T 0117/92 02-12-1993
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Kontinuierlich arbeitende Befüllungsvorrichtung
APV Ortmann + Herbst GmbH
KRONES AG Hermann Kronseder Maschinenfabrik
Ausführbarkeit (ja, im Hinblick auf eine offenbarte Ausführungsvariante)
Erfinderische Tätigkeit (nein)
Disclosure - sufficiency (yes)
Inventive step (no)
Public prior use - exposition (yes)
Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 29. April 1985 angemeldete und am 7. Mai 1986 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 85 105 210.0 wurde am 4. Oktober 1989 das europäische Patent Nr. 0 179 976 erteilt.
II. Von den Beschwerdeführerinnen I und II (Einsprechenden I und II) am 3. Juli bzw. am 4. Juli 1990 eingelegte Einsprüche stützten sich auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (fehlende Neuheit bzw. erfinderische Tätigkeit) und 100 b) EPÜ (Ausführbarkeit).
III. Die Einsprüche wurden mit der Entscheidung vom 11. November 1991, mit schriftlicher Begründung zur Post gegeben am 2. Januar 1992, zurückgewiesen.
IV. Gegen diese Entscheidung haben die Beschwerdeführerinnen I und II, jeweils unter gleichzeitiger Bezahlung der Beschwerdegebühr, am 19. Februar bzw. am 30. Januar 1992 Beschwerde eingelegt. Am 30. April bzw. am 11. Mai 1992 wurden die Beschwerdebegründungen eingereicht, in denen u. a. die schon im Einspruchsverfahren behandelten Druckschriften
D1: DE-A-1 956 463
D2: DE-A-3 211 116
D3: DE-U-8 308 806
genannt wurden.
Die Beschwerdeführerin II machte ferner erstmals mehrere offenkundige Vorbenutzungen geltend, und reichte hierzu folgende Beweisstücke ein:
B0: Eidesstattliche Erklärung des Herrn Günter Schertler vom 16.4.1992 mit den folgenden Anlagen:
B1: Prospekt "Krones Fulmatic" und "Krones Fulmat", von der Firma Krones AG, Hermann Kronseder Maschinenfabrik;
B2: "Maschinenkarte der Fa. Krones AG, Typ Fullet 200-15-4-6, Komm. Nr. 200-001 Kunde: Messe Intervitis Stuttgart, Termin: 28.4.83"
"Maschinenkarte der Fa. Krones AG Type Fulmatic VV II 15/125 ..., Komm. Nr. 200-001/I Kunde: Obstverwertungsgenossenschaft Bad Reichenhall ..."
Messepass der Fa. Krones AG für Ausstellung Intervitis, Stuttgart vom 6.-12. Mai 1983, Maschinentyp Fullet 200-15-4-6, Komm. Nr. 200-001"
B3: "Maschinenkarte der Fa. Krones AG Type: Vakuumfüller ..., Komm. Nr. 308-172 Kunde: Winzerkeller Südl. Bergstraße, Termin: Anfang Mai 83"
"Messepass für Ausstellung Intervitis Stuttgart vom 6.-12. Mai 1983, Maschinentyp Vakuumfüller ..., Komm. Nr. 308-172"
B4: Krones Versand-Mitteilung, Type: Fulmatic VV ..., Komm. Nr. 200-001/I Kunde: OG Piding, Abholdatum 5.8.1983
B5: Lieferschein Nr. 10146 der Fa. Krones vom 10.8.83 Empfänger: Winzerkeller Südl. Bergstraße Vakuumfüller, Komm. Nr. 308-172
B6: Vergrößerungsdarstellung der auf Blatt 3 der Anlage B1 dargestellten "Zentralkessel-Ausführung" (mit nachgetragenen Bezugszeichen)
B7: Fotographische Abbildung der Maschine Krones Fulmatic.
V. In einem Bescheid der Beschwerdekammer gemäß Artikel 11 (2) VOBK wurde den Beteiligten u. a. mitgeteilt, daß in der mündlichen Verhandlung zu klären sein werde, ob ein nach Ansicht der Kammer zwischen dem vorbenutzten Gegenstand und der beanspruchten Vorrichtung verbleibender Unterschied auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
VI. Die mündliche Verhandlung, zu der die Beschwerdegegnerin, wie schriftlich angekündigt, nicht erschienen ist, fand am 2. Dezember 1993 statt.
VII. Die Beschwerdeführerinnen beantragten den Widerruf des Patents und stützten ihren Antrag im wesentlichen auf folgende Argumente:
Im Anspruch 1 des angefochtenen Patents werde eine kontinuierlich arbeitende Befüllungsvorrichtung beansprucht. In bekannter Weise durchliefen bei der bekannten Vorrichtung die Behälter während des Füllvorgangs die Einlaufphase, die Vorspannphase, die Füllphase und die Entspannphase, wobei gegebenenfalls auch noch eine Evakuierungsphase dazwischengeschaltet sein könne. Es sei allgemein üblich, in diesen Phasen den von einer pneumatischen Anpreßeinrichtung zusätzlich erzeugten Anpreßdruck konstant zu halten und den Anpreßvorgang beim Ein- und Auslauf der Behälter durch Führungsbahnen mechanisch zu steuern. Beim angefochtenen Patent solle jedoch dieser zusätzliche Anpreßdruck während der kontinuierlichen Rotation der Befüllungsvorrichtung mit hoher Geschwindigkeit regulierbar sein. Dies sei jedoch bei nur zwei ringförmig verlaufenden Druckbehältern, wie sie im angefochtenen Patent vorgesehen seien, nicht möglich. Selbst wenn man, entgegen dem Offenbarungsinhalt des angefochtenen Patents, davon ausginge, daß am Umfang der Befüllungsvorrichtung die Ringleitung in mehrere Segmente aufgeteilt sei, könne nicht nachvollzogen werden, wie eine zusätzliche Anpreßvorrichtung arbeite. Die beanspruchte Befüllungsvorrichtung sei somit technisch nicht ausführbar.
Würde man den genannten Widerspruch zwischen der beanspruchten Vorrichtung und der Patentbeschreibung unberücksichtigt lassen und eine Ausführungsmöglichkeit mit einem konstanten Anpreßdruck während des gesamten Füllvorgangs annehmen, dann fehle einem solchen Gegenstand die Neuheit, zumindest aber liege keine erfinderische Tätigkeit vor. Die Befüllungsvorrichtung nach der Druckschrift D3 bzw. nach der denselben Gegenstand betreffenden offenkundigen Vorbenutzung sei, wie die beanspruchte Vorrichtung, mit zwei Pneumatikbehältern versehen, deren Innendruckverhältnis mittels eines einzigen zentralen Bauteils gesteuert und vorherbestimmbar sei.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat sich im Beschwerdeverfahren zur Sache nicht geäußert.
Der erteilte Anspruch 1 lautet wie folgt:
"1. Kontinuierlich arbeitende Befüllungsvorrichtung mit einem rotierenden Tisch und mit einer Mehrzahl von Füllköpfen, die über Pneumatikglieder (10) mit dem Rand des zu füllenden Behälters dichtend in Anlage bringbar sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Pneumatikglieder (10) mit Druckluftbehältern (11, 12) verbunden sind, deren Innendruckverhältnis gesteuert und vorherbestimmbar ist, indem nur auf ein einziges zentrales, dieses steuerndes Bauteil eingewirkt wird."
Diesem Anspruch schließen sich die erteilten, abhängigen Vorrichtungsansprüche 1 und 2 an.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.
2. Prozessuale Fragen
Nachdem die Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren zur Sache nicht Stellung genommen und auch keine Anträge gestellt hat, ist davon auszugehen, daß sie weiterhin an ihrem ursprünglichen Antrag festhält, die Einsprüche zurückzuweisen und das Patent in der erteilten Fassung aufrecht zu erhalten.
3. Zulässigkeit der Unterlagen im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ
Die Fassung der erteilten Unterlagen ist formal nicht zu beanstanden, da sie von der Beschreibung, den Ansprüchen und der Zeichnung in der ursprünglich eingereichten Fassung ausreichend gestützt ist.
4. Offenbarung im Hinblick auf die Ausführbarkeit (Art. 83, 100 b) EPÜ)
4.1. Von den Beschwerdeführerinnen wird bestritten, daß das angefochtene Patent im Sinne von Artikel 83 und 100 b) EPÜ ausreichend offenbart ist, d. h. daß die Offenbarung der Erfindung so deutlich und vollständig ist, daß ein Fachmann sie ausführen kann.
4.2. In den ursprünglichen und in den erteilten Unterlagen (Ansprüche und Beschreibung) des angefochtenen Patents ist durchgehend von "Druckluftbehältern" die Rede, ohne daß Angaben über deren Anzahl gemacht sind. Die Schnittdarstellungen der Figuren zeigen zwar nur zwei Druckluftbehälter 11, 12, schließen jedoch das Vorhandensein weiterer, in Umfangsrichtung ringsegmentartig angeordneter Druckluftbehälter grundsätzlich nicht aus. Insofern umfaßt das Patent rein formal sowohl Ausführungen mit zwei als auch solche mit einer unbestimmten Vielzahl von Druckluftbehältern.
4.3. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (T 14/83, ABl. EPA 1984, 105) ist die Frage der Offenbarung im Sinne von Artikel 83 EPÜ anhand des Gesamtinhalts der Patentanmeldung zu beantworten. Danach ergibt sich im vorliegenden Fall folgendes:
Bei der beanspruchten Befüllungsvorrichtung wird durch die auf ein Pneumatikglied einwirkenden Druckluftbehälter eine zusätzliche Anpreßkraft zum Abdichten des Randes der Einfüllöffnung gegen den Füllkopf erzeugt. Nach der ursprünglichen, unverändert beibehaltenen Aufgabenstellung des angefochtenen Patents soll die Anpreßkraft optimiert und gesteuert werden, um weder den Rand noch die zylindrische Struktur von sehr dünnwandigen Behältern während des Füllens zu beschädigen. In diesem Zusammenhang wird in der gegenüber den ursprünglichen Unterlagen im wesentlichen nicht geänderten Beschreibung des angefochtenen Patents (Spalte 2, Zeile 54 bis Spalte 3, Zeile 15) ein auf den Füllkopf ausgeübter Axialschub erwähnt, der vom Durchmesser des zu befüllenden Behälters abhängt und durch die vom Pneumatikglied gelieferte Hilfsschubkraft korrigiert werden muß. Weiterhin muß diese Hilfsschubkraft auch an die Höhe und die Dünnwandigkeit der Behälter angepaßt werden. Nach der Beschreibung ist somit das Druckverhältnis zwischen den Druckluftbehältern 11 und 12 in Abhängigkeit von dem Durchmesser, der Höhe und der Wandstärke der zu befüllenden Behälter einzustellen. Zur Verstellung und Optimierung dieses Druckverhältnisses zwischen den Druckluftbehältern sind in der Beschreibung die folgenden Ausführungen gemacht:
a) Spalte 1, Zeilen 50 bis 55:
Die Dichtigkeit ist ... "abhängig vom Ablauf des Füllvorgangs zu optimieren".
Die Steuerung der Optimierung ist ... "während der kontinuierlichen Rotation der Befüllungsvorrichtung mit hoher Geschwindigkeit ausführbar".
b) Spalte 2, Zeilen 50 bis 53:
"Der Wert des Verhältnisses der Drücke in den Druckluftbehältern ist auch während der kontinuierlichen Rotation mit hoher Geschwindigkeit regulierbar".
c) Spalte 3, Zeilen 15 bis 20:
"Die Regelung und die Steuerung des Druckverhältnisses in den Behältern 11 und 12 kann auch während der schnellen Rotation der kontinuierlichen Befüllungsvorrichtung mit größter Zuverlässigkeit und Unkompliziertheit erfolgen."
d) Im Anspruch 1 ist angegeben:
Das Innendruckverhältnis ist ... "gesteuert und vorherbestimmbar, indem nur auf ein einziges zentrales, dieses steuerndes Bauteil eingewirkt wird."
Nach Auffassung der Kammer sind die obigen Ausführungen so zu verstehen, daß eine Verstellung und Optimierung des Druckverhältnisses z. B. dann stattfinden kann, wenn in die Befüllungsvorrichtung Behälter einer anderen Größe und/oder Höhe einlaufen. Aufgrund der Drucksteuerung kann das Druckverhältnis der Druckluftbehälter dann während einer Beschickungslücke ohne Zweifel sehr schnell geändert werden, ohne daß die kontinuierliche Rotation der Befüllungsvorrichtung unterbrochen werden muß.
Nach Spalte 2, Zeilen 44 bis 47 der Patentschrift sind "die drehbaren Behälter im geschlossenen Kreis mit den rotierenden pneumatischen Pneumatikgliedern verbunden". Dieser Satz kann so verstanden werden, daß jedes Pneumatikglied 10 eines jeden Füllkopfes, wie in den Figuren des Patents für einen einzigen Füllkopf gezeigt, mit den für alle Füllköpfe zuständigen Druckluftbehältern 11, 12 verbunden ist. Dabei sind dann alle Füllköpfe von ein und derselben Korrektur-Anpreßkraft ihres Pneumatikgliedes beaufschlagt. Es findet also, wenn nicht gerade eine Druckkorrektur erfolgt, während des Füllvorgangs keine Änderung des zusätzlichen Anpreßdruckes statt. Aufgrund der ringförmig angeordneten Druckluftbehälter werden nämlich alle angeschlossenen Füllköpfe unabhängig von ihrer jeweiligen Position vom gleichen zusätzlichen Spanndruck beaufschlagt.
Eine solche vom Inhalt des Patents umfaßte Ausgestaltung einer Befüllungsvorrichtung benötigt im Ein- und Auslaufbereich der Befüllungsvorrichtung eine mechanische Führungskurve für die Füllköpfe, welche in bekannter Weise die Füllköpfe im Auslaufbereich der Behälter entgegen dem zusätzlichen Vorspanndruck von der Behälteröffnung abhebt und im Einlaufbereich der Behälter unter der Wirkung des zusätzlichen Spanndruckes an die Behälteröffnungen heranführt.
Nach Meinung der Beschwerdeführerinnen sind solche Führungskurven bei Befüllungsvorrichtungen mit Pneumatikzylindern zur einwandfreien Funktion der Befüllungsvorrichtung nötig und auch allgemein üblich. Dies gilt für die bekannten Ausführungen nach den Druckschriften D1 und D3 ebenso wie für die Ausführung gemäß D2, in deren Figur eine solche Führungskurve mit dem Bezugszeichen 5 gezeigt ist.
Aus dem Vorstehenden folgt, daß die beanspruchte, kontinuierlich arbeitende Befüllungsvorrichtung mit zwei Druckluftbehältern zur Erzeugung eines zusätzlichen Anpreßdruckes technisch ausführbar ist, wenn zum Abheben bzw. Heranführen der Füllköpfe im Auslaufbereich bzw. im Einlaufbereich mechanische Führungskurven vorgesehen sind. Diese Mittel waren dem Fachmann am Anmeldetag durchaus geläufig und nach Auffassung der Kammer haben für ihn keine Schwierigkeiten bestanden, die beanspruchte Befüllungsvorrichtung auf die vorbeschriebene Art und Weise auszuführen, ohne daß im Patent ausdrücklich auf das Vorhandensein solcher Führungsbahnen hingewiesen ist (vgl. die nicht veröffentlichte BeschwerdekammerEntscheidung T 530/90 - 3.2.2 vom 23.4.1992, Punkt 2.3).
4.4. Die Beschwerdegegnerin hat im Einspruchsverfahren (Einspruchserwiderung, eingegangen am 19.12.1990, Seite 4) betont, daß der Fachmann aus der oben unter b) angegebenen Textstelle des angefochtenen Patents die Lehre entnehmen könne,
"daß das Verhältnis zwischen den Drücken der Behälter 11. und 12 während der kontinuierlichen Rotation verschieden ist. Je nachdem, wo sich der zu füllende Behälter im Verlauf der Rotation befindet, können verschiedene Drücke in den Behältern 11 und 12 und damit auch ein verschiedenes Druckverhältnis der Drücke in diesen Behältern 11 und 12 eingestellt werden. ... Der Fachmann entnimmt der Streitpatentschrift vielmehr, daß im Verlauf des Füllvorgangs verschiedene Drücke eingestellt werden können, die eine Gesamtkraft auf den Schlitten 4 ausüben, der sowohl nach Betrag und Richtung jeweils verschieden ist".
Weiterhin wird in dieser Eingabe (Seite 9) ausgeführt, es sei beabsichtigt
"... ein individuelles Innendruckverhältnis für jedes Gefäß in Abhängigkeit davon zu steuern, an welcher Stelle im Füllerumlauf sich das Gefäß gerade befindet".
Eine Ausführungsvariante, für die diese Bedingungen zutreffen, ist im Patent jedoch weder beschrieben noch gezeigt. Im Laufe des gesamten Verfahrens wurde eine solche Betriebsweise nicht als bekannt aufgezeigt, und es muß davon ausgegangen werden, daß dem durchschnittlichen Fachmann die Mittel zur Erzeugung einer solchen Betriebsweise nicht bekannt waren.
Die Kammer ist aus diesem Grunde der Auffassung, daß diese von der Beschwerdegegnerin in der Einspruchserwiderung geltend gemachte Ausführungs- Variante des angefochtenen Patents im Sinne des Artikels 83 EPÜ nicht ausreichend offenbart ist.
4.5. Da es jedoch nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern genügt, wenn mindestens eine von mehreren denkbaren Varianten technisch ausführbar ist, werden unter Berücksichtigung der Ausführbarkeit der erstgenannten Variante (vgl. Pkt. 4.3) die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ als erfüllt angesehen.
5. Stand der Technik
5.1. Die Beschwerdeführerin II hat mit der Beschwerdebegründung erstmals mehrere offenkundige Vorbenutzungen geltend gemacht und als Beweisstücke die Anlagen B0 bis B7 vorgelegt.
Aus der eidesstattlichen Erklärung (Anlage B0) und insbesondere der Anlage B6 ist erkennbar, daß es sich beim Gegenstand der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung offensichtlich um die Befüllungsvorrichtung nach der Druckschrift D3 handelt, die im Einspruchsverfahren schon erörtert wurde. Nachdem in Zusammenhang mit der Druckschrift D3 die Frage eine wesentliche Rolle gespielt hat, ob die Druckluftleitungen 21, 22 Druckluftbehälter im Sinne des Streitpatents darstellen oder nicht, sind die geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen als weitere Erläuterungen des angeblichen Offenbarungsinhalts der Druckschrift D3 anzusehen. Die Klärung dieser Frage ist für die Beurteilung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit wesentlich. Demnach ist den geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen zumindest aus Gründen von Artikel 114 (1) EPÜ nachzugehen.
5.2. Nach den Ausführungen in der eidesstattlichen Erklärung B0 wurde eine im Krones Prospekt B1 gezeigte, erste Befüllungsvorrichtung "Fulmatic"
a) auf der Messe "Intervitis" in Stuttgart vom 6. bis 12. Mai 1983 ausgestellt, wofür die Beweisstücke gemäß Blatt 1 bis 3 der Anlage B2 vorgelegt wurden (erste offenkundige Vorbenutzung), und
b) an einen Kunden in Bad Reichenhall am 5. August 1983 ausgeliefert, wofür als Beweisstücke ebenfalls die Anlage B2 (2. Blatt) und die Anlage B4 (Versandmitteilung) vorgelegt wurden (zweite offenkundige Vorbenutzung).
In der eidesstattlichen Erklärung wurden noch eine dritte und vierte offenkundige Vorbenutzung im Hinblick auf eine im Krones-Prospekt B1 gezeigte, zweite Befüllungsvorrichtung "Krones Fulmat" geltend gemacht, die ebenfalls während der genannten Messe gezeigt und einem weiteren Kunden (Winzerkeller Südl. Bergstraße) geliefert worden sei. Hierfür wurden noch die weiteren Beweisstücke B3 und B5 vorgelegt.
5.3. Die Anlage B2 enthält als Blatt 1 und 2 eine Maschinenkarte der Firma Krones und einen Messepaß der Messe Intervitis, die sich beide auf eine Befüllungsvorrichtung der Type "Fullet" 200-15-4-6, Komm. Nr. 200-001 beziehen und angeben, daß diese Vorrichtung auf der Messe in Stuttgart vom 6. bis 12. Mai 1983 ausgestellt war. Nach Aussage der Beschwerdeführerin II in der mündlichen Verhandlung wurde die Bezeichnung "Fullet" zunächst aufgrund einer damals noch nicht geklärten Marken-Frage anstelle der späteren Maschinenbezeichnung "Fulmatic" verwendet.
Die Kammer stellt fest, daß sowohl für die Bezeichnung "Fullet" als auch für die Bezeichnung "Fulmatic" die gleiche Komm. Nr. 200-001 bzw. 200-001/I in den Blättern der Anlagen B2 und B4 verwendet worden ist. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß es sich bei den Maschinen "Fullet" und "Fulmatic" um ein und dieselbe Maschinentype handelt. Die Unterlagen zur ersten offenkundigen Vorbenutzung sind somit widerspruchsfrei.
5.4. Die Zurschaustellung vom 6. bis 12. Mai 1983 bzw. die Lieferung (am 5.8.1983) der Befüllungsvorrichtung "Fulmatic" hat vor dem Prioritätstag (2.10.1984) des Streitpatents stattgefunden und die Art und Umstände der Benutzung gehen aus der von der Beschwerdegegnerin nicht angefochtenen eidesstattlichen Erklärung B0 und den weiteren Beweisstücken eindeutig hervor. Die Kammer sieht es damit als erwiesen an, daß die genannte Befüllungsvorrichtung der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist.
Weiterhin sieht die Kammer keinen Anlaß, die in der eidesstattlichen Erklärung B0 enthaltene technische Beschreibung des benutzten Gegenstandes (anhand der nachträglich mit Bezugszeichen versehenen, vergrößerten Darstellung B6 der im Prospekt B1, Blatt 3, gezeigten Querschnittszeichnung "Zentralkessel-Ausführung" und anhand der fotographischen Darstellung B7 der Maschine Krones Fulmatic) in Frage zu stellen.
Die offenkundigen Vorbenutzungen a) und b) (nach Punkt 5.2, Abs. a) und b)) der Befüllungsvorrichtung Fulmatic, wie sie in der eidesstattlichen Erklärung B0 und den Anlagen B1, B2, B4, B6 und B7 dargestellt werden, sind somit als ausreichend substantiiert und als nachgewiesen anzusehen und bei der Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigen.
Da die weiteren geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungen dem Gegenstand des Patents nicht näher kommen, braucht auf sie nicht näher eingegangen zu werden.
6. Neuheit
Der Anspruch 1 des angefochtenen Patents enthält folgende Merkmale:
A: Kontinuierlich arbeitende Befüllungsvorrichtung mit einem rotierenden Tisch und einer Mehrzahl von Füllköpfen (3, 4).
B: Die Füllköpfe sind über Pneumatikglieder (10) mit dem Rand des zu füllenden Behälters (2) dichtend in Anlage bringbar.
C: Die Pneumatikglieder (10) sind mit Druckluftbehältern (11, 12) verbunden.
D: Das Innendruckverhältnis der Druckluftbehälter (11, 12) ist gesteuert und vorherbestimmbar.
E: Die Steuerung des Druckverhältnisses wird über ein einziges zentrales Bauteil bewirkt.
Ein Vergleich des Gegenstandes nach den offenkundigen Vorbenutzungen a) und b) (Punkt 5.2) mit dem Gegenstand nach dem Anspruch 1 des Streitpatents zeigt ohne weiteres, daß die vorstehend aufgeführten Merkmale A und B auch beim vorbenutzten Gegenstand vorhanden sind.
Unter Berücksichtigung der Angaben in der eidesstattlichen Erklärung B0 ist im Hinblick auf die weiteren Merkmale C bis E des Anspruchs 1 des Streitpatents folgendes festzustellen:
In der Vergrößerungszeichnung nach B6 ist das in der Zeichnung geschnitten dargestellte Pneumatikglied 8 über Pneumatikleitungen 15, 16 mit zwei Hohlräumen 5, 6 verbunden. Dem im Inneren der Tragsäule 4 der Befüllungsvorrichtung angeordneten Hohlraum bzw. Behälter 5. wird vom unteren Ende her durch eine Versorgungsleitung Druckluft mit einstellbarem Druck zugeführt. Hierfür ist nach der eidesstattlichen Erklärung der in der Anlage B7 abgebildete, einstellbare Druckluftregler vorgesehen. Der andere Hohlraum 6 besteht aus einem zwischen dem Flanschrohr 2 und der Tragsäule 4 gebildeten Ringbehälter, der an seinem unteren Ende mit der Atmosphäre in Verbindung steht. Das Innendruckverhältnis der beiden Behälter 5 und 6 ist vorbestimmbar und seine Steuerung wird über ein einziges zentrales Bauteil, nämlich den Druckluftregler (siehe B7) bewirkt.
Der mit Überdruck beschickbare Behälter 5 stellt somit ohne Zweifel einen Druckluftbehälter im Sinne des Streitpatents dar.
Hinsichtlich der Frage, ob auch der mit der Atmosphärenluft verbundene Ringbehälter 6 beim benutzten Gegenstand einen Druckluftbehälter darstellt, ist zunächst festzustellen, daß dem Streitpatent an keiner Stelle zu entnehmen ist, daß beide Druckluftbehälter 11 und 12 einen über dem Atmosphärendruck liegenden Innendruck aufweisen. Außerdem ergibt sich aus dem Gesamtinhalt des Streitpatents, daß für die Funktion der Pneumatikglieder nur das Innendruck-Verhältnis von Bedeutung ist.
Unter dem Begriff Druckluftbehälter versteht ein Fachmann nach dem allgemeinen Sprachgebrauch einen verschließbaren, drucksicheren Hohlraum, der einem über dem Atmosphärendruck liegenden Innendruck widerstehen kann. Ob der nach der eidesstattlichen Versicherung unter Atmosphärendruck stehende Hohlraum 6 beim vorbenutzten Gegenstand diese Eigenschaften eines Druckbehälters aufweist, ist aus den Beweisstücken nicht zu entnehmen.
Der Gegenstand nach der offenkundigen Vorbenutzung a) bzw. b) offenbart somit die Merkmale A) bis E) des Anspruchs 1 des Streitpatents mit der einzigen Ausnahme, daß der mit dem Atmosphärendruck verbundene Ringraum 6 des vorbenutzten Gegenstands nicht eindeutig einen Druckbehälter, sondern eher einen normalen Behälter, der nicht auf Überdruck ausgelegt ist, darstellt.
Der Gegenstand nach dem Anspruch 1 des Streitpatents ist somit im Vergleich zum vorbenutzten Gegenstand neu.
Dies gilt auch im Hinblick auf den weiteren im Verfahren genannten Stand der Technik, der dem Streitpatent zumindest nicht näher kommt als die offenkundige Vorbenutzung.
7. Erfinderische Tätigkeit
7.1. Sowohl beim vorbenutzten Gegenstand als auch bei der Befüllungseinrichtung nach dem Streitpatent ist ausschließlich das Innendruckverhältnis der Luftbehälter für die Erzeugung der zusätzlichen Anpreßkraft verantwortlich. Es spielt dabei im Prinzip keine Rolle, ob diese Anpreßkraft von einem einseitig mit Überdruck beaufschlagten Kolben oder von der Druckdifferenz eines beidseitig mit unterschiedlichem Überdruck beaufschlagten Kolbens abgenommen wird. Die Steuerung des Druckverhältnisses und somit der Vorspannkraft ist bei beiden Ausführungen durch einseitige Druckänderung möglich. Eine Richtungsumkehr der Spannkraft kann in bekannter Weise, wie beim vorbenutzten Gegenstand, beim einseitig mit Überdruck beaufschlagten Kolben durch Umsteuerung der Zu- und Abflußleitungen erfolgen.
Nachdem somit in funktioneller Hinsicht kein Unterschied zwischen der vorbenutzten Ausführung und derjenigen nach dem Streitpatent erkennbar ist bzw. geltend gemacht wurde und die Kenntnis über einfach beaufschlagte und doppelt beaufschlagte Pneumatikzylinder dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen ist, vermag die Kammer den einzigen Unterschied zwischen dem vorbenutzten Gegenstand und der beanspruchten Vorrichtung, nämlich der Verwendung eines zweiseitig beaufschlagten anstelle eines einseitig beaufschlagten Zylinders, nicht als erfinderisch anzusehen.
7.2. Die Befüllungsvorrichtung nach dem Anspruch 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, weshalb dieser Anspruch keinen Bestand hat.
8. Die abhängigen Ansprüche 2 und 3 teilen das Rechtsschicksal des Anspruchs 1.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent Nr. 0 179 976 wird widerrufen.