T 1086/13 (Katalysatorträger/WACKER) 07-04-2016
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VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON STABILEN BINDER-FREIEN HOCHREINEN FORMKÖRPERN AUS METALLOXIDEN UND DEREN ANWENDUNG
Änderungen - Hauptantrag verletzt Artikel 84, 123 (2) bzw. 123(3) EPÜ
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (ja)
Verschlechterungsverbot (Verbot der "reformatio in peius") - 1. Hilfsantrag nicht gewährbar
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - 2. Hilfsantrag
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents Nr. 2 102 131 in geändertem Umfang.
II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des gesamten Patents beantragt. Als Einspruchsgründe hatte sie fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) geltend gemacht. Der Einspruch stützte sich unter anderem auf die Entgegenhaltungen
D2: DE 41 42 902 A1 und
D4: DE 199 43 103 A1.
III. Die geänderten, von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten unabhängigen Ansprüche 1 und 4 gemäß dem damals anhängigen Hauptantrag lauten wie folgt (Änderungen gegenüber den erteilten Ansprüchen durch die Kammer kenntlich gemacht):
"1. Katalysatorträger, dadurch gekennzeichnet, dass er ein stabiler, Bindemittel-freier, getrockneter und/oder gesinterter hochreiner Formkörper aus einem oder mehreren amorphen feinkörnigen pyrogenen Metalloxiden mit einer Aggregatgröße von 100 nm bis 500 nm, [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] gemessen mit dynamischer Lichtstreuung, ist, wobei die BET-Oberfläche des Formkörpers zwischen 30 m**(2)/g und 400 m**(2)/g beträgt und die Druckfestigkeit mindestens [deleted: 2] 10 N/mm**(2) beträgt und der Anteil an Abplatzungen in Gegenwart von Flüssigkeiten oder Gasen weniger als 5 Gew.% und die Summe an Verunreinigungen (alle Metalle sowie Kohlenstoff und Phosphor und Schwefel) kleiner [deleted: 4][deleted: 00] 100 ppm ist."
"4.[deleted: 9.] Verfahren zur Herstellung von [deleted: Formkörpern] Katalysatorträgern aus einem oder mehreren Metalloxiden, dadurch gekennzeichnet dass zumindest ein Metalloxid in Wasser vordispergiert und anschließend feindispergiert wird und diese Dispersion einer Koagulation der Dispersion durch Änderung des pH-Werts unterzogen wird, wobei nach der Koagulation der Speichermodul G' größer 10000 Pa, der Quotient aus Verlustmodul G''/Speichermodul G' kleiner 1 und der Speichermodul nach einer Lagerzeit von 1 Woche größer als 70% des Ausgangswertes ist, und sodann eine Formgebung und ein darauf folgendes Trocknen und/oder Sintern erfolgt, wobei die Dispersion einen Anteil an pyrogenen Metalloxid-Partikeln zwischen 5 und 40 Gew.-% aufweist oder wobei die Dispersion einen Feststoffgehalt von 5 Gew.-% bis zu 65 Gew.-% aufweist, wenn man den pyrogenen Metalloxid-Partikeln gefällte Metalloxid-Partikel beimischt."
IV. In der angegriffenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung bezüglich dieser Ansprüche zu folgenden Schlüssen:
- Die Ansprüche seien im Hinblick auf die Artikel 84, 123(2) und 123(3) EPÜ nicht zu beanstanden.
- Die Neuheit des Gegenstands der Ansprüche sei nicht streitig und auch nicht zu beanstanden.
- Ausgehend von D2 (Beispiel 3) als nächstliegendem Stand der Technik sei ein Katalysatorträger laut Anspruch 1, sowie das Verfahren nach Anspruch 4, nicht naheliegend, auch nicht unter Berücksichtigung der weiteren Entgegenhaltungen.
V. In ihrer Beschwerdebegründung erhob die Beschwerdeführerin (Einsprechende) bezüglich der für gewährbar erachteten Ansprüche unter anderem einen Einwand nach Artikel 123(2) EPÜ gegen die Hinzufügung des Aggregatgrößenbereichs in Anspruch 1. Ferner machte sie unter anderem bezüglich Anspruch 4 mangelnde Neuheit geltend, wobei sie sich insbesondere auf D4 bezog.
Zur Untermauerung ihres Vortrags bezog sie sich auch auf auf zwei zusätzliche, neu eingereichte Entgegenhaltungen.
VI. Mit ihrer Erwiderung vom 4. Februar 2014 reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) unter anderem einen neuen Antrag in Form eines geänderten Anspruchssatzes und geänderter Beschreibungsseiten ein. Sie wies sämtliche von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände zurück, wobei sie auch auf die neu eingereichte Produktspezifikationen Bezug nahm.
VII. Daraufhin reichte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 5 Februar 2016 nebst weiteren Beweismitteln auch drei geänderte Anspruchssätze als neuen Hauptantrag bzw. als Hilfsanträge 1 und 2 ein. Sie nahm erneut zur Zulässigkeit der neu eingereichten Beweismittel und der Änderungen in den Ansprüchen Stellung, sowie zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit.
VIII. In einem weiteren Schreiben vom 16 März nahm die Beschwerdeführerin zu den neuen Anträgen Stellung, unter anderem zur Zulässigkeit der Beweismittel und der in den Ansprüchen vorgenommenen Änderungen, sowie zur Neuheit gegenüber D2.
IX. In einer in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erlassenen Mitteilung nahm die Kammer zu den zu erörternden Punkten Stellung.
X. Die mündliche Verhandlung fand am 7. April 2016 statt.
Die Beschwerdegegnerin hielt den von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Anspruchsatz als Hauptantrag aufrecht, reichte aber zwei geänderte Anspruchssätze als neue Hilfsanträge 1 und 2 ein. Bezüglich des Verfahrens laut den Ansprüchen des
2. Hilfsantrags zog die Beschwerdeführerin ihren auf D4 basierenden Neuheitseinwand ausdrücklich zurück.
Anspruch 1 gemäß dem neuen Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 laut Hauptantrag (siehe Punkt III, supra) insbesondere durch die Streichung des Merkmals
"mit einer Aggregatgröße von 100 nm bis 500 nm, gemessen mit dynamischer Lichtstreuung".
Anspruch 1 gemäß dem neuen 2. Hilfsantrag lautet wie folgt (Änderungen gegenüber Anspruch 9 wie erteilt durch die Kammer kenntlich gemacht):
"1[deleted: 9]. Verfahren zur Herstellung von Formkörpern als Katalysatorträger aus einem oder mehreren Metalloxiden, dadurch gekennzeichnet dass zumindest ein Metalloxid in Wasser vordispergiert und anschließend feindispergiert wird und diese Dispersion einer Koagulation der Dispersion durch Änderung des pH-Werts unterzogen wird, wobei nach der Koagulation der Speichermodul G' größer 10000 Pa, der Quotient aus Verlustmodul G''/Speichermodul G' kleiner 1 und der Speichermodul nach einer Lagerzeit von 1 Woche größer als 70% des Ausgangswertes ist, und sodann eine Formgebung und ein darauf folgendes Trocknen und/oder Sintern erfolgt, wobei die Dispersion einen Anteil an pyrogenen Metalloxid-Partikeln zwischen 5 und 40 Gew.-% aufweist oder wobei die Dispersion einen Feststoffgehalt von 5 Gew.-% bis zu 65 Gew.-% aufweist, wenn man den pyrogenen Metalloxid-Partikeln gefällte Metalloxid-Partikel beimischt."
Ansprüche 2 bis 5 laut dem 2. Hilfsantrag betreffen speziellere Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1.
XI. Finale Anträge
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis der Ansprüche laut 1. Hilfsantrag oder 2. Hilfsantrag, beide eingereicht während der mündlichen Verhandlung.
XII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) können wie folgt zusammengefasst werden.
Hauptantrag
In Anspruch 1 sei der Ausdruck "Formkörper aus" im Hinblick auf den Wortlaut eindeutig als "Formkörper bestehend aus" zu verstehen und nicht, wie von der Patentinhaberin vertreten, als "Formkörper hergestellt aus".
Die im Verlauf des Einspruchsverfahrens erfolgte Aufnahme der Merkmale "amorphen feinkörnigen pyrogenen Metalloxide mit einer Aggregatgröße von 100 nm bis 500 nm, gemessen mit dynamischer Lichtstreuung" aus der Beschreibung in Anspruch 1
i) führe bei Auslegung im Sinne von "Formkörper bestehend aus ...") zum einem ursprünglich nicht offenbarten Gegenstand (Artikel 123(2) EPÜ, bzw.
ii) bewirke bei Auslegung im Sinne von "Formkörper hergestellt aus ...") eine Unklarheit (Artikel 84 EPÜ), weil nicht ersichtlich sei, welche Beschränkung dadurch impliziert sei.
Da Anspruch 1 die BET Oberfläche angibt, ohne (unter anderem) zu definieren, ob und wie der Formkörper gesintert werde, sei bei Auslegung gemäß ii) nicht deutlich ersichtlich (Artikel 84 EPÜ), bezüglich welcher bestimmbarer Eigenschaften der beanspruchte Formkörper durch die Definition der Aggregatgröße des Ausgangsmaterials eingeschränkt sei.
Aufgrund des Fehlens des Begriffs "Formkörper" (im Vergleich zu Anspruch 9 wie erteilt) sei Anspruch 4 nach Artikel 123(3) EPÜ zu beanstanden, da eine "Formgebung" auch eine Granulierung umfasse.
Der Hauptantrag sei daher nicht gewährbar.
1. Hilfsantrag
Die Streichung des Aggregatgröße-Merkmals in Anspruch 1 verschlechtere die Rechtsstellung der Einsprechenden als einziger Beschwerdeführerin, entgegen dem Verschlechterungsverbot der G 1/99 (Abl. 8-9/2001, 381), da sie zu einer Erweiterung des beanspruchten Gegenstands - im Vergleich zu den von der Einspruchs-abteilung für gewährbar erachteten Ansprüchen - führe.
Die in Anspruch 1 angegebenen Wertebereiche für die BET-Oberfläche und Druckfestigkeit des Formkörpers entsprächen nicht unmittelbar dem Aggregatgrößenbereich des Ausgangsmaterials. Diese Aggregatgröße habe zudem auch einen Einfluss auf (unter anderem) die Porosität des Formkörpers, welche aber nicht definiert sei. Da keine lineare Beziehung zwischen der Aggregatgröße und der BET-Oberfläche des Formkörpers vorliege, und Angaben betreffend die innere Porosität des Formkörpers im Anspruch fehlen, seien die Aggregate des Ausgangsmaterials aufgrund der Änderung weniger genau morphologisch charakterisiert. Somit könnten die im Anspruch 1 angegebenen Wertebereiche für die BET-Oberfläche und Druckfestigkeit des Formkörpers nicht ausreichend und unmittelbar dem gestrichenen Aggregatgrößenbereich des Ausgangsmaterials entsprechen.
Der 1. Hilfsantrag sei daher nicht zu gewähren.
2. Hilfsantrag - Erfinderische Tätigkeit
Dokument D4 stelle den nächstliegenden Stand der Technik dar, da es auch die Herstellung von Formkörpern, welche sich als Katalysatorträgern eignen, betreffe.
D4 offenbare ein Verfahren zur Herstellung von Formkörpern als Katalysatorträger (Seite 5, Zeile 62) aus Dispersionen oxidischer Materialen, die vor- und nach-dispergiert werden (Beispiel 1). Vor der Formgebung könne die Dispersion einer Koagulation durch Änderung des pH-Werts unterzogen werden (Seite 4, Zeilen 24-28). Diese bevorzugte Variante könne unter anderem mit Ammoniak ausgeführt werden. Diese pH Änderung bewirke zwingend eine Koagulation. Der Anteil an pyrogenen Metalloxiden betrage 5-50 Gew.% (Seite 5, Zeile 51; Beispiel 1, 5.06 Gew.%). Da gemäß Streitpatent (Absatz [0030]) die Koagulation der Dispersion zwangsläufig zu einem viskoelastischen Festkörper führe, würden die im Anspruch 1 definierten Speicher- und Verlustmodule G' und G'' und Lagerzeit immer erreicht. Auch der Feststoffgehalt von 5 bis 40 Gew.-% habe keinen relevanten Einfluss auf die Eigenschaften des Formkörpers. Den Parameterangaben in Anspruch 1 entspreche kein besonderer Effekt.
Somit bestehe die zu lösende technische Aufgabe lediglich in der Bereitstellung eines weiteren Verfahrens, mittels dessen Formkörper mit möglichst wenig Verunreinigungen hergestellt werden können (vgl. Absatz [0017] des Streitpatents).
Im Zusammenhang mit der erfinderischen Tätigkeit spielten die von der Beschwerdegegnerin hervorgehobenen Merkmale "Reinheit", "Festigkeit" und "(Meso)Porosität" keine Rolle, zumal sie nicht in den Ansprüchen definiert seien. Darüber hinaus offenbare oder suggeriere D4 (Beispiel 1 und allgemeine Offenbarung) alle Verfahrenschritte des Verfahrens laut Anspruch 4. Dessen Gegenstand sei demnach naheliegend.
XIII. Die für die Entscheidung relevanten Gegenargumente der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) können wie folgt zusammengefasst werden.
Hauptantrag
Die Merkmale "aus ... amorphen feinkörnigen pyrogenen Metalloxiden mit einer Aggregatgröße von 100 nm bis 500 nm, gemessen mit dynamischer Lichtstreuung, ist" in Anspruch 1 charakterisieren das Ausgangsmaterial des Formkörpers. Die Wahl dieser Aggregatgröße führe zu den gewünschten Eigenschaften des fertigen Formköpers, wie etwa BET-Oberfläche, Porosität und Druckfestigkeit.
Da Anspruch 4 auf Katalysatorträger beschränkt sei, impliziere er auch zwangsläufig die Herstellung eines Formkörpers.
Hilfsantrag 1
Das beanstandete Merkmal betreffend die Aggregatgröße sei in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 gestrichen, da dessen Auswirkung auf den Formkörper in Anspruch 1 ohnehin durch die Angaben zur BET-Oberfläche und Druckfestigkeit definiert sei. Es sei korrekt, dass keine direkte lineare Beziehung zwischen Aggregatgröße und BET Oberfläche bestehe. Aber die Festkörper, die aus Ausgangsmaterialien mit diesen Aggregatgrößen hergestellt werden, weisen die angestrebten Eigenschaften auf. Die Aggregatgröße des Edukts spiegele sich in der BET-Oberfläche des fertigen Produkts wider. Daher liege keine Erweiterung vor.
Hilfsantrag 2
Dieser Antrag überwinde alle erhobenen Einwände, da er lediglich Verfahrensansprüche umfasse. Die ausgeführten Änderungen haben eine ersichtliche Grundlage, seien also prima facie formal zulässig.
Das beanspruchte Verfahren sei unbestritten neu.
D4 offenbare die Verwendung von Dispersionen mit einem sehr hohen Feststoffgehalt von über 80 Gew.-%, woraus nur Festkörper geringer Porosität hergestellt werden können.
Somit bestehe ausgehend von D4 als nächstliegendem Stand der Technik die technische Aufgabe in der Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung von anderen Formkörpern, mit gewissen Porositäten und Festigkeiten, unter Verwendung von Dispersionen mit einem im Verhältnis niedrigerem Feststoffgehalt.
In Beispiel 1 von D4 werde die Dispersion zur Formgebung direkt gegossen. Die in D4 angesprochene, bevorzugte pH-Änderung bezwecke das flüssig-Halten der Dispersion. Im beanspruchten Verfahren laut Anspruch 1 werde die pH-Änderung hingegen verwendet, um die Dispersion fester zu machen. Die niedrig-gefüllte Dispersion des beanspruchten Verfahrens führe dadurch zu poröseren Formkörpern mit höherer Druckfestigkeit. Gemäß D4 (Seite 3, Zeile 13) führe die Herabsetzung des pH-Werts zu einer Verringerung der Thixotropie. Daraus folge, dass die weiteren Unterschiede in den Speichermodulen G' und G'' nicht automatisch aus dem Verfahren nach D4 resultieren könnten, da kein viskoelastisches System angestrebt werde. Die Breite des Anspruchs 1 spiele keine Rolle, weil ein Verfahren nach D4 nicht zu einem Verfahren gemäß Anspruch 1 führen könne.
Folglich lag das beanspruchte Verfahren nicht nahe.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag
1. Änderungen
1.1 Mangelnde ursprüngliche Offenbarung bzw. mangelnde Deutlichkeit - Anspruch 1
1.1.1 Der unabhängige Produktanspruch 1 betrifft einen "Katalysatorträger", ebenso wie der erteilte Anspruch 18. Letzterer betrifft (laut einer von zwei Varianten) einen "Katalysatorträger", der ein "Formkörper nach einem der Ansprüche 1 bis 8 ist" (Hervorhebung durch die Kammer).
Verglichen mit dieser Variante von Anspruch 18 wie erteilt enthält der vorliegende Anspruch 1 zusätzliche Merkmale, unter anderem die Merkmale, wonach der "Katalysatorträger ... ein ... Formkörper aus einem oder mehreren amorphen feinkörnigen pyrogenen Metalloxiden mit einer Aggregatgröße von 100 nm bis 500 nm, gemessen mit dynamischer Lichtstreuung, ist".
1.1.3 Für die Kammer ist der Ausdruck "Formkörper aus" im Kontext des Anspruchs eindeutig und zweifellos im Sinne von "Formkörper bestehend aus" zu verstehen. Dementsprechend ist Anspruch 1 auf einen Formkörper gerichtet, der (in seinem fertigem Zustand) aus amorphen feinkörnigen pyrogenen Metalloxiden mit der definierten Aggregatgröße besteht.
1.1.4 Die Beschwerdegegnerin bestritt nicht, dass ein derartiger Gegenstand in der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung nicht offenbart ist.
1.1.5 Unter Zugrundelegung der Auslegung gemäß 1.1.3, supra, erfüllt Anspruch 1 aufgrund der in den erteilten Ansprüchen vorgenommenen Änderungen nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
1.1.6 Die Beschwerdegegnerin vertrat jedoch die Auffassung, dass sich die besagten Merkmale (betreffend die Aggregatgröße) nicht auf den fertigen Formkörper, sondern auf das verwendete Ausgangsmaterial beziehen. Dies sei aus der Beschreibung des Verfahrens zur Herstellung der Formkörper ersichtlich (siehe insbesondere Seite 5, Zeilen 19 bis 21, der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung bzw. Absatz [0021] der Patentschrift).
Der Ausdruck "Formkörper aus" sei demnach als "Formkörper hergestellt aus" zu verstehen.
1.1.7 Auf Basis dieser Auslegung (arguendo) ist aus
Anspruch 1 nach dem Dafürhalten der Kammer jedoch nicht deutlich ersichtlich, an Hand welcher bestimmbarer physikalischer Eigenschaften eines (fertigen) anspruchsgemäßen Formkörpers feststellbar sein soll, ob er notwendigerweise unter Verwendung von Ausgangsmaterialien mit der definierten Aggregatgröße erhalten wurde.
1.1.8 Zudem ist bezüglich der (teilweisen) Abfassung des Anspruchs in "product-by-process"-Form das Erfordernis der mangelnden anderweitigen Beschreibbarkeit nicht erfüllt. Die Kammer kann im vorliegenden Fall nicht ausschließen, dass der beanspruchte Formkörper durch andere zusätzliche physikalische Merkmale oder Eigenschaften hätte definiert werden können.
i) So wird laut Vortrag der Beschwerdegegnerin (siehe auch Seite 14, Zeile 31, bis Seite 15, Zeile 10, der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung) durch Einsatz feinteiliger Oxide ein hohes Porenvolumen erhalten, und durch Kalzinierung soll sich ein mehr als 50%-iger Anteil an Poren mit einem Durchmesser zwischen 10 nm und 20 nm bilden.
ii) Allerdings ist weder die Porosität noch das Porenvolumen (Produktmerkmale) zur Definition des beanspruchten Produkts in Anspruch 1 aufgenommen worden, sondern nur das das bemängelte "product-by-process"-Merkmal.
1.1.9 Im Ergebnis ist der derart - im Sinne der Beschwerdegegnerin - ausgelegte Anspruch 1 daher aufgrund der in den erteilten Ansprüchen vorgenommenen Änderungen - wegen mangelnder Deutlichkeit (Artikel 84 EPÜ) zu beanstanden.
1.2 Schutzbereichserweiterung - Anspruch 4
1.2.1 Der unabhängige Verfahrensanspruch 4 entspricht dem erteilten unabhängigen Verfahrensanspruch 9, wobei im Rahmen der vorgenommenen Änderungen (siehe III, supra) der Begriff "Formkörper" aus dem Anspruch gestrichen worden ist.
1.2.2 Für die Kammer umfasst das beanspruchte Verfahren somit die Herstellung eines "Katalysatorträgers" im weitesten Sinn, z.B. auch in Form eines Granulats. Insbesondere ist ein einfaches Granulieren nach dem Dafürhalten der Kammer von einer laut Anspruch 4 erforderlichen "Formgebung" umfasst, obwohl es nicht zu einem "Formkörper" im Sinn des Streitpatents (siehe Absatz [0035]) führt.
1.2.3 Ein derartiger Katalysatorträger (in Form eines Granulats statt eines Formkörpers) war allerdings nicht Gegenstand der erteilten Ansprüche.
1.2.4 Folglich verstößt Anspruch 4 aufgrund der Streichung des Merkmals "Formkörper" gegen die Erfordernisse von Artikel 123(3) EPÜ.
1.3 Der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin ist demnach nicht gewährbar.
Hilfsantrag 1
2. Zulässigkeit des Antrags ins Verfahren
Hilfsantrag 1 wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht, und zwar in unmittelbarer Reaktion auf den Verlauf der Debatte betreffend die umstrittenen Merkmale "aus ... amorphen feinkörnigen pyrogenen Metalloxiden mit einer Aggregatgröße von 100 nm bis 500 nm, gemessen mit dynamischer Lichtstreuung, ist". Die Beschwerdeführerin erhob keinen Einwand betreffend den Zeitpunkt der Einreichung dieses Antrags.
2.2 Die Kammer entschied daher, diesen Antrag trotz seiner späten Einreichung ins Verfahren zuzulassen (Artikel 12 und 13 VOBK).
3. Reformatio in peius
3.1 Im vorliegenden Anspruch 1 ist das beanstandete Merkmal "mit einer Aggregatgröße von 100 nm bis 500 nm, gemessen mit dynamischer Lichtstreuung", welches in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung von Anspruch 1 enthalten ist, gestrichen worden.
3.2 Die Beschwerdegegnerin trug bezüglich dieser Änderung unter anderem vor, dass dadurch der Einwand der Kammer nach Artikel 84 EPÜ (Punkte 1.1.6 - 1.1.9, supra) überwunden werde, ohne dass es dabei zu einer unzulässigen Erweiterung (Artikel 123(2) EPÜ) komme. Die Auswirkungen des gestrichen Merkmals spiegelten ohnehin in den angegebenen physikalischen Eigenschaften des fertigen Formkörpers, wie BET-Oberfläche, Druckfestigkeit und Porosität, wider.
Allerdings stellt die Kammer einerseits fest, dass der geänderte Anspruch 1 kein Merkmal enthält, das ausdrücklich die Porosität definiert. Andererseits hängen die definierten Eigenschaften (BET-Oberfläche und der Druckfestigkeit) nicht nur von der Aggregatgröße der eingesetzten Metalloxide ab, sondern weitgehend auch von der Herstellungsweise der Formkörper. Es ist auch nicht bestritten, dass sich eine Kalzinierung/Sinterung stark auf die BET-Oberfläche, die Porosität und die Druckfestigkeit auswirken kann.
3.4 Die Kammer ist daher der Überzeugung, dass die Streichung des strittigen Merkmals - im Vergleich zum aufrechterhaltenen unabhängigen Verfahrensanspruch 4 - eine Erweiterung des Schutzumfangs des (durch Änderungen eingeschränkten) Streitpatents bewirken würde.
3.5 Bei Gewährung dieses neuen Antrags wäre die (einzige) Beschwerdeführerin (Einsprechende) demnach schlechter gestellt als wenn sie nicht Beschwerde eingelegt hätte, da der Schutzumfang des neuen Anspruchs 1 breiter als der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtete Anspruch 1 ist. Dies würde jedoch dem Verbot einer reformatio in peius zuwiderlaufen (G 1/99, Gründe 15).
3.6 Hilfsantrag 1 ist daher nicht gewährbar.
Hilfsantrag 2
4. Zulässigkeit des Antrags ins Verfahren
4.1 Auch Hilfsantrag 2 ist in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht worden, und zwar ebenfalls in Reaktion auf den Verlauf der Debatte betreffend die strittigen Merkmale "aus ... amorphen feinkörnigen pyrogenen Metalloxiden mit einer Aggregatgröße von 100 nm bis 500 nm, gemessen mit dynamischer Lichtstreuung, ist". Die Beschwerdeführerin erhob keinen Einwand betreffend dem Zeitpunkt der Einreichung dieses Antrags.
4.2 Die Kammer entschied daher, diesen Antrag trotz seiner späten Einreichung ins Verfahren zuzulassen (Artikel 12 und 13 VOBK).
5. Formalerfordernisse
5.1 Der vorliegende Anspruch 1 betrifft ein "Verfahren zur Herstellung von Formkörpern als Katalysatorträger" (Hervorhebung durch die Kammer). Die hergestellten Formkörper müssen also ausdrücklich als Katalysatorträger geeignet sein.
5.2 Seitens der Beschwerdegegnerin wurden keine formalen Einwände erhoben. Auch die Kammer hat sich davon überzeugt, dass die vorliegenden geänderten Ansprüche
1 bis 5 in formeller Hinsicht (Artikel 123(2) und (3) sowie 84 EPÜ) nicht zu beanstanden sind.
6. Ausführbarkeit
Bezüglich des 2. Hilfsantrags wurde kein Einwand betreffend die Ausführbarkeit erhoben.
7. Neuheit
Die Beschwerdeführerin erklärte in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich, dass sie gegen Anspruch 1 keine Neuheitseinwände habe.
Auch die Kammer sieht sich nicht veranlasst, die Neuheit in Frage zu stellen.
8. Erfinderische Tätigkeit
8.1 Die Erfindung
8.1.1 Die Erfindung betrifft die Herstellung von Formkörpern aus Metalloxiden als Katalysatorträgern (Anspruch 1; Patentschrift, Absatz [0001]).
9. Nächstliegender Stand der Technik
9.1 In der mündlichen Verhandlung waren sich die Parteien dahingehend einig, dass D4 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.
9.2 Angesichts der Ähnlichkeit der in D4 bzw. im Streitpatent angesprochenen technischen Problematiken und offenbarten Herstellverfahren hat die Kammer keine Veranlassung, diesbezüglich einen anderen Standpunkt einzunehmen.
9.3 So offenbart D4 allgemein (Anspruch 12) ein "Verfahren zur Herstellung eines porösen, und amorphen SiO2-Formkörpers mit extrem hohem Füllgrad umfassend die Schritte:
1) Herstellung einer Dispersion von SiO2-Partikeln,
2) Überführen der Dispersion in eine Form,
3) Entformen des Formkörpers nach dem Erstarren der Dispersion,
4) Trocknung des Formkörpers,
worin bei der Herstellung der Dispersion von SiO2-Partikeln ein Füllgrad von mindestens 80 Gew.-% SiO2 erreicht wird."
9.3.1 Die dadurch erhaltenen Formkörper eignen sich unter anderem als Katalysatorträgermaterialien (Seite 5, Zeile 62).
Beispiel 1 von D4 veranschaulicht das Herstellungsverfahren. Zunächst wurden 890 g (83,96 Gew.-%) Feststoff, davon 5,06 Gew.-% (fumed) pyrogenes SiO2, und 94,94 Gew.-% nachgesintertes (fused) SiO2 in Wasser in mehreren Schritten vollständig dispergiert, und die entlüftete Dispersion in Formen gegossen. Die gebildeten Formkörper wurden dann entformt, getrocknet und gesintert.
Das konkrete Verfahren gemäß Beispiel 1 ist auch nach dem Dafürhalten der Kammer als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nach dem "Aufgabe-Lösung"-Ansatz heranzuziehen.
10. Technische Aufgabe
10.1 D4 ist in der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung nicht gewürdigt, und aus dem Akteninhalt ergibt sich auch keine zwingende Vorteilhaftigkeit oder Verbesserung des beanspruchten Verfahrens im Vergleich zum Verfahren laut Beispiel 1 von D4.
10.2 Demnach blieb es in der mündlichen Verhandlung letztendlich unbestritten, dass im Licht von D4/ Beispiel 1 die technische Aufgabe lediglich in der Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung von Festkörpern aus Metalloxiden als Katalysatorträger gesehen werden könne.
Lösung
Als Lösung dieser Aufgabe wird im Streitpatent das "Verfahren zur Herstellung von Formkörpern als Katalysatorträger aus einem oder mehreren Metalloxiden" laut dem vorliegenden, geänderten Anspruch 1 vorgeschlagen, das insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, "dass zumindest ein Metalloxid in Wasser vordispergiert und anschließend feindispergiert wird und diese Dispersion einer Koagulation der Dispersion durch Änderung des pH-Werts unterzogen wird, wobei nach der Koagulation der Speichermodul G' größer 10000 Pa, der Quotient aus Verlustmodul G''/Speichermodul G' kleiner 1 und der Speichermodul nach einer Lagerzeit von 1 Woche größer als 70% des Ausgangswertes ist, und sodann eine Formgebung und ein darauf folgendes Trocknen und/oder Sintern erfolgt, wobei die Dispersion einen Anteil an pyrogenen Metalloxid-Partikeln zwischen 5 und 40 Gew.-% aufweist oder wobei die Dispersion einen Feststoffgehalt von 5 Gew.-% bis zu 65 Gew.-% aufweist, wenn man den pyrogenen Metalloxid-Partikeln gefällte Metalloxid-Partikel beimischt."
12. Erfolg der Lösung
Für die Kammer ist es im Hinblick auf die Beispiele des Streitpatents offensichtlich, dass die Aufgabe (10.2, supra) tatsächlich gelöst ist. Dies blieb in der mündlichen Verhandlung unbestritten.
13. Naheliegen der Lösung
13.1 Es bleibt demnach zu entscheiden, ob sich ein Verfahren gemäß Anspruch 1 für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
13.2 Diesbezüglich verwies die Einsprechende auf die allgemeine Offenbarung von D4 (Seite 3, Zeilen 9-12) wonach, gemäß einer bevorzugten Alternative, dem Wasser eine mineralische Base wie z.B. NH3 zugesetzt werden kann, um einen pH-Wert von 7-11, vorzugsweise 9-10, einzustellen. Laut der Einsprechenden impliziere diese pH-Erhöhung mittels NH3 eine Koagulation, wie sie auch im Streitpatent (Absatz [0030]) gelehrt wird, und eine derartige Koagulation führe zwangsläufig zu den beanspruchten Speicher- und Verlustmodulen.
13.3 Dieser Angriff vermag die Kammer jedoch aus folgenden Gründen nicht überzeugen:
13.3.1 Die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Erhöhung des pH-Werts mit NH3 (D4: Seite 3, Zeilen 9-12) soll laut D4 (Seite 3, Zeilen 13-14) ausdrücklich "zu einer Verringerung der Thixotropie" führen, "so dass ein höher Füllgrad [an Feststoff (Anmerkung der Kammer)] erreicht werden kann, während die Dispersion flüssiger und leichter formbar ist".
13.3.2 Eine Koagulation der Dispersion durch Änderung des pH-Werts wird aber in Beispiel 1 nicht erwähnt. Phänomenologisch wäre dies zudem eher das Gegenteil einer Koagulation, wie von der Beschwerdegegnerin plausibel vorgetragen wurde.
Da ohne die laut Anspruch 1 erforderliche Koagulation kein viskoelastisches System aus der Dispersion entsteht (Absatz [0030] des Streitpatents, letzter Satz), würde der Fachmann auch nicht erwarten, dass sich ohne Koagulation Speicher- und Verlustmodule gemäß vorliegendem Anspruch 1, die ein viskoelastisches Verhalten widerspiegeln, einstellen.
13.3.3 Ferner soll laut D4 mittels der bevorzugten Variante mit Erhöhung des pH-Werts durch Zugabe von NH3 lediglich ein möglichst hoher Füllgrad der Dispersion (von mehr als 80 Gew.-%) erreicht werden, aber unter Beibehaltung von Fließverhalten und Formbarkeit der Dispersion.
13.3.4 Demgegenüber erfordert das beanspruchte Verfahren einen maximalen Feststoffgehalt von 65 Gew.-%.
Die Beschwerdeführerin hat nicht in überzeugender Weise dargelegt, was den mit der Lösung der technischen Aufgabe befassten Fachmann dazu bewegt hätte, das Verfahren gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik (D4/Beispiel 1) derart abzuändern (durch Verringerung des Füllgrads der Dispersion von ca. 84 Gew.-% Metalloxid auf maximal 65 Gew.-% in Verbindung mit einer Koagulation der Dispersion durch pH-Änderung), dass er zu einem Verfahren nach Anspruch 1 gelangt wäre.
13.4 Nach dem Dafürhalten der Kammer beruht der Angriff der Einsprechenden offensichtlich auf einer - im Rahmen der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zulässigen - rückschauenden Betrachtungsweise.
13.5 Für den von D4 ausgehenden Fachmann hat das Verfahren nach Anspruch 1 im Hinblick auf den Stand der Technik demnach nicht nahegelegen. Dasselbe gilt zwangsläufig auch für die besonderen Ausführungsformen des Verfahrens gemäß den abhängigen Ansprüchen 2 bis 5.
Folglich beruht der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 5 auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 52(1) und 56 EPÜ).
14. Hilfsantrag 2 ist demnach gewährbar.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz mit der Maßgabe zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage des 2. Hilfsantrages (Ansprüche 1 bis 5), eingereicht in der mündlichen Verhandlung um 13:15, sowie einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.