T 0931/98 22-03-1999
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Geradverbinder aus Kunststoff zur Verbindung von hohlen Abstandsprofilen und hohlen Sprossenprofilen eines Mehrscheibenisolierglases
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde ist gegen die Entscheidung einer Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 7. Juli 1998 gerichtet, die die europäische Patentammeldung Nr. 93 119 123.3 (Veröffentlichung EP-A1-0 606 565) aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen hat.
II. Der geltende Anspruch 1 dieser Patentanmeldung lautet wie folgt:
"Geradverbinder aus Kunststoff zur Verbindung von hohlen Abstandsprofilen und hohlen Sprossenprofilen eines Mehrscheibenisolierglases, mit einem flachen, länglichen Körper (1), von dem das eine Ende (2) in das eine Abstandsprofil A und das andere Ende (3) in das andere Abstandsprofil B einsteckbar sind und dessen Oberfläche mit wenigstens einem Anschlagelement (18) versehen ist, welches sich beim Einschieben des Geradverbinders in die miteinander zu verbindenden Abstandsprofile A und B gegen die einander zugewandten Profilstirnseiten C, D legt, wobei der Körper (1) einen Doppel-T-Querschnitt (17) aufweist, dessen mit Abstand parallele, waagerechte Querstege (9, 10) durch einen senkrechten Steg (8) miteinander verbunden sind und die im eingebauten Zustand des Geradverbinders die ihnen gegnüberliegenden Profilinnenwandoberflächen zumindest teilweise berühren, dadurch gekennzeichnet, daß der senkrechte Steg (8) mehrere Durchbrüche (4) in Form von Längsschlitzen aufweist, die sich über die ganze Höhe des Stegs erstrecken und einen freien Durchgangsquerschnitt bilden, der größer ist als die neben den Längsschlitzen verbleibende Materialfläche des Stegs (8)."
III. In ihrer Entscheidung hat die Prüfungsabteilung festgestellt, daß der Geradverbinder nach der Entgegenhaltung D1 (DE-U-9 110 972) und der Eckverbinder gemäß der Entgegenhaltung D2 (DE-A-2 364 908) im Grunde als Verbinder derselben Art zu sehen seien und daß D2 die Lehre enthalte, daß Öffnungen im Steg eines Verbinders zum "Durchfließen" von verschiedenen Mitteln wie Kitt bzw. Klebstoff geeignet seien und daß sich ein solches flüssiges bis dickflüssiges Mittel beim Vorhandensein von Öffnungen im Steg des Verbinders im Profil um den Verbinder besser verteile. Diese Lehre sei ohne weiteres auf den Verbinder nach D1 übertragbar.
IV. Die Beschwerde ist am 17. August 1998 unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr von der Patentanmelderin (Beschwerdeführerin) eingelegt worden. Mit der Beschwerdebegründung, die am selben Tag eingegangen ist, hat die Beschwerdeführerin beantragt:
- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der geltenden Unterlagen zu beschließen;
- hilsfweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Zur Begründung ihres Antrags brachte die Beschwerdeführerin unter anderem folgende Argumente vor:
Es treffe zwar zu, daß der Eckverbinder von D2 Durchbrüche aufweise, jedoch sei in D2 keine Rede von einem "Durchfließen" jedweden Materials (wie Molekularsiebteilchen oder eine Dichtungmasse in Form eines Kitts oder Klebstoffs) durch diese Öffnungen. In der Tat dienten diese Durchbrüche zur Verankerung des Kitts oder Klebstoffs, der sich in ihnen festsetzen solle, um den Verbinder in den beiden Hohlprofilkörperenden abzudichten und gleichzeitig mit diesen Enden fest zu verbinden. Für das Molekularsieb selbst bilde der Eckverbinder eine Sperre. Deshalb habe die Lehre aus D2 mit der in Rede stehenden Erfindung überhaupt nichts zu tun.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Ansprüche 1 und 2 sowie die neuen Beschreibungsseiten 3, 4 und 4a, die alle am 23. Mai 1996 eingereicht worden sind, erfüllen die Erfordernisse der Artikel 84 und 123 (2) EPÜ. Die im geltenden Anspruch 1 aufgeführten Merkmale sind in den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 4 offenbart, und der Anspruch 2 entspricht dem ursprünglich eingereichten Anspruch 5. Die neuen Beschreibungsseiten sind den geltenden Ansprüchen angepaßt und enthalten ferner eine Zusammenfassung der Entgegenhaltungen D1 und D2. Bei den Änderungen in Seite 3, Zeile 36 bis Seite 4, Zeile 20 handelt es sich um eine Ergänzung der im Stand der Technik verursachten Behinderung des Durchlaufs des Trockenmittels, die bereits in der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbart wird.
3. Nach Überprüfung der im Recherchenbericht genannten Entgegenhaltungen, die zusätzlich zu den beiden oben erwähnten Dokumenten D1 und D2 noch die Dokumente D3 (AU-B-513 000), D4 (DE-U-90 05 886) und D5 (DE-U-88 05 653) umfassen, ist aus keinem dieser Dokumente ein Geradverbinder bekannt, der alle Merkmale des Anspruchs 1 aufweist. Somit genügt der Gegenstand dieses Anspruchs den Erfordernissen des Artikels 54 EPÜ.
4. Der Oberbegriff des Anspruchs 1 ist von dem durch D1 bekanntgewordenen Geradverbinder hergeleitet, der dem Gegenstand dieses Anspruchs am nächsten kommt. Der Oberbegriff weist somit die Merkmale dieses bekannten Verbinders auf (Regel 29 (1) a) EPÜ). Bei der Herstellung von Mehrscheibenisolierglasrahmen haben die Geradverbinder allmählich die Eckverbinder ersetzt, weil dadurch am gesamten Rahmen eines Fensters oder dgl. die Zahl der Verbindungsstellen reduziert wird und ferner in dem Hohlraum des Abstandsprofils an den Rahmenecken keine Sperre mehr für das die Feuchtigkeit absorbierende Trockenmittel (in Form von einem hygroskopischen Pulver, einem sogenannten Molekularsieb) gebildet wird.
Der die Querstege verbindende, senkrechte Steg des Geradverbinders nach D1 wird von einem massiven Wandkörper gebildet, der keinen Durchbruch aufweist. Früher ging der Fachmann davon aus, daß die Glattwandigkeit dieser Wand sowie die zur Verfügung gestellten, durch das T-Profil gebildeten ziemlich großen Hohlräume auf beiden Seiten des senkrechten Stegs den Durchlauf des Trockenmittels bei seinem Einfüllen begünstigt.
5. Es ist jedoch aufgefallen, daß die Verteilung des Trockenmittels im gesamten Hohlraum des Abstandsprofils, und insbesondere im Bereich der durch den Geradverbinder gebildeten Verbindungsstelle, nicht immer gewährleistet war. Scheinbar setzt sich das pulverförmige Material des Trockenmittels bei seinem durch Einblasen durchgeführten Einfüllen aufgrund von Reibungswirkungen und elektrostatischer Aufladung des Kunststoffmaterials, aus dem der Geradverbinder besteht, auf beiden Wandoberflächen des senkrechten Stegs ab und blockiert durch einen stetigen Materialaufbau den Durchgang.
Ausgehend von D1 besteht somit die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe darin, den Geradverbinder der genannten Art so weiterzubilden, daß seine Durchlässigkeit für das in den Abstandshalterprofilrahmen einzufüllende Trockenmittel sichergestellt wird, ohne anderseits seine Stabilität zu beeinträchtigen.
6. Diese Aufgabe wird durch die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 gelöst.
Ausgehend von D1 konnte der Fachmann - sofern er an einen gelochten senkrechten Steg dachte - annehmen, daß die Löcher eine zusätzliche Reibungswirkung entfalten, weil die Teilchen des Pulvers an den Rändern und Kanten dieser Durchbrüche gewöhnlich hängen bleiben und somit die Verstopfung verschärfen. Überraschend haben jedoch Versuche gezeigt, daß bei der vorliegenden Erfindung diese Reibungswirkung geringer ist als an einer geschlossenen Wandoberfläche, so daß eine Verstopfungsgefahr bei dem Geradverbinder nach Anspruch 1 vermieden werden kann. Für die Lösung der vorliegenden Erfindung ist deshalb nicht auszuschließen, daß die beanspruchte relative Dimensionierung der Längsschlitze entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung eine wesentliche Rolle spielt, so daß die Lösung nicht nur im Vorhandensein von Durchbrüchen am senkrechten Steg zu sehen ist, sondern in der Gesamtkombination der kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1.
7. Die Entgegenhaltung D2 bezieht sich auf einen aus Kunststoff hergestellten Eckverbinder für Verbundfensterhohlrahmenprofile. Die beiden Schenkel des Eckverbinders sind je in einem zugeordneten Rahmenprofil einsteckbar, um die beiden Rahmenprofile miteinander zu verbinden. Der gesamte Körper dieses Verbinders weist einen Doppel-T-Querschnitt auf, jedoch ist der Körper gleichzeitig durch mehrere mit Abstand getrennte Führungsrippen unterteilt, die dazu dienen, den Profilquerschnitt des Hohlrahmens abzudichten.
Aus dieser Druckschrift ist es zwar bekannt, die verschiedenen durch diese Unterteilung getrennten, senkrechten Stege des T-Profils mit Durchbrüchen vorzusehen, jedoch haben die Löcher - entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung - einen völlig anderen Zweck als bei der vorliegenden Erfindung. Die Aufgabe dieser Entgegenhaltung besteht nämlich darin, einen Eckverbinder zu schaffen, der das Herausfallen des in die Rahmenprofile gefüllten Trockenmittels an der Rahmenecke verhindert und deshalb eine wirksame Abdichtung des Profilkörperhohlraumes des Fensterrahmens an dieser Ecke erreicht. Diese Aufgabe wird erstens durch das Vorhandensein der bereits erwähnten Führungsrippen des Eckverbinders gelöst, zweitens durch die Verwendung von Kitt- und Klebstoffmaterialien, die den Eckverbinder mit dem Rahmenprofil sicher verbinden. Auf Seite 6 dieser Entgegenhaltung wird offenbart, daß "Mittelstege mit Schlitzen oder Langlöchern versehen werden, die nicht nur eine Materialersparnis... mit sich bringen, sondern auch eine zusätzliche Verriegelungswirkung zwischen Eckverbinder und Hohlrahmenprofil, die dadurch bewirkt wird, daß der ... verwendete Kitt oder Klebstoff durch diese Schlitze oder Länglöcher hindurchtritt". Für einen Fachmann bedeutet der Begriff "hindurchtritt" in diesem Zusammenhang nicht, daß der Klebstoff durch die Löcher "fließen" wird. Im Gegenteil, das Material wird sich in diesen Löchern verhaken. Somit fehlt in dieser Entgegenhaltung jeglicher Hinweis auf ein "Fließen" durch Öffnungen.
Unzulässig ist es, einen in einer Entgegenhaltung verwendeten Begriff - hier "hindurchtritt" - derart auszulegen, daß durch diese Auslegung eine Wirkungsweise eines Elements - hier "das Fließen" durch Löcher - als implizite Offenbarung dieser Entgegenhaltung angegeben wird, obwohl diese Wirkungsweise über die darin explizit angeführte Wirkungsweise (nur ein Durchtritt) hinausgeht und sich für den Fachmann beim Lesen dieser Druckschrift nicht unmittelbar und deutlich ergibt (vgl. T 06/80, ABl. EPA 1981, 434; siehe auch T 71/93, ABl. Sonderausgabe, S. 23).
8. Weiterhin ist nicht nachvollziehbar, warum der Fachmann, der eine Lösung für die oben gestellte Aufgabe sucht, eine solche Entgegenhaltung in Betracht gezogen hätte, die keine Durchlässigkeit des Trockenmittels durch den Verbinder ermöglicht und gerade das Gegenteil zum Ziel hat, nämlich, daß das Trockenmittel nicht einmal an eine der Innenflächen des Eckverbinders gelangen kann.
Die Kombination der Lehre der Entgegenhaltung D2 mit der des nächstliegenden Stands der Technik nach D1 kann deshalb nur als das Ergebnis einer rückschauenden Betrachtungsweise gesehen werden. In Wirklichkeit widerspricht die sich auf das Durchlaufen von Trockenmittel beziehende Funktion des Verbinders nach D1 der Funktion des Verbinders nach D2, so daß im Hinblick auf die Aufgabe der vorliegenden Erfindung diese Druckschriften nicht miteinander kombiniert werden können (vgl. die Entscheidung T 02/81, ABl. EPA 1982, 394).
9. Darüber hinaus ist aus D2 auch kein Hinweis auf eine relative Dimensionierung der Schlitze oder Langlöcher und somit auf die Gesamtkombination der Merkmale der Lösung nach Anspruch 1 zu entnehmen.
10. In den anderen im Recherchenbericht zitierten Entgegenhaltungen wird dem Fachmann kein Hinweis gegeben, wie die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe gelöst werden kann. Diese Entgegenhaltungen offenbaren zwar Verbinder für Rahmenprofile eines Fensters oder dgl., derer Mittelstege mit Durchbrüchen versehen sind. Diese Löcher dienen jedoch ausschließlich der Materialeinsparung. Bei der Entgegenhaltung D3 handelt es sich schließlich um einen Eckverbinder für eine normale Tür, d. h. ohne Isolierglasscheiben und somit ohne Trockenmittel. Bei den aus D4 und D5 bekannten Verbindern für Isolierglasscheiben-Abstandhalterrahmen ist der Durchlauf eines Trockenmittels durch den jeweils offenbarten Verbinder unmöglich, da dieser ziemlich flach ist und keinen Hohlraum für das Durchlaufen aufweist.
11. Zusammenfassend kommt die Kammer zu der Schlußfolgerung, daß die Druckschriften D1 bis D5 weder für sich noch in Kombination miteinander dem Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 im Hinblick auf das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit patenthindernd entgegenstehen können, so daß der Gegenstand dieses Anspruchs auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht. Der abhängige Anspruch 2 bildet diesen Gegenstand weiter, so daß er ebenfalss gewährbar ist. Der hilfsweise gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung ist somit gegenstandlos.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein europäisches Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
- Ansprüche 1 und 2, eingereicht am 23. Mai 1996;
- Beschreibung: Seiten 3, 4 und 4a, eingereicht am 23. Mai 1996, und ursprünglich eingereichte Seiten 5 und 6;
- ursprünglich eingereichte Zeichnungen.