Erfindung: Stabilisierte mRNA für neue Krebstherapien und die Behandlung genetischer Defekte
Die Entdeckung stabilerer mRNA-Verbindungen durch polnische und amerikanische Forscher eröffnet neue Wege in der Krebstherapie und der Behandlung ererbter genetischer Defekte sowie für die Geweberegeneration. Jacek Jemielity, Joanna Kowalska, Edward Darżynkiewicz und ihr Team waren es, die die sogenannten beta-S-ARCA und beta-B-ARCA-Verbindungen erfanden, die nun Eingang in Impfstoffe und Krebsmedikamente finden.
Die
"personalisierte Medizin" ist aktuell einer der ganz großen Trends in
der Wissenschaft. Dabei
werden Therapien und Medikamente auf molekularer Ebene ganz individuell an den
einzelnen Patienten und seine spezifischen Gegebenheiten angepasst.
Dank engagierter Projektarbeit
über vier Jahrzehnte hinweg haben die polnischen Wissenschaftler Jacek
Jemielity, Joanna Kowalska, Edward Darżynkiewicz und ihr amerikanisch-polnisches
Team mit ihren Verfahren zur Stabilisierung von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA)
das Gebiet der Proteinbiosynthese für die Herstellung personalisierter
Medikamente um einen bedeutenden Schritt vorangebracht.
Die Erzeugung
stabilerer mRNA ist ganz entscheidend, wenn es darum geht, die Produktion von
Proteinen in Gang zu setzen, die direkt gegen Krebs und andere Erkrankungen
wirken. Die patentierte Erfindung spannt das körpereigene Immunsystem des
Patienten dazu ein, therapeutische Proteine zur Bekämpfung von Krankheiten
herzustellen. Dieser Ansatz dürfte zu völlig neuartigen Vorgehensweisen bei der
Behandlung von vielen Millionen Menschen führen, die an an Krebs erkrankt sind oder
an genetischen Defekten leiden. Derzeit laufen klinische Studien zur Erprobung
dieser neuen Generation von Impfstoffen und Therapeutika.
Gesellschaftlicher Nutzen
Die
Überlebenschancen für Krebspatienten haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte
immer weiter erhöht. Aber die Behandlung der Krankheit kann den Patienten noch
immer sehr zusetzen, insbesondere aufgrund der Nebenwirkungen der Chemotherapie.
Die personalisierte Medizin ist der Schlüssel für zielgerichtete Therapien mit
nie dagewesener Wirksamkeit und bringt enorme Vorteile beispielsweise für
Patienten, die positiv auf bestimmte genetische Marker getestet werden.
Dass das therapeutische
Potenzial der mRNA so vielversprechend ist, liegt daran, dass es über sie
möglich wird, das Immunsystem eines Menschen so zu "programmieren",
dass es Proteine produziert, die bestimmte Krankheiten bekämpfen. Die
Erfindungen des Teams könnten sich als leistungsstarke Werkzeuge erweisen, um die
Möglichkeiten, die in der menschlichen DNA stecken, für medizinische Zwecke
voll ausschöpfen zu können. Bislang wurden mehr als 1 800 Krankheitsgene
identifiziert und es stehen schon mehr als 2 000 genetische Tests zur
Verfügung, aber das menschliche Genom besteht aus insgesamt 20 000 Genen.
Wirtschaftlicher Nutzen
Die Wissenschaftler der Universität Warschau waren ihrer Zeit voraus, als sie in den 1980er-Jahren stabile mRNA-Formen als therapeutische Vehikel erforschten. Nach der Entdeckung vielversprechender mRNA-Komponenten wurden ihre Erkenntnisse von einem Team unter Leitung von Prof. Robert E. Rhoads und Dr. Ewa M. Grudzian-Nogalska am Louisiana State University Health Sciences Centre (USA) bestätigt, das die Erfindung noch weiterentwickelte. 2008 meldeten sie europäische Schlüsselpatente an und gingen eine Partnerschaft mit dem deutschen Biopharma-Unternehmen BioNTech ein, um ihr patentiertes mRNA-Stabilisierungsverfahren zu vermarkten.
Die klinischen
Studien begannen 2010, und einige Jahre später fing BioNTech damit an, Lizenzen
für die mRNA-Technologie an große Pharmaunternehmen wie das multinationale
französische Unternehmen Sanofi S.A. oder das US-Unternehmen Genentech, das zum
ebenfalls multinationalen Schweizer Pharmariesen F. Hoffmann-La Roche AG
gehört, zu vergeben. In Zusammenarbeit mit Genentech testet BioNTech die
Technologie sowohl als eigenständige Behandlung als auch in Kombination mit dem
Krebsmedikament Tecentriq von Roche.
Experten bei Market Research Future gehen davon aus, dass der globale
Markt für personalisierte Medizin sich im Jahr 2022 auf 72 Mrd. EUR
belaufen wird. Das wäre dann mehr als doppelt so viel wie die 32 Mrd. EUR,
auf die er 2015 beziffert wurde. Führend in diesem Markt ist Nordamerika, gefolgt
von Europa. Wachstumstreiber sind die zunehmende Patientenbeteiligung an den
Entwicklungen im Gesundheitswesen, die Zusammenführung von Daten aus einem viel
breiteren Spektrum an Quellen sowie der Eingang drahtloser Technologien in tragbare
medizinische Geräte, aber auch ein Anstieg genetisch bedingter Krankheiten.
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Joanna Kowalska, Edward Darżynkiewicz und Jacek Jemielity (von links nach rechts)
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Joanna Kowalska
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Stabilisierte Messenger-RNS
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Jacek Jemielity
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Jacek Jemielity, Joanna Kowalska und Edward Darżynkiewicz (von links nach rechts)
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Jacek Jemielity, Joanna Kowalska und Edward Darżynkiewicz (von links nach rechts)
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Joanna Kowalska
Funktionsweise
Die DNA enthält
die unzähligen Gene und Anleitungen zur Produktion der vielen verschiedenen
Proteine, Enzyme und anderer Moleküle, die den menschlichen Körper bilden. Die
Ribosomen in jeder einzelnen Zelle produzieren Proteine. Eine ungenügende oder
fehlerhafte Proteinproduktion führt zu verschiedenen Erkrankungen.
Wissenschaftler
und Pharmaunternehmer forschen seit einiger Zeit daran, wie man bestimmte
Krebserkrankungen und Erbkrankheiten mithilfe der mRNA behandeln kann, indem
man diese dazu bringt, den Zellen ganz gezielte Anweisungen zu liefern. So
sollen die zelleigenen Mechanismen zur Proteinproduktion in den Ribosomen
angeregt werden, genau die Proteine zu produzieren, die zur Bekämpfung der
jeweiligen Krankheit benötigt werden. Die Krux besteht allerdings darin, dass
die mRNA eine wenig stabile, lediglich temporäre Kopie eines Gens ist, die
einen kurzlebigen Code für die Anleitung der Produktion von Proteinen durch die
Ribosomen liefert.
Die Erfindung von
beta-S-ARCA und beta-B-ARCA hat das Verständnis der Proteinbiosynthese in den
Zellen vorangebracht und damit zu besseren mRNA-basierten Arzneimitteln geführt.
Das Team hat entdeckt, dass die beta-S-ARCA und beta-B-ARCA-Verbindungen eine
stabilere mRNA hervorbringen, die zur Anleitung der Produktion von Proteinen in
den Zellen viel effektiver ist als ihr natürliches Pendant.
Die Erfinder
Edward Darżynkiewicz erwarb seinen Doktortitel 1976 an der Universität
Warschau (UW) und ist dort seit 2009 ordentlicher Professor für Physik. Er leitet sowohl das Labor für
Genexpression als auch das interdisziplinäre Labor für Molekularbiologie und
Biophysik der Universität. 2015 wurde ihm die Leon-Marchlewski-Medaille für hervorragende
Leistungen auf den Gebieten der Biochemie und der Biophysik verliehen. Er hat 208
wissenschaftliche Publikationen mitverfasst und ist als Erfinder in drei
europäischen und einem US-amerikanischen Patent genannt.
Jacek Jemielity ist seit 2013 als Professor für bioorganische Chemie am
Zentrum für neue Technologien der UW tätig und leitet dort mittlerweile das
Labor für bioorganische Chemie. Er ist als Erfinder in drei europäischen
Patenten genannt und hat fast 100 wissenschaftliche Publikationen verfasst. Er
wurde mit dem Rektorenpreis der UW für seine wissenschaftlichen Leistungen
sowie mit dem Preis der Fakultät für Physik der UW ausgezeichnet.
Joanna Kowalska lehrt seit 2011 an der UW am Fachbereich Biophysik der
Fakultät für Physik. Aktuell fungiert sie außerdem als Projektleiterin. Sie hat
über 50 wissenschaftliche Arbeiten publiziert und wird als Erfinderin in drei
europäischen Patenten genannt. Auch sie hat den Rektorenpreis der UW als
"Auszeichnung zweiten Grades" erhalten, den Preis der Fakultät für Physik
sowie die Prof. Pieńkowski-Auszeichnung.
Für ihre
Erfindungen bekamen Jemielity, Kowalska, Darżynkiewicz und ihr Team 2017 den
Wirtschaftspreis des polnischen Präsidenten in der Kategorie "Forschung
und Entwicklung" verliehen.
Wussten Sie das?
Die Erfindung der mRNA-Stabilisierung ist ein
Paradebeispiel einer grenzüberschreitenden Innovationsentwicklung. Jemielity und
sein polnisches Team konnten die Pionierarbeit für die neue Technologie
mithilfe der von amerikanischen Partnern zur Verfügung gestellten Einrichtungen
zur In-vitro-Untersuchung synthetisch hergestellter mRNA leisten.
Das Ergebnis dieser polnisch-US-amerikanischen
Zusammenarbeit ist nicht die erste transatlantische oder transpazifische Kooperation,
die beim Europäischen Erfinderpreis gewürdigt wird. So arbeitete beispielsweise
der US-amerikanische Biochemiker Stephen Fodor bei der Entwicklung des DNA-Chips eng mit
niederländischen Partnern zusammen (Gewinner in der Kategorie "KMU"
2006). Unter den Gewinnern war auch ein Team US-amerikanischer und indischer
Wissenschaftler, das ein UV-Wasserentkeimungsgerät entwickelt hatte (Gewinner in der
Kategorie "Nicht-EPO-Staaten" 2011).
Ein Südkoreaner und ein Österreicher haben in
Zusammenarbeit ein kostengünstigeres, schnelleres und saubereres Verfahren zur Stahlverhüttung entwickelt und schafften es damit 2013 unter die
Finalisten in der Kategorie "Nicht-EPO-Staaten". Und einer der
Finalisten des Jahres 2017 in der Kategorie "Lebenswerk" erzielte einige
seiner bahnbrechendsten Erfolge im Rahmen von Forschungsaufenthalten im Ausland:
Der deutsche Molekularbiologe Axel Ullrich entwickelte revolutionäre gentechnische Verfahren
an der University of California in San Franzisco (UCSF) und bei internationalen
Unternehmen wie Genentech Inc. - auch an diesem Beispiel wird deutlich, wie
wichtig offene Grenzen in der Wissenschaft sind.