T 1003/18 21-09-2022
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HANDGEFÜHRTES PRESSGERÄT
Gustav Klauke GmbH
REHAU Industries SE & Co. KG
Rothenberger Werkzeuge GmbH
Mündliche Verhandlung - in Abwesenheit des Beteiligten abgehalten
Einspruchsgrund - unzulässige Erweiterung (ja)
Klarheit - Hilfsantrag 1 - (ja)
Ausführbarkeit - Hilfsantrag 1 - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät vorgebrachte Einwände - (ja) - zugelassen (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin und die Einsprechende 1 legten jeweils frist- und formgerecht Beschwerden gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. EP 2 501 523 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.
II. Drei Einsprüche richteten sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützten sich auf sämtliche Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit, Ausführbarkeit sowie unzulässige Änderungen).
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass zwar der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ entgegenstehe, das Patent jedoch in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten sei.
IV. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 28. April 2021 teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge sowohl die Beschwerde der Patentinhaberin als auch die der Einsprechenden 1 erfolglos sein dürfte.
V. Die Einsprechende 1 nahm mit Schriftsatz vom 7. September 2021 zur Mitteilung der Kammer inhaltlich Stellung, während die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 1. April 2022 auf die Kammermitteilung und auf den diesbezüglichen Schriftsatz der Einsprechenden 1 inhaltlich erwiderte.
VI. Am 21. September 2022 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer unter Anwendung von Artikel 15 (3) VOBK 2020 und Regel 115 (2) EPÜ in Abwesenheit der Einsprechenden 3 statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.
VII. Die Patentinhaberin beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung gemäß Hauptantrag,
oder hilfsweise,
die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 1 bis 10A,
wobei der Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht mit Schriftsatz vom 27. Juni 2019, der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Patents entsprach, d.h. auf die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden 1 gerichtet war.
VIII. Die Einsprechende 1 beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
IX. Die Einsprechende 2 beantragte
die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
X. Die Einsprechende 3 stellte im schriftlichen Verfahren weder einen Antrag noch trug sonst zur Sache vor.
XI. Diese Entscheidung erwähnt folgende Dokumente:
E0: DE 20 2009 015 515 U1
E2: EP 2 228 178 A2
E3: US 5 553 478 A
E4: EP 0 860 220 A2
E5: DE 20 2006 001 889 U1
E13: DE 101 06 360 C1
E15: DE 695 30 106 T2
E32: EP 1 230 998 B1.
XII. Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung gemäß Hauptantrag lautet:
"Handgeführtes Pressgerät zum Verbinden von zwei Werkstücken, insbesondere eines Rohrs mit einem Pressfitting durch Verpressen, mit einem mehrere Pressbacken (24) aufweisenden Presswerkzeug (26) und einer mit dem Presswerkzeug (26) verbundenen, von einem Elektromotor (10) angetriebenen Umwandeleinrichtung (28), dadurch gekennzeichnet, dass
der Elektromotor (10) als bürstenloser Elektromotor ausgebildet ist, der Elektromotor (10) mit einer Steuereinrichtung (32) zur Drehzahlsteuerung verbunden ist und mittels der Steuereinrichtung (32) eine Bestimmung der aktuellen Motordrehzahl erfolgt und der Elektromotor (10) bei einem Drehzahlanstieg abgeschaltet wird."
XIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, der der aufrechterhaltenen Fassung des Patents entspricht, lautet (Änderungen gegenüber Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hervorgehoben):
"Handgeführtes Pressgerät zum Verbinden von zwei Werkstücken, insbesondere eines Rohrs mit einem Pressfitting durch Verpressen, mit
einem mehrere Pressbacken (24) aufweisenden Presswerkzeug (26) und
einer mit dem Presswerkzeug (26) verbundenen, von einem Elektromotor (10) angetriebenen Umwandeleinrichtung (28), wobei der Elektromotor (10) mittels einem Exzenter mit einem Pumpkolben (16) verbunden ist zum Pumpen eines Hydraulikfluids über ein Steuerventil (18) in eine Kammer (20) der Umwandeleinrichtung (28), wodurch sich die Pressbacken des Presswerkzeugs schließen, wobei ein Nadelventil (30) vorgesehen ist, so dass bei Erreichen der eingestellten bzw. vorgegebenen maximalen Presskraft das Nadelventil (30) die Kammer (20) öffnet, wodurch der Druck in der Kammer (20) schlagartig abnimmt,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Elektromotor (10) als bürstenloser Elektromotor ausgebildet ist,
der Elektromotor (10) mit einer Steuereinrichtung (32) zur Drehzahlsteuerung verbunden ist und mittels der Steuereinrichtung (32) eine Bestimmung der aktuellen Motordrehzahl erfolgt und der Elektromotor (10) bei einem auf Grund der Druckabnahme in der Kammer (20) signifikanten Drehzahlanstieg abgeschaltet wird."
XIV. Im Hinblick auf die Entscheidung der Kammer ist eine Wiedergabe des Wortlauts von Ansprüchen der gegenüber dem Hilfsantrag 1 nachrangigen Anträge nicht erforderlich.
XV. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
Rechtliches Gehör
1. Die ordnungsgemäß geladene Einsprechende 3 nahm, wie schriftsätzlich angekündigt, nicht an der mündlichen Verhandlung teil. Es lag kein zu berücksichtigendes, schriftsätzliches Vorbringen der Einsprechenden 3 vor (Artikel 15 (3) VOBK 2020).
Hauptantrag - Beschwerde der Patentinhaberin
2. Unzulässige Änderungen (Artikel 100 c) EPÜ)
2.1 Die Patentinhaberin wandte sich gegen die Feststellung unter Punkt II.2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass der jeweilige Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 und 8 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.
2.2 Dabei argumentierte die Patentinhaberin, dass die Beanstandung der Einspruchsabteilung nach Artikel 123 (2) EPÜ lediglich einen Klarheitseinwand gegen den Anspruch 1 darstelle. Ferner sei auf Seite 5, dritter Absatz, der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen eindeutig offenbart, dass der "Drehzahlanstieg des Motors ... auf einfache Weise über die Steuereinrichtung bestimmt werden und zum Abschalten des Elektromotors genutzt werden" könne. Somit sei die erforderliche Kausalkette zwischen dem Drehzahlanstieg des Motors und dem Abschalten des Elektromotors explizit genannt, was sich auf diese Weise auch im Hauptantrag wiederfände. Anspruch 1 enthalte alle erforderlichen technischen Merkmale, die zur Lösung der gestellten technischen Aufgabe erforderlich seien, nämlich dass ein entsprechender Drehzahlanstieg erfasst und sodann der Elektromotor abgeschaltet werde.
2.3 Die Argumentation der Patentinhaberin überzeugt nicht, da es sich nach der angefochtenen Entscheidung nicht um einen Klarheitseinwand, sondern um einen Einwand hinsichtlich unzulässiger Änderung handelt. Zudem ist die Kammer entsprechend Punkt II.2.1 der angefochtenen Entscheidung der Auffassung, dass die auf Seite 5, dritter Absatz, der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen im Zusammenhang mit der Kausalkette der Motorabschaltung offenbarten Merkmale in den Ansprüchen 1 und 8 fehlen.
Wie die Einsprechende 2 überzeugend vortrug, ist das in den erteilten Anspruch 1 hinzugefügte Merkmal, wonach der Elektromotor bei einem Drehzahlanstieg abgeschaltet wird, in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen nur in Kombination mit einer Reihe weiterer Merkmale offenbart, die nicht in die Ansprüche 1 und 8 aufgenommen wurden. Damit stellt die Aufnahme des Merkmals eine Vereinzelung eines nur in Kombination mit weiteren Merkmalen offenbarten Merkmals dar. Diese Zwischenverallgemeinerung führt zu einem Gegenstand, der in dieser verallgemeinerten Formulierung nicht unmittelbar und eindeutig aus den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen hervorgeht.
Entsprechend der Meinung der Einsprechenden 1 ist auf Seite 5, dritter Absatz, der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nur ausgeführt, dass ein sprunghafter Anstieg der Motordrehzahl zum Abschalten des Elektromotors genutzt wird. Einen Anstieg der Drehzahl im Allgemeinen zu einem Abschalten des Elektromotors zu nutzen, ist jedoch nicht offenbart.
2.4 Die Argumente der Patentinhaberin zur Unrichtigkeit der Feststellungen der angefochtenen Entscheidung zum Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ überzeugen daher nicht, so dass die Beschwerde der Patentinhaberin erfolglos ist.
Hilfsantrag 1 - Beschwerde der Einsprechenden 1
3. Zulassung ins Verfahren des Einwands unzulässiger Erweiterung
3.1 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erhob die Einsprechende 1 den Einwand, dass das Merkmal der "eingestellten bzw. vorgegebenen maximalen Presskraft" im Anspruch 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung des Patents entgegen den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ nicht in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen offenbart sei.
3.2 Die Patentinhaberin wandte ein, dass dieser Einwand erstmals während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgebracht worden sei, so dass der Einwand verspätet und nicht im Verfahren zu berücksichtigen sei.
3.3 Die Einsprechende 1 erwiderte, dass sie diesen Einwand bereits unter Punkt III, auf Seite 6 und auf Seite 7, letzter Absatz, sowie unter Punkt V ihrer Beschwerdebegründung geltend machte. Die Offenbarung im Prioritätsdokument E0 und in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen sei dieselbe.
Auch sei der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung unter Punkt 7.2 zu entnehmen, dass vorgebracht worden sei, dass sich der Begriff der eingestellten bzw. vorgegebenen maximalen Presskraft auf den Stand der Technik beziehe. Dabei sei die Zuordnung dieses Vorbringens in der Niederschrift unter Artikel 84 EPÜ von der Einspruchsabteilung willkürlich vorgenommen worden.
3.4 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden 1 nicht überzeugt. Denn das Vorbringen der Einsprechenden 1 unter Punkt III auf Seite 6 der Beschwerdebegründung zum Merkmal der eingestellten bzw. vorgegebenen maximalen Presskraft bezieht sich auf die Prioritätsschrift E0, während das Vorbringen unter Punkt III auf Seite 7, letzter Absatz, sowie unter Punkt V der Beschwerdebegründung sehr allgemein gefasst und ohne spezifischen Bezug auf das Merkmal der "eingestellten bzw. vorgegebenen maximalen Presskraft" formuliert ist.
Dass die Offenbarung im Prioritätsdokument E0 und in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen dieselbe sei, ist dem Vorbringen der Einsprechenden 1 in der Beschwerdebegründung weder unter Punkt III noch unter Punkt V zu entnehmen.
Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung unter Punkt 7.2 geht lediglich hervor, dass ein Einwand mangelnder Klarheit nach Artikel 84 EPÜ hinsichtlich eben dieses Merkmals erhoben wurde.
3.5 Die Kammer ist daher nicht überzeugt, dass der spezifizierte Einwand, dass das Merkmal der "eingestellten bzw. vorgegebenen maximalen Presskraft" im Anspruch 1 entgegen den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ nicht in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen offenbart sei, im Einspruchsverfahren bzw. vor Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 26. Oktober 2020 tatsächlich erhoben wurde.
3.6 Somit liegt eine Änderung des Vorbringens der Einsprechenden 1 gegenüber dem Einspruchsverfahren bzw. gegenüber der Begründung ihrer Beschwerde vor, deren Zulassung ins Verfahren gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 und Artikel 13 (2) VOBK 2020 im Ermessen der Kammer steht.
3.7 Die Kammer sieht schon keinen Grund, diesen verspätet vorgebrachten Einwand nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 ins Verfahren zuzulassen.
Jedenfalls sieht die Kammer, soweit die Einsprechende 1 diesen Einwand erst während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer spezifiziert, keinen triftigen Grund, der nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 eine Änderung des Vorbringens in diesem späten Stadium des Verfahrens, d.h. nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung, rechtfertigt.
Daher übt die Kammer ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 und Artikel 13 (2) VOBK 2020 dahingehend aus, den Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ nicht ins Verfahren zuzulassen.
4. Zulassung ins Verfahren des Einwands ungültiger Inanspruchnahme der Priorität
4.1 Wie von der Einsprechenden 1 während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer selbst eingeräumt, erhob die Einsprechende 1 mit ihrer Beschwerdebegründung unter Punkt III erstmals einen Einwand ungültiger Inanspruchnahme der Priorität hinsichtlich des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung des Patents.
4.2 Somit liegt eine Änderung des Vorbringens der Einsprechenden 1 gegenüber dem Einspruchsverfahren vor, deren Zulassung ins Verfahren gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 im Ermessen der Kammer steht.
4.3 Zur Rechtfertigung der Änderung ihres Vorbringens argumentierte die Einsprechende 1, dass dieser Einwand im Einspruchsverfahren nicht hätte geltend gemacht werden können. Denn Anspruch 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung des Patents sei erst während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht worden und die Dynamik der mündlichen Verhandlung erlaubte ein Vorbringen des Einwands während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht. Eine exakte Aufarbeitung des Anspruchs 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung des Patents hätte erst mit der Beschwerdebegründung geschehen können.
4.4 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden 1 nicht überzeugt und kann keinen Umstand erkennen, der die Einsprechende 1 daran gehindert haben könnte, diesen Einwand bereits während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorzubringen. Wie von der Einsprechenden 2 während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingeräumt, hatte die Einspruchsabteilung den Einsprechenden während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung durchaus die Möglichkeit gegeben, Einwände zum Gegenstand der aufrechterhaltenen Fassung des Patents vorzubringen, auch wenn dies nach Meinung der Einsprechenden 2 in der Kürze der dafür zur Verfügung gestandenen Zeit nicht machbar gewesen wäre.
Die Kammer weist darauf hin, dass die Einsprechende 1 auch eine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zur Vorbereitung von Einwänden hinsichtlich des Gegenstands der aufrechterhaltenen Fassung des Patents hätte beantragen können, um mehr Zeit für die Ausarbeitung von Einwänden zu erhalten.
Dass sie dies aber ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung unterließ und keinen Einwand ungültiger Inanspruchnahme der Priorität hinsichtlich des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung des Patents während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung geltend machte, beruht allein auf der eigenverantwortliche Verfahrensführung der Einsprechenden 1.
4.5 Daher sieht die Kammer keinen Grund, den Einwand ungültiger Inanspruchnahme der Priorität nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 ins Verfahren zuzulassen.
5. Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
5.1 Die Einsprechende 1 wandte sich gegen die Feststellung unter Punkt II.4.3 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass der Ausdruck "auf Grund der Druckabnahme in der Kammer (20) signifikanten Drehzahlanstieg" im Anspruch 1 klar sei. Denn ob ein Drehzahlanstieg signifikant sei, unterliege einer subjektive Beurteilung. Somit könne die Grenze des Anspruches nicht erkannt werden. Auch bedürfe es einer subjektiven Einschätzung, ob der signifikante Drehzahlanstieg auf Grund der Druckabnahme in der Kammer gegeben sei.
5.2 Die Kammer teilt die Auffassung der Einsprechenden 1 nicht, sondern die der Einspruchsabteilung unter Punkt II.4.3 der angefochtenen Entscheidung,
"dass die Bedeutung dieses Merkmals für einen Fachmann hinreichend klar ist. Dieser versteht darunter eine deutlich erkennbare Erhöhung der Drehzahl, welche durch die Auslösung des Nadelventils hervorgerufen wird."
5.3 Die Argumentation der Einsprechenden 1 zur Unrichtigkeit der begründeten Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung des Patents die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ erfüllt, überzeugt somit nicht.
6. Zulassung ins Verfahren des Einwands mangelnder Klarheit des Merkmals "Steuerventil"
6.1 Die Einsprechende 1 erhob einen Einwand mangelnder Klarheit nach Artikel 84 EPÜ des Merkmals "Steuerventil" von Anspruch 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung des Patents erstmals mit der Beschwerdebegründung unter Punkt VII, ohne jedoch eine rechtfertigende Begründung für dieses verspätete Vorbringen anzugeben.
6.2 Die Einsprechende 1 war der Ansicht, dass laut Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung unter Punkt 5.2 ein Klarheitseinwand hinsichtlich des Merkmals Steuerventil schon im Einspruchsverfahren erhoben worden sei.
6.3 Die Kammer folgt jedoch der Patentinhaberin (siehe Schriftsatz vom 7. September 2021, Punkt I), dass der Niederschrift unter Punkt 5.2 kein Einwand mangelnder Klarheit des Merkmals Steuerventils zu entnehmen ist. Zudem bezieht sich Punkt 5.2 der Niederschrift nicht auf die von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Fassung des Patents gemäß vorliegendem Hilfsantrag 1. Die Kammer ist daher nicht überzeugt, dass der Einwand im Einspruchsverfahren tatsächlich erhoben wurde.
6.4 Somit liegt eine Änderung des Vorbringens der Einsprechenden 1 gegenüber dem Einspruchsverfahren vor, deren Zulassung ins Verfahren gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 im Ermessen der Kammer steht.
6.5 Ohne eine rechtfertigende Begründung für das verspätete Vorbringen sieht die Kammer keinen Grund, in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 diesen Einwand im Verfahren zu berücksichtigen.
7. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
7.1 Die Einsprechende 1 brachte im Hinblick auf die aufrechterhaltene Fassung des Patents gemäß Hilfsantrag 1 zur mangelnden Ausführbarkeit nach Artikel 83 EPÜ vor, dass das Nadelventil nach Anspruch 1 die Kammer bei Erreichen der maximalen Presskraft nicht so öffnen könne, dass der Druck in der Kammer schlagartig abnehme. Nach Figur 1 des Streitpatents sei nur eine marginale Veränderung/Vergrößerung der Kammer möglich. Das Streitpatent enthalte keine nacharbeitbare Offenbarung, worauf ein Drehzahlanstieg zurückzuführen sei. Weiterhin sei nicht nacharbeitbar, wie der bürstenlose Elektromotor als Außenläufermotor nach Anspruch 2 funktionieren könne.
7.2 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden 1 nicht überzeugt, sondern teilt die Auffassung der Einspruchsabteilung unter Punkt II.4.4.3 der angefochtenen Entscheidung und der Patentinhaberin unter Punkt III ihrer Beschwerdeerwiderung.
Eine schlagartige Druckabnahme in der Kammer bei Erreichen der vorgegebenen maximalen Presskraft ist durch Öffnen des Nadelventils möglich. Die Figur 1 stellt lediglich eine schematische Schnittansicht einer Schnittebene des Presswerkzeugs dar, in der nicht alle Hydraulikfluid führenden Kanäle oder Größenverhältnisse dargestellt sind, so dass dieser Figur kann Hinweis auf Abmessungen oder Beweglichkeit des Nadelventils entnehmbar ist.
Entsprechend der Meinung der Patentinhaberin enthält Anspruch 1 die Kausalkette, dass bei Erreichen der Presskraft das Nadelventil die Kammer öffnet, wodurch der Druck in der Kammer abnimmt, wobei diese Druckabnahme in der Kammer dazu führt, dass ein signifikanter Drehzahlanstieg erfolgt. Somit handelt es sich beim signifikanten Drehzahlanstieg um einen Drehzahlanstieg, welcher aufgrund der Druckabnahme in der Kammer durch Öffnen des Nadelventils verursacht wird.
Nach Anspruch 2 ist der Elektromotor als bürstenloser Außenläufermotor ausgebildet. Für den Fachmann ist nachvollziehbar, dass bei der Verwendung eines Außenläufermotors der Außenläufermotor mittels einem Exzenter mit dem Pumpkolben verbunden, da Außenläufermotoren ebenfalls eine Abtriebswelle aufweisen.
7.3 Die Argumente der Einsprechenden 1 zur Unrichtigkeit der begründeten Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung des Patents die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ erfüllen, überzeugen somit nicht.
8. Zulassung ins Verfahren des Einwands mangelnder Neuheit
8.1 Die Einsprechende 1 erhob zum ersten Mal in der Beschwerdebegründung unter Punkt IV einen Einwand mangelnder Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 gegenüber der Offenbarung von Dokument E2.
8.2 Somit liegt eine Änderung des Vorbringens der Einsprechenden 1 gegenüber dem Einspruchsverfahren vor, deren Zulassung ins Verfahren gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 im Ermessen der Kammer steht.
8.3 Zur Rechtfertigung der Änderung ihres Vorbringens argumentierte die Einsprechende 1 entsprechend obigem Punkt 4.3, dass dieser Einwand im Einspruchsverfahren nicht hätte geltend gemacht werden können. Die Dynamik der mündlichen Verhandlung erlaubte ein Vorbringen des Einwands während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht. Der Einwand mangelnder Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Offenbarung von E2 sei erst ersichtlich gewesen als die Einsprechende 1 erkannte, dass die Inanspruchnahme der Priorität ungültig erschien.
8.4 Die Kammer ist von der Argumentation der Einsprechenden 1 nicht überzeugt. Ausweislich der angefochtenen Entscheidung, Punkt II.4.5, und der Niederschrift über die mündliche Verhandlung, Punkt 7.8, blieb die Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung des Patents im Einspruchsverfahren unbestritten.
Die Kammer teilt die Auffassung der Patentinhaberin, dass die Frage der Gültigkeit der Inanspruchnahme der Priorität keinen Einfluss auf die Frage der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Offenbarung von E2 hat. Denn Dokument E2 bildete losgelöst von der Frage der Gültigkeit der Inanspruchnahme der Priorität immer noch Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ gegenüber dem beanspruchten Gegenstand und hätte als solcher bereits im Einspruchsverfahren zur Frage der Neuheit herangezogen werden können.
8.5 Aus den oben unter Punkt 8.4 und im Übrigen entsprechend den oben unter Punkt 4.4 angegebenen Gründen sieht die Kammer keinen Anlass, den Einwand mangelnder Neuheit in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 ins Verfahren zuzulassen.
9. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
9.1 Die Einsprechende 1 bestritt die Feststellung unter Punkt II.4.6.1.1 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ausgehend von Dokument E4 als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit der Lehre von Dokument E5 erfinderisch sei.
9.2 Hierbei argumentierte die Einsprechende 1, dass aus E4 ein handgeführtes Pressgerät mit einem Presswerkzeug und einer Umwandeleinrichtung bekannt sei. Die Umwandeleinrichtung sei zwar nicht explizit in E4 genannt, jedoch sei ausgeführt, dass ein elektrischer Antrieb vorgesehen sein könne, der zusätzlich auch mit einer Hydraulikeinheit kombiniert sein könne. Derartige mit einer Hydraulikeinheit verbundene, elektrische Antriebe seien der Fachperson für solche handgeführten Pressgeräte vielfach bekannt, beispielsweise aus Dokument E5. Insbesondere weise eine solche Hydraulikeinheit eine Hydraulikpumpe auf, die konkret die Umwandeleinrichtung nach Anspruch 1 darstelle. Jedenfalls vor dem Hintergrund des Fachwissens aus der vorgenannten Entgegenhaltungen sei der Fachperson deutlich, dass mit einer Hydraulikeinheit verbundene elektrische Antriebe bei einem handgeführten Pressgerät eine Umwandeleinrichtung beinhalteten, die mit dem Pressgerät verbunden und durch den Elektromotor angetrieben sei. Aus E4 seien sämtliche Merkmale des Anspruches 1 bekannt oder daraus nahegelegt, mit Ausnahme der expliziten Bezeichnung des Elektromotors als bürstenloser Elektromotor. Das Vorsehen eines bürstenlosen Elektromotors sei implizit in E4 offenbart oder stelle jedenfalls eine fachübliche Maßnahme dar.
Der Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass E4 nur eine Abschaltung des Motors in Folge einer Störung zeige, könne nicht gefolgt werden. Wie sich aus Figur 5 von E4 und dem Drehzahlverlauf ergebe, erfolge auch am Ende einer normalen Verpressung eine Abschaltung des Motors. Weiterhin komme es technisch gesehen nicht darauf an, wie eine Drehzahlerhöhung qualifiziert sei, ob als "Störung" oder ob "auf Grund der Druckabnahme in der Kammer signifikant". Für die technische Ausgestaltung sei allein relevant, dass aus E4 bekannt sei, auf Grund einer Drehzahlerhöhung eine Abschaltung vorzunehmen. Ob der Drehzahlanstieg, wie in E4, bei dem Versuch einer Verpressung eines zu kleinen Pressfittings erfolge oder aufgrund einer Druckabnahme in einer Kammer sei unbeachtlich. Eine Abschaltung aufgrund eines signifikanten Drehzahlanstieges erfolge immer, wenn der Drehzahlanstieg erfasst werde.
Mit Schriftsatz vom 7. September 2021 verwies die Einsprechende 1 zum Beleg des allgemeinen Fachwissens zusätzlich auf die Gebrauchsmusterschrift DE 296 02 240 U1.
9.3 Die Kammer ist von dieser Argumentation nicht überzeugt und teilt wie folgt die Feststellung der Einspruchsabteilung unter Punkt II.4.6.1.1 der angefochtenen Entscheidung und der Patentinhaberin.
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von dem aus E4 bekannten Pressgerät zumindest durch die im Anspruch 1 angegebene Kausalkette der Motorabschaltung.
E5 betrifft eine Antriebseinheit für ein handgeführtes Pressgerät mit einem Antrieb aus Elektromotor und angeschlossenem Hydraulikkreislauf.
Dass ein Abschalten eines Elektromotors infolge des Erreichens einer vorgegebenen maximalen Presskraft aufgrund eines damit einhergehenden signifikanten Drehzahlanstiegs des Elektromotors gemäß der im Anspruch 1 angegeben Kausalkette vorgesehen ist, ist weder der Lehre von E4 noch der Lehre von E5 jeweils allein noch einer Kombination der Lehren dieser Dokumente zu entnehmen.
Im Übrigen gibt auch die als Beleg für das allgemeine Fachwissen zitierte Gebrauchsmusterschrift keinen Hinweis auf die den Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber der Offenbarung von E4 unterscheidenden Merkmale der Kausalkette der Motorabschaltung.
Der Gegenstand von Anspruch 1 ist daher angesichts einer Kombination der Lehre von E4 mit der Lehre von E5, auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens nach DE 296 02 240 U1, erfinderisch.
9.4 Die Argumentation der Einsprechenden 1 zur Unrichtigkeit der begründeten Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass die Gegenstand von Anspruch 1 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung des Patents die Erfordernisse von Artikel 56 erfüllt, überzeugt somit nicht.
10. Zulassung ins Verfahren der Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit
10.1 Die Einsprechende 1 erhob weitere Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen den Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 auf Basis folgender Argumentationslinien
- ausgehend von der Lehre von Dokument E4 als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit der Lehre eines der Dokumente E0, E2, E3 und E15, und
- ausgehend von der Lehre von Dokument E32 als nächstliegender Stand der Technik in Kombination mit der Lehre des Dokuments US 2 254 613 A und dem allgemeinen Fachwissen
zum ersten Mal mit ihrer Beschwerdebegründung, sowie
- ausgehend von der Lehre von Dokument E13 als nächstliegender Stand der Technik
zum ersten Mal während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.
10.2 Somit liegen Änderungen des Vorbringens der Einsprechenden 1 gegenüber dem Einspruchsverfahren bzw. gegenüber der Begründung ihrer Beschwerde vor, deren Zulassung ins Verfahren gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 und Artikel 13 (2) VOBK 2020 im Ermessen der Kammer steht.
10.3 Die Einsprechende 1 argumentierte, dass die Offenbarung von E32 inhaltsgleich mit der in der angefochtenen Entscheidung als nächstliegender Stand der Technik diskutierten Offenbarung von E13 sei. Das Dokument
US 2 254 613 A sei Teil der Offenbarung von E32.
10.4 Die Kammer erkennt in dieser Argumentation der Einsprechenden 1 keinen die Verspätung des Vorbringens der oben unter Punkt 10.1 angegebenen Argumentationslinien mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E4 oder ausgehend von E32 als jeweiliger nächstliegender Stand der Technik rechtfertigenden Grund. Keine dieser Argumentationslinien war Gegenstand der angefochtenen Entscheidung.
Die Kammer sieht daher keinen Grund, nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 diese Argumentationslinien ins Verfahren zuzulassen.
10.5 Soweit die Einsprechende 1 eine Argumentationslinie mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von Dokument E13 als nächstliegender Stand der Technik erst während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer geltend machte, sieht die Kammer jedenfalls keinen stichhaltigen Grund, der nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 eine Änderung des Vorbringens in diesem späten Stadium des Verfahrens, d.h. nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung, rechtfertigt.
10.6 Daher übt die Kammer ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 und Artikel 13 (2) VOBK 2020 dahingehend aus, die unter Punkt 10.1 oben angegebenen Argumentationslinien hinsichtlich mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht ins Verfahren zuzulassen.
11. Im Ergebnis zeigt keiner der seitens der Einsprechenden 1 in zulässig erhobenen Einwände überzeugend die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zur Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag 1 auf, so dass die Beschwerde der Einsprechenden 1 erfolglos ist.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden 1 werden zurückgewiesen.