T 1090/96 20-07-1998
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Integrierte Pufferschaltung
Verfahrensfehler wegen mangelnden rechtlichen Gehörs
Zurückverweisung zur weiteren Entscheidung
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung der Patentanmeldung Nr. 95 105 126.7. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung wurde damit begründet, daß der Gegenstand des mit Eingabe vom 17. Juni 1996 eingereichten Anspruches 1 gegenüber dem aus D1: US-A-4 961 009 bekannten Stand der Technik nicht neu sei.
II. Der mit Eingabe vom 17. Juni 1996 eingereichte und der Zurückweisung zugrundeliegende Anspruch 1 lautet:
"1. Integrierte Pufferschaltung mit einem Eingang (IN) und einem Ausgang (OUT), die eine zwischen einem ersten (VDD) und einem zweiten (Masse) Versorgungspotential angeordnete erste Serienschaltung (S1) mindestens einer spannungsgesteuerten ersten Konstantstromquelle (I1) und eines ersten Feldeffekttransistors (T1) aufweist, wobei das Gate des ersten Feldeffekttransistors (T1) den Eingang (IN) bildet,
wobei die erste Serienschaltung (S1) einen Schaltungsknoten zwischen der ersten Konstantstromquelle (I1) und dem ersten Feldeffekttransistor (T1) aufweist, der den Ausgang (OUT) bildet,
wobei die erste Konstantstromquelle (I1) über einen ersten Steuereingang (Gl) mit einem Referenzpotential (Vref) steuerbar ist, welches gegenüber dem ersten Versorgungspotential (VDD) eine konstante Potentialdifferenz aufweist, wobei eine zweite Serienschaltung (S2) aus mindestens einem ersten Widerstand (R1) und einer zweiten Konstantstromqelle (I2), die einen vom ersten Versorgungspotential (VDD) unabhängigen Strom liefert, zwischen dem ersten (VDD) und dem zweiten (Masse) Versorgungspotential angeordnet ist,
wobei sich an einem Schaltungsknoten (A) der zweiten Serienschaltung (S2) zwischen dem ersten Widerstand (R1) und der zweiten Konstantstromquelle (I2) das Referenzpotential (Vref) einstellt, wobei der Schaltungsknoten (A) mit dem ersten Steuereingang (G1) der ersten Konstantstromquelle (I1) verbunden ist,
wobei die zweite Konstantstromquelle (I2) einen zweiten Feldeffekttransistor eines zweiten Kanal-Typs (N2) aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß ein Source-Anschluß des zweiten Feldeffekttransistors des zweiten Kanal-Typs (N2) mit dem zweiten Versorgungspotential (Masse) verbunden ist."
III. Dieser Anspruch 1 unterscheidet sich von dem vorhergehenden, mit Schreiben vom 22. April 1996 eingereichten Anspruch 1 in den letzten 7 Zeilen (vorstehende Zeileneinteilung). Der mit Schreiben vom 22. April 1996 eingereichte Anspruch 1 lautet anstelle der obigen letzten 7 Zeilen des der Zurückweisung zugrundeliegenden Anspruchs 1:
"dadurch gekennzeichnet, daß die zweite Konstantstromquelle (I2) mit dem zweiten Versorgungspotential (Masse) verbunden ist."
IV. Im Bescheid vom 14. Mai 1996 hat die Prüfungsabteilung die mangelnde Neuheit des Gegenstandes des mit Schreiben vom 22. April 1996 eingereichten Anspruches 1 u. a. damit begründet, daß neben den bereits im Oberbegriff des Anspruchs 1 berücksichtigten Merkmalen der aus D1 bekannten Pufferschaltung die aus Fig. 1 (D1) ersichtliche Reihenschaltung aus Transistor N7 und Widerstand Rref ebenfalls eine zweite Konstantstromquelle darstelle, die mit dem zweiten Versorgungspotential (Masse) verbunden sei.
V. In der Eingabe vom 17. Juni 1996 hat die Beschwerdeführerin in Verbindung mit dem der Zurückweisung zugrundeliegenden Anspruch 1 dargelegt, daß gemäß Entgegenhaltung D1 anstelle des Transistors N7 (also des zweiten Feldeffekttransistors) der Widerstand Rref mit Masse verbunden sei. Da es aufgrund der Funktion des Doppelstromspiegels gemäß D1 nicht möglich sei, die Source des Transistors N7 mit Masse zu verbinden, sei der Gegenstand des weiter abgegrenzten Anspruchs 1 vom 17. Juni 1996 nicht nur neu gegenüber D1, sondern auch erfinderisch. Sollte der beauftragte Prüfer es für sachdienlich erachten, sei die Anmelderin zu einem Interview bereit.
VI. In der angefochtenen Entscheidung hat die Prüfungsabteilung erstmals ausgeführt, daß der Wortlaut des Anspruches 1 vom 17. Juni 1996 nicht notwendigerweise eine direkte Verbindung der Source mit Masse bedeute, sondern deren Verbindung über einen Widerstand (wie z. B. Rref in D1) mit Masse mit einschließe, so daß der Gegenstand des Anspruches 1 nach wie vor durch das aus D1 Bekannte neuheitsschädlich vorweggenommen sei. Zusätzlich hat die Prüfungsabteilung auf mehr als einer Seite dargelegt, daß entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin der Widerstand Rref gemäß D1 für die grundsätzliche Funktion der daraus bekannten Schaltung keine große Bedeutung habe. Den Antrag auf Anberaumung einer persönlichen Rücksprache hat sie abgelehnt.
VII. In der Beschwerdebegründung argumentierte die Beschwerdeführerin im wesentlichen, daß die Zurückweisung der Anmeldung ausschließlich aufgrund erstmalig in den Entscheidungsgründen vorgetragenen Argumenten erfolgte, ohne daß sie vorher Gelegenheit zu einer Äußerung gehabt hätte.
1.1. In den Entscheidungsgründen sei ausgeführt, daß bereits in einem Bescheid vom 14. Mai 1996 dargelegt worden sei, daß die Masseverbindung der in D1 gezeigten zweiten Konstantstromquelle (Elemente N7 und Rref) unter den Wortlaut "mit dem zweiten Versorgungspotential (Masse) verbunden" falle. Die zitierte Äußerung beziehe sich allerdings auf den am 22. April 1996 eingereichten Anspruch 1. Dessen kennzeichnender Teil lautete: "daß die zweite Konstantstromquelle (I2) mit dem zweiten Versorgungspotential (Masse) verbunden ist". Dagegen laute das kennzeichnende Merkmal des der Zurückweisung zugrundeliegenden Anspruches 1: "daß ein Source-Anschluß des zweiten Feldeffekttransistors des zweiten Kanal-Typs (N2) mit dem zweiten Versorgungspotential (Masse) verbunden ist". Der Bescheid vom 14. Mai 1996 sei also nicht auf die Verbindung des aus D1 bekannten Transistors N7 eingegangen. Daher seien auch die zur Zurückweisung der Anmeldung führenden Gründe der Anmelderin nicht vorab mitgeteilt worden, anders als in den Entscheidungsgründen behauptet.
1.2. Die Zurückweisung werde damit begründet, daß der Gegenstand des Anspruches 1 gegenüber der aus D1 bekannten Pufferschaltung nicht neu sei, weil der Wortlaut des Anspruches 1 nicht notwendigerweise eine direkte Verbindung der Source des zweiten Feldeffekttransistors mit Masse bedeute, sondern deren Verbindung über Rref mit einschließe. Diese erstmalig in den Entscheidungsgründen geäußerte Interpretation widerspreche derjenigen der Beschwerdeführerin, da sie in der Eingabe vom 17. Juni 1996 ausgeführt habe, daß in D1 eine Verbindung der Source von Transistor N7 mit Masse nicht möglich sei und der Anspruch 1 hiergegen als abgegrenzt zu betrachten sei. Eine entsprechende Klarstellung durch Einfügung des Wortes "direkt" wäre aber bei einem diesbezüglichen amtsseitigen Hinweis jederzeit möglich gewesen.
1.3. Die erstmals in der Zurückweisungsentscheidung vorgebrachte Annahme, daß der Widerstand Rref gemäß D1 auch den Wert "Null" haben könne, werde durch D1 nicht gestützt.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte,
a) die angefochtene Entscheidung aufzuheben,
b) die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen und
c1) ein Patent aufgrund des am 17. Juni 1996 eingereichten Anspruches 1 sowie der Ansprüche 2 bis 9 in der ursprünglich eingereichten Fassung zu erteilen oder hilfsweise
c2) ein Patent auf der Grundlage eines neuen mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruches 1 sowie der ursprünglich eingereichten Ansprüche 2 bis 9 zu erteilen.
Sofern nicht wenigstens dem Hilfsantrag stattgegeben werde, wurde vorsorglich eine mündliche Verhandlung beantragt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Rechtliches Gehör
2.1. Entscheidungen des Europäischen Patentamts dürfen nur auf Gründe gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (Artikel 113 (1) EPÜ). Insbesondere fordert Artikel 96 (2) EPÜ in Verbindung mit Regel 51 (2) EPÜ, daß die Prüfungsabteilung den Anmelder nach Maßgabe der Ausführungsordnung so oft wie erforderlich auffordert, eine Stellungnahme einzureichen und/oder festgestellte Mängel zu beseitigen. Gemäß Regel 51 (3) EPÜ (Ausführungsordnung) sind die Bescheide zu begründen; dabei sollen alle Gründe zusammengefaßt werden, die der Erteilung des europäischen Patents entgegenstehen.
Vor der Zurückweisung einer Anmeldung müssen also die Gründe mitgeteilt werden, die der Erteilung des europäischen Patents entgegenstehen. Für ihre Entscheidung, wann es notwendig und angebracht erscheint, den Anmelder zu einer Stellungnahme aufzufordern, verfügt die Prüfungsabteilung über einen Ermessensspielraum, von dem sie nach Lage des Einzelfalls objektiv Gebrauch machen muß (T 162/82, ABl. EPA 1987, 533, Punkt 12). Obwohl es nicht notwendig ist, dem Anmelder wiederholt Gegelenheit zu geben, sich zu dem gleichen Einwand zu äußern (T 161/82, ABl. EPA 1984, 551; T 42/84, ABl. EPA 1988, 251, Punkt 12), erfordert Artikel 113 (1) EPÜ im allgemeinen dann eine weitere Stellungnahme der Prüfungsabteilung zu neu geänderten Unterlagen und/oder eventuellen Erläuterungen des Anmelders, wenn es aussichtsreich erscheint, durch weitere Rücksprachen mit dem Anmelder die Meinungsunterschiede zwischen ihm und der Prüfungsabteilung über die Patentierbarkeit der Anmeldung abzubauen oder zu erreichen, daß Änderungen eingereicht werden, die die erhobenen Einwände ausräumen können (T 162/82, a. a. O., Punkt 12).
2.2. Im Bescheid vom 14. Mai 1996 hat die Prüfungsabteilung dargelegt, daß die Masseverbindung der in D1 gezeigten, aus den Elementen N7 und Rref bestehenden zweiten Konstantstromquelle unter den Wortlaut "mit dem zweiten Versorgungspotential (Masse) verbunden" des am 22. April 1996 eingereichten Anspruches 1 falle. Die Anmelderin hat in der Eingabe vom 17. Juni 1996 in Erwiderung auf diesen Bescheid den Anspruchswortlaut dahingehend präzisiert, daß die zweite Konstantstromquelle einen zweiten Feldeffekttransistor eines zweiten Kanal-Typs (N2) aufweist und daß ein Source-Anschluß des zweiten Feldeffekttransistors des zweiten Kanal-Typs (N2) mit dem zweiten Versorgungspotential (Masse) verbunden ist. Ferner hat sie dargelegt, daß bei der aus D1 bekannten Einrichtung anstelle des Transistors T1 der Wiederstand Rref mit Masse verbunden sei und daß es aufgrund der Funktion des Doppelstromspiegels gemäß der Entgegenhaltung D1 nicht möglich sei, die Source des Transistors N7 mit Masse zu verbinden. Demzufolge sei der Gegenstand des neuen Anspruches 1 nicht nur neu gegenüber der Schaltung gemäß D1, sondern auch erfinderisch. Aus dieser Erläuterung ist zweifelsfrei klar, wie die Beschwerdeführerin die diesbezügliche Neuformulierung des Anspruches 1 vom 17. Juni 1996 interpretierte und worin sie den Unterschied gegenüber dem aus D1 Bekannten gesehen hat. Wenn die Prüfungsabteilung in der Neuformulierung eine weitergehende Interpretationsmöglichkeit gesehen hat, nämlich die der indirekten Verbindung, so hätte sie die Beschwerdeführerin vor einer Zurückweisung mit Rücksicht auf die eingereichten Erläuterungen auf die mangelnde Klarheit (Artikel 84 EPÜ) der gewählten Formulierung hinweisen müssen. Es bestand nämlich eine vernünftige Aussicht, daß sich der einzig erhobene Neuheitseinwand ohne weiteres beseitigen ließ. Eine entsprechende Klarstellung hat die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung nach erstmaliger Kenntnisnahme durch die Zurückweisungsentscheidung denn auch angeboten. Der Bescheid vom 14. Mai 1996 befaßt sich jedenfalls nicht mit der Verbindung des Source-Anschlusses des Feldeffekttransistors N7 (D1) mit Masse. Die Äußerung auf Seite 3, 3. Abschnitt, der angefochtenen Entscheidung, daß der Anmelderin die zur Zurückweisung der Anmeldung führenden Gründe bereits vorab mitgeteilt worden waren, findet auch in dem vorausgehenden Bescheid vom 1. Februar 1996 keine Stütze.
2.3. Die über die weitergehende Interpretationsmöglichkeit des Anspruchswortlautes hinausgehenden Gründe in der angefochtenen Entscheidung befassen sich mit der angeblichen Bedeutungslosigkeit des Widerstandes Rref in D1, der nach Auffassung der Prüfungsabteilung sogar Null gesetzt werden könnte. Eine Stütze für dieses Null-Setzen ist in D1 jedoch nicht zu finden. Die übrigen Überlegungen in diesem Zusammenhang wären auch lediglich im Rahmen einer Prüfung auf erfinderische Tätigkeit von Bedeutung. Mit der erfinderischen Tätigkeit befaßt sich das der Zurückweisungsentscheidung vorausgehende Prüfungsverfahren jedoch nicht.
3. Daraus folgt, daß die Beschwerdeführerin keine Gelegenheit hatte, sich vor der Zurückweisung zu der von der erst in der Zurückweisungsentscheidung festgestellten weitergehenden Interpretationsmöglichkeit des Anspruchswortlautes bzw. zum Null-Setzen des Widerstandes Rref von D1 im Rahmen der allein durchgeführten Neuheitsprüfung zu äußern. Der unter diesen Umständen erfolgte Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ ist als wesentlicher Verfahrensfehler zu werten; vgl. auch Artikel 96 (2), Regel 51 (2) und (3) EPÜ.
4. Dieser wesentliche Verfahrensmangel erfordert die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung (Artikel 111 (1) EPÜ und Artikel 10 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern). Dies bedeutet hier eine Fortsetzung des Prüfungsverfahrens auf der Grundlage der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge (Haupt- und Hilfsantrag unter Berücksichtigung der Beschreibung und Zeichnungen), ggf. auch unter Berücksichtigung der angebotenen Einfügung von "direkt" in den Anspruch 1.
5. Da der Beschwerde wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels stattgegeben wird, wird die beantragte Rückzahlung der Beschwerdegebühr in Übereinstimmung mit Regel 67 EPÜ angeordnet.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens aufgrund der vorliegenden Anträge (vgl. Abschnitte VIII. und 4. oben) unter Berücksichtigung der Beschreibung und Zeichnungen zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.