T 0560/18 08-02-2021
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FAHRZEUGDACH
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 31. Januar 2018 zur Post gegeben wurde und mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2125410 aufgrund des Artikels 101 (2) EPÜ zurückgewiesen worden ist.
II. In der angefochtenen Entscheidung wird unter anderem von folgenden Entgegenhaltungen ausgegangen, die auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegen:
D1: US 6,550,852 B2
D2: DE 38 40 491 C1
D3: US 6,338,526 B1
III. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von D3 in Kombination mit D1 oder D2 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
IV. Am 8. Februar 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts statt.
V. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 wie erteilt (einziger Antrag) lautet wie folgt:
Fahrzeugdach mit einer innerhalb einer festen Dachaußenhaut eines Fahrzeugs angeordneten Dachöffnung und einem Deckel (10) zum wahlweisen Verschließen und mindestens teilweisen Öffnen der Dachöffnung,
wobei zum mindestens teilweisen Öffnen der Dachöffnung der Deckel aus einer Schließposition sowohl an seiner Hinterkante ausstellbar als auch in Fahrtrichtung nach hinten verlagerbar ist,
wobei der Deckel im Bereich seiner Vorderkante (14) mindestens eine Verriegelungsnase (12a, 12b) aufweist, welche in einer Schließstellung des Deckels ein in einer Richtung senkrecht zur Dachaußenhaut steifes Abstützelement untergreift und der Deckel an seiner Hinterkante so ausgebildet ist, dass in der Schließstellung eine Untergreifung unter die benachbarten Bereiche der Dachöffnung unterbleibt,
wobei der Deckel an seiner Hinterkante nach oben ausstellbar ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
das Abstützelement durch eine Vorderkante der Dachöffnung ausgebildet wird, wobei die Vorderkante durch einen Rand in der Außenhaut ausgebildet wird, und
der Deckel eine transparente Scheibe (18) aufweist, wobei die Scheibe (18) eine Randumschäumung (20) aufweist und die Verriegelungsnase (12a, 12b) an die Randumschäumung (20) angeformt ist.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe ausgehend von der D3 oder ausgehend von der D2 jeweils in Kombination mit D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Das beanspruchte Fahrzeugdach unterscheide sich von dem der D3 bzw. der D2 lediglich dadurch, dass eine an der Vorderkante angeordnete und an die Randumschäumung angeformte Verriegelungsnase in einer Schließstellung des Deckels die Dachaußenhaut untergreift.
Ausgehend von der D3 argumentierte die Einsprechende, dass die Figuren 2 bis 5 in D3 jeweils umlaufende Dichtungsalternativen zeigten. Eine Änderung des Dichtungsprofils gemäß Figur 2 im Schnitt III-III und gemäß z.B. Figur 3 im Schnitt II-II, die mit einem Stoß aneinandergefügt werden müssten, sei praxisfern. Somit fänden die Ausführungsformen der Figuren 3-5 auch an der Vorderkante ihren Einsatz.
Aus der steilen Keilform der Randumschäumung ergebe sich für den Fachmann das Problem, dass sich aufgrund der im Laufe der Jahre immer höher werdenden Fahrzeuggeschwindigkeiten das Fahrzeugdach durch Sogkräfte nach oben bewege.
Die zu lösende Aufgabe sei somit darin zu sehen, den aus D3 bekannten Fahrzeugdeckel so weiterzubilden, dass er sich auch bei hohen Fahrzeuggeschwindigkeiten an seinem Vorderrand nicht verformt (Beschwerdebegründung, S. 4/9, Absatz 4).
Der Fachmann entnehme der Lehre der D1, dass eine an die Randumschäumung 24 angeformte Verriegelungsnase 29 durch ein Untergreifen der Dachaußenhaut eine zuverlässige Aushebesicherung darstelle (Fig. 2). Daher würde der Fachmann zur Lösung der Aufgabe von der in D3 gezeigten Keilform abweichen und auf naheliegende Weise die Verriegelungsnase 29 mit der Dichtung 30 der D1 in die Randumschäumung 8 der D3 implementieren. Die Randumschäumung werde als "torsionally stiff" beschrieben. Folglich sei sowohl das in D3 als wesentlich dargestellte Heizelement 18, 19, 20 vor mechanischen Kräften geschützt als auch eine daran angeformte Verriegelungsnase entsprechend stabil, um Kräfte gegen Abheben aufzunehmen.
Der Fachmann entnehme der D2 (Figur 6), dass die Nase 27 den oberen Teil der Dichtung 5 untergreife. Einziger Unterschied des beanspruchten Fahrzeugdaches sei somit, dass die Verriegelungsnase nicht die Vorderkante der Dachöffnung untergreift.
Die Aufgabe liege wiederum darin, die mechanische Verriegelung der Vorderkante des Deckels zu verbessern. Ein Fachmann erkenne aus den Ausführungsbeispielen der D2, dass durch die Abstützung an der Dichtung 5 (Fig. 6) keine sehr hohen Vertikalkräfte übertragen werden könnten (Erwiderung vom 12. März 2019, S. 5/6, erster Absatz). Daher bestehe für den Fachmann durchaus Verbesserungspotenzial.
Aus der D1 finde der Fachmann nun die Anregung, die Verriegelungsnase am Vorderrand der Randumschäumung so zu verlängern, dass sie die Dachöffnung selbst untergreift. Die in der D2 genannten technischen Vorteile der darin aufgezeigten Lösung hinderten einen Fachmann nicht, die D2 mit der D1 zu kombinieren. Zum einen könne in der D2, Fig. 6 oder 7, die Nase 27 beibehalten werden und die Verriegelungsnase 29 aus der D1 unterhalb der Verriegelungsnase an der Randumschäumung 33, 33' nach vorne zur Dachkante geführt werden. Zum anderen werde auch die Dichtung 30 der D1 im geschlossenen Zustand des Deckels wie in der D2 (Fig. 3, Dichtung 5) zusammengedrückt. Somit blieben auch bei der Kombination von D2 mit der D1 die in D2 genannten Vorteile erhalten (Erwiderung vom 12. März 2019, S. 5/6, Kapitel 2.4).
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin bzgl. dieser Argumente lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Grundsätzlich offenbare die D1 weder in der Ausführung der Figur 2 noch in der Ausführung der Figur 3 eine Randumschäumung. Auch enthalte die D1 keine explizite Lehre, dass eine Verriegelungsnase an der Deckelvorderkante Kräfte aufnehmen könne. Damit lehre die D1 lediglich das Anordnen eines Befestigungselement 29 für eine Dichtung 30, keine Aushebesicherung.
In der D3 sei offenbart, dass die Vorderkante ausstellbar sein solle (Spalte 2, Zeilen 61-63). Daher werde in D3 für die Vorderkante auch eine Ausführung gemäß Figur 2 gezeigt, während sich die Ausführungen der Figuren 3-5 auf den Seitenrand beziehen. Der D3, Spalte 2, Zeilen 38-55, werde in Bezug auf Figur 1 von "a cover" und in Bezug auf die Figuren 2 und 3 von "the cover" gesprochen. Folglich handele es sich in Figur 2 und Figur 3 um ein- und denselben Deckel mit unterschiedlichen Dichtungsprofilen an der Vorderkante und der Seitenkante. Die Ausführungen nach den Figuren 3-5 befänden sich folglich explizit nicht an der ausstellbaren Vorderkante.
Weiterhin spreche das in der D3 offenbarte Heizelement 18, 19, 20 gegen das Anordnen eines untergreifenden Verriegelungselements, da hierbei hohe mechanische Kräfte auf das Heizelement einwirkten.
Hinsichtlich der D2 sei festzustellen, dass sich in der D2 die von der Einsprechenden formulierte Aufgabe nicht stelle, da sie bereits eine alternative Lösung für eben diese Aufgabe bereitstelle (Spalte 2, Zeilen 22-25). In Verbindung mit der Lösung seien weitere technische Vorteile offenbart, die einen Fachmann daran hinderten, den offenbarten Kunststoffrahmen und Dichtungen zu modifizieren.
Außerdem offenbare die D2 auch keine Randumschäumung, sondern lediglich einen "injection molded" Kunststoffrahmen 33, 33'.
Entscheidungsgründe
1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ, ausgehend von den Dokumenten D3 oder D2, jeweils kombiniert mit dem Dokument D1.
2. D3 in Kombination mit D1
2.1 D3 offenbart einen Deckel mit einer transparenten Scheibe 3, die explizit eine Randumschäumung 8 aufweist (Spalte 1, Zeilen 9-12, Spalte 2, Zeilen 1-2, Spalte 4, Zeilen 44-46).
Aus D3 ist nicht bekannt, die Randumschäumung mit einer Verriegelungsnase zu versehen, welche die Vorderkante der Dachöffnung untergreift.
Damit stellt sich ausgehend von der Ausführung der Figur 3 der D3 die objektive technische Aufgabe, den bekannten Deckel so weiterzubilden, dass dieser sich auch bei hohen Fahrgeschwindigkeiten nicht verformt und von den dort wirkenden Sogkräften nach oben verstellt wird.
Soweit folgt die Kammer dem Vortrag der Beschwerdeführerin (Einsprechenden). Dies wird auch von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten.
2.2 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) argumentiert nun, dass der Fachmann in D1 die Anregung fände, eine Randumschäumung (dort 24) mit einer Verriegelungsnase (29) zu versehen, die die Unterkante untergreift. Dies würde er auf die Randumschäumung gemäß der Ausführung der Figur 3 der D3 übertragen.
2.3 Dieser Auffassung folgt die Kammer nicht.
2.4 Entgegen der Auffassung der Einsprechenden sieht die Kammer zunächst keinen Anlass für den Fachmann, die D3 mit der D1 zu kombinieren.
Ein Fachmann würde die zur Einbettung der Solarzellen vorgesehene Abdeckung 18 der D1 (Figur 2) nicht berücksichtigen, da die D1 keine mit der D3 vergleichbaren Scheibe mit einer Umschäumung offenbart. Stattdessen zeigt D1 eine transparente scheibenartige Abdeckung 20 sowie eine unterhalb davon angeordnete, als flächiges, homogenes Spritzgussbauteil ausgebildete innere Abdeckung 18, 24, 29 (Spalte 3, Zeilen 6-12, 16-18).
Damit aber stellt der Verstärkungsrand 24 in D1 keine Randumschäumung im Sinne des Streitpatents dar. Aus diesem Grund wird die Verriegelungsnase 29 in D1 auch nicht von einer Randumschäumung getragen.
Von daher ist es auch unerheblich, ob das Teil 18 (inside cover) geschäumt ist oder nicht.
Auch stellt die Kammer fest, dass D1 keinen unmittelbaren Hinweis zur Lösung der gestellten Aufgabe gibt, nämlich eine Abhebesicherung bereitzustellen.
2.5 Selbst wenn die Kammer der Ansicht der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) folgen und der Fachmann dennoch die Lehre der D1 berücksichtigen sollte, beruht das Argument der Beschwerdeführerin (Einsprechenden), dass die Kombination von D3 mit D1 einen Mangel an erfinderischer Tätigkeit nachweise, auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
Um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen müsste der Fachmann nämlich den Steg 29 der D1, Figur 2, aus der homogen als Spritzgussbauteil hergestellten und zur Einbettung von Solarzellen 16 vorgesehenen Abdeckung 18 herauslösen und ihn an die Randumschäumung 8 der D3, Figur 3 anformen.
Zusätzlich hätte der Fachmann das in D3 am Seitenrand angeordnete keilförmige Profil (vgl. Ausführung der Figur 3 am Schnitt II-II der Figur 1) auch an der Vorderkante anordnen müssen, obwohl für die Vorderkante zweifelsfrei eine Ausführung nach Figur 2 gelehrt wird (Schnitt III-III in Figur 1).
Unabhängig von der Anordnung des in der Randumschäumung 8 der D3 vorgesehenen Heizelements würde damit aber die Ausstellbarkeit des Daches im Bereich der Vorderkante nicht mehr gewährleistet sein (Spalte 2, Zeilen 59 ff.). Somit leitet D3 den Fachmann weg von einer Verriegelung der Vorderkante des Dachs durch Untergriff einer Verriegelungsnase.
3. D2 in Kombination mit D1
3.1 D2 beschäftigt sich mit dem Sichern des Deckels gegen Abheben (Spalte 2, Zeilen 22-25) und offenbart in Figur 6 einen an die Scheibe 32 angespritzten Kunststoffrahmen 34 (Spalte 5, Zeile 36), der von der Kammer als Randumschäumung angesehen wird. Die Randumschäumung weist an ihrem vorderen Rand eine Verriegelungsnase 27 auf, die in der geschlossenen Stellung des Deckels die obere Hälfte eines Profilgummis 5 untergreift.
Aus D2 ist nicht bekannt, dass die Verriegelungsnase die Vorderkante der Dachöffnung untergreift.
Soweit folgt die Kammer dem Vortrag der Beschwerdeführerin (Einsprechenden).
3.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert nun, dass sich ausgehend von der D2 die objektive technische Aufgabe stelle, die mechanische Verriegelung der Vorderkante des aus D2 bekannten Deckels weiter zu verbessern. Dazu entnehme der Fachmann der D1 die Anregung die Randumschäumung (dort 24) mit einer Verriegelungsnase (29) zu versehen, die die Unterkante untergreift. Dies würde er auf die Randumschäumung 34 gemäß der Ausführung der Fig. 6 der D2 übertragen.
3.3 Dieser Auffassung folgt die Kammer nicht.
3.4 Die technische Lösung der D2 beschreibt bereits eine und im Vergleich zu D1 völlig andere Sicherung des Daches gegen Abheben inklusive einer guten Abdichtwirkung bei geschlossenem Deckel, vgl. D2, Spalte 2, Zeilen 29 ff. Hierbei ist bereits eine Verriegelungsnase vorgesehen.
3.5 Wie bereits zu D3 erläutert, sieht die Kammer aus den unter Punkt 2.4 aufgeführten Gründen keinen Anlass für den Fachmann, die D2 aufgrund des konstruktiv unterschiedlichen Fahrzeugdachaufbaus mit der D1 zu kombinieren.
3.6 Sollte der Fachmann dennoch die Lehre der D1 berücksichtigen, beruht das Argument der Beschwerdeführerin (Einsprechenden), dass die Kombination von D2 mit D1 zu einem Mangel an erfinderischer Tätigkeit führe, auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
Einen Fortsatz 29 einer homogenen Spritzgussabdeckung 18 aus der D1 alternativ zu der Nase 27 der Randumschäumung 33, 33' anzuformen, würde der Fachmann schon deshalb nicht in Erwägung ziehen, da er die Vorteile des Profilgummis wie etwa die Abdichtung durch Kompression der Luft im Profil oder das durch das Profil gebildete vordere Schwenklager aufgäbe, vgl. Spalte 2, Zeilen 48 ff. und 66ff. und Spalte 3, Zeilen 8 ff.
Auch für die Anordnung einer zusätzlichen Nase ergibt es aus Sicht der Kammer aus der Zusammenschau der D2 und der D1 aufgrund der völlig unterschiedlichen Fahrzeugdächer keinen Anlass, zumal die Nase in D1 nicht als Aushebesicherung dargestellt wird.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.