W 0003/09 (Zielsubstanz enthaltendes Produkt/DEGUSSA) 26-10-2009
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Verfahren zur Gewinnung von Produkten, die verschiedene Konzentrationen einer fermentativ hergestellten Verbindung enthalten
Sachverhalt und Anträge
I. Die Internationale Anmeldung PCT/EP2007/063738 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Gewinnung von verschiedene Konzentrationen an Zielsubstanzen enthaltenden Produkten" wurde am 11. Dezember 2007 mit 12 Ansprüchen eingereicht. Anspruch 1 hatte folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zur Herstellung von Produkten, die mindestens eine fermentativ hergestellte Zielsubstanz enthalten in mehreren Verfahrensstufen, bei denen man
a) die die gewünschte Zielsubstanz produzierenden Mikroorganismen in einem geeigneten Medium fermentiert und die Zielsubstanz dort anreichert,
b) anschließend die während der Fermentation gebildete Biomasse vollständig abtrennt,
c) die so erhaltene Lösung oder Suspension durch Wasserentfernung aufkonzentriert und die Zielsubstanz ausfällt, insbesondere auskristallisieren lässt,
d) die ausgefallene bzw. auskristallisierte Substanz abtrennt,
e) die in der als Mutterlauge I bezeichneten abgetrennten Lösung enthaltene Zielsubstanz in die gewünschte Produktform überführt, während man
f) den Wassergehalt der Mutterlauge I durch Verdampfen verringert und daraus
g) einen weiteren die Zielsubstanz enthaltenden Feststoff gewinnt."
II. Mit Bescheid vom 21. Juli 2008 hat das Europäische Patentamt in seiner Eigenschaft als Internationale Recherchenbehörde ("IRB") der Anmelderin, gestützt auf Artikel 17 (3) a) und Regel 40.1 PCT, eine Aufforderung zur Zahlung von 9 zusätzlichen Recherchengebühren mit dem Hinweis zugestellt, dass die internationale Anmeldung dem Erfordernis der Einheitlichkeit nicht entspreche. Diese Aufforderung stützte sich auf das Ergebnis einer Vorabrecherche, die unter anderem folgende Entgegenhaltungen ergeben hatte:
D1: DE-A-1268569;
D2: DE-A-1293707.
III. In der Zahlungsaufforderung definierte die IRB die 10 Gruppen von Erfindungen der Anmeldung wie folgt:
1. Ansprüche: 1-9 (teilweise), 11, 12 (vollständig)
Verfahren zur Herstellung von Produkten, die mindestens eine fermentativ hergestellte Zielsubstanz enthalten in mehreren Verfahrensstufen, bei denen man
a) die die gewünschte Zielsubstanz produzierenden Mikroorganismen in einem geeigneten Medium fermentiert und die Zielsubstanz dort anreichert
b) anschließend die während der Fermentation gebildete Biomasse vollständig abtrennt
c) die so erhaltene Lösung oder Suspension durch Wasserentfernung aufkonzentriert und die Zielsubstanz ausfällt bzw. auskristallisieren lässt
d) die ausgefallene Substanz abtrennt
e) die in der als Mutterlauge I bezeichneten abgetrennten Lösung enthaltene Zielsubstanz in die gewünschte Produktform überführt, während man
f) den Wassergehalt der Mutterlauge I durch Verdampfen verringert und daraus
g) einen weiteren die Zielsubstanz enthaltenden Feststoff gewinnt
wobei es sich bei der Zielsubstanz um L-Threonin handelt
2. Ansprüche: 1-9 (teilweise)
wie Erfindung 1, jedoch auf L-Homoserin beschränkt
3. Ansprüche: 1-9 (teilweise)
wie Erfindung 1, jedoch auf L-Tryptophan beschränkt
4. Ansprüche: 1-9 (teilweise)
wie Erfindung 1, jedoch auf L-Valin beschränkt
5. Ansprüche: 1-9 (teilweise)
wie Erfindung 1, jedoch auf L-Arginin beschränkt
6. Ansprüche: 1-9 (teilweise)
wie Erfindung 1, jedoch auf L-Methionin beschränkt
7. Ansprüche: 1-9 (teilweise)
wie Erfindung 1, jedoch auf L-Leucin beschränkt
8. Anspruche: 1-9 (teilweise)
wie Erfindung 1, jedoch auf L-Isoleucin beschränkt
9. Ansprüche: 1-9 (teilweise)
wie Erfindung 1, jedoch auf L-Tyrosin beschränkt
10. Ansprüche: 1-8 (teilweise), 10 (vollständig)
wie Erfindung 1, jedoch auf Vitamine beschränkt
IV. Zur Begründung der Zahlungsaufforderung führte die IRB aus, dass das ursprüngliche gemeinsame Konzept, welches den Gegenstand aller Ansprüche verbunden hätte, die Durchführung des Verfahrens in den Verfahrensstufen a)-g) (siehe "Erfindung 1" oben) gewesen sei. Derartige Verfahren zur Herstellung von Produkten, die mindestens eine fermentativ hergestellte Zielsubstanz enthalten, waren jedoch bereits vor dem Prioritätstag der vorliegenden Anmeldung bekannt. So beschrieben die Entgegenhaltungen D1 (siehe Spalte 5, Zeilen 7-62) und D2 (siehe Spalte 6, Beispiel 7) ein Verfahren zur Herstellung von Produkten, die fermentativ hergestellte L-Asparaginsäure bzw. Monoammoniumglutamat enthielten, wobei die L-Asparaginsäure bzw. das Monoammoniumglutamat in Stufe c) ausgefällt wurde.
Demnach könnte kein besonderes technisches Merkmal festgestellt werden, welches eine technische Wechselbeziehung zwischen den oben genannten Erfindungen 1-10 im Sinne der Regel 13.2 PCT herstellte.
Ausgehend vom Stand der Technik könnte daher die der Anmeldung zugrunde liegende Aufgabe nur noch als die Bereitstellung weiterer Verfahren zur Herstellung von Produkten gesehen werden, die mindestens eine weitere fermentativ hergestellte Zielsubstanz enthielten, bei denen die Verfahrensstufen a)-g) (siehe "Erfindung 1" im Absatz III oben) durchgeführt wurden. Jede Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe stelle daher eine eigene Erfindung dar.
V. Die Anmelderin hat mit Schreiben vom 13. August 2008 drei zusätzliche Recherchengebühren für die von der IRB als Erfindungen 2, 3 und 6 definierten Gruppen unter Widerspruch entrichtet und beantragt, die Uneinheitlichkeitsbeanstandung aufzuheben und die zusätzlich entrichteten Recherchengebühren zurückzuerstatten.
Zur Begründung wurden folgende Argumente vorgebracht:
Die Entgegenhaltungen D1 und D2 beträfen die Isolierung der reinen Verbindungen. Dagegen unterscheide sich das beanspruchte Verfahren von diesem Stand der Technik durch den Verfahrenschritt g), der darauf hin deute, dass man die Zielsubstanz nicht aus der Mutterlauge I isoliert sondern zusammen mit den weiteren Bestandteilen der Mutterlauge, die aus der Fermentation herrühren, einen diese Zielsubstanz enthaltenden Feststoff gewinne, was den üblichen Ausbeuteverlust bei der Aufarbeitung zum reinen Zielprodukt weitgehend oder vollständig vermeide. Der beanspruchte Gegenstand sei daher neu.
Die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe sei somit: Die Bereitstellung eines Verfahrens, das die üblichen Ausbeuteverluste bei der Aufarbeitung zum reinen Zielprodukt weitgehend oder vollständig vermeidet und die Herstellung einer festen, reinen Zielsubstanz und eines festen Produkts mit einem geringen Anteil an Zielsubstanz. Die Lösung dieser Aufgabe fände sich in der Maßnahme gemäß Stufe g), mit der ein die Zielsubstanz enthaltender Feststoff gewonnen werde.
VI. Am 4. Dezember 2008 hat der Überprüfungsausschuss der IRB im Rahmen der Überprüfung des Widerspruchs mitgeteilt, dass der Einwand der Nichteinheitlichkeit aufrechterhalten werde, und hat die Anmelderin für die weitere Prüfung des Widerspruchs zur Zahlung einer Widerspruchsgebühr innerhalb eines Monats aufgefordert.
VII. Die Anmelderin entrichtete die Widerspruchsgebühr und nahm erneut sachlich zur Frage der Einheitlichkeit Stellung.
Entscheidungsgründe
1. Die international Anmeldung wurde am 11. Dezember 2007 eingereicht. Dementsprechend sind die Vorschriften der PCT in der ab 1. April 2007 geltenden Fassung anzuwenden.
2. Nach dem Inkrafttreten des EPÜ 2000 sind die Beschwerdekammern weiter zuständig für Widersprüche betreffend früher eingereichten PCT-Anmeldungen, siehe Beschluss des Präsidenten des EPA vom 24. Juni 2007, Artikel 3, (Sonderausgabe Nr. 3 ABl. EPA 2007, 140) und die Mitteilung des EPA vom 24. Juni 2007, Punkt II. (Sonderausgabe Nr. 3 ABl. EPA 2007, 142), siehe auch W 16/08, Punkt 1.1-1.5 der Entscheidungsgründe.
3. Der Widerspruchsgebühr wurde fristgerecht entrichtet und der Widerspruch enthält eine Begründung, warum die internationale Anmeldung das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung erfülle. Das Widerspruch gilt als erhoben und ist zulässig (Regel 40.2 (c) und (e) PCT).
Prüfung des Widerspruchs
4. Gemäß Regel 13.1 PCT darf sich die internationale Anmeldung nur auf eine Erfindung oder eine Gruppe von Erfindungen beziehen, die so zusammenhängen, dass sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen. Das Fehlen der Einheitlichkeit kann a priori, also vor der Prüfung der Ansprüche in Bezug auf den durch die Recherche aufgefundenen Stand der Technik, erkennbar sein (siehe z. B. Entscheidung W 13/87 vom 9. August 1988). Im Hinblick auf die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/89 (Abl. EPA 1991, 155) ist die IRB jedoch auch befugt, eine Beanstandung a posteriori, also unter Berücksichtigung eines durch die Recherche aufgefundenen Standes der Technik nach einer vorläufigen Prüfung hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit zu erheben und gegebenenfalls weitere Recherchengebühren zu verlangen. Die Große Beschwerdekammer hat jedoch festgestellt, dass bei der vorläufigen Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit Zurückhaltung zu üben und in Grenzfällen davon auszugehen sei, dass eine Anmeldung das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung erfülle. Lediglich in klaren Fällen solle der Nichteinheitlichkeitseinwand erhoben werden (siehe Punkt 8.2 der Entscheidung).
5. Nach Regel 13.2 PCT ist das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nur erfüllt, wenn zwischen den beanspruchten Gegenständen ein technischer Zusammenhang besteht, der in einem oder mehreren gleichen oder entsprechenden besonderen technischen Merkmalen zum Ausdruck kommt. Unter dem Begriff "besondere technische Merkmale" sind diejenigen technischen Merkmale zu verstehen, die einen Beitrag zu jeder der beanspruchten Gegenständen als Ganzes zum Stand der Technik leisten.
6. In der Aufforderung zur Zahlung zusätzlicher Gebühren wurde von der IRB argumentiert, dass die Anmeldung das Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung nicht erfülle, weil aus dem Stande der Technik, und zwar sowohl aus der Entgegenhaltung D1 als auch aus der Entgegenhaltung D2 bereits ein Verfahren bekannt sei, das die Verfahrenstufen a)-g) (siehe "Erfindung 1" im Absatz III oben) aufweist und das zu Produkten führt, die mindestens eine fermentativ hergestellte Zielsubstanz (L-Asparaginsäure bzw. Monoammoniumglutamat) enthalten.
7. Dieser Analyse der genannten Entgegenhaltungen kann sich die Kammer aus folgenden Gründen nicht anschließen:
7.1 Aus dem Verfahren gemäß Anspruch 1 werden gleichzeitig zwei Produkte erhalten (daher die Bezeichnung als "Koppelproduktion" auf Seite 7, Zeile 20 der Beschreibung) und zwar 1) unter anderen eine auskristallisierte reine (siehe Seite 5, Zeilen 9-10 der Anmeldung) Zielsubstanz nach der ersten Fällung in Stufe d) und 2) ein die "Zielsubstanz enthaltender Feststoff" nach Einengen des Wassergehalt in Stufen f) und g).
7.2 Die Entgegenhaltung D1 (siehe Spalte 5, Zeilen 49-62) offenbart dagegen ein Verfahren, in dem fermentativ hergestellte L-Asparaginsäure in erster Fällung als reine Kristalle isoliert wird. Die restliche L-Asparaginsäure wird aus der Mutterlauge durch Konzentration und Kühlung ebenfalls als reine Kristalle (siehe Spalte 6, Zeile 42 und die Tabelle am Ende des Beispiels 1) gewonnen.
7.3 Die Entgegenhaltung D2 beschreibt (siehe Spalte 6, Beispiel 7) ein Verfahren, in dem das fermentativ hergestellte Monoammoniumglutamat in erster Fällung als reine Kristalle isoliert wird. Das restliche Monoammoniumglutamat wird aus der Mutterlauge durch Konzentration und Beimpfung mit kristallinem Monoammoniumglutamat bei 55ºC (gefolgt von weiteren Konzentrations-Kristallisation-Stufen) als reine Kristalle gewonnen.
7.4 Zur Beurteilung der Neuheit stellt sich daher die Frage, ob sich der Ausdruck "Zielsubstanz enthaltender Feststoff" in Stufe g) des Verfahrens gemäß des Anspruchs 1 auf reine Kristalle bezieht (d.h. kein Unterschied zum Stand der Technik) oder nicht. In anderen Worten: Es ist festzustellen, ob das Verringern des Wassergehaltes der Mutterlauge I durch Verdampfen gemäß der Stufe f) des Anspruchs 1 zu reinen Kristallen führt oder nicht.
7.5 Nach Auffassung der Kammer ist es sowohl dem Stand der Technik als auch der Anmeldung selbst zu entnehmen, dass das bloße Verringern des Wassergehaltes einer "Mutterlauge I" durch Verdampfen nicht ausreicht, um reine Kristalle zu erhalten. Entgegenhaltung D1 (siehe Seite 5, Zeilen 61-62: "durch Konzentration und Kühlung", Zeile 56: pH = 2.5 bis 3.5), Entgegenhaltung D2 (siehe Spalte 6, Zeilen 46-49 : 55ºC; Beimpfung mit Kristallen) und die vorliegende Anmeldung (siehe Seite 6, zweiten vollen Absatz: "Kühlungskristallisation") deuten darauf hin, dass zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind, um weitere Kristalle aus einer "Mutterlauge I" zu erhalten. Diese Maßnahmen sind nicht überraschend, wenn man die niedrigere Konzentration an Zielsubstanz und die erhöhte Konzentration an Verunreinigungen (nach Trennung der reinen Kristallen der ersten Fällung) in der "Mutterlauge I" berücksichtigt.
7.6 Die oben genannten zusätzlichen Maßnahmen sind in dem vorliegenden Anspruch 1 weder ausdrücklich erwähnt noch implizit. Vielmehr führt das Verringern des Wassergehaltes der Mutterlauge I durch Verdampfen gemäß der Stufe f) des Anspruchs 1 nicht zu reinen Kristallen, sondern zu einem Niederschlag (siehe Seite 6, Zeile 4 der Anmeldung: "Suspension"), der tatsächlich die Zielsubstanz und weitere Bestandteile enthält. Dieses Produkt unterscheidet sich von den reinen, aus den in den Entgegenhaltungen D1 und D2 beschriebenen Verfahren erhaltenen Kristallen.
7.7 Folglich gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass die Entgegenhaltung D1 das beanspruchte Verfahren nicht so deutlich beschreibt, dass ein Neuheitseinwand erhoben werden könnte. Dies trifft in analoger Weise auch auf die Entgegenhaltung D2 zu, bei der es sich um die Isolierung von Monoammoniumglutamat handelt.
8. Die Mitteilung des internen Überprüfungsausschusses, welcher den Einwand der mangelnden Neuheit von Anspruch 1 im Hinblick auf die Entgegenhaltungen D1 und D2 bestätigt, enthält keine zusätzlichen Elemente, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten.
9. Da somit von der Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gegenüber den Entgegenhaltungen D1 und D2 auszugehen ist, wäre nun weiter eine Prüfung der Frage einer erfinderischen Tätigkeit nötig, um zu dem Schluss kommen zu können, dass es den beanspruchten Erfindungen dennoch an Einheitlichkeit mangelt. Gemäß der Entscheidung G 1/89 (supra) sollte jedoch bei der Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit Zurückhaltung geübt werden und in Grenzfällen davon abgesehen werden, die Anmeldung auf Grund eines Mangels an erfinderischer Tätigkeit als uneinheitlich zu beurteilen. Im vorliegenden Fall ist die Kammer der Ansicht, dass die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes komplexe Erwägungen erfordern würde, welche im Hinblick auf die Gewährleistung einer fairen Verfahrensführung eine ausführliche Diskussion mit der Anmelderin verlangen würde. Folglich handelt es sich bei dem vorliegenden Fall nicht um einen klaren Fall im Sinne der Entscheidung G 1/89 (supra).
10. Aus dem Obigen folgt, dass die im Absatz III (supra) erwähnten "10 Gruppen von Erfindungen" einen technischen Zusammenhang aufweisen (siehe Regel 13.1 PCT). Die Aufforderung vom 12. Juli 2008 war somit nicht begründet und daher sind die entrichteten drei zusätzlichen Recherchengebühren zurückzuerstatten.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Rückzahlung der drei zusätzlich entrichteten Recherchengebühren und der Widerspruchsgebühr wird angeordnet.