T 0961/16 02-02-2021
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SCHERE
Änderungen - zulässig (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Anmelderin (Beschwerdeführerin) hat gegen die Entscheidung über die Zurückweisung der Anmeldung Nr. 11 701 032.2 form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.
II. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende, aus dem Prüfungsverfahren bekannte Entgegenhaltungen Bezug genommen:
D1 US 2 589 727 A
D2 GB 592 207 A
D3 US 2007/163126 A1
D4 DE 10 2008 014 836 A1
D5 US 2 929 141 A.
III. Die Prüfungsabteilung stützte die Zurückweisung darauf, dass der Gegenstand des mit Schriftsatz vom 28. November 2014 eingereichten Anspruchs 1 keine erfinderische Tätigkeit gegenüber der Kombination der Lehre der D4 mit der Lehre der D5 aufweist.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und
die Erteilung eines Patents auf der Basis
folgender Unterlagen:
Ansprüche
1 bis 15, eingereicht mit Schriftsatz
vom 28. November 2014;
Beschreibung
Seiten 1, 1a, 2, eingereicht mit Schriftsatz
vom 28. November 2014,
Seiten 2a, 3, 3a, 7, eingereicht mit Schriftsatz
vom 4. März 2014,
Seiten 4 bis 6, 8 bis 19, wie ursprünglich
eingereicht;
Zeichnungen
Figuren 1 bis 4, wie ursprünglich eingereicht.
Hilfsweise wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
V. Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Schere, umfassend einen Scherenkopf (48) mit einem ersten Scherenschenkel (34) und einem zweiten Scherenschenkel (42), welche um eine erste Schwenkachse (64) schwenkbar aneinander angelenkt sind, und eine Halteeinrichtung (12) mit einem ersten Handgriff (14) und einem zweiten Handgriff (16), welche um eine zweite Schwenkachse (66) schwenkbar aneinander angelenkt sind, wobei der erste Scherenschenkel (34) an dem ersten Handgriff (14) um eine dritte Schwenkachse (68) schwenkbar angelenkt ist und der zweite Scherenschenkel (42) an dem zweiten Handgriff (16) um eine vierte Schwenkachse (70) schwenkbar angelenkt ist, und eine Fanglasche (80), welche an dem einen Handgriff (14) angeordnet ist und auf den anderen Handgriff (16) wirkt, wobei die Fanglasche als Öffnungsbegrenzer für den Scherenkopf (48) ausgebildet ist, welche eine maximale Öffnungsweite einstellt,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Fanglasche (80) an der Halteeinrichtung (12) an einer Seite bezogen auf die zweite Schwenkachse (66) angeordnet ist, welche der Seite abgewandt ist, an welcher die erste Schwenkachse (64) liegt".
VI. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, die sich gegen die die Zurückweisung begründenden Feststellung der Prüfungsabteilung wendet, wird in den Entscheidungsgründen im Detail abgehandelt.
Entscheidungsgründe
Verfahrensaspekte
1. Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020.
Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des umfänglichen schriftsätzlichen Vorbringens der Beschwerdeführerin unter Wahrung deren Rechte gemäß Artikel 113 und 116 EPÜ entscheidungsreif. Der von der Beschwerdeführerin hilfsweise gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung kommt angesichts des Ausspruches dieser Entscheidung in Form der Stattgabe der Beschwerde auf der Basis der in der Beschwerdebegründung angegebenen Unterlagen nicht zum Tragen.
Hauptantrag
2. Änderungen - Artikel 123 (2) EPÜ
2.1 Anspruch 1 entspricht der Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 19 zusammen mit der Präzisierung, dass die Fanglasche, "eine maximale Öffnungsweite einstellt", siehe hierzu Zeilen 4 bis 6 auf Seite 3 der ursprünglich eingereichten Beschreibung.
2.2 Anspruch 2 entspricht einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 2, 3 und 4, Anspruch 3 entspricht dem ursprünglich eingereichten Anspruch 5,
Anspruch 4 entspricht einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 6 und 7,
Anspruch 5 entspricht dem ursprünglich eingereichten Anspruch 8,
Anspruch 6 entspricht einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 9 bis 12, Ansprüche 7 bis 14 entsprechen jeweils den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 13 bis 18, 20 und 21,
Anspruch 15 entspricht einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 22 und 23.
2.3 Die in der Beschreibung vorgenommenen Änderungen betreffen die Erwähnung der Offenbarungen der im Prüfungsverfahren zitierten Entgegenhaltungen
D1 und D5, die Abgrenzung der vorliegenden Erfindung gegenüber der Offenbarung der D1 und die Anpassung der Beschreibung zum Wortlaut des geänderten Anspruchs 1.
2.4 Diese Änderungen erfüllen somit die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
3. Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit, Artikel 52 und 56 EPÜ
3.1 Offenbarungsgehalt der D4
3.1.1 D4 offenbart gemäß der Terminologie des Anspruchs 1 eine Schere (10), umfassend einen Scherenkopf (48) mit einem ersten Scherenschenkel (34) und einem zweiten Scherenschenkel (42), welche um eine erste Schwenkachse (44) schwenkbar aneinander angelenkt sind, und eine Halteeinrichtung (12) mit einem ersten Handgriff (14) und einem zweiten Handgriff (16), welche um eine zweite Schwenkachse (18) schwenkbar aneinander angelenkt sind, wobei der erste Scherenschenkel (34) an dem ersten Handgriff (14) um eine dritte Schwenkachse (36) schwenkbar angelenkt ist und der zweite Scherenschenkel (42) an dem zweiten Handgriff (16) um eine vierte Schwenkachse (40) schwenkbar angelenkt ist, und eine Fanglasche (50), welche an dem einen Handgriff (14) angeordnet ist und auf den anderen Handgriff (16) wirkt, wobei die Fanglasche (50) an der Halteeinrichtung (12) an einer Seite bezogen auf die zweite Schwenkachse (18) angeordnet ist, welche der Seite abgewandt ist, an welcher die erste Schwenkachse (44) liegt.
3.1.2 Dabei ist die aus D4 bekannte Fanglasche als Fixierungselement 50 ausgebildet, welches den Scherenkopf der Schere in geschlossener Stellung fixiert.
3.2 Unterscheidungsmerkmale
3.2.1 Eine als Öffnungsbegrenzer für den Scherenkopf ausgebildete Fanglasche, welche eine maximale Öffnungsweite einstellt, d.h. eine Fanglasche entsprechend dem Oberbegriff des Anspruchs 1, ist aus D4 nicht bekannt, siehe hierzu auch den dritten Absatz der Gründe der angefochtenen Entscheidung.
3.2.2 Da eine solche Fanglasche aus D4 nicht bekannt ist, ist auch deren Anordnung und Wirkung, so wie sie im Anspruch 1 angegeben ist, nämlich als eine an dem einen Handgriff angeordnete und auf den anderen Handgriff wirkende, eine maximale Öffnungsweite einstellende Fanglasche, welche an der Halteeinrichtung an einer Seite bezogen auf die zweite Schwenkachse angeordnet ist, welche der Seite abgewandt ist, an welcher die erste Schwenkachse liegt, ebenfalls aus D4 nicht bekannt.
3.2.3 Die Schere gemäß Anspruch 1 unterscheidet sich daher von der aus D4 bekannten Schere dadurch, dass sie eine als Öffnungsbegrenzer für den Scherenkopf ausgebildete und eine maximale Öffnungsweite einstellende Fanglasche aufweist, welche an dem einen Handgriff angeordnet ist und auf den anderen Handgriff wirkt, wobei die Fanglasche an der Halteeinrichtung an einer Seite bezogen auf die zweite Schwenkachse angeordnet ist, welche der Seite abgewandt ist, an welcher die erste Schwenkachse liegt.
3.3 Aufgabe
3.3.1 Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die Aufgabe einer Erfindung so zu formulieren, dass sie keine Lösungsansätze enthält oder teilweise die Lösung vorwegnimmt, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, I.D.4.3.1.
3.3.2 Wenn, wie im vorliegenden Fall, bei einer Bereitstellung eines Öffnungsbegrenzers beim Scherenkopf die zu lösende Aufgabe als die Begrenzung der Öffnung des Scherenkopfs angegeben wird, wie die Prüfungsabteilung im vierten Absatz der Gründe für die angefochtene Entscheidung angegeben hat, nimmt diese Aufgabe die Lösung eben dieser Aufgabe unzulässigerweise vorweg.
3.3.3 Die Kammer folgt vielmehr der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass die zu lösende Aufgabe darin zu sehen ist, eine hebelübersetzte Schere bereitzustellen, welche kompakt aufgebaut ist und eine hohe Schneidleistung aufweist, siehe Zeilen 6 bis 8 der ursprünglich eingereichten Beschreibungsseite 2 und vierter Absatz des Kapitels II.2 der Beschwerdebegründung.
3.4 Erfinderische Tätigkeit
3.4.1 Die Prüfungsabteilung führt im sechsten und siebten Absatz der Gründe für die angefochtene Entscheidung aus, dass eine Fanglasche als Öffnungsbegrenzer für einen Scherenkopf und zur Begrenzung der Öffnung des Scherenkopfs aus D5 bekannt sei, siehe Spalte 2, Zeilen 10-14, und dass der Fachmann die Aufnahme dieses Merkmals in die in D4 beschriebene Schere als eine übliche konstruktive Maßnahme zur Lösung der gestellten Aufgabe ansähe. Daher beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.4.2 Die Kammer ist von diesem Begründungsansatz nicht überzeugt und teilt wie folgt die Auffassung der Beschwerdeführerin.
3.4.3 D5 offenbart nur eine einzige Schwenkachse für die Scherenschenkel und die Handgriffe aufweisende Schere. D5 offenbart daher keine hebelübersetzte, vier Schwenkachsen für die Scherenschenkel und die Handgriffe aufweisende Schere gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1. Für die aus D5 bekannte einachsige Schere ist ein Verschluss- und Öffnungsglied 6 vorgesehen, welches ein Ende aufweist, welches schwenkbar an einem Handgriff angeordnet ist und sich quer über den anderen Handgriff erstreckt. Eine Spiralfeder 11 ist frei gleitbar auf dem Verschluss- und Öffnungsglied angeordnet, wobei das Verschluss- und Öffnungsglied auch als Öffnungsbegrenzer funktioniert.
3.4.4 Ein Fachmann wird zur Lösung der unter Punkt 3.3.3 oben genannten Aufgabe die D5 schon gar nicht heranziehen, da diese nicht auf eine hebelübersetzte, vier Schwenkachsen für die Scherenschenkel und die Handgriffe aufweisende Schere gerichtet ist und sich mit der o.g. Aufgabe nicht auseinandersetzt. Selbst wenn argumentationshalber der Fachmann die Lehre der D5 heranzöge, gelangte er nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1, da D5 in Ermangelung einer Mehrzahl von Schwenkachsen gemäß dem Oberbegriff von Anspruch 1 die unter Punkt 3.2.3 oben aufgeführten Anordnungs- und Wirkungsmerkmale der Fanglasche in Bezug auf die erste und die zweite Schwenkachse nicht offenbart, bzw. dem Fachmann nicht nahelegen kann.
3.4.5 Daher kann auch eine Zusammenschau der Lehren der D4 und D5 den Fachmann nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen, bzw. ihm diesen nahelegen.
3.5 Die Angelegenheit ist somit vorliegend insoweit entscheidungsreif, als die Beschwerdeführerin in überzeugender Weise die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zur Frage der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchsgegenstandes des Hauptantrags gegenüber der Kombination der Lehre der D4 mit der Lehre der D5 dargetan hat.
3.6 Die Kammer merkt noch dazu an, dass keine der Entgegenhaltungen D1, D2 oder D3 das Merkmal des Anspruchs 1 offenbart, wonach eine Fanglasche, welche als Öffnungsbegrenzer für den Scherenkopf ausgebildet ist und eine maximale Öffnungsweite einstellt, an dem einen Handgriff angeordnet ist und auf den anderen Handgriff wirkt, wobei die Fanglasche an der Halteeinrichtung an einer Seite bezogen auf die zweite Schwenkachse angeordnet ist, welche der Seite abgewandt ist, an welcher die erste Schwenkachse liegt.
3.7 Da keine der Entgegenhaltungen D1 bis D5 dieses o.g. Merkmal des Anspruchs 1 offenbart, wird bei jeder möglichen Kombination der Lehren dieser Entgegenhaltungen miteinander, auch dieses Merkmal fehlen. Dadurch kann der Fachmann mangels Vorbilds durch eine solche Kombination nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen, ohne dabei erfinderisch tätig zu werden.
3.8 Aus den o.g. Gründen ist somit der Beschwerde der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Patents auf der Grundlage des Hauptantrags statt zu geben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der
Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung
zu erteilen:
Ansprüche
1 bis 15, eingereicht mit Schriftsatz vom 28. November 2014
Beschreibung
Seiten 1, 1a, 2 eingereicht mit Schriftsatz vom 28. November 2014,
Seiten 2a, 3, 3a, 7 eingereicht mit Schriftsatz vom 4. März 2014,
Seiten 4 bis 6,
und 8 bis 19 wie ursprünglich eingereicht
Zeichnungen
Figuren 1 bis 4 wie ursprünglich eingereicht.