T 2015/17 26-04-2021
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Verfahren zur kontinuierlichen Herstellung von Nitrobenzol
Priorität - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Änderungen ursprünglich offenbart
Änderungen - (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Europäische Patent EP 2 354 117 unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikel 100(a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ), unter Artikel 100(b) EPÜ wegen mangelnder Offenbarung, sowie unter Artikel 100(c) EPÜ wegen unzulässiger Änderungen angegriffen worden.
III. Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurde auf die folgenden Dokumente verwiesen, die auch für die vorliegende Entscheidung relevant sind:
D1: EP 2 070 907
D2: EP 1 291 078
D3: EP 0 373 966
D4: EP 0 708 076
D17: US 2003/0055300
D19: EP 2 168 942
D21a: EP 1 272 268
D21b: WO 01/64333
D26: Versuchsbericht Dr. Chan vom 04.02.2016
IV. In der Einspruchsentscheidung wurden die vorgebrachten Einspruchsgründe unter Artikel 100(a), 100(b) und 100(c) EPÜ verworfen. Die Anmeldung sei während des Prüfungsverfahrens nicht unzulässig erweitert worden (Artikel 123(2) EPÜ). Die beanspruchte Verwendung sei für den Fachmann auch ausführbar beschrieben (Artikel 83 EPÜ), neu gegenüber der Offenbarung der Dokumente D2/D17, D21a/D21b und D1 (Artikel 54 EPÜ) und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit, insbesondere ausgehend von Dokument D11 als nächstliegendem Stand der Technik (Artikel 56 EPÜ).
V. Gegen diese Entscheidung wurde am 1. September 2017 von der Einsprechenden Beschwerde eingelegt, die am 20. November 2017 begründet wurde.
VI. Von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) wurden mit Schreiben vom 29. März 2018 Argumente vorgebracht zur Gewährbarkeit ihres Hauptantrags, also des erteilten Patents, sowie der mit demselben Schreiben vorgelegten Hilfsanträge Ia, Ib, II, IIa und IIb.
VII. Mit Schreiben vom 31. August 2020 wurden die Parteien zur mündlichen Verhandlung für den 26. April 2021 geladen.
VIII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK wurden die Parteien über die vorläufige Einschätzung der Kammer informiert. Die Kammer war unter anderem der vorläufigen Ansicht, der Hauptantrag erfülle die Erfordernisse der Artikel 123(2), 83, 54 und 56 EPÜ.
IX. Anspruch 1 des erteilten Patents und des vorliegenden Hauptantrags hat den folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Herstellung von Nitrobenzol durch adiabate Nitrierung von Benzol mit Mischsäure enthaltend Schwefelsäure und Salpetersäure, wobei
(i) Benzol und Mischsäure entweder
a) getrennt voneinander
oder
b) gemeinsam, nachdem beide miteinander kontaktiert
wurden in einen Reaktor eingeleitet werden, wobei
im Fall a) mindestens einer der Reaktanden Benzol
oder Mischsäure, im Fall b) das nach Kontaktierung
von Benzol und Mischsäure erhaltene
Verfahrensprodukt bei Eintritt in den Reaktor unter
einem Druck p1 steht;
(ii) Benzol und Mischsäure im Reaktor in 1 bis 30 hintereinander angeordneten Dispergierelementen ineinander dispergiert werden;
(iii) das Reaktionsprodukt nach Verlassen des Reaktors einer Phasentrennung in einem Phasentrennapparat, in dessen Gasphase der Druck p2 herrscht, unterworfen wird;
dadurch gekennzeichnet, dass
(iv) die Druckdifferenz p1 - p2 15 bar bis 25 bar beträgt."
X. In ihrer Beschwerdebegründung und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdeführerin betreffend die für die vorliegende Entscheidung relevanten Punkte im Wesentlichen folgendes vor:
Anspruch 1 des Streitpatents sei im Erteilungsverfahren durch Veränderung des die Druckdifferenz betreffenden Merkmals unzulässig geändert worden.
Des Weiteren sei der Fachmann nicht in der Lage, das beanspruchte Verfahren auszuführen. Der Druckdifferenzbereich, der sich aus verschiedenen Beiträgen zusammensetze, sei nicht ausreichend definiert, nicht der gesamte Druckbereich sei realisierbar, weder Reaktortyp, noch die genaue Messmethode oder die zu verwendende Messstelle seien widerspruchsfrei definiert, zudem sei der anspruchsgemäße Druckbereich lediglich als Desideratum anzusehen, der sich bei einem vorgegebenen Volumenstrom durch eine bestimmte Anlage von selbst einstelle.
Das beanspruchte Verfahren sei zudem nicht neu mit Blick auf die Offenbarungen der Dokumente D2/D17, D21a/D21b und D1.
Das Verfahren beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, und zwar unabhängig davon, ob D11, D2, D4, D19 oder D21a/D21b als nächstliegender Stand der Technik herangezogen werde. Dokument D11 sei zudem nicht als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit geeignet. Im Zusammenhang mit erfinderischer Tätigkeit zweifelte die Beschwerdeführerin insbesondere die Aussagekraft der Beispiele des Streitpatents und des Dokuments D26 an.
XI. Bezüglich der für die vorliegende Entscheidung relevanten Punkte brachte die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen folgendes vor:
Eine Basis für den geänderten Druckdifferenzbereich könne der ursprünglich eingereichten Beschreibung entnommen werden.
Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens sei gegeben, ein Grossteil des diesbezüglichen Vorbringens der Beschwerdeführerin beziehe sich zudem nicht auf die Frage der Offenbarung.
Neuheit des beanspruchten Verfahrens sei insbesondere deshalb gegeben, weil der anspruchsgemäße Bereich für die Druckdifferenz p1 - p2 von 15 bar bis 25 bar in der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbart werde.
Bezüglich des Vorliegens von erfinderischer Tätigkeit ging die Beschwerdegegnerin auf die in der Argumentation der Beschwerdeführerin angeführten Dokumente ein. Sie verwies insbesondere auf die mit Blick auf die Versuchsberichte D26 und D27 geltend gemachten technischen Wirkungen.
XII. Anträge der Parteien
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Sie beantragte weiterhin, weder die Dokumente D26 und D27, noch die Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin zuzulassen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und somit die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), oder hilfsweise Aufrechterhaltung des Patents gemäß einem der Hilfsanträge Ia, Ib, II, IIa oder IIb, eingereicht mit der Beschwerdebegründung.
XIII. Am 26. April 2021 fand eine mündliche Verhandlung, mit Einverständnis beider Parteien in Form einer Videokonferenz, statt. Die Beschwerdeführerin war, wie angekündigt mit Fax vom 23. April 2021, während der mündlichen Verhandlung nicht vertreten.
Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Zulassung der Dokumente D26 und D27
2. Dokument D26 wurde im Einspruchsverfahren von der Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin eingereicht und von der Einspruchsabteilung ins Verfahren zugelassen. Die Einspruchsabteilung hat die Zulassung des Dokuments damit begründet, dass es von der Patentinhaberin rechtzeitig, nämlich fristgerecht mit der Erwiderung auf den Einspruchsschriftsatz, eingereicht worden war. Deshalb sei keine Rechtsgrundlage für eine Nichtzulassung ersichtlich. Vor diesem Hintergrund ist auch der Kammer nicht ersichtlich, inwiefern die Beurteilung durch die Einspruchsabteilung fehlerhaft sein könnte. Die Kammer sieht deshalb keinen Grund, dem Antrag der Beschwerdeführerin stattzugeben.
3. Die Beschwerdeführerin beantragte weiterhin, Dokument D27 nicht ins Verfahren zuzulassen. Da das Dokument für die vorliegende Entscheidung nicht relevant ist, erübrigt sich eine Entscheidung über dessen Zulassung.
Hauptantrag - Patent wie erteilt
4. Unzulässige Änderung (Artikel 100(c) EPÜ)
4.1 Die Einspruchsabteilung hatte den Einwand der unzulässigen Erweiterung zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin widersprach der Beurteilung der Einspruchsabteilung dahingehend, dass mit der Änderung des Merkmals (iv) des Anspruchs sehr wohl eine Erweiterung des Offenbarungsgehalts verbunden sei. Einerseits sei der geänderte Bereich für die Druckdifferenz, nämlich "15 bar bis 25 bar", nicht individualisiert im Zusammenhang mit allen übrigen Merkmalen des Anspruchs in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen offenbart. Andererseits sei auch keine Basis für den Einschluss der den Bereich begrenzenden Werte "15 bar" und "25 bar" vorhanden.
4.2 Nach Auffassung der Kammer bilden die Zeilen 3 bis 21 der Seite 5 der ursprünglich eingereichten Beschreibung eine Stütze für die durchgeführte Änderung. Insbesondere wird dort sowohl der beanspruchte Bereich, als auch in Zeile 20 explizit die beiden diesen Bereich begrenzenden Werte offenbart. Die Einschränkung des im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 enthaltenen Bereichs von "zwischen 14 bar und 40 bar" auf den engeren, explizit im zitierten Absatz der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbarten besonders bevorzugten Bereich "15 bar bis 25 bar" des geänderten Anspruchs 1 begründet daher den vorgebrachten Einwand unter Artikel 100(c) EPÜ nicht.
5. Ausführbarkeit (Artikel 100(b) EPÜ)
5.1 Die Beschwerdeführerin trat auch der Beurteilung der Einspruchsabteilung entgegen, die die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung bejaht hatte.
5.2 Die Kammer ist aus folgenden Gründen nicht der Auffassung, dass die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Argumentation einen Mangel an Ausführbarkeit begründen kann:
5.3 Beansprucht wird ein Verfahren zur Herstellung von Nitrobenzol durch adiabate Nitrierung von Benzol mit Mischsäure. Das Verfahren ist gekennzeichnet durch die Verfahrensschritte (i) bis (iv). Die ersten drei Schritte definieren das Einleiten von Benzol und Mischsäure in einen Reaktor, das Dispergieren von Benzol und Mischsäure im Reaktor, sowie die Phasentrennung des Reaktionsprodukts in einem Phasentrennapparat. Schritt (iv) verlangt, dass die Druckdifferenz zwischen Eintritt von entweder mindestens einer der Reaktanden Benzol oder Mischsäure (Fall a) im ersten Verfahrensschritt), oder des nach Kontaktieren von Benzol und Mischsäure erhaltenen Verfahrensprodukts (Fall b) im ersten Verfahrensschritt) in den Reaktor (Druck p1), und dem Druck der Gasphase des Phasentrennapparats (Druck p2), 15 bar bis 25 bar beträgt.
5.4 Um das Verfahren ausführen zu können, muss der Fachmann aufgrund der in der Patentschrift enthaltenen technischen Information und des ihm zur Verfügung stehenden allgemeinen Fachwissens in der Lage sein, die einzelnen Verfahrensschritte durchzuführen, und im Ergebnis Nitrobenzol zu erhalten. Hierzu muss er insbesondere die beiden Drücke p1 und p2 und deren Differenz bestimmen können. Die Kammer ist der Auffassung, dass der Fachmann bereits unter der Berücksichtigung der Angaben in der Beschreibung des Streitpatents, insbesondere die Absätze [0008], [0022], [0026], [0035] sowie Beispiel 4, in der Lage ist, die geforderte Druckdifferenz zu bestimmen.
5.5 Von der Beschwerdeführerin wurde vorgebracht, der Druckdifferenzbereich setze sich aus verschiedenen Beiträgen zusammen, die jedoch nicht im Einzelnen definiert seien.
Die Kammer ist der Auffassung, dass es für die Frage der Nacharbeitbarkeit des beanspruchten Verfahrens nicht wesentlich ist, aus welchen einzelnen Beiträgen sich diese messbare Gesamtdruckdifferenz zusammensetzt, da dies im Anspruch nicht gefordert wird und somit kein Anspruchsmerkmal darstellt.
5.6 Die Beschwerdeführerin brachte des Weiteren vor, dass nicht der gesamte anspruchsgemäße Bereich der Druckdifferenz realisierbar sei.
Dieses Vorbringen vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Die Beschwerdeführerin schlägt in ihrer Beschwerdebegründung bereits selbst Maßnahmen vor, die der Fachmann ergreifen könnte, um Druckdifferenzen im oberen anspruchsgemäßen Bereich einstellen zu können, nämlich eine entsprechende Anpassung der Blenden im Reaktor, oder die Verwendung eines Druckreduzierventils (siehe unter Punkt 5. auf den Seiten 25 und 26 der Beschwerdebegründung).
5.7 Die Beschwerdeführerin argumentierte ferner, dass weder der Reaktortyp angegeben sei, für den die streitpatentgemäße Lehre gelten solle, noch die exakte Messstelle oder eine genaue Messmethode zur Bestimmung der Druckdifferenz. Dies sei jedoch notwendig, da es sich bei dem beanstandeten Merkmal um einen unüblichen Parameter handle, und der Messwert zumindest abhängig von der Temperatur und etwaigen Schwankungen im Volumenstrom sei.
Auch diese Argumentation überzeugt nicht. Das anspruchsgemäße Verfahren ist nicht auf einen bestimmten Reaktor beschränkt. Zudem wird in der Beschreibung auf einen bevorzugt geeigneten Aufbau für einen Rohrreaktor verwiesen (Absätze [0023], [0041] und folgende). Auch für die Druckmessung findet der Fachmann Anweisungen im Streitpatent (Absatz [0035]). Dies trifft ebenso für die Messstelle zu, die bereits im Anspruch 1, zudem aber auch in der Beschreibung angegeben wird (siehe die Absätze [0022] und [0026]). Eine Abhängigkeit der gemessenen Druckdifferenz von der Temperatur oder etwaigen Schwankungen im Volumenstrom wird den Fachmann nicht davon abhalten, Druckmessungen vorzunehmen und deren Differenz zu bestimmen. Auch vor diesem Hintergrund kann die Kammer keinen Offenbarungsmangel erkennen.
5.8 Eine weitere Argumentationslinie der Beschwerdeführerin bezog sich auf Effekte, die streitpatentgemäß mit anspruchsgemäßen Merkmalen in Verbindung stehen.
Die herangezogenen Effekte sind jedoch keine Merkmale des Anspruchs, und somit nicht Teil der Definition des anspruchsgemäßen Verfahrens. Somit ist für die Beurteilung der Ausführbarkeit nicht wesentlich, ob diese Effekte durch die Durchführung des anspruchsgemäßen Verfahrens erreicht werden, oder nicht.
5.9 Die Kammer schließt sich deshalb der Beurteilung der Einspruchsabteilung dahingehend an, dass die vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin einen Einwand unter Artikel 100(b) EPÜ nicht begründen.
6. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
6.1 Im Einspruchsverfahren wurde Neuheit gegenüber der Offenbarung der Dokumente D2/D17, D21a/D21b und D1 anerkannt. Demgegenüber vertrat die Beschwerdeführerin auch im Beschwerdeverfahren die Auffassung, dass das beanspruchte Verfahren gegenüber der Offenbarung dieser Dokumente nicht neu sei.
6.2 Die Kammer kann sich dieser Auffassung aus folgenden Gründen nicht anschließen:
6.2.1 Die Dokumente D2/D17 und D21a/D21b enthalten insbesondere keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung des anspruchsgemäßen Merkmals (iv), wonach "die Druckdifferenz p1 - p2 15 bar bis 25 bar beträgt".
6.2.2 Zwar lässt sich diese, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht, durch Auswahl aus den angegebenen Werten für den Druckabfall pro Mischelement sowie für die Zahl der im Rohrreaktor enthaltenen Mischelemente berechnen, allerdings führen nicht alle der möglichen Kombinationen zu Werten, die innerhalb des anspruchsgemäßen Bereichs liegen.
So wird in den Dokumenten D2 und D17 ein Rohrreaktor für die adiabatischen Nitrierung von Benzol oder Toluol offenbart, der 3 bis 11 Böden (4 bis 12 Kammern) aufweist, mit einem Druckverlust von jeweils 0,5 bis 4 bar pro Boden (siehe jeweils die Ansprüche 1 und 2). Durch geeignete Auswahl von Bodenzahl und Druckabfall pro Boden gelangt der Fachmann zwar zu Kombinationen, die einen Gesamtdruckverlust im Reaktor von 15 bis 25 bar ergeben, jedoch entspricht dies zunächst nicht der Druckdifferenz zwischen Reaktoreintritt und Phasentrennapparat. Zudem fallen nicht alle der Kombinationsmöglichkeiten in den Bereich des im Streitpatent beanspruchten Verfahrens. Des Weiteren lehren die Dokument dem Fachmann insbesondere, bestimmte Kombinationen von Bodenzahl und Druckverlust pro Boden auszuwählen, die nicht zwangsläufig zur anspruchsgemäßen Druckdifferenz führen (D2: Absatz [0018], D17: Absatz [0022]; entsprechende Lehren in D21a: Absätze [0018] und [0033]; D21b: Seite 5, Zeilen 17 bis 19 und Seite 9, Zeilen 4 bis 13).
Zudem werden in den Dokumenten keine Angaben über den Druck der Gasphase eines Phasentrennapparats offenbart. Von der Beschwerdeführerin wurde in diesem Zusammenhang behauptet, dass der Rohrreaktor unmittelbar in den Phasentrennapparat übergeht, und es daher unerheblich sei, ob der Gesamtdruck im System am Ende des Rohrreaktors oder im Phasentrennapparat bestimmt werde (siehe im zweiten kompletten Absatz der Seite 48 der Beschwerdebegründung). Allerdings wird diese Behauptung von der Beschwerdeführerin selbst durch ihre Ausführungen zum Druckabbau in einer Produktionsanlage in Frage gestellt (siehe unter Punkt V.3.2 auf Seite 21 der Beschwerdebegründung).
6.2.3 Bezüglich Dokument D1 machte die Beschwerdegegnerin neben den bereits im Einspruchsverfahren vorgebrachten Argumenten geltend, dass aufgrund hydrostatischer Beiträge zur Druckdifferenz der tatsächlich in D1 auftretende Druck höher als der Wert von 14,5 bar sein müsse, sowie dass die erfindungswirksamen Anteile im anspruchsgemäßen unteren Wert von 15 bar geringer seien, und deshalb der beanspruchte untere Wert der Druckdifferenz in D1 offenbart sei.
6.2.4 Dem kann sich die Kammer jedoch nicht anschließen. Der Fachmann entnimmt D1 explizit den Wert von 14,5 bar, der außerhalb des beanspruchten Bereichs liegt.
6.3 Das beanspruchte Verfahren wird daher in den herangezogenen Dokumenten nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Somit erfüllt der Hauptantrag, wie bereits von der Einspruchsabteilung festgestellt, das Erfordernis der Neuheit im Sinne des Artikels 54 EPÜ.
6.4 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
6.4.1 In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit insbesondere ausgehend von Dokument D11 als nächstliegendem Stand der Technik beurteilt. Unter Punkt 8.5 der Entscheidung wurden jedoch auch weitere Ansätze, ausgehend von den Dokumenten D2, D1, D4 sowie D3 erörtert. Die Einspruchsabteilung kam jeweils zu dem Schluss, dass erfinderische Tätigkeit vorliege.
6.4.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, Dokument D11 sei als nächstliegender Stand der Technik nicht geeignet. Ungeachtet dessen werde das beanspruchte Verfahren dem Fachmann jedoch sowohl ausgehend von D11, insbesondere aber ausgehend von einem der Dokumente D2, D4, D19 oder D21a/D21b nahegelegt. Die letztgenannten Dokumente wiesen die meisten strukturell-technischen Übereinstimmungsmerkmale auf und seien auf einen vergleichbaren technischen Zweck gerichtet wie das Streitpatent. Sie seien somit besser als nächstliegender Stand der Technik geeignet. Die Beschwerdeführerin zweifelte in ihrer Argumentation insbesondere die Aussagekraft der Beispiele des Streitpatents und des Dokuments D26 an, und definierte die objektive Aufgabenstellung in der Bereitstellung einer Alternative.
Nächstliegender Stand der Technik
6.4.3 Die Kammer stellt zunächst fest, dass Dokument D19, wie bereits von der Einspruchsabteilung festgestellt, nicht Stand der Technik im Sinne des Artikels 54(2) EPÜ darstellt (siehe unter Punkt 5 der angefochtenen Entscheidung). Das Dokument wurde am 31. März 2010 veröffentlicht, und damit zwar vor dem Anmeldetag (2. Februar 2011), aber nach dem Prioritätstag (5. Februar 2010) des Streitpatents.
Von der Beschwerdeführerin war die Gültigkeit der Priorität des Streitpatents bestritten worden. Da der Inhalt des Prioritätsdokuments jedoch mit dem der ursprünglich eingereichten Anmeldung identisch ist (siehe insbesondere die Ansprüche sowie Seite 5, Zeile 20), und auch die restlichen Erfordernisse des Artikels 87 EPÜ nicht in Frage gestellt wurden, ist die beanspruchte Priorität gültig. Das Dokument D19 stellt somit lediglich Stand der Technik im Sinne des Artikels 54(3) EPÜ dar und kann daher nicht für die Beurteilung von erfinderischer Tätigkeit herangezogen werden.
6.4.4 Die Kammer schließt sich der Auffassung der Einspruchsabteilung auch dahingehend an, dass von den vorliegenden Dokumenten D11 für das beanspruchte Verfahren den nächstliegenden Stand der Technik darstellt. Die Gründe hierfür sind wie folgt:
Im Streitpatent wird insbesondere die Problematik der Raum-Zeit-Ausbeute und der Produktqualität, insbesondere im Zusammenhang mit der Bildung von Nebenprodukten, wie Dinitrobenzol, Nitrophenol und Trinitrophenol, bei adiabatisch geführten Nitrierungsreaktionen von Aromaten angesprochen (siehe insbesondere die Absätze [0005], [0013], [0016] bis [0018] sowie Tabelle 1).
Auch im Dokument D11 wird auf diese Probleme hingewiesen (siehe insbesondere Spalte 2, Zeilen 25 bis 32 und Spalte 3, Zeilen 6 bis 12 sowie die Zeilen 55 und 56). Dahingegen beschäftigt sich Dokument D2 zwar ebenfalls mit der Nitrierung von Aromaten, verweist jedoch insbesondere auf die Problematik des Endumsatzes der Reaktion (siehe die Absätze [0008], [0009] und [0011]). Weder das Problem der Raum-Zeit-Ausbeute, noch der Bildung der genannten Nebenprodukte werden erwähnt. Auch die Dokumente D4 sowie D21a/D21b beschäftigen sich nicht hauptsächlich mit der im Streitpatent angesprochenen Problematik der Verbesserung von Raum-Zeit-Ausbeuten. Dokument D4 bezieht sich auf die Dinitrierung von Aromaten (siehe insbesondere Seite 3, Zeilen 55 bis 59). Diese soll streitpatentgemäß gerade verhindert werden. Die Dokumente D21a und D21b erwähnen zwar die Bildung von Nebenprodukten durch Übernitrierung (siehe die Absätze [0004] und [0009] in D21a) erwähnen jedoch nicht die Problematik der Verbesserung von Raum-Zeit-Ausbeuten.
6.4.5 Die Kammer ist aus den nachfolgenden Gründen auch der Auffassung, dass das beanspruchte Verfahren ausgehend von der technischen Lehre des Dokuments D11 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Wie unter Punkt 6.4.14 dieser Entscheidung angeführt, führte jedoch auch eine Betrachtung ausgehend von den anderen von der Beschwerdeführerin herangezogenen Dokumente zum selben Ergebnis.
Unterscheidungsmerkmal, technische Aufgabe und anspruchsgemäß vorgeschlagene Lösung
6.4.6 Im Dokument D11 wird ein Druck in der Gasphase des Phasentrennapparats offenbart (Spalte 6, Zeilen 52 bis 59; entsprechend p2 im Anspruch 1). Nicht offenbart wird jedoch der Druck eines der Reaktanden Benzol oder Mischsäure, oder des nach deren Kontaktierung erhaltenen Verfahrensprodukts, bei Eintritt in den Reaktor (entsprechend p1 im Anspruch 1). Das Verfahren gemäß Hauptantrag unterscheidet sich somit vom in D11 offenbarten Verfahren durch das Merkmal "dass (iv) Druckdifferenz p1 - p2 von 15 bar bis 25 bar beträgt".
6.4.7 Von der Beschwerdeführerin wurde angezweifelt, dass durch das Unterscheidungsmerkmal nachweisbar eine technische Wirkung hervorgerufen werde. Sie argumentierte hierzu insbesondere, dass die sowohl in der Patentschrift, als auch im Dokument D26 beschriebenen Beispiele sehr nahe am unteren Bereich der beanspruchten Druckdifferenz lägen, und sie somit nicht aussagekräftig für den gesamten Bereich seien. Zudem setze sich die Druckdifferenz aus verschiedenen, im Streitpatent nicht näher definierten Teildrücken zusammen, von denen jedoch zumindest nicht alle einen Einfluss auf die Raum-Zeit-Ausbeute haben könnten. Des Weiteren seien im Dokument D26 wesentliche Daten, insbesondere Daten betreffend die eingesetzte Anlage, nicht offenbart. Somit sei ein Vergleich mit den Angaben des Streitpatents nicht möglich.
6.4.8 Die Kammer folgt der Auffassung der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin, dass durch das gegenüber D11 festgestellte Unterscheidungsmerkmal eine technische Wirkung hervorgerufen wird:
a) In der Beschreibung des Streitpatents wird darauf verwiesen, dass das Verfahren zu einer hohen Raum-Zeit-Ausbeute bei sehr geringen Nebenproduktgehalten führt (siehe Absatz [0049]). Aus Tabelle 1 geht hervor, dass die Raum-Zeit-Ausbeute im Beispiel 4, bei dem die Druckdifferenz p1 - p2 mit 15,8 bar im beanspruchten Bereich liegt, mit 7,2 t/m**(3)*h größer ist als bei den Beispielen 1 bis 3, bei denen die Raum-Zeit-Ausbeute nur zwischen 5,5 und 6,4 liegt, und die bei Druckdifferenzen zwischen 9,7 und 12,6 bar, also unterhalb des unteren Wertes von 15 bar des anspruchsgemäßen Bereichs, durchgeführt wurden. Gleichzeitig sind die Gehälter der Nebenprodukte Dinitrobenzol, Nitrophenole und Pikrinsäure im Beispiel 4 deutlich unterhalb der entsprechenden Werte der Beispiele 1 bis 3. Der Fachmann kann aus Tabelle 1 somit eine mit dem Unterscheidungsmerkmal verbundene technische Wirkung entnehmen.
b) Aus Dokument D26 geht hervor, dass bei einer anspruchsgemäßen Druckdifferenz von 15,27 bar (Beispiel 5) nach dem ersten von drei Reaktoren mit 73,0% ein höherer Umsatz an Salpetersäure erreicht wird als bei einer nicht-anspruchsgemäßen Druckdifferenz von 14,87 bar (Beispiel 6). Die Bildung der genannten Nebenprodukte ist dabei im Beispiel 5 geringfügig schlechter (0,22 gegenüber 0,21 für Nitrophenol), bzw. geringfügig besser (0.019 gegenüber 0.021 für Trinitrophenol und 0.015 gegenüber 0.017 für Dinitrobenzol) als im Beispiel 6. Der Fachmann kann somit auch aus Dokument D26 eine mit dem Unterscheidungsmerkmal verbundene technische Wirkung entnehmen.
c) Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass sich die Druckdifferenz in einem Nitrierreaktor aus mehreren Teildrücken zusammensetze. Für die Kammer ist jedoch nicht ersichtlich, inwiefern dieser Aspekt für die durch die Druckdifferenz p1 - p2 hervorgerufene technische Wirkung relevant ist. In den genannten Beispielen wird eine technische Wirkung mit der Druckdifferenz p2 - p1 in Zusammenhang gebracht, unabhängig davon, wodurch diese Druckdifferenz zustande kommt. Ebenso ist es nach Ansicht der Kammer unwesentlich, ob eine hohe Raum-Zeit-Ausbeute auch durch andere Maßnahmen erreicht werden kann, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht (siehe die Seiten 51 bis 52 der Beschwerdebegründung).
d) Auch das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach in den Beispielen 5 und 6 nicht derselbe Reaktortyp zum Einsatz kam (siehe die Seiten 52 bis 53 der Beschwerdebegründung), kann die Kammer nicht überzeugen. In der Beschreibung zur Durchführung der Versuche im Dokument D26 lässt nach Ansicht der Kammer nichts auf die Verwendung unterschiedlicher Anlagen für die Durchführung der Versuche 5 und 6 schließen. Auch die Beschwerdegegnerin hat der vorgebrachten Auslegung widersprochen (siehe Beschwerdeerwiderung, Punkt V.2.2.1).
e) Ebenso kann das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach im Dokument D26 wesentliche Daten bezüglich Anlage und Verfahrensdurchführung fehlten, und die erhaltenen Daten daher nicht mit den Ergebnissen des Streitpatents vergleichbar seien, nicht zu dem Schluss führen, dass durch das Unterscheidungsmerkmal keine technische Wirkung hervorgerufen wird. Um eine technische Wirkung zu belegen genügt ein Vergleich der Daten gemäß Tabelle 1 des Streitpatents einerseits, und der Daten des Dokuments D26 andererseits. Ein Vergleich zwischen den beiden Dokumenten ist nicht aussagekräftig, und zwar bereits wegen der unterschiedlichen Verfahrensbedingungen im Patent und in D26.
6.4.9 Nach Ansicht der Kammer ist daher aus den genannten Unterlagen ableitbar, dass eine Erhöhung der Druckdifferenz p1 - p2 zu einer Erhöhung der Raum-Zeit-Ausbeute führt (Beispiele 1 bis 4 gemäß Streitpatent), bzw. dass dadurch der Umsatz an Salpetersäure nach dem ersten von drei hintereinandergeschalteten Rohrreaktoren einer Anlage erhöht werden kann (Beispiele 5 und 6 aus D26), ohne dass dies zu einer wesentlichen Erhöhung des Gehalts an gebildeten Nebenprodukten führt.
6.4.10 Somit kann die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung eines verbesserten Verfahrens zur Herstellung von Nitrobenzol durch adiabate Nitrierung von Benzol mit Mischsäure gesehen werden, wobei die Verbesserung in einer Erhöhung der Raum-Zeit-Ausbeute ohne Erhöhung des Gehalts an gebildeten Nebenprodukten besteht.
6.4.11 Wie durch die vorangehend angeführten Versuche gezeigt, wird die technische Aufgabe anspruchsgemäß durch ein Verfahren gelöst, bei dem die Druckdifferenz p1 - p2 15 bar bis 25 bar beträgt.
6.4.12 Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass die technische Aufgabe über die gesamte beanspruchte Breite gelöst wird. Auch der Hinweis der Beschwerdeführerin, wonach für den oberen Druckbereich kein Beispiel vorläge, kann alleine nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass die beobachtete technische Wirkung nicht im gesamten beanspruchten Bereich auftritt.
Naheliegen der Lösung
6.4.13 Der Fachmann kann aus dem vorgelegten Stand der Technik keinen Hinweis entnehmen auf einen Zusammenhang zwischen Erhöhung der Raum-Zeit-Ausbeute und der anspruchsgemäß definierten Druckdifferenz p1 - p2. Dies ergibt sich bereits daraus, dass in keinem der zitierten Dokumente die besagte Druckdifferenz offenbart wird.
Ob sich, wie von der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit Ausführbarkeit vorgebracht, der beanspruchte Druckverlust für eine gegebene Reaktorkonfiguration von selbst einstellt, kann nicht zu einer anderen Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit führen, da dieser Ansatz außer Acht lässt, dass der Fachmann die besagte Reaktorkonfiguration ja gerade so einstellen muss, dass sich die anspruchsgemäße Druckdifferenz ergibt, um damit die gestellte technische Aufgabe zu lösen.
6.4.14 Die Kammer ist zudem der Auffassung, dass das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit unabhängig von der Auswahl des nächstliegenden Stands der Technik anzuerkennen ist, da sich das beanspruchte Verfahren auch von den Verfahren gemäß den hierzu von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Dokumenten ebenfalls zumindest durch dasselbe Merkmal unterscheidet, wie vom Verfahren gemäß Dokument D11.
7. Damit steht der Aufrechterhaltung des Streitpatents auf der Basis des vorliegenden Hauptantrags keiner der im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe entgegen.
Die eingereichten Hilfsanträge können daher unberücksichtigt bleiben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.