T 0531/18 16-09-2022
Download and more information:
Druckmaschine und Verfahren zu deren Inbetriebnahme
Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Neuheit (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, wonach das europäische Patent Nr. 2 095 951 in der geänderten Fassung gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
II. Im Einspruchsverfahren hatte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit) und i.V.m. Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) geltend gemacht und dabei unter anderem auf die Druckschrift DE 10 2004 022 888 A1 (K1) Bezug genommen.
III. Mit einer Ladung vom 22. Juli 2021 wurden die Beteiligten zu einer für den 19. September 2022 anberaumten mündlichen Verhandlung geladen.
IV. In der am 9. Mai 2022 erlassenen Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung (VOBK 2020, ABl. EPA 2019, A63) brachte die Kammer ihre vorläufige Auffassung zum Ausdruck, dass Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 1 im Hinblick auf die Offenbarung der Druckschrift K1 den Erfordernissen des Artikels 54 (1) EPÜ nicht genügt, und dass die angefochtene Entscheidung somit aufzuheben und das Patent zu widerrufen wäre.
V. Mit Schreiben vom 23. Juni 2022 hat die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) ihren hilfsweise gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen und beantragt, das Verfahren schriftlich fortzusetzen.
VI. In Antwort auf eine am 13. Juli 2022 erlassene Mitteilung der Kammer stellte die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 26. Juli 2022 ihre Antragslage klar.
VII. Daraufhin wurde der Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben.
VIII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
IX. Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 1 lautet wie folgt:
"Druckmaschine, insbesondere Bogendruckmaschine, mit mindestens einem Hauptantrieb und mit mindestens einem Druckwerk, wobei das oder jedes Druckwerk zumindest einen Übertragungszylinder, einen auf dem Übertragungszylinder abrollenden Formzylinder, ein Farbwerk, vorzugsweise ein Feuchtwerk und einen dem Formzylinder oder dem Übertragungszylinder zugeordneten Direktantrieb sowie Drehgeber umfasst, wobei im Fortdruckbetrieb über den Direktantrieb der jeweilige Zylinder eigenmotorisch und synchron zu dem oder jedem vom Hauptantrieb angetriebenen Zylinder antreibbar ist, wobei der Direktantrieb des oder jedes Druckwerks einen Ständer und einen Läufer umfasst, wobei der Ständer des Direktantriebs an einem feststehenden Träger des jeweiligen Druckwerks und der Läufer des Direktantriebs an dem von demselben drehend angetriebenen Zylinder des jeweiligen Druckwerks in einer definierten Winkelzuordnung mechanisch lagegesichert sind, dadurch gekennzeichnet, dass:
a) der Ständer (17) des Drehgebers (7) an einem feststehenden Träger (14) des jeweiligen Druckwerks und ein Läufer (18) des Drehgebers (7) an dem Zylinder (1) in beliebiger Winkelzuordnung mechanisch lagegesichert sind,b) der Zylinder (1) des jeweiligen Druckwerks zum Träger (14) desselben über eine Lagezuordnungseinrichtung (22) definiert ausrichtbar ist, undc) der Drehgeber (7) über eine Teacheinrichtung (23) nach dem Ausrichten des Zylinders (1) des jeweiligen Druckwerks zum Träger (14) desselben referenzierbar ist."
X. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Die Druckschrift K1 betreffe eine Druckmaschine mit allen Merkmalen des Anspruchs 1. Bezüglich des Merkmals c) werde bemerkt, dass der Wortlaut des Anspruchs 1 völlig offen lasse, wie die Teacheinrichtung funktioniere. Es gehöre zum allgemeinen Fachwissen, dass auch ein Regler referenzieren könne. Die Teacheinrichtung könne also ein Regler sein. Zudem sei es Anspruch 1 nicht zu entnehmen, dass der Offset im Drehgeber gespeichert werde. Gemäß Seite 3, rechte Spalte, Zeilen 22 bis 36 der Druckschrift K1 sei der Drehgeber 21 daher über eine Teacheinrichtung nach dem Ausrichten des Zylinders 5 des jeweiligen Druckwerks zum Träger 12 desselben referenzierbar.
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber der Druckschrift K1 (Artikel 54 (1) EPÜ).
XI. Der Vortrag der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Die Druckschrift K1 beschreibe eine Antriebseinrichtung für eine Druckmaschine mit Einzelantrieben, die mit einem geringeren Aufwand sowie ohne Fehler problemlos in Betrieb genommen werden sollten. Besonders die in Anspruch 1 genannte Teacheinrichtung stelle einen entscheidenden Unterschied dar, denn der Drehgeber solle über eine Teacheinrichtung referenziert werden. "Teachen" sei hier wie aus dem Englischen übersetzt als "Lehren" zu verstehen. Das heiße, es erfolge ein Informationsfluss ausgehend von der Teacheinrichtung in Richtung des Drehgebers. Demnach sei die Teacheinrichtung eine Einrichtung, die den Drehgeber beim Referenzieren beeinflussen könne. Anhand der detaillierten Beschreibung in Absatz [0020] des Streitpatents sei zu erkennen, dass der aktuelle Winkelwert des Drehgebers durch einen fest vorgegebenen Winkelwert ersetzt werde, indem ein Offset im Drehgeber gespeichert werde. Dagegen werde in der Druckschrift K1 eine Lageinformation vom uncodierten Geber an den Regler übertragen und dort gespeichert (s. Absatz [0014]). Der Informationsfluss erfolge vom Drehgeber zum Regler, sodass der Regler aus der Druckschrift K1 nicht geeignet sei, den Drehgeber zu beeinflussen. Folglich werde in der Druckschrift K1 keine Teacheinrichtung im Sinne des Streitpatents offenbart. Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber der Druckschrift K1 (Artikel 54 (1) EPÜ).
Entscheidungsgründe
1. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Die Beschwerdegegnerin hat ihren hilfsweise gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen (vgl. Punkt V. oben). Da die Kammer dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Widerruf des Patents stattgibt, entfaltet deren dazu nachrangiger Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung keine prozessuale Wirkung (Artikel 116 (1) EPÜ). Die Beschwerdesache ist auch auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des vorliegenden schriftlichen Vorbringens der Beteiligten unter Wahrung deren Rechte gemäß Artikel 113 und 116 EPÜ entscheidungsreif (Artikel 15 (3) VOBK 2020). Daher konnte im vorliegenden Fall die mündliche Verhandlung abberaumt werden und die Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 ergehen.
2. Einwand der fehlenden Neuheit
Zur Frage der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 1 im Hinblick auf die Druckschrift K1 ist der zwischen den Beteiligten alleinige Streitpunkt, ob diese Druckschrift das Anspruchsmerkmal c) offenbart, nämlich ob die in Figur 1 des Dokuments K1 dargestellte Druckmaschine einen Drehgeber aufweist, der "über eine Teacheinrichtung [...] referenzierbar ist".
Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei der "Teacheinrichtung" nicht um einen gängigen, eindeutig definierten Fachbegriff handelt. Zwar ist der Einspruchsabteilung (s. Punkt 2.2 auf Seite 9 der angefochtenen Entscheidung) und der Beschwerdegegnerin Recht zu geben, dass der Begriff vermutlich auf den englischen Ausdruck für "lehren" zurückzuführen ist, was auf einen beabsichtigten Informationsfluss in eine Richtung weg von der Teacheinrichtung hinweist. Für den Rückschluss, dass dieser Informationsfluss zwingend in Richtung des Drehgebers erfolge, sodass der Drehgeber durch die Teacheinrichtung beeinflusst werde, bietet sich nach Auffassung der Kammer jedoch keine Grundlage. Nicht nur enthält Anspruch 1 keinerlei Hinweise, woraus sich eine solche Auslegung ergeben würde, es lässt sich auch aus der konkreten Angabe in Absatz [0020] des Streitpatents, dass "ein Offset im Drehgeber gespeichert [wird], der zu jedem aktuellen Messwert desselben modulo addiert wird", nicht ableiten, dass sich der allgemeine Referenziervorgang gemäß dem Merkmal c) auf einen Informationsfluss in Richtung des Drehgebers beschränken soll. Vielmehr versteht die Kammer dieses Merkmal so, dass das Referenzieren des Drehgebers über eine nicht weiter definierte Teacheinrichtung auch die Alternative abdeckt, dass der Drehgeber durch eine entsprechende Signalverarbeitung in einer externen Recheneinheit, d.h. ohne jegliche Beeinflussung des Drehgebers, referenzierbar ist bzw. referenziert wird.
Ungeachtet der Auslegung des Begriffs "Teacheinrichtung" ist für die Kammer nicht ersichtlich, inwieweit der Drehgeber und letztendlich die Druckmaschine des Vorrichtungsanspruchs 1 durch das Merkmal c) eingeschränkt werden, denn der Ausdruck "referenzierbar" weist lediglich auf die Möglichkeit einer Referenzierung über eine Teacheinrichtung hin. Die Eignung eines Drehgebers zur Referenzierung, d.h. ihn in Beziehung zu einem weiteren Teil zu setzen, hängt nach Auffassung der Kammer nicht zwingend mit einer konkreten Ausgestaltung des Drehgebers zusammen.
Aus den obengenannten Gründen ist der in Absatz [0014] der Druckschrift K1 beschriebene Drehgeber 21, sei es in der codierten oder in der uncodierten Ausgestaltung, geeignet, über eine beliebige Teacheinrichtung referenziert zu werden, beispielsweise indem der Referenzzustand bzw. die Nullstellung des Drehgebers bezogen auf das Gestell 12 des Druckwerks 1 bestimmt und zur weiteren Anwendung gespeichert wird. Folglich kann die Kammer die Ansicht der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin nicht teilen, dass das Merkmal c) den Gegenstand des Anspruchs 1 von der aus der Druckschrift K1 bekannten Druckmaschine unterscheidet.
Weitere Unterscheidungsmerkmale gegenüber der Druckschrift K1 sind weder von der Einspruchsabteilung genannt noch von der Beschwerdegegnerin geltend gemacht worden. Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 1 nicht neu ist gegenüber der Druckschrift K1 (Artikel 54 (1) EPÜ).
3. Ergebnis
Aus dem Vorstehenden folgt, dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen ist.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.