrieb transportieren zu können".
XVI. Anspruch 1 des Hilfsantrags II unterscheidet sich folgendermaßen von Anspruch 1 des Hilfsantrags I:
"g) Transportsicheres Verpacken der grundierten Paneele (12), um die Herstellerkette zu unterbrechen und die Paneele zu einem weiterverarbeitenden Betrieb transportieren zu können, von dem eine Dekorschicht mit einem Dekor nach unmittelbarem Kundenwunsch auf die Grundierung aufgebracht und von wenigstens einer Nutzschicht abgedeckt wird".
XVII. Anspruch 1 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags II A unterscheidet sich folgendermaßen von Anspruch 1 des Hilfsantrags II:
"g) Transportsicheres Verpacken der grundierten Paneele (12), um die Herstellerkette zu unterbrechen, Transportieren der [deleted: und die] Paneele zu einem weiterverarbeitenden Betrieb [deleted: transportieren zu können], von dem eine Dekorschicht mit einem Dekor nach unmittelbarem Kundenwunsch auf die Grundierung aufgebracht und von wenigstens einer Nutzschicht abgedeckt wird".
XVIII. Anspruch 1 des Hilfsantrags III unterscheidet sich folgendermaßen von Anspruch 1 des Hilfsantrags II:
"b) Aufbringen einer eingefärbten Grundierung (24) in Form einer Kunstharzschicht auf wenigstens eine Oberseite der Holzwerkstoffplatte (1), wobei b1) die Farbe der Grundierung (24) einen Helligkeitsparameter L größer als 92, einen Rot-Grün-Wert A zwischen -5 und +5 und einen Gelb-Blau-Wert B zwischen -15 und +15 aufweist".
XIX. Anspruch 1 des mit Schreiben vom 17. September 2020 eingereichten Hilfsantrags IV unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags III durch folgende Änderungen:
"b) Aufbringen einer eingefärbten Grundierung (24) in Form einer Kunstharzschicht auf wenigstens eine Oberseite der Holzwerkstoffplatte (1), wobei b1) die Farbe der Oberseite im CIELAB-Farbraum [deleted: Grundierung (24)] einen Helligkeitsparameter L größer als 92, einen Rot-Grün-Wert A zwischen -5 und +5 und einen Gelb-Blau-Wert B zwischen -15 und +15 aufweist, und b2) als normative Basis dieses Farbraums die Norm DIN 6174 dient".
XX. In Anspruch 1 der mit Schreiben vom 17. September 2020 eingereichten Hilfsanträge V und VII wurde das Merkmal b) von Anspruch 1 des Hilfsantrags III jeweils folgendermaßen geändert:
"b) Aufbringen einer eingefärbten Grundierung (24) in Form einer Kunstharzschicht, die direkt auf wenigstens eine Oberseite der Holzwerkstoffplatte (1) aufgetragen wird, wobei b1) ...".
XXI. Auch in Anspruch 1 der mit Schreiben vom 17. September 2020 eingereichten Hilfsanträge VI und VIII wurde das Merkmal b) von Anspruch 1 des Hilfsantrags IV jeweils dementsprechend geändert.
XXII. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Hauptantrag - Patent in erteilter Fassung
Der Erfindung liege das Problem zugrunde, dass die Nachfrage nach Holzpaneele mit immer mehr verschiedenen Dekorvarianten zu einer längeren Umrüstzeit beim Laminathersteller führe und einen entsprechenden Lagerplatz erfordere. Dazu werde erfindungsgemäß die Herstellungskette unterbrochen und die grundierten, transportsicher verpackten Paneele als Halbzeuge zu einem weiterverarbeitenden Betrieb transportiert, wo eine dem Kundenwunsch entsprechende Dekorschicht aufgebracht werde.
Die Druckschrift D6 offenbare ein Verfahren zum Herstellen von Fußbodenpaneelen. In einem ersten Schritt werde eine Deckschicht 2 zusammen mit dem Substrat 3 und einem Gegenzug 6 verpresst. Die so erhaltene Platte werde in einem zweiten Schritt in einzelne Paneele 13 aufgeteilt. In einem dritten Schritt werde Fotopapier 14 aufgebracht, das anschließend in einem weiteren Schritt belichtet werde, um ein Dekor auf die Oberseite der Paneele zu erzeugen. Außerdem bestehe die Möglichkeit, dass das Halbzeug profiliert werde. Der Verfahrensschritt g) gemäß Anspruch 1 sei allerdings nicht in der Druckschrift D6 offenbart. Paneele, die mit einem lichtempfindlichen Fotopapier beschichtet worden seien, hätte der Fachmann schnellstmöglich dem Belichtungsprozess zugeführt, um zu vermeiden, dass eine Fremdbelichtung stattfinde. Die Fertigstellung solle daher so spät wie möglich erfolgen. Da sich die gesamte Herstellung des unbelichteten Paneels gemäß der Druckschrift D6 beim Hersteller vollziehe, hätte der Fachmann die Ware auch dort zwischengelagert. Eine Veranlassung, die Paneele verpackt in das eigene Lager zu bringen und sie dann nachher wieder auszupacken, gäbe es in diesem Fall nicht, zumal das Fotopapier bereits eine Schutzschicht aufweise und die Paneele ohnehin vor der Fertigstellung von anhaftendem Staub zu reinigen wären. Die von der Beschwerdegegnerin herangezogene Druckschrift D10 handle von großen Platten ohne profilierte Kanten. Von transportsicherem Verpacken sei dort nichts erwähnt.
Somit beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag I
Der erteilte Anspruch 1 sei in Hilfsantrag I um die Definition hinsichtlich des "Halbzeugs" ergänzt worden, wie sie die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidungsbegründung in Ziffer 15.5 vermisst habe. Durch die Änderung des Merkmals g) sei jetzt klargestellt, dass die Halbzeuge den Herstellerbetrieb verlassen und an einem anderen Ort weiterverarbeitet würden. Daher seien sie den Umgebungseinflüssen ausgesetzt, so dass die Verpackung dementsprechend angepasst werden müsse. Die auf Seite 8 der Druckschrift D6 erwähnten "buffer magazines" befänden sich im Herstellerwerk, wo sie die Herstellungskette nicht unterbrächen, sondern die Funktion eines Puffers im Produktionsprozess hätten. Die Überlegung, die unbelichteten Paneele der Druckschrift D6 transportsicher zu verpacken, beruhe auf einer rückschauenden Betrachtung.
Für den Fachmann wäre es ausgehend von der Druckschrift D6 daher nicht naheliegend gewesen, zum beanspruchten Gegenstand des Hilfsantrags I zu gelangen, welcher somit auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Hilfsantrag II
Zur weiteren Verdeutlichung sei zusätzlich im Merkmal g) aufgenommen worden, dass der weiterverarbeitende Betrieb eine Dekorschicht mit einem Dekor nach unmittelbarem Kundenwunsch auf die Grundierung aufbringe und die Dekorschicht mit wenigstens einer Nutzschicht abdecke. Diese weiteren Verfahrensschritte entsprächen eigentlich zwei weiteren Anspruchsmerkmalen, nämlich dem Aufbringen der Dekorschicht und dem Abdecken mit der Nutzschicht. Daraus folge eindeutig, dass die in Anspruch 1 hergestellten Halbzeuge entgegen der Lehre der Druckschrift D6 an einen anderen Ort transportiert würden.
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags II sei somit erfinderisch.
Hilfsantrag II A - Zulassung
Der Hilfsantrag II A sei eine Reaktion auf die Ansicht der Kammer, dass die im Merkmal g) gemäß Hilfsantrag II definierte Absicht nicht eindeutig erfordere, dass die verpackten Paneele tatsächlich transportiert würden. Durch die vorgenommene Änderung sei kein neuer Sachverhalt geschaffen worden. Das neue Merkmal stehe auch nicht im Widerspruch zu dem Zweck des beanspruchten Verfahrens, verpackte grundierte Paneele als Halbzeuge herzustellen. Für die Offenbarung werde auf die gesamte Patentschrift verwiesen.
Der Hilfsantrag sei somit ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Zulassung des Dokuments D16
Das Dokument D16 sei ein Gutachten, das im Auftrag der Beschwerdeführerin vom FOGRA Forschungsinstitut für Medientechnologie e.V. angefertigt worden sei. Es gehe hier somit um ein unabhängiges Gutachten eines bekannten wissenschaftliches Institut. Die unter Berücksichtigung des Zeitrangs des Streitpatents inhaltlich relevanten Beurteilungsgrundlagen 1, 8, 9, 15 und 16 seien alle vor 2010 veröffentlichte Fachpublikationen. In dem Gutachten werde ausgeführt, dass die Lichtart D65 in mehreren Standards festgelegt worden sei, und die CIE dieser Lichtart eine besondere Bedeutung beigemessen und sie "Normlichtart" genannt habe. Außerdem werde dort angegeben, weshalb der Fachmann im vorliegenden Fall den 10°-Normalbeobachter wählen würde, der auch in den meisten Messgeräten für die industrielle Farbmessung voreingestellt sei. Die Beschwerdeführerin habe das Dokument D16 als eine Vertiefung bzw. eine Bestätigung der Ausführungen, die sie schon vorher im Verfahren gemacht habe, und in Reaktion auf die in der Mitteilung geäußerte vorläufige Auffassung der Kammer eingereicht.
Das Dokument D16 sei somit ins Verfahren zuzulassen.
Hilfsantrag III
In Anspruch 1 des Hilfsantrags III sei ergänzt worden, dass die Grundierung entsprechend dem Merkmal b1) eingefärbt werde. Durch die angegebenen Parameter sei die Farbe in dem dreidimensionalen Farbraum eindeutig festgelegt.
Zum Prioritätszeitpunkt des Patents habe es drei wesentliche Kategorien an Lichtarten gegeben: die Tageslichtphasen (z. B. D50, D65), die Entladungslampen (z. B. F1, F2) und die Temperaturstrahler (z. B. A). Die in der Tabelle 1 der Norm DIN 6174 (vgl. Dokument D12) angegebene Lichtart C sei veraltet und werde in der Praxis nicht mehr verwendet. Da nicht alle Lichtarten gleichwertig bzw. gleich relevant seien und sich die spektrale Zusammensetzung des Tageslichts je nach Witterung, Tages- und Jahreszeit sehr verändere, sei die Tageslichtphase D65 als feste Bezugsgröße festgelegt, um das mittlere natürliche Tageslicht wiederzugeben. Sie entspreche der standardmäßig verwendeten Lichtart und werde dementsprechend als erste Lichtart in der Tabelle 1 des Dokuments D12 genannt. Diesbezüglich werde auf Seite 11 des Dokuments D16 ausgeführt, dass die Normlichtart D65 in mehreren Standards festgelegt worden sei und die CIE dieser Lichtart eine besondere Bedeutung beigemessen habe. In der Tat sei D65 in der industriellen Praxis die mit Abstand wichtigste und relevanteste Lichtart. Einzig die Druckindustrie verwende als größere farbgebende Branche nicht D65, sondern D50 als Referenzlichtart. Auch wenn sich die holzverarbeitende Industrie in den letzten Jahren dahingehend verändert habe, dass der Digitaldruck bei der Massenfertigung von Dekorpaneelen immer häufiger zum Einsatz komme, sei es für den Fachmann, der sich zum Prioritätszeitpunkt des Patents mit der Beschichtung von Holzwerkstoffplatten beschäftigt habe und die Farbe der Oberfläche der beschichteten Platte habe messen wollen, selbstverständlich gewesen, sich der Normlichtart D65 zu bedienen und nicht auf eine andere Normlichtart zurückzugreifen, insbesondere in den Fällen, wo nichts Weiteres zur Lichtart vorgegeben sei.
Auf den Seiten 12 und 13 des Dokuments D16 werde weiter ausgeführt, dass der 2°-Normalbeobachter für die Bewertung von kleinen Details und Feinheiten gewählt werde und dass der 10°-Normalbeobachter die geeignete Wahl für größere Flächen sei. Wenn, wie im vorliegenden Fall, die Farbe der Oberseite einer großflächigen Holzwerkstoffplatte gemessen werde und der Fachmann daher bestrebt sei, unter einem großen Öffnungswinkel abzumustern, sei folglich der 10°-Normalbeobachter anzuwenden. Auch sei zu berücksichtigen, dass in den meisten Messgeräten für die industrielle Farbmessung der 10°-Normalbeobachter voreingestellt sei. Außerdem seien im Anhang A des Dokuments D12 zwei Berechnungsbeispiele für eine auf eine vollkommen mattweiße Fläche, den 10°-Normalbeobachter und die Normlichtart D65 bezogene Farbmessung enthalten. Genau diese Berechnung werde in der Praxis üblicherweise vorgenommen. Außerdem sei das Bedrucken von weiß grundierten Paneelen technisch sehr gut vergleichbar mit dem Vorgehen in der Papierindustrie, in der weißes Papier ausschließlich mit der Lichtart D65 in Verbindung mit dem 10°-Normalbeobachter gemessen werde.
Zu der auf Seite 8 des Dokuments D12 erwähnten Messgeometrie sei zu bemerken, dass sie mit dem Messgerät und der Messposition zusammenhänge. Unter dem Gesichtspunkt der Wissenschaft wäre die Messgeometrie vielleicht wichtig, in der Praxis sei sie für die Bestimmung einer Farbe irrelevant.
Daher erfülle Anspruch 1 die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ.
Hilfsanträge IV bis VIII
Die Hilfsanträge VI und VII seien identisch mit den zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträgen IV bzw. V. In Anspruch 1 der vorliegenden Hilfsanträge IV, VI und VIII sei jeweils ergänzt worden, dass die Farbe der Oberseite im CIELAB-Farbraum den beanspruchten Helligkeitsparameter aufweise und dass als normative Basis dieses Farbraums die Norm DIN 6174 diene.
Aus den bereits zum Hilfsantrag III vorgebrachten Gründen seien auch für die Hilfsanträge IV bis VIII die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ jeweils erfüllt.
XXIII. Der Vortrag der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Hauptantrag - Patent in erteilter Fassung
Ausgegangen werde von der Druckschrift D6. Die darin offenbarte obere Lage 2 aus mit Kunstharz getränktem Material könne als Grundierung im Sinne vom Merkmal b) angesehen werden, denn die Grundierung sei im Patent nicht näher spezifiziert. Bei der Druckschrift D6 sei sogar vorgesehen, nach der Belichtung der lichtempfindlichen Beschichtung eine Lackschicht auf das hergestellte Muster aufzubringen. Nach Seite 14, Zeilen 21 bis 26 der Druckschrift D6 könnten die Seitenkanten der einzelnen Paneele zudem durch Profilierung mit Verbindungsmitteln versehen werden. Deshalb sei ein Verfahren mit den Merkmalen a) bis f) aus der Druckschrift D6 bekannt. Da die Belichtung der lichtempfindlichen Oberfläche vorzugsweise am Schluss des gesamten Herstellungsverfahrens erfolge, könne der Lageraufwand reduziert werden, indem nur die unbelichteten Halbzeuge gelagert würden, vgl. Seite 9, Zeilen 1 bis 4 der Druckschrift D6. Der Fachmann hätte die Paneele nicht einzeln und lose in ein Lager transportiert und dort gelagert, da sie dabei verschmutzt oder beschädigt hätten werden können, zumal die lichtempfindliche Oberfläche einen Schutz vor übermäßigem Lichteinfall und vorzeitiger Belichtung erfordere. Außerdem sei nicht bekannt, wie lange die Paneele im Lager unterzubringen seien. Damit wäre es für den Fachmann naheliegend gewesen, sie vor dem Transport ins Lager zu verpacken. Dabei sei zu beachten, dass auch für den Weg ins Lager eine zumindest rudimentäre Verpackung erforderlich sei. Im Übrigen schlage sich weder der eigentliche Transportschritt noch eine mögliche Reinigung der Paneele nach der Lagerung im Wortlaut von Anspruch 1 nieder. Die Grundgedanke, die Prozesskette bei der Herstellung von bedruckten Holzpaneelen zu unterbrechen und die unbedruckten Halbzeuge zur späteren Verarbeitung z. B. an Druckereien zu transportieren, sei bereits aus der Druckschrift D10 bekannt gewesen. Es sei völlig selbstverständlich, dass die darin erwähnten Paneele zum Transport transportsicher verpackt werden müssten.
Somit beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag I
Anspruch 1 werde durch den Zusatz "in einem Herstellerbetrieb" nicht eingeschränkt. Auch die Änderung im Merkmal g) schränke den Anspruch 1 nicht ein, denn hierbei handle es sich lediglich um eine Zweckangabe, die jedoch keine technische Beschränkung darstelle. Der Transport zu einem weiterverarbeitenden Betrieb sei weiterhin nicht Teil von Anspruch 1. Außerdem könne sich der Begriff "weiterverarbeitender Betrieb" zwar auf ein anderes Unternehmen beziehen. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass damit ein nebenan liegendes Werk oder sogar ein anderer Bereich des eigenen Herstellerwerks gemeint sei. Umgebungseinflüsse gebe es auch hier. Der Zusatz habe somit keine implizite Einschränkung auf die Transportverpackung.
Daher sei auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags I ausgehend von der Druckschrift D6 nicht erfinderisch.
Hilfsantrag II
Der Inhalt des geänderten Merkmals g) bestehe offenbar weiterhin nur in dem Verpacken, während das Aufbringen des Dekors bzw. der Nutzschicht im weiterverarbeitenden Betrieb lediglich eine Zweckangabe bzw. eine Absichtserklärung darstelle, so dass die damit verbundenen Schritte im weiterverarbeitenden Betrieb nicht Teil von Anspruch 1 seien. Sie machten auch für die transportsichere Verpackung keinen Unterschied.
Ausgehend von der Druckschrift D6 sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags II nicht erfinderisch.
Hilfsantrag II A - Zulassung
Hilfsantrag II A sei verspätet eingereicht worden. Es gebe keinerlei Gründe, den Antrag zuzulassen. Die betreffenden Änderungen könnten nicht als Reaktion auf die Stellungnahme der Kammer in ihrer Mitteilung angesehen werden, da die Beschwerdegegnerin bereits in der Erwiderung, insbesondere in den Punkten B.4 bis B.6, dazu vorgetragen habe. Außerdem seien durch die Änderungen komplett neue Verfahrensschritte eingeführt worden, die weder in den erteilten Ansprüchen, noch in irgendeinem der bisher eingereichten Hilfsanträge vorlägen. Deshalb sei der neue Sachverhalt für die Beschwerdegegnerin nicht erwartbar gewesen. Zudem scheine der Anspruchsgegenstand prima facie nicht erfolgversprechend. Der eindeutige Widerspruch zwischen dem neuen Merkmal g) und dem funktionellen Merkmal am Anfang des Anspruchs führe zu Klarheitsproblemen. Darüber hinaus reiche der pauschale Verweis auf die allgemeine Offenbarung nicht aus, um darzulegen, ob die Änderungen auf der Grundlage der Anmeldungsunterlagen in der ursprünglich eingereichten Fassung erfolgt seien. Außerdem seien in Folge der Merkmalsverschiebung nun weitere Personen von Anspruch 1 betroffen, so dass eine Erweiterung des Schutzbereichs im Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ vorliege.
Folglich solle Hilfsantrag II A nicht ins Verfahren zugelassen werden.
Zulassung des Dokuments D16
Das Dokument D16 sei verspätet vorgebracht worden. Dabei hätte die Beschwerdeführerin das Beweismittel schon im erstinstanzlichen Verfahren, oder spätestens in Reaktion auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung bezüglich des damaligen Hilfsantrags IV einreichen können. Das Fehlen der Angabe zur Normlichtart und zum Normalbeobachter im Merkal b1) sei auch in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung thematisiert worden. Außerdem sei in der Erwiderung in Bezug auf den vorliegenden Hilfsantrag III hierauf eingegangen worden. Das Dokument D16 sei nun so spät im Verfahren eingereicht worden, dass der Beschwerdegegnerin kaum Zeit geblieben sei, sich hiermit fachkundig auseinanderzusetzen oder ein eigenes unabhängiges Gutachten einzuholen. Die unter Punkt 2 des Dokuments D16 angegebenen Beurteilungsgrundlagen seien nicht einmal beigefügt.
Zudem sei schon prima facie ersichtlich, dass dem Gutachten kein Beweiswert zukomme. Erstens sei die Aufgabestellung eine suggestive Vorwegnahme des Ergebnisses. Darüber hinaus werde zwar auf einen Fachmann zum Zeitpunkt des Jahres 2010 abgestellt, die als Beurteilungsgrundlagen herangezogenen Fachpublikationen seien jedoch deutlich jünger. Anders als im Abschnitt 5.2 des Gutachtens D16 ausgeführt, enthalte die DIN 6174 keine Empfehlung für eine bestimmte Lichtart. Schließlich habe einer der Autoren selbst einen von der Beschwerdegegnerin als Dokument D17 eingereichten Artikel dem Thema gewidmet. Vor diesem Hintergrund erscheine es alles andere als selbstverständlich, dass der Fachmann in Bezug auf die nach der Patentschrift der verbesserten Bedruckbarkeit dienende Grundierung die Lichtart D65 wählen würde.
Daher solle das Dokument D16 nicht ins Verfahren zugelassen werden.
Hilfsantrag III
Zur Bestimmung der Parameter des neuen Merkmals b1) enthalte das Patent lediglich einen pauschalen Verweis auf die inzwischen nicht mehr gültige DIN 6174. Wie dem Dokument D12 zu entnehmen sei, sei für eine eindeutige Messung der den Koordinaten des L*a*b*-Farbraums entsprechenden Normfarbwerte X, Y, Z die Angabe einer Referenz-Lichtart (z. B. A, C, D65, F11) und eines Referenz-Normalbeobachters (2°-Normalbeobachter oder 10°-Normalbeobachter) erforderlich. Außerdem sei die Messgeometrie anzugeben. Abhängig von der Wahl der Lichtart und des Normalbeobachters ergäben sich für dieselbe Farbe nämlich verschiedene Parameterwerte L, A und B. Ausweislich des Dokuments D14 seien die Normfarbwerte immer für eine im Vorfeld festgelegte Normlichtart und einen Normalbeobachter zu bestimmen. Insbesondere belegten die Folien 18, 19 und 28 des Dokuments D14 den Einfluss der Wahl des Normalbeobachters und des Weißpunkts auf den Farbraum. Zudem führe auch Parker Plaisted, ein Fachmann im Bereich der Farbsysteme, im Dokument D15 aus, dass es für die Verwendung von CIELAB-Koordinaten erforderlich sei, den Weißpunkt anzugeben. Die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, wonach die LAB-Werte derart normiert seien, dass jedes Messgerät, unabhängig von der benutzten Normlichtart und dem benutzten Beobachtungswinkel, zu den gleichen LAB-Werten gelangen würde, treffe somit nicht zu.
Hinsichtlich des Dokuments D16 werde auf Seite 15, erster Absatz verwiesen, wonach der Fachmann mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" die Normlichtart D65 wählen würde. Allerdings erwähne der Anhang 2 des Dokuments D16, dass das im Rahmen des Gutachtens verwendete Farbmessgerät verschiedene Lichtart-/Beobachterkombinationen zur Auswahl biete. Darüber hinaus lehre das Dokument D17, dass im Bereich der Druckindustrie stattdessen die Normlichtart D50 zur Anwendung komme. In Anbetracht der Tatsache, dass sich das Patent an die Druckindustrie richte, indem die Farbe der Grundierung nach Absatz [0022] im Hinblick auf die Bedruckbarkeit der anspruchsgemäß hergestellten Paneele gewählt werden solle, hätte der Fachmann nicht nur die Lichtart D65, sondern auch die D50 in Betracht gezogen, zumal die Grenzen zwischen der holzverarbeitenden Industrie und dem Digitaldruck im Vergleich zu früheren Zeiten fließend seien. Viele Laminathersteller bildeten sogar selber Drucker aus. Die Unsicherheit zwischen den Lichtarten D65 und D50, welche beide das Tageslicht nachbildeten, jedoch mit ganz unterschiedlichen Spektralverteilungen, führe zu einer Unklarheit bei der Bestimmung des Schutzbereichs des beanspruchten Verfahrens.
Daher erfülle Anspruch 1 des Hilfsantrags III nicht die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ.
Hilfsanträge IV bis VIII
Auch in Anspruch 1 jedes der Hilfsanträge IV bis VIII bleibe nach wie vor unklar, bei welcher Lichtart und mit welchem Normalbeobachter die Farbe mit den Werten L, A und B zu bestimmen seien, so dass auch hier ein Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ vorliege.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag - Patent in erteilter Fassung
1. Zwischen den Beteiligten ist unumstritten, dass die Druckschrift D6 ein Verfahren zum Herstellen grundierter Paneele als Halbzeuge mit den Merkmalen a) bis f) in dieser Reihenfolge offenbart. Die Kammer verweist diesbezüglich auf die Figur 1 der Druckschrift D6, die in den Schritten S1 und S2 das Verpressen der beharzten oberen bzw. unteren Schichten 2 und 6 mit der Holzwerkstoffplatte 3 und das darauffolgende Aufteilen der grundierten und beschichteten Platte 4 in einzelne Paneele 13 veranschaulicht. Gemäß Seite 15, Zeilen 10 bis 13 der Druckschrift D6 kann der auf Seite 14, Zeilen 23 bis 26 beschriebene Schritt der spanabhebenden Bearbeitung auch vor der Fertigstellung der als Halbzeuge ("semi-finished product 38") bezeichneten Paneele stattfinden.
2. Somit unterscheidet sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nur durch das Merkmal g) von dem aus der Druckschrift D6 bekannten Verfahren.
3. Der technische Effekt dieses Unterscheidungsmerkmals besteht darin, dass die Paneele für den Transport geschützt werden. Die objektive technische Aufgabe kann somit darin gesehen werden, die Paneele für den Transport zu schützen. Dem haben die Beteiligten nicht widersprochen.
4. Seitens der Beschwerdeführerin wurde vorgetragen, dass sich die gesamte Herstellung der unbelichteten Paneele gemäß der Druckschrift D6 beim Hersteller vollziehe, so dass für den Fachmann keine Veranlassung bestanden habe, die Paneele verpackt in das werkseigene Lager zu bringen, um sie zum Zeitpunkt des abschließenden Fertigungsschritts wieder auszupacken. Die Kammer kann sich diesem Argument allein schon deshalb nicht anschließen, weil die Druckschrift D6 an keiner Stelle angibt, wo die endgültige Gestaltung des Dekors durch die gezielte Belichtung des Fotopapiers 14 stattfindet. Trotz des Hinweises auf Seite 8, Zeilen 1 bis 4, dass die Anzahl der "buffer magazines or other stock locations" beschränkt werden soll, ist der Offenbarung der Druckschrift D6 nicht zu entnehmen, ob die gesamte Herstellung der unbelichteten Paneele 38 in einem einzigen Werk vollzogen wird oder ob sie über mehrere Werke verteilt wird.
Angesichts der in der Druckschrift D10 enthaltenen Lehre, die für Boden-, Wand-, Decken- und/oder Möbelanwendungen gedachten Holzpaneele in ihrem grundierten, verpressten aber unbedruckten Zustand an einen weiterverarbeitenden Betrieb (in diesem Fall: an Druckereien) zu transportieren, hätte es für den Fachmann auf der Hand gelegen, die unbelichteten Paneele 38 der Druckschrift D6 für den Transport zu einem anderen Werk vorzubereiten, indem sie im Sinne vom Merkmal g) transportsicher verpackt worden wären.
5. Zudem stimmt die Kammer der Beschwerdegegnerin zu, dass es auch dann, wenn die unbelichteten Paneele 38 der Druckschrift D6 im werkseigenen Lager zwischengelagert werden, für den Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens üblich gewesen sei, sie mittels einer zumindest rudimentären Verpackung vor Verschmutzung und vor jeglichen beschädigenden Einflüssen während des Transports in das Lager, sei es durch ein Flurförderzeug oder ein sonstiges Transportmittel, zu schützen.
Das von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argument, die bereits mit einer Schutzschicht überzogene lichtempfindliche Oberfläche der Paneele erfordere keine weitere Verpackung, hält die Kammer nicht für überzeugend, denn dies würde von den konkreten Umständen des Transportschritts abhängen, welcher jedoch nicht von Anspruch 1 mitumfasst ist. Die Tatsache, dass der Fachmann die Verpackung auf das Transportmittel abgestimmt hätte und in bestimmten Fällen vielleicht zum Schluss hätte kommen können, dass eine Verpackung im Einzelfall nicht notwendig ist, kann die vorstehende Schlussfolgerung, dass das transportsichere Verpacken von grundierten Paneelen eine naheliegende Möglichkeit ist, nicht grundsätzlich in Frage stellen.
6. Daher beruht der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ).
Hilfsantrag I
7. Im Vergleich zur erteilen Fassung wurde im Merkmal g) von Anspruch 1 des Hilfsantrags I eine Zweckangabe hinzugefügt. Durch diese Änderung ist nun der Schritt des transportsicheren Verpacken an den Zweck eines Transports zu einem "weiterverarbeitenden Betrieb" geknüpft. Allerdings kann die Kammer daraus nicht ableiten, um welche Art von Betrieb es sich hier handelt, oder ob die Entfernung zum Herstellerwerk besondere Transportmittel erfordern würde, die einen Einfluss darauf hätten, wie die Halbzeuge verpackt werden sollten. Nach Auffassung der Kammer hat die Beschwerdegegnerin überzeugend argumentiert, dass der weiterverarbeitende Betrieb nicht zwingend als ein zweites, vom Herstellerwerk entferntes Unternehmen zu verstehen ist, sondern dass damit auch ein benachbartes Werk oder sogar ein bestimmter Bereich im Herstellerwerk gemeint sein kann. In den Punkten 4. und 5. oben wurde bereits dargelegt, dass der Fachmann entweder durch Heranziehen der Druckschrift D10 oder aufgrund seines allgemeinen Fachwissens die nach der Druckschrift D6 hergestellten Halbzeuge für den Transport zu einem werksfremden bzw. werkseigenen Lager transportsicher verpackt hätte.
8. Folglich beruht auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags I nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Hilfsantrag II
9. In Anspruch 1 des Hilfsantrags II wurde ein Relativsatz hinzugefügt, der zusätzliche Informationen zu den Aktivitäten im weiterverarbeitenden Betrieb enthält. Die Kammer folgt der Beschwerdegegnerin darin, dass der Inhalt des geänderten Merkmals g) weiterhin nur in dem transportsicheren Verpacken der grundierten Paneele besteht, während die Verfahrensschritte, welche sich auf den weiterverarbeitenden Betrieb beziehen, nicht als Teil von Anspruch 1 zu betrachten sind. Das geht sowohl aus der Zweckangabe im Merkmal g) hervor als auch aus dem funktionellen Merkmal am Anfang des Anspruchs, wonach das Verfahren "zum Herstellen verpackter grundierter Paneele als Halbzeuge in einem Herstellerbetrieb" (Hervorhebung durch die Kammer) konzipiert ist. Das Argument der Beschwerdeführerin, die zusätzlichen, zur Weiterverarbeitung der Halbzeuge benötigten Verfahrensschritte entsprächen im Grunde zwei weiteren Anspruchsmerkmalen, trifft daher nicht zu. Auch wenn die unbelichteten Paneele gemäß der Druckschrift D6 nicht dazu gedacht sind, mit einer zusätzlichen Dekorschicht überzogen zu werden, hat eine solche auf den weiterverarbeitenden Betrieb bezogene Aktivität keinen Einfluss darauf, dass der Fachmann die Paneele für den Transport ins Lager transportsicher verpacken würde.
10. Infolgedessen beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags II aus denselben Gründen wie oben zum Hauptantrag und zum Hilfsantrag I dargelegt nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Zulassung des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags II A
11. Der Hilfsantrag II A wurde erstmals während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Im vorliegenden Fall erfolgte die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem 1. Januar 2020, also vor dem Inkrafttreten der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020, ABl. EPA 2019, A63). Deshalb ist gemäß den Übergangsbestimmungen von Artikel 25 (3) VOBK 2020 nicht Artikel 13 (2) VOBK 2020, sondern stattdessen weiterhin Artikel 13 der vor dem Inkrafttreten geltenden Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2007) anzuwenden.
12. Nach Artikel 13 (1) VOBK 2007 steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden unter anderem die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt. Nach ständiger Rechtsprechung können auch die Erfolgsaussichten des Antrags bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt werden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, V.A.4.12.1). Ferner werden gemäß Artikel 13 (3) VOBK 2007 Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist.
13. Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, dass die vorgenommenen Änderungen nicht in Reaktion auf die Einwände der Kammer in ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 erfolgten. Diesbezüglich hat die Beschwerdeführerin verwiesen auf Punkt 25 der Mitteilung, in dem die Kammer zur vorläufigen Auffassung kam, dass "der Inhalt des geänderten Merkmals g) weiterhin nur in dem transportsicheren Verpacken der grundierten Paneele bestehe, während die Verfahrensschritte bezüglich des weiterverarbeitenden Betriebs nicht als Teil des Anspruchs 1 zu betrachten seien". Diese Bemerkung entsprach jedoch der Argumentation der Beschwerdegegnerin, wie sie in der Erwiderung dargelegt wurde, siehe insbesondere Punkt B.3 (Seite 6, 5. und 6. Absatz), Punkt B.4 (Seite 7, 6. Absatz), Punkt B.5 (Seite 8, 5. Absatz), Punkt B.6 (Seite 9, 4. Absatz), Punkt E.3 (Seite 24, 2. Absatz) und Punkt F.3 (Seite 26, letzter Absatz). Der Hilfsantrag II A ist deswegen bereits aus verfahrensökonomischen Erwägungen nicht zuzulassen.
14. Zudem stellt der neue Antrag keinen erfolgversprechenden Versuch zur Ausräumung der erhobenen Einwände dar. Vielmehr ruft die Änderung des Merkmals g) neue Einwände hervor, die bisher nicht vorgetragen waren. Durch die geänderte grammatikalische Struktur werden nämlich mehrere zusätzliche Verfahrensschritte definiert (Transportieren der Paneele zu einem weiterverarbeitenden Betrieb, Aufbringen einer Dekorschicht mit einem Dekor auf die Grundierung nach unmittelbarem Kundenwunsch, Abdecken der Dekorschicht mit wenigstens einer Nutzschicht), die der abschließenden Herstellung der Fertigprodukte in einem weiterverarbeitenden Betrieb dienen und deshalb in einem direkten Widerspruch zu der spezifischen Anwendung des beanspruchten Verfahrens - "zum Herstellen verpackter grundierter Paneele als Halbzeuge in einem Herstellerbetrieb" (Hervorhebung durch die Kammer) - stehen. Infolgedessen werden vorher nicht vorhandene Fragen hinsichtlich der Klarheit aufgeworfen.
15. Zur selben Schlussfolgerung kommt die Kammer in Anwendung von Artikel 13 (1) VOBK 2020, der gemäß den Übergangsbestimmungen von Artikel 25 (1) VOBK 2020 zusätzlich zu Artikel 13 (1) VOBK 2007 Anwendung findet, und lediglich die Rechtsprechung, die im Rahmen von Artikel 13 (1) VOBK 2007 entwickelt wurde, widerspiegelt (s. T 32/16, Punkt 1.1.3 der Entscheidungsgründe; T 278/17, Punkt 1 der Entscheidungsgründe).
16. Aus diesen Gründen hat die Kammer ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, den Hilfsantrag II A nicht zum Verfahren zuzulassen (Artikel 13(1) und (3) VOBK 2007; Artikel 13 (1) VOBK 2020).
Zulassung der verspätet eingereichten Dokumente D16 und D17
17. Das Dokument D16 wurde als solches von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 17. September 2020, also im Laufe des Beschwerdeverfahrens, und zwar nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, eingereicht. Somit stellt sich die Frage seiner Zulassung ins Verfahren, welche den Bestimmungen von Artikel 13 (1) und (3) VOBK 2007 unterliegt (s. Punkt 11. oben). Die Beschwerdegegnerin hat mit Schreiben vom 19. Oktober 2020 die Nichtzulassung des Dokuments D16 unter anderem mit Verweis auf ein weiteres Dokument D17 begründet, über dessen Zulassung demnach auch zu entscheiden ist.
18. Nach Auffassung der Kammer hat die Beschwerdeführerin stichhaltig argumentiert, dass das Dokument D16 als eine Vertiefung bzw. eine Bestätigung der Ausführungen, die sie vorher im Verfahren gemacht hat, zu betrachten ist. Das Thema der Referenz-Lichtart und des Referenz-Normalbeobachters hat die Beschwerdegegnerin bereits in Punkt G.2 ihrer Beschwerdeerwiderung im Zusammenhang mit den von ihr zum ersten Mal eingereichten Dokumenten D14 und D15 diskutiert. In Punkt 9.2 ihres Schreibens vom 9. Dezember 2019 hat die Beschwerdeführerin dann zum Hilfsantrag III geltend gemacht, dass die Normlichtart D65 und der 10°-Normalbeobachter in der Praxis üblicherweise herangezogen würden. In diesem Zusammenhang wird auf die gefestigte Rechtsprechung der Beschwerdekammern hingewiesen, wonach das verspätete Einreichen von Dokumenten, die bereits vorgebrachten Argumente weiter untermauern, in der Regel als normales Verhalten einer unterlegenen Partei zu werten ist und keinen Verfahrensmissbrauch darstellt (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, V.A.4.10.4).
19. Außerdem ist zu beachten, dass die Kammer in Punkt 27 ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ darauf hingewiesen hat, dass die Beschwerdeführerin nicht überzeugend dargelegt hatte, aus welchen Gründen der Fachmann bei der Auslegung des geänderten Merkmals b) nicht auf die anderen in der Tabelle 1 des Dokuments D12 genannten "in der Praxis oft verwendeten Normlichtarten" bzw. auf den 2°-Normalbeobachter zurückgreifen würde. Insofern kann das Dokument D16 auch als eine in sachlicher und zeitlicher Hinsicht angemessener Reaktion auf die Mitteilung der Kammer gewertet werden. In ähnlicher Weise hat die Beschwerdegegnerin das Dokument D17 in direkter Reaktion auf die Vorlage des Dokuments D16 eingereicht.
20. Bei der Entscheidung über die Zulassung der verspätet eingereichten Dokumente D16 und D17 ist ferner zu berücksichtigen, dass beide mehr als ein Jahr vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegt worden sind. Hinsichtlich des Dokuments D16 kann sich die Beschwerdegegnerin deshalb nicht darauf berufen, dass ihr kaum Zeit geblieben sei, sich mit dessen Inhalt fachkundig auseinanderzusetzen oder ein eigenes unabhängiges Gutachten einzuholen, zumal sie sowohl in ihrem Schreiben vom 19. Oktober 2020 - unter anderem durch Einreichen des weiteren Beweismittels D17 - als auch in ihrem Schreiben vom 6. Oktober 2021 diesbezüglich ausführlich Stellung genommen hat.
21. Insofern stehen weder die Komplexität des Vorbringens noch die Fairness des Verfahrens oder die Verfahrensökonomie der Zulassung der Dokumente D16 und D17 und des darauf beruhenden Vorbringens nach Artikel 13 (1) und (3) VOBK 2007 entgegen. Zur selben Schlussfolgerung kommt die Kammer in Anwendung von Artikel 13 (1) VOBK 2020 (s. Punkt 15. oben).
22. Die Kammer hat daher ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, dass sie die Dokumente D16 und D17 ins Beschwerdeverfahren zugelassen hat (Artikel 13 (1) und (3) VOBK 2007; Artikel 13 (1) VOBK 2020).
Hilfsantrag III
23. Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob das in Anspruch 1 des Hilfsantrags III hinzugefügte Merkmal
"wobei b1) die Farbe der Grundierung (24) einen Helligkeitsparameter L größer als 92, einen Rot-Grün-Wert A zwischen -5 und +5 und einen Gelb-Blau-Wert B zwischen -15 und +15 aufweist",
das nachfolgend als das Merkmal b1) bezeichnet wird, die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt.
24. Der Einwand der Beschwerdegegnerin zielt im Grunde darauf ab, dass sich die Farbe der Grundierung ohne Angabe der weiteren, in der relevanten DIN-Norm genannten Parameter (Lichtart, Normalbeobachter und Messgeometrie) nicht eindeutig bestimmen lasse. Sie hat dazu auf die Dokumente D12, D14, D15 und D17 verwiesen.
Dem hält die Beschwerdeführerin mit Verweis auf das Dokument D16 entgegen, dass das Merkmal b1) sinnvollerweise nur in Verbindung mit der Normlichtart D65 und dem 10°-Normalbeobachter verstanden werden könne.
25. Zunächst stellt die Kammer fest, dass die im streitigen Merkmal aufgeführten Helligkeitsparameter L, Rot-Grün-Wert A und Gelb-Blau-Wert B in Anspruch 1 nicht näher definiert werden. Unter Heranziehung der Patentbeschreibung lässt sich ihre Bedeutung allerdings im Rahmen des in den Absätzen [0022] und [0032] erwähnten "CIELAB-Farbraums" mit der DIN 6174 als normativer Basis erschließen. Diese in der Version vom Oktober 2007 als Dokument D12 vorliegende DIN-Norm legt unter anderem fest, "wie aus Normfarbwerten X, Y, Z des visuell ungleichförmigen Raums der Normvalenzen die Farbmaßzahlen L*, a*, b* des angenähert gleichförmigen CIE 1976 (L*a*b*)-Farbenraums (kurz: CIELAB-Farbenraum) zu berechnen ... sind" (Seite 4, zweiter Absatz). Auf den Seiten 5 und 6 sind dazu Formel dargestellt, die die Beziehungen zwischen den Normfarbwerten X, Y und Z und den Farbmaßzahlen "L* (Helligkeit), a* (rot-grüne Achse) und b* (gelb-blaue Achse)" angeben. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass mit den im Merkmal b1) enthaltenen Parametern die Farbmaßzahlen im Sinne des CIELAB-Farbenraums gemeint sind.
26. Wie die Einspruchsabteilung im Zusammenhang mit dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag IV korrekt festgestellt hat, findet in den Formeln (1) bis (3) auf Seite 5 des Dokuments D12 eine Normierung statt, indem die Normfarbwerte X, Y, Z jeweils durch entsprechende, auf Normlichtart und Normalbeobachter abgestimmte Werte Xn, Yn bzw. Zn geteilt werden (s. Punkt 20.4 der Entscheidungsbegründung). Der daraus abgeleiteten Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, dass die abhängig von der benutzten Normlichtart und dem verwendeten Beobachtungswinkel entstehenden Variationen durch die Normierung ausgeglichen und somit nicht auf die LAB-Werte übertragen werden, stimmt die Kammer allerdings nicht zu. Dazu wird auf den letzten Absatz auf Seite 5 des Dokuments D12 verwiesen, wonach die Normierungswerte Xn, Yn bzw. Zn Koordinaten einer "vollkommen mattweißen Fläche für die Lichtart und den Normalbeobachter, auf die sich die Normfarbwerte X, Y, Z beziehen" darstellen. Das Teilen der Normfarbwerte X, Y, Z durch diese Referenzkoordinaten bewirkt daher eine Normierung in Bezug auf das Referenz-Weiß. Dies findet auch Bestätigung im Dokument D15.
Im Hinblick auf die Bemerkung auf Seite 8 des Dokuments D12, dass die "den Berechnungen zugrunde gelegten Parameter der Farbmessung Lichtart, Normalbeobachter und Messgeometrie ... anzugeben [sind]", und die im Anhang A dargestellte "auf die vollkommen mattweiße Fläche, den 10°-Normalbeobachter und Normlichtart D65 bezogene" Farbmessung, kommt die Kammer zum Schluss, dass wenigstens die bei der Lichtmessung verwendeten Parameter Lichtart und Normalbeobachter einen wesentlichen Einfluss auf die Bestimmung einer Farbe anhand der Koordinaten L*, a* und b* haben.
27. Diesbezüglich ist den Dokumenten D14 und D16 nichts anderes zu entnehmen.
27.1 Die Beschwerdegegnerin hat mit Verweis auf die Folien 18, 19 und 28 der Präsentation D14 überzeugend dargelegt, dass die Wahl des Normalbeobachters (2° oder 10°) den äußeren Rand der hufeisenförmigen Farbkurve des CIELAB-Farbraums beeinflusst, während sich die Lage des Unbuntpunktes durch die benutzte Normlichtart auch im Bezug auf die Koordinaten a* und b* ändert.
27.2 Hinsichtlich des von der Beschwerdeführerin eingereichten Gutachtens D16 ist festzustellen, dass dort auf Seite 8 "die Farbabmusterungslichtart", "die physiologischen Farbabmusterungsbedingungen (Beobachter)" und "die geometrischen Farbabmusterungsbedingungen (Messgeometrie)" als "die drei wesentlichen Bedingungen für die Bestimmung (und Beurteilung) der Farbe eines Farbmusters" bezeichnet werden. So wird auf Seite 9 im Zusammenhang mit dem L*a*b*-Modell Folgendes angegeben: "Mittels dieser drei Werte kann jeder wahrnehmbaren Farbe unter einer definierten Beleuchtung und für einen definierten Beobachter einem bestimmten Ort in einem dreidimensionalen Raum zugeordnet werden" (Hervorhebung durch die Kammer). Außerdem soll der Fachmann nach den Angaben auf Seite 14 "für die Bestimmung des CIEL*-Helligkeitswertes" sowohl die Messgeometrie als auch die Bezugslichtart und den Normalbeobachter auswählen.
28. Daraus schließt die Kammer, dass alleine anhand der Parameter L, A und B bzw. der im Dokument D12 genannten Farbmaßzahlen L*, a* und b* die eindeutige Bestimmung der Farbe gemäß dem Merkmal b1) nicht ohne weiteres möglich ist.
29. Auch der auf das Dokument D16 gestützten Argumentationslinie der Beschwerdeführerin, wonach in der Praxis die Normlichtart D65 und der 10°-Normalbeobachter standardmäßig zu verwenden seien und das Merkmal b1) somit im vorliegenden Kontext eindeutig definiert sei, kann sich die Kammer aus folgenden Gründen nicht anschließen.
29.1 Auch wenn die Lichtart D65 industrieübergreifend die mit Abstand wichtigste und relevanteste Lichtart für die Farbmessung darstellt, und der 10°-Normalbeobachter in den meisten industriellen Farbmessgeräten voreingestellt ist, ist nach Auffassung der Kammer nicht ausgeschlossen, dass der Auslegung der vom Merkmal b1) vorgeschriebenen Farbe eine andere Lichtart, z. B. eine der weiteren im Anhang 2 des Dokuments D16 voreingestellten Tageslichtphasen D50 oder D75, eine Entladungslampe F oder, alternativ, das in der Tabelle 1 des Dokuments D12 ebenfalls als Normlichtart festgelegte Glühbirnenlicht A, zugrunde gelegt wird, welche im Vergleich zu der Normlichtart D65 zu einer unterschiedlichen Farbbestimmung führen würde. Diese Auffassung wird bestärkt durch die Lehre des im Dokument D16 als Beurteilungsgrundlage [6] zitierten Dokuments D17, wonach sich die Verwendung der Tageslichtart D50 in der Druckindustrie seit längerer Zeit eingebürgert hat und sogar im Vergleich zu D65 gewisse Vorteile hat (s. Seite 53, mittlere Spalte: "[e]in direkter Vergleich der Normlichtart D50 mit D65 hinsichtlich der maximal differenzierbaren Farbschattierungen zeigt leichte Vorteile in den Cyan- und Magentafarben bei D50").
Diesbezüglich hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, dass die Lichtart im vorliegenden Fall aus dem Blickwinkel der holzverarbeitenden Industrie zum Prioritätszeitpunkt des Patents zu bestimmen sei. Auch dem kann die Kammer so nicht beitreten. Wie die Beschwerdegegnerin überzeugend vorgetragen hat, betrifft das technische Fachgebiet der Herstellung von Laminatpaneelen, bei dem die vorgrundierten Paneele mittels eines Digitaldruckers in der Regel direkt bedruckt werden (s. Absätze [0003], [0031] und [0037] des Patents), nicht ausschließlich die holzverarbeitende Industrie, sondern auch die Druckindustrie. Ohne entsprechende Beweismittel kann daher nicht notwendigerweise davon ausgegangen werden, dass im Kontext von Anspruch 1 die Lichtart D65 implizit als feste Bezugsgröße bei der Bestimmung der Farbe gemäß dem Merkmal b1) gilt.
29.2 Außerdem ist zu beachten, dass das Dokument D16 auf Seite 15 die Verwendung des den typischen Abmusterungsbedingungen in der Holzproduktion angeblich besser entsprechenden 10°-Normalbeobachters zwar als "sehr wahrscheinlich" einstuft, auf Seite 12 aber angibt, dass "es keine allgemeingültige Empfehlung für die Wahl des Beobachters [gibt]". Wie bei der Diskussion der Normlichtart kann auch hier das Argument der Beschwerdeführerin, der 10°-Normalbeobachter sei in den meisten industriellen Farbmessgeräten voreingestellt, im Hinblick auf den Anhang 2 des Dokuments D16 und auf die Tabelle 1 des Dokuments D12 nicht überzeugen. Auch wenn es stimmt, dass in der Papierindustrie ausschließlich mit dem Normalbeobachter 10° gemessen wird, kann die Kammer im vorliegende Fall nicht ausschließen, dass der Farbbestimmung einer eingefärbten Grundierung bei der Herstellung von Holzpaneelen möglicherweise auch ein 2°-Normalbeobachter zugrunde gelegt werden kann.
30. Aus den oben genannten Gründen hat die Beschwerdeführerin die Kammer nicht davon überzeugt, dass das Merkmal b1) eindeutig definiert ist. Die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ sind somit nicht erfüllt.
Hilfsanträge IV bis VIII
31. Mit Schreiben vom 17. September 2020 hat die Beschwerdeführerin die Hilfsanträge IV bis VIII eingereicht. Während die Hilfsanträge V und VII den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträgen IV bzw. VI vollinhaltlich entsprechen, stellen die Hilfsanträge IV, VI und VIII eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin dar, deren Zulassung den Bestimmungen des Artikels 13 (1) und (3) VOBK 2007 unterliegt (s. Punkte 11. und 17. oben).
a) Zulassung der mit Schreiben vom 17. September 2020 eingereichten Hilfsanträge IV, VI und VIII
32. In jedem der nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge IV, VI und VIII ist das Merkmal b1) durch einen Verweis auf den CIELAB-Farbraum ergänzt worden. Außerdem wurde jeweils ein weiteres Merkmal b2) hinzugefügt, in dem DIN 6174 als normative Basis für diesen Farbraum festgelegt ist.
33. Ähnlich wie in Hilfsantrag III enthält Anspruch 1 jedes der Hilfsanträge IV, VI und VIII jedoch keine Angabe darüber, welche Normlichtart und welcher Normalbeobachter bei der Bestimmung der Farbe durch die Koordinaten L, A, B (bzw. L*, a*, b*) gemäß dem Merkmal b1) heranzuziehen sind. Wie die Kammer oben in Punkt 29. festgestellt hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch im technischen Fachgebiet der Herstellung von Holzpaneelen die Tageslichtphase D50 oder das in der DIN-Norm 6174 vom Oktober 2007 ebenfalls als Normlichtart angeführte Glühbirnenlicht A (s. Tabelle 1 von Dokument D12), eventuell in Kombination mit einem 2°-Normalbeobachter, zur Anwendung kommt.
34. Aus diesen Gründen stellen die Hilfsanträge IV, VI und VIII keinen erfolgversprechenden Versuch zur Ausräumung des hinsichtlich des Hilfsantrags III erhobenen Klarheitseinwands dar.
35. Die Kammer hat somit ihr Ermessen unter Artikel 13 (1) und (3) VOBK 2007 (bzw. unter Artikel 13 (1) VOBK 2020, s. Punkt 15. oben) dahingehend ausgeübt, dass sie die Hilfsanträge IV, VI und VIII nicht ins Verfahren zugelassen hat.
b) Hilfsanträge V und VII
36. Das Merkmal b1) ist sowohl in Anspruch 1 des Hilfsantrags V als auch in Anspruch 1 des Hilfsantrags VII wortwörtlich aus Anspruch 1 des Hilfsantrags III übernommen. Die weiteren Änderungen betreffen nicht die Problematik der Farbbestimmung.
37. Die in den Punkten 28. und 29. oben für den Hilfsantrag III hinsichtlich der Klarheit gezogenen Schlussfolgerungen gelten daher in gleicher Weise für die Hilfsanträge V und VII.
38. Somit sind bezüglich der Hilfsanträge V und VII die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht erfüllt.
Ergebnis
39. Zusammenfassend ist festzustellen, dass keinem der von der Beschwerdeführerin gestellten Anträge stattgegeben werden kann. Die Beschwerde ist somit zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.