T 0047/88 (Gebührenzahlung) 17-10-1988
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Gebührenzahlung
Bareinzahlung auf Postsscheckkonto des Amtes
Sachverhalt und Anträge
I. Der Hinweis auf die Erteilung des europäischen Patents Nr. 98 564 ist am 9. April 1986 bekanntgemacht worden.
II. Gegen diese Erteilung des europäischen Patents legte eine erste Einsprechende (Einsprechende I) unter Zahlung der entsprechenden Gebühr am Freitag, den 9. Januar 1987 einen mit Begründung versehenen Einspruch ein.
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende II) legte ebenfalls am 9. Januar 1987 Einspruch ein. Die entsprechende Gebühr wurde am selben Tag bei einem Postamt in Düsseldorf durch Zahlkarte eingezahlt, und der Betrag wurde am Montag, dem 12. Januar 1987 auf einem Postgirokonto des EPA gutge- schrieben.
IV. Am 3. April 1987 teilte der Formalsachbearbeiter der Einspruchsabteilung der Beschwerdeführerin mit, daß der Einspruch als unzulässig gelte, weil die Einspruchsgebühr nicht rechtzeitig entrichtet worden sei.
V. In ihrer Stellungnahme machte die Beschwerdeführerin geltend, daß die Einspruchsgebühr durch Bareinzahlung beim Postamt am 9. Januar 1987 eingezahlt worden und deswegen als rechtzeitig entrichtet zu betrachten sei. Sie beantragte auch eine Entscheidung gemäß Regel 69 (2) EPÜ.
In einem weiteren Schreiben beantragte die Beschwerdeführerin, daß die Einspruchsabteilung den Einspruch als zulässig anerkennen solle und verwies auf die Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer J 24/86 (ABl. EPA 1987, 399).
VI. Mit Entscheidung vom 24. November 1987 stellte der Formalsachbearbeiter der Einspruchsabteilung fest, daß der Einspruch als nicht eingelegt gelte.
In der Begründung der Entscheidung ist eine Auslegung der vorigen Entscheidungen J 26/80 (ABl EPA 1982, 7), T 214/83 (ABl. EPA 1985, 10) und der obengenannten Entscheidung J 24/86 gegeben, wonach zu schließen sei, daß gemäß dieser Rechtsprechung der Einzahlungstag bei einem Postamt als maßgebender Zahlungstag gelten könne, wenn es bewiesen ist, daß der Einzahler seinen Auftrag nicht mehr zurückrufen kann.
Gemäß § 24 der Postgiroordnung des Post- und Fernmeldewesens der Bundesrepublik Deutschland könne eine Einzahlung durch Zahlkarte vom Absender zurückgenommen werden, solange der Betrag dem Empfänger noch nicht gutgeschrieben ist; infolgedessen sei im vorliegenden Fall die Bedingung, daß der Einzahler seinen Auftrag nicht mehr zurückrufen kann, nicht erfüllt. Der maßgebende Zahlungstag sei deshalb der Tag, an dem der Betrag der Postanweisung auf dem Postscheckkonto des Amts gutgeschrieben wurde, d. h. der 12. Januar 1987.
Der Einspruch gelte als nicht eingelegt, weil die Einspruchsgebühr nicht rechtzeitig entrichtet worden sei.
VII. Gegen die Entscheidung des Formalsachbearbeiters hat die Beschwerdeführerin am 22. Januar 1988 unter gleichzeitiger Bezahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und dazu am 18. März 1988 eine Begründung eingereicht.
Sie beantragt die angefochtene Entscheidung aufzuheben, und macht im wesentlichen geltend:
a) mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel wäre es der Post möglich gewesen, die Bareinzahlung am Postschalter am selben Tag direkt dem Postgirokonto des Amts gutzuschreiben. Da die Post die Möglichkeit gehabt habe, die Gutschrift sofort durchzuführen, solle die Einzahlung als Bareinzahlung auf das Postgirokonto des EPA anzusehen sein;
b) bei der angefochtenen Entscheidung werde davon ausgegangen, daß nach § 24 der deutschen Postgiroordnung eine Zurücknahme des eingezahlten Betrages bis zur tatsächlichen Vornahme der Gutschrift auf dem Postgirokonto des Empfängers grundsätzlich möglich ist; da die angefochtene Entscheidung diesen Artikel der deutschen Postgiroordnung der italienischen oder einer sonstigen gegenüberstelle, um daraus zu schließen, daß die Bareinzahlung bei einem deutschen Postamt, im Gegensatz zur Einzahlung bei einem italienischen oder sonstigen Postamt nicht der maßgebende Zahlungstag ist, entstehen daraus nationale Ungleichbehandlungen. Es könne nicht dem Anmelder oder Einsprechenden angelastet werden, daß die nationalen Postgiroordnungen sich unterscheiden;
c) die deutsche Postgiroordnung sei dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch untergeordnet, dessen § 130 bestimmt, daß eine Willenserklärung in dem Zeitpunkt, in welchem sie zugeht, auch einer Behörde gegenüber wirksam wird;
da im vorliegenden Fall kein Widerruf der Zahlung erfolgt sei, sei die Willenserklärung dementsprechend am Zahlungstag wirksam geworden;
d) trotz der theoretischen Möglichkeit eines Widerrufes des Auftrags wäre der Widerruf in Wirklichkeit unmöglich gewesen, weil die Bearbeitung des erforderlichen schriftlichen Antrags auf Rückgabe der Sendung mehr Zeit gebraucht hätte als die Zeit, die benötigt worden sei, um den eingezahlten Betrag dem Girokonto des EPA am nächsten Montag gutzuschrieben.
VIII. In Beantwortung dieser Begründung beantragt die Beschwerdegegnerin, die Beschwerde zurückzuweisen, mit der Begründung, daß gemäß Artikel 8 Absatz 1 der GebO die Einzahlung der Einspruchsgebühr auf ein Postscheckkonto des Amts keine Barzahlung sei.
Die Beschwerdegegnerin bestreitet auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, es gelte die jeweils günstigste Postgiroordnung der europäischen Vertragsstaaten. Ein solches Vorbringen finde keine Stütze in den gesetzlichen Bestimmungen.
Die Beschwerdegegnerin vertritt auch die Auffassung, daß die Möglichkeit bestanden habe, daß der erforderliche schriftliche Antrag auf Rückgabe der Sendung noch vor der Gutschrift des Betrages beim zuständigen Giroamt einging.
IX. Die andere Beteiligte (Einsprechende I) nahm keine Stellung zur Beschwerde.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Wie in der Entscheidung des Formalsachbearbeiters der Einspruchsabteilung dargelegt, stellte die Bareinzahlung beim Postamt in Düsseldorf am 9. Januar 1987 eine "Einzahlung auf ein Postscheckkonto des Amts" gemäß Artikel 5 (1) b) GebO dar. Der maßgebende Zahlungstag ist deshalb der Tag, an dem der Betrag der Zahlkarte auf dem Konto des Amts gutgeschrieben wurde (Artikel 8 (1) a) GebO).
3. Die Beschwerdekammern haben Artikel 8 (1) a) GebO so ausgelegt, daß der Einzahlungstag bei einem Postamt oder einer Bank, wo das EPA ein Konto hat, der maßgebende Zahlungstag ist, sofern der Einzahler seinen Auftrag nicht mehr zurückrufen kann.
4. Wie in der obengenannten Entscheidung J 24/86 erklärt wird, muß die Frage, ob eine Zahlung als rechtzeitig erfolgt gelten kann, je nach Lage des Einzelfalles objektiv entschieden werden. Dabei geht es um die Frage, ob eine Rechtslage geschaffen worden ist, die einer Gutschrift auf dem Konto gleichkommt.
5. Im Fall der obengenannten Entscheidung T 214/83 hatte die Beschwerdeführerin eine Bescheinigung des Direktors des Postscheckamts Mailand vorgelegt, die erklärte, daß es unmöglich sei, einen Rückruf der Einzahlung vorzunehmen. Im Fall der Entscheidung J 24/86, auf welche die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen stützt, war ein vom "Inspecteur de direction" des Postamts unterzeichnetes Schreiben von der Beschwerdeführerin vorgelegt worden, in dem es hieß, daß die Zahlung nach Schließung des Postamts um 17.00 Uhr des Tages der Zahlung nicht mehr zurückgerufen werden konnte.
6. Sowohl in diesen Fällen als auch in den Fällen der anderen obengenannten Entscheidungen, hatte der Beschwerdeführer bewiesen, daß es ihm absolut unmöglich gewesen wäre, seinen Auftrag zurückzurufen, so daß die Beschwerdekammer entscheiden konnte, daß eine einer Gutschrift auf dem Konto gleichkommende Rechtslage geschaffen worden war.
7. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin keinen solchen Beweis vorgelegt, noch hat sie bestritten, daß es ihr theoretisch möglich gewesen wäre, die Zahlung zurückzurufen. Sie hat nur geltend gemacht, daß die Notwendigkeit eines schriftlichen Antrages es unwahrscheinlich mache, daß ein solcher Antrag vor der tatsächlichen Gutschrift auf dem Konto des EPA am Montag, dem 12. Januar 1987 gewährt werden konnte.
8. In Ermangelung eines solchen Beweises kann die Beschwerdekammer nur schließen, daß der maßgebende Zahlungstag gemäss Artikel 8 (1) a) GebO der Tag ist, an dem der Betrag auf dem Konto des EPA tatsächlich gutgeschrieben wurde (d. h. am 12. Januar 1987), weil die Zahlung beim Postamt widerruflich war. Es ist insbesondere nicht möglich, die Tatsache in Betracht zu ziehen, daß es dem Postamt möglich gewesen wäre, diese Eintragung früher vorzunehmen, weil dies gegen den Wortlaut des Artikels 8 (1) a) verstieße, der den Unterschied zwischen Zahlungstag und Gutschriftstag deutlich macht.
9. Die Beschwerdekammer kann auch nicht dem Vorbringen der Beschwerdeführerin folgen, wonach die Vorschriften des § 24 der deutschen Postgirokontoordnung nicht maßgebend sein sollen, weil sie sich von den entsprechenden Vorschriften anderer Vertragsstaaten unterscheiden; denn die verschiedenen Nationalitäten sollten vor dem Amt gleich behandelt werden.
Hierzu ist erstens zu bemerken, daß die Postgiroordnungen für alle Transaktionen gelten, die bei einem bestimmten Postamt gemacht werden, ohne Unterscheidung bezüglich der Person, die diese Transaktion macht.
Zweitens ist die Feststellung, ob der Einzahler die Möglichkeit hat, seinen Auftrag zu widerrufen, solange der Betrag noch nicht gutgeschrieben ist, eine reine Tatfrage.
Im vorliegenden Fall geht es nicht darum, ob das EPA die Vorschriften der deutschen Postordnung anwenden solle, sondern ob aufgrund dieser Vorschriften ein Widerruf des Auftrages tatsächlich möglich war. Die Beschwerdekammer kann in einer solchen Tatsachenfeststellung keine Verletzung der Gleichbehandlung sehen.
10. Die Beschwerdekammer kann auch nicht dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zustimmen, daß die Vorschriften von § 130 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches angewandt werden müssen, der bestimmt, daß eine Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam wird, in welchem sie zugeht. Danach wäre, weil kein Widerruf der durch die Vornahme der Einzahlung abgegebenen Willenserklärung zur Gutschrift des Betrages auf das Postgirokonto des EPA erfolgt sei, die Willenserklärung am Tag der Einzahlung wirksam geworden.
Die Vorschriften des EPÜ sind unabhängig von den nationalen Gesetzen der Vertragsstaaten. Artikel 125 EPÜ bestimmt, daß "soweit (das) Übereinkommen Vorschriften über das Verfahren nicht enthält, .... das EPA die in den Vertragsstaaten im allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts" zu berücksichtigen habe. Da klare Verfahrensvorschriften in den Artikeln 5 (1) b) und 8 (1) a) GebO enthalten sind, kann im vorliegenden Fall nicht Artikel 125 EPÜ angewandt werden. Außerdem ist § 130 des deutschen Bürgerlichen Gesetzesbuches kein Verfahrensrecht. Die Beschwerdekammer bezweifelt jedenfalls, daß eine Zahlkarte einer Willenserklärung gleichgesetzt werden kann.
11. Infolgedessen stellt die Beschwerdekammer fest, daß der Formalsachbearbeiter der Einspruchsabteilung richtig entschieden hat, daß der maßgebende Zahlungstag nach Lage des vorliegenden Falles der Tag war, an dem der Betrag der Zahlkarte auf dem Konto des Amts gutgeschrieben wurde, d. h. der 12. Januar 1987. Der Einspruch der Beschwerdeführerin gilt deshalb gemäß Artikel 99 (1) EPÜ als nicht eingelegt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Formalsachbearbeiters der Einspruchsabteilung vom 24. November 1987 wird zurückgewiesen.