T 0195/19 18-10-2019
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HOCH ABRIEBFESTES BAND FÜR DIE BANDAGIERUNG VON KABELBÄUMEN IN AUTOMOBILEN
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent 1 722 968 zurückzuweisen.
II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patents im gesamten Umfang auf Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 b) EPÜ beantragt.
III. Die im Rahmen des Einspruchsverfahrens vor der Einspruchsabteilung eingereichten Dokumente umfassten:
D1: DE 197 32 958 A1
D2: EP 1 074 595 A1
D3: DE 100 42 732 A1
D5: EP 2 671 760 A1
D6: WO 00/20201 A1
D7: JP H08-70526 A (D7a: Abstract)
D8: WO 02/11155 A1
D9: experimenteller Bericht der Einsprechenden,
eingereicht mit Schreiben vom 28. März 2018
D12: experimenteller Bericht der Patentinhaberin,
eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der
Einspruchsabteilung am 30. Oktober 2018.
IV. Das Patent enthält neun Ansprüche, wobei Anspruch 1 wie folgt lautet:
"Hoch abriebfestes, wobei die Abriebfestigkeit des Trägers zumindest 150% der Summe der Abriebfestigkeiten der Einzellagen, gemessen nach ISO 6722, Kapitel 9.3 ,,Scrape abrasion resistance", beträgt, Band für die Bandagierung von Kabelbäumen, insbesondere in Automobilen, aus einem Träger mit einer ersten Deckschicht A und einer zweiten Deckschicht B, wobei sich zwischen den Deckschichten A und B eine Zwischenschicht C befindet, die mit den Deckschichten A und B jeweils über deren gesamte Fläche fest verbunden ist,
die Deckschichten A und B aus einem Gewebe bestehen, wobei das Gewebe ein Filamentgewebe aus Polyester, Polyamid, Glasfasern oder Hochleistungskunststoffen wie Carbonfasern ist und 40 bis 50 Fäden pro cm in Kettrichtung sowie 20 bis 30 Fäden pro cm in Schussrichtung aufweist,
die Zwischenschicht C aus einer visko-elastischen Klebemasse, bevorzugt Selbstklebemasse, oder einem beidseitig klebend ausgerüsteten Klebeband besteht."
Die Ansprüche 2 bis 5 sind abhängige Ansprüche, die Ansprüche 6 und 7 betreffen die Verwendung des beanspruchten Bandes zum Ummanteln von langgestrecktem Gut, Anspruch 8 ist auf ein mit dem beanspruchten Band ummanteltes, langgestrecktes Gut gerichtet und Anspruch 9 betrifft ein Fahrzeug, enthaltend dieses langgestreckte Gut.
V. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch zurück, da:
- die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne; und
- der beanspruchte Gegenstand gegenüber D1 neu sei und gegenüber D3 (oder auch D1) als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Die verspätet eingereichten Dokumente D5 bis D8 wurden nicht zum Verfahren zugelassen.
VI. Gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Einsprechende (nachfolgend "Beschwerdeführerin") Beschwerde ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das angegriffene Patent vollständig zu widerrufen. Mit der Beschwerdebegründung reichte sie die folgenden Dokumente ein:
D13: EP 0 379 478 B1
D14: Antrag auf einstweilige Verfügung (einschließlich
der ISO-Norm 6722 als Anlage)
D15: Entwurf der Norm LV 312 (Version 8; 2/2004).
VII. Am 23. Mai 2019 reichte die Beschwerdeführerin das folgende Dokument ein:
D16: BMW Group Standard GS 95008-3.
VIII. Die Patentinhaberin (nachfolgend "Beschwerdegegnerin") beantragte in ihrer Erwiderung vom 6. Juni 2019, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag) bzw. hilfsweise das Patent auf Grundlage von einem der Hilfsanträge 1 bis 4 aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus beantragte sie, dass die von der Einspruchsabteilung nicht zum Verfahren zugelassenen Dokumente D5 bis D8 weiterhin vom Verfahren ausgeschlossen bleiben.
IX. Mit Schreiben vom 12. August 2019 reichte die Beschwerdeführerin noch ein weiteres Dokument (D17) ein:
D17: Urteil des Landgerichts Düsseldorf (4a O 54/18),
verkündet am 12. März 2019.
X. In Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung erließ die Kammer am 17. September 2019 eine Mitteilung, in der sie ihre vorläufige Meinung erläuterte.
XI. Mit Schreiben vom 18. September 2019 beantragte die Beschwerdegegnerin, die erst im Beschwerdeverfahren eingereichten Dokumente D13 bis D17 nicht zum Verfahren zuzulassen.
XII. Am 18. Oktober 2019 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Beide Parteien hielten an ihren schriftlich gestellten Anträgen fest. Die Beschwerdegegnerin erklärte jedoch, dass sie keinen Einwand gegen die Zulassung der in Anspruch 1 erwähnten ISO-Norm 6722 (Anlage zu D14) habe; der darüber hinausgehende Teil von D14 sollte jedoch nicht zum Verfahren zugelassen werden.
XIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:
- D5 bis D8, sowie D13 bis D17 sollten zum Verfahren zugelassen werden, da sie im vorliegenden Fall relevant seien. D7 sei für die Beurteilung der Neuheit des beanspruchten Gegenstands als hochrelevant anzusehen und D8 und D13 stellen jeweils einen geeigneten nächstliegenden Stand der Technik dar. D14 enthalte als Anlage die in Anspruch 1 erwähnte ISO-Norm, D15 betreffe den Entwurf einer Norm (LV 312) für Klebebänder, die im vorliegenden Fall auch von Bedeutung sei, und D16 sei ein für die Frage der erfinderischen Tätigkeit relevantes Kombinationsdokument.
- Die Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne, da die Methode zur Bestimmung der Abriebfestigkeit des Trägers ungenügend definiert sei. Ein Fachmann könne dem Patent nicht entnehmen, wie ein Träger ohne Klebeschicht nach ISO 6722 zu vermessen sei.
- Das beanspruchte Band sei gegenüber D1 nicht neu und beruhe gegenüber D3 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit D2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der beanspruchte Gegenstand unterscheide sich von D3 nur dadurch, dass in D3 hinsichtlich der Deckschicht keine Angaben zu der Anzahl der Fäden pro cm in Kettrichtung sowie in Schussrichtung gemacht seien. Eine derartige bereits aus D2 bekannte Gewebestruktur einzusetzen sei aber für einen Fachmann eine naheliegende Maßnahme.
XIV. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:
- D5 bis D8, sowie D13 bis D17 (ausgenommen die ISO-Norm 6722, Anlage zu D14) sollten nicht zum Verfahren zugelassen werden. Die Beschwerdeführerin habe nicht gezeigt, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung, D5 bis D8 nicht zum Verfahren zuzulassen, falsch gewesen sei. Hinsichtlich der Dokumente D13 bis D17 seien keine Erklärungen vorgetragen worden, warum diese Dokumente erst im Beschwerdeverfahren vorgebracht worden seien. Darüber hinaus seien diese Dokumente auch nicht prima facie relevant.
- Die Erfindung sei über den gesamten beanspruchten Bereich ausführbar. Dieser Angriff basiere lediglich auf Vermutungen und nicht auf nachprüfbaren Fakten. Die Beweislast, um ernsthafte Zweifel an der Ausführbarkeit aufzuzeigen, liege jedoch auf Seiten der Beschwerdeführerin.
- Das beanspruchte Band sei gegenüber D1 neu und beruhe gegenüber D3 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit. Weder D3 noch D2 enthielten eine Anregung dahingehend, wie ein Band mit der anspruchsgemäß geforderten verbesserten Abriebfestigkeit des Trägers erreicht werden könnte.
Entscheidungsgründe
HAUPTANTRAG (DAS PATENT WIE ERTEILT)
1. Zulassung der Dokumente D5 bis D8 und D13 bis D17
1.1 D5 bis D8
Die Einspruchsabteilung hat entschieden, die nach der Einspruchsfrist eingereichten Dokumente D5 bis D8 (insbesondere aufgrund fehlender Relevanz) nicht zum Verfahren zuzulassen. Die Beschwerdeführerin hat sich in Ihrer Beschwerdebegründung erneut auf diese Dokumente bezogen. Sie hat jedoch keinerlei Argumente vorgebracht, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung, D5 bis D8 nicht zum Verfahren zuzulassen, falsch gewesen sein könnte. Die Kammer kann keinen Fehler in der Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung erkennen. Auch die Relevanz der Dokumente D5 bis D8 erschließt sich der Kammer nicht. Somit hat die Kammer entschieden, dass die Dokumente D5 bis D8 weiterhin vom Verfahren ausgeschlossen bleiben.
1.2 D13 bis D17
Von der Beschwerdegegnerin wurde beantragt, die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente D13 bis D15 (ausgenommen die ISO-Norm 6722 als Anlage von D14), sowie die danach eingereichten Dokumente D16 und D17 nicht zum Verfahren zuzulassen.
D13 betrifft eine Patentschrift, die von der Beschwerdeführerin im Rahmen eines neuen Angriffs gegen die erfinderische Tätigkeit verwendet worden ist. Es wurden jedoch von der Beschwerdeführerin keinerlei Argumente vorgebracht, warum D13 erst mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden ist und nicht bereits im Einspruchsverfahren. Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin weder erklärt, aus welchen Gründen D13 einen relevanteren nächstliegenden Stand der Technik darstelle, als die im Einspruchsverfahren verwendeten Dokumente, noch warum D13 für den vorliegenden Fall anderweitig von Bedeutung sein könnte. Somit hat die Kammer entschieden, D13 nicht zum Verfahren zuzulassen (Artikel 12(4) VOBK).
D14 betrifft einen beim Landgericht Düsseldorf eingereichten Antrag auf einstweilige Verfügung in Bezug auf das angegriffene Patent (EP 1 722 968), der als Anlage die in Anspruch 1 erwähnte ISO-Norm 6722 enthält. Diese ISO-Norm 6722 ist für den vorliegenden Fall von wesentlicher Bedeutung, da dadurch erstmals in diesem Verfahren gezeigt wird, wie die Abriebfestigkeit des in Anspruch 1 beschriebenen Trägers konkret zu messen ist. Die Beschwerdeführerin konnte jedoch nicht zeigen, welche Bedeutung der Antrag auf einstweilige Verfügung (ausgenommen der ISO-Norm 6722) für die zu diskutierenden Fragen der Rechtsbeständigkeit haben könnte. Die Kammer hat daher entschieden, zwar die ISO-Norm 6722 zum Verfahren zuzulassen, nicht jedoch die darüber hinausgehenden Teile von D14 (Artikel 12(4) VOBK).
D15 betrifft den Entwurf einer Norm (LV 312) für Klebebänder für Niederspannungsleitungen in Kraftfahrzeugen. Dieser Entwurf basiert zwar auf der in Anspruch 1 beschriebenen ISO-Norm 6722. Es ist jedoch aus Anspruch 1 (und dem gesamten Patent) eindeutig zu entnehmen, dass in dem Patent ausschließlich die in Anspruch 1 beschriebene ISO-Norm 6722 von Bedeutung ist und nicht der Entwurf zur Norm LV 312, die in dem angegriffenen Patent auch nicht erwähnt wird. Da die Kammer nicht erkennen kann, was D15 im vorliegenden Fall beitragen könnte, hat sie entschieden, D15 nicht zum Verfahren zuzulassen (Artikel 12(4) VOBK).
D16 betrifft einen BMW Group Standard (GS 95008-3) für Wickelbänder und Kabelschutzsysteme, der von der Beschwerdeführerin im Rahmen eines Angriffs erfinderischer Tätigkeit verwendet wurde. Auch D16 wird im Streitpatent nicht erwähnt, und es ist nicht zu erkennen, warum D16 für den vorliegenden Fall von Bedeutung sein könnte. Somit hat die Kammer entschieden, D16 nicht zum Verfahren zuzulassen (Artikel 13(1) VOBK).
D17 betrifft ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf in einer Patentverletzungsklage der Beschwerdegegnerin gegen die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Streitpatent. Der Kammer erschließt sich auch die Bedeutung dieses Dokuments für die im vorliegenden Fall zu diskutierenden Fragen der Rechtsbeständigkeit nicht. Somit hat die Kammer entschieden, auch D17 nicht zum Verfahren zuzulassen (Artikel 13(1) VOBK).
2. Auslegung des Gegenstands von Anspruch 1
2.1 Der ursprüngliche Anspruch 1 enthielt die folgende einleitende Formulierung:
"Hoch abriebfestes Band für die Bandagierung von Kabelbäumen ... aus einem Träger mit einer ersten Deckschicht A und einer zweiten Deckschicht B ...".
Im Rahmen des Erteilungsverfahrens wurde zwischen die Ausdrücke "Hoch abriebfestes" und "Band" ein Merkmal eingefügt (nachfolgend auch als "150%-Kriterium" bezeichnet), so dass der einleitende Teil des erteilten Anspruchs 1 wie folgt lautet:
"Hoch abriebfestes, wobei die Abriebfestigkeit des Trägers zumindest 150% der Summe der Abriebfestigkeiten der Einzellagen, gemessen nach ISO 6722, Kapitel 9.3 ,,Scrape abrasion resistance", beträgt, Band für die Bandagierung von Kabelbäumen ... aus einem Träger mit einer ersten Deckschicht A und einer zweiten Deckschicht B ...".
Durch die Einfügung des 150%-Kriteriums wurde die ursprüngliche Formulierung so zerteilt, dass der erteilte Anspruch 1 schwer lesbar und darüber hinaus auslegungsbedürftig wurde.
2.2 Nachfolgend wird diese (schwerer lesbare) zerteilende Formulierung daher ausgelegt und die Bedeutung der Begriffe "hoch abriebfest", "Träger" und "Band" analysiert.
2.2.1 Der Einschub des 150%-Kriteriums zwischen die Ausdrücke "Hoch abriebfestes" und "Band" erweckt beim ersten Lesen den Eindruck, es könnte sich bei dem 150%-Kriterium um eine Definition des relativen Begriffs "hoch abriebfestes" und damit um eine Eigenschaft des Bandes handeln. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Schon rein sprachlich besteht kein Zweifel daran, dass sich das Merkmal "Hoch abriebfestes" nur auf das Band (Neutrum) beziehen kann, während das 150%-Kriterium zweifelsfrei eine Eigenschaft des Trägers definiert.
Dass der Einschub des 150%-Kriteriums an der falschen Stelle im Anspruch 1 erfolgt ist, ist auch daran ersichtlich, dass es für die Abriebfestigkeit des Trägers keinen vorhergehenden Bezugspunkt im Anspruch gibt.
2.2.2 Das beanspruchte (hoch abriebfeste) Band ist als ein "Band ... aus einem Träger mit einer ersten Deckschicht A und einer zweiten Deckschicht B, wobei sich zwischen den Deckschichten A und B eine Zwischenschicht C befindet" (nachfolgend auch als "ACB-Struktur" bezeichnet) definiert. Dabei ist die Formulierung "Band ... aus einem Träger" im vorliegenden Fall offen und nicht abschließend auszulegen, so dass die Ausdrücke "Band" und "Träger" nicht notwendigerweise gleichzusetzen sind. So kann der Träger zum Beispiel eine Klebemasse tragen und aus dem Zusammenspiel von Träger und Klebemasse ergibt sich ein Klebeband. Genau dieser Fall findet sich im Anspruch 5 des Patents wieder, der vorsieht, dass der Träger mit der ACB-Struktur zumindest einseitig mit einer Selbstklebemasse beschichtet wird. Anspruchsgemäß muss das Klebeband hochabriebfest sein, wobei dieser Begriff relativ und nicht näher bestimmt ist. Die konkrete Abriebfestigkeit, nämlich das 150%-Kriterium, gilt nur für den ACB-Träger (ohne die Klebemasse). Dabei ist es für den Fachmann offensichtlich, dass sich die positiven Eigenschaften des Trägers, z.B. dessen Abriebfestigkeit, auf das Klebeband auswirken. Trotzdem muss das Klebeband als Einheit das 150%-Kriterium nicht erfüllen.
Für den Fall aber, dass keine weitere Schicht, beispielsweise eine Klebebeschichtung, auf dem Träger vorhanden ist, entspricht der Träger dem Band mit der ACB-Struktur. Für diese besondere Ausführungsform ist das 150%-Kriterium auch als Eigenschaft des Bandes zu verstehen.
2.2.3 Ursprünglich war die Beschwerdeführerin der Ansicht, dass "hoch abriebfest" derart zu verstehen sei, dass das beanspruchte Band in einem Abriebtest mindestens 1000 Hüben standhalten können müsse. Nach Ansicht der Kammer ist dem Patent aber kein Anhaltspunkt für diese Auslegung zu entnehmen. Weder das angegriffene Patent, noch die in Anspruch 1 beschriebene ISO-Norm 6722 enthalten Angaben darüber, welcher Abriebtest anzuwenden ist und wie vielen Hüben ein beanspruchtes Band standhalten können muss, um als "hoch abriebfest" eingestuft zu werden. In Abwesenheit einer entsprechenden Definition wäre im Zweifelsfall das relative Merkmal "hoch abriebfest" für ein Band breit auszulegen.
2.3 Beide Parteien stimmten dieser Auslegung des beanspruchten Gegenstands ausdrücklich zu.
3. Artikel 100 c) EPÜ
Erstmals im Beschwerdeverfahren trug die Beschwerdeführerin einen Einwand unter Artikel 100 c) EPÜ vor. Im Lichte der vorstehenden Auslegung des beanspruchten Bandes (siehe Punkt 2.2) erklärte die Beschwerdeführerin zwar, dass sich dieser Einwand damit erübrige, sie nahm diesen Einwand jedoch nicht ausdrücklich zurück. Nach G 10/91 (Leitsatz III) dürfen im Beschwerdeverfahren neue Einspruchsgründe nur mit dem Einverständnis der Patentinhaberin geprüft werden. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdegegnerin dem ausdrücklich widersprochen, so dass sich weitere Ausführungen zu diesem Einwand erübrigen.
4. Ausführbarkeit
4.1 Schriftsätzlich trug die Beschwerdeführerin unterschiedliche Einwände unter Artikel 100 b) EPÜ vor, beschränkte sich letztendlich jedoch auf die ihrer Ansicht nach ungenügende Definition der Methode zur Bestimmung der Abriebfestigkeit des Trägers nach der (in Anspruch 1 geforderten) ISO-Norm 6722. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin sei die Erfindung nicht ausführbar, da ein Fachmann aus dem Patent nicht entnehmen könne, wie ein Träger (mit ACB-Struktur) ohne Klebeschicht nach der ISO-Norm 6722 zu vermessen sei. Das Patent enthalte nach ihrer Ansicht keinerlei Angaben (auch nicht in den Paragraphen [0016] und [0017]), wie ein Träger ohne Klebeschicht, wie in Beispiel 2 beschrieben, auf dem Metalldorn mit einem Durchmesser von 10 mm zu fixieren sei, um diesen ohne Verrutschen problemlos vermessen zu können. Beispiel 2 beschreibt die Herstellung eines Verbundträgers, der als Träger für Selbstklebebänder genutzt oder auch ohne Kleberbeschichtung als Abriebschutz verwendet werden kann.
In diesem Zusammenhang trug die Beschwerdeführerin vor, dass unklar sei:
- welche Klemmen (siehe Bezugszeichen (5) in Figur 7 der ISO-Norm 6722) geeignet seien und mit welcher Kraft diese anzuziehen seien;
- ob ein Metalldorn mit einem Durchmesser von 10 mm (wie im Patent gefordert) überhaupt in dem Abriebtest geeignet sei; und
- wie ein zu messender Träger genau aufzukleben sei.
Die Beschwerdeführerin bezog sich dabei auch auf den experimentellen Bericht D9, der eine Diskrepanz zu dem entsprechenden Gegenexperiment der Beschwerdegegnerin (D12) aufweise. Nach ihrer Ansicht erkläre sich diese Diskrepanz aus der Unklarheit, wie der zu messende Träger zu fixieren sei. Auch die ISO-Norm 6722 erkläre nicht, wie dies zu bewerkstelligen sei, da darin nur ein umhülltes Kabel, nicht aber ein mit einem nicht klebenden Träger umwickelter Dorn, wie im Patent angegeben, gemessen wird.
4.2 Nach Ansicht der Kammer ergibt sich aus Anspruch 1 eindeutig, dass die Abriebfestigkeit des Trägers gemäß der ISO-Norm 6722 (Kapitel 9.3) zu messen ist und aus Paragraph [0016] des Patents ist zu entnehmen, dass ein auf den Metalldorn geklebter Prüfling vermessen wird. In Paragraph [0017] des Patents sind Angaben zu Durchmesser des Metalldorns (10 mm), Gewichtsbelastung (7 N) und Reibkörper (Stahldraht gemäß ISO 8458-2 mit einem Durchmesser von 0,45 mm) zu finden. Bis auf den Metalldorn, der gegen das in Figur 7 der ISO-Norm 6722 gezeigte isolierte Kabel auszutauschen ist, entsprechen diese Angaben denen der ISO-Norm 6722. Darüber hinaus sind in Kapitel 9.3 der ISO-Norm 6722 detaillierte Angaben zu finden, welche weiteren Einstellungen vorzunehmen sind. Die Beschwerdeführerin konnte nicht zeigen, dass diese in Kapitel 9.3 der ISO-Norm 6722 angegebenen Einstellungen für die Vermessung eines nicht klebenden Trägers ungeeignet sein könnten.
4.3 Der wesentliche Unterschied zwischen der ISO-Norm 6722 und der im Patent anzuwendenden davon etwas abgewandelten Meßmethode besteht somit darin, dass ein dickerer (umwickelter) Metalldorn in den Probenhalter einzuspannen ist und dass ein umwickelter Metalldorn und nicht ein isoliertes Kabel (wie in Figur 7 der ISO-Norm 6722 gezeigt) vermessen wird. Dies setzt auch zwingend voraus, dass die zu messende Umwicklung auf dem Dorn in geeigneter Weise fixiert werden muss.
Die Kammer hat weder Zweifel daran, dass ein Fachmann den beschriebenen Dorn verrutschungssicher auf dem Probenhalter fixieren kann, noch daran, dass ein Fachmann Schwierigkeiten haben könnte, einen dreischichtigen Träger (mit ACB-Struktur) derart auf dem Dorn zu fixieren, dass dieser zumindest im Messbereich nicht verrutschen kann. Diesbezüglich ist festzustellen, dass die Auslenkung der Nadel nach der ISO-Norm 6722 nur etwa 20 mm beträgt. Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin darin zu, dass ein Fachmann den zu messenden Träger derart auf dem Dorn fixieren kann, beispielsweise durch Verkleben im nicht zu messenden Bereich, dass ein Verrutschen im Messbereich verhindert wird. Da es sich bei der Abriebfestigkeit um eine Eigenschaft des Trägers als solchen handelt, impliziert dies bereits, dass im Messbereich, d.h. in dem Bereich, wo sich der Reibkörper befindet, keine weiteren Schichten (auch keine Klebeschichten) zwischen dem Träger und dem Metalldorn vorhanden sein dürfen, da diese das Messergebnis verfälschen würden.
4.4 Zwar ist in dem experimentellen Bericht D9 beschrieben, dass bei Messung eines Trägers mit anspruchsgemäßen Geweben als Deckschichten das 150%-Kriterium nicht erreicht werden konnte. Ein Gewebe derselben Art als Deckschichten wurde jedoch von der Beschwerdegegnerin in dem Gegenexperiment (D12) vermessen und das 150%-Kriterium konnte erfolgreich realisiert werden. Da weder in D9 noch in D12 detaillierte Angaben dazu gemacht wurden, wie der zu messende Träger genau fixiert worden ist, kann gestützt auf diese Überlegungen die Ausführbarkeit nicht in Frage gestellt werden.
Somit konnte die Beschwerdeführerin nicht zeigen, dass die Messmethode zur Bestimmung der Abriebfestigkeit des Trägers (nach der ISO-Norm 6722, Kapitel 9.3) ungenügend definiert ist.
4.5 Wie von der Beschwerdeführerin richtigerweise festgestellt worden ist, zeigt das Gegenbeispiel in Paragraph [0051] des Patents, dass für eine Ausführungsform mit anspruchsgemäßen Deckschichten A und B und einer Zwischenschicht aus Kaschierkleber mit einem Flächengewicht von nur 30 g/m**(2) (Variante 2 in Tabelle 2) das 150%-Kriterium des Trägers nicht erreicht werden kann.
Die Abschnitte [0025] bis [0029] des Patents selbst vermitteln jedoch eine Anweisung, dass die anspruchsgemäß geforderte Abriebfestigkeit des Trägers durch höhere Flächengewichte der Zwischenschicht (vorzugsweise 50 bis 300 g/m**(2)) erreicht werden kann. Die erfindungsgemäßen Beispiele des Patents verdeutlichen ebenfalls, dass das 150%-Kriterium des Trägers durch höhere Flächengewichte der Zwischenschicht oder durch eine Zwischenschicht aus einem doppelseitigen Klebeband realisiert werden kann. Somit gibt das Patent selbst eine Lehre an, wie das nicht erfolgreiche Gegenbeispiel in ein erfindungsgemäßes Beispiel umgewandelt werden kann.
4.6 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Beschwerdeführerin nicht zeigen konnte, dass die Erfindung nicht ausführbar ist. Somit steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.
5. Neuheit
5.1 Von der Beschwerdeführerin wurden Neuheitseinwände gegenüber D1 und D7 vorgebracht. Da sich D7 nicht im Verfahren befindet (siehe Punkt 1), erübrigt sich eine Behandlung dieses Neuheitsangriffs.
5.2 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin sei das beanspruchte Band bereits in D1 offenbart. Sie trug jedoch keine Argumente vor, die zeigen könnten, dass das in D1 beschriebene Gewebe die in Anspruch 1 geforderte Anzahl der Fäden in Kett- und Schussrichtung aufweist. Nach Ansicht der Kammer enthält D1 keinerlei Angaben zu der in Anspruch 1 geforderten Anzahl der Fäden in Kett- und Schussrichtung des Gewebes, so dass zumindest dieses Anspruchsmerkmal in D1 weder explizit noch implizit offenbart ist. Somit ist das in Anspruch 1 beanspruchte Band bereits aus diesem Grund gegenüber D1 neu. Gleiches gilt für die abhängigen Ansprüche 2 bis 5, sowie die direkt oder indirekt auf Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 6 bis 9.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1 Die Beschwerdeführerin trug mehrere Angriffe gegen die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Bandes ausgehend von D3, D8 und D13 als nächstliegendem Stand der Technik vor. Darüber hinaus brachte sie einen Einwand ausgehend von dem in Paragraph [0039] des Patents erwähnten, seit längerem bekannten Gewebe in Kombination mit D16 vor. Da sich D8, D13 und D16 aber nicht im Verfahren befinden (siehe Punkt 1), erübrigt sich eine Behandlung der auf diese Dokumente gestützten Angriffe.
6.2 Somit verbleibt, die Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D3 als nächstliegendem Stand der Technik zu beurteilen.
6.3 D3 beschreibt ein Verfahren zum Ummanteln von langgestrecktem Gut, insbesondere Kabelsätzen, mit einem Klebeband. Beide Parteien waren sich darin einig, dass das in Paragraph [0050] von D3 gezeigte Band als die dem beanspruchten Band am nächsten kommende Ausführungsform anzusehen sei. Diese Ausführungsform weist den folgenden Aufbau auf:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Der vorstehende Aufbau lässt sich dadurch herstellen, dass zwei beschichtete Klebebänder (jeweils aus Träger mit Klebemasse aufgebaut) derart mit Versatz gegeneinander kaschiert werden, dass im Kontaktbereich des entstehenden Klebebandes eine Zwischenschicht aus zwei miteinander verklebten Klebemassen entsteht und die Klebemasse in den Randbereichen unverklebt bzw. klebeaktiv bleibt. In Paragraph [0034] des Patents wird eine solche Anordnung explizit als eine vorteilhafte Form eines erfindungsgemäßen Trägerverbundes bezeichnet.
6.4 Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass D3 bereits ein Gewebe als Deckschicht offenbare, das aus Polyesterfasern bestehe (Paragraphen [0027] und [0046]). Außerdem erfülle D3 auch das in Anspruch 1 geforderte 150%-Kriterium des Trägers automatisch, da in Paragraph [0074] von D3 ein Flächengewicht der Klebebeschichtung von bis zu 80 g/m**(2) beschrieben sei. Das einzige Unterscheidungsmerkmal zum beanspruchten Gegenstand sei in der Anzahl der Fäden pro cm in Kettrichtung sowie in Schussrichtung zu sehen.
6.5 Aus den folgenden Gründen kann die Kammer diese Ansicht nicht teilen:
6.5.1 Um zu einer Deckschicht aus einem Filamentgewebe aus Polyester zu gelangen, müsste in Paragraph [0027] von D3 unter den Alternativen Gewebe, Gewirke oder Vliese ein Gewebe als textiler Träger ausgewählt werden. Darüber hinaus müssten in Paragraph [0046] von D3 unter den Alternativen Polyester-, Polypropylen-, Viskose- oder Baumwollfasern Polyesterfasern als Fasermaterial ausgewählt werden. Bereits aufgrund dieser zweifachen Auswahl enthält D3 keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung eines Gewebes aus Polyesterfasern als Deckschicht.
6.5.2 Für die Vermutung der Beschwerdeführerin, dass D3 das 150%-Kriterium des Trägers offenbart, gibt es nach Ansicht der Kammer keinerlei Beweise. Der Beschwerdeführerin ist dahingehend zuzustimmen, dass in Paragraph [0074] von D3 eine Klebebeschichtung mit einem Flächengewicht von 25 bis 80 g/m**(2) beschrieben ist, die mit dem im Patent beschriebenen Flächengewicht der Zwischenschicht C überlappt. Selbst wenn sich das in Paragraph [0074] von D3 beschriebene Flächengewicht (25 bis 80 g/m**(2)) auch auf die in der Ausführungsform (Paragraph [0050]) als "Klebemasse" bezeichnete Schicht beziehen würde, die durch Kaschieren eine Zwischenschicht bildet, gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass sich die in Anspruch 1 geforderte Abriebfestigkeit des Trägers für die in D3 erwähnten Deckschichten automatisch ergibt. Die Kammer teilt diesbezüglich die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass erst das Zusammenspiel der in Anspruch 1 beschriebenen spezifischen Deckschichten A und B mit der auszuwählenden Zwischenschicht C dazu führt, dass das 150%-Kriterium des Trägers erreicht wird. Somit offenbart D3 auch das 150%-Kriterium des Trägers nicht unmittelbar und eindeutig.
6.6 Folglich unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 von D3 dadurch, dass:
- die Abriebfestigkeit des Trägers zumindest 150% der Summe der Abriebfestigkeiten der Einzellagen, gemessen nach ISO 6722, Kapitel 9.3 ,,Scrape abrasion resistance", beträgt; und
- die Deckschichten A und B aus einem Gewebe bestehen, das ein Filamentgewebe aus Polyester, Polyamid, Glasfasern oder Hochleistungskunststoffen ist und 40 bis 50 Fäden pro cm in Kettrichtung sowie 20 bis 30 Fäden pro cm in Schussrichtung aufweist.
6.7 Somit ist die objektive technische Aufgabe ausgehend von D3 in der Bereitstellung eines Bandes zu sehen, das eine verbesserte Abriebfestigkeit aufweist und trotzdem noch für die Bandagierung von Kabelbäumen geeignet ist. Die Kammer sieht angesichts der erfindungsgemäßen Beispiele keinen Anlass daran zu zweifeln, dass diese Aufgabe durch das beanspruchte Band gelöst wird.
6.8 D3 beschäftigt sich nicht mit der Verbesserung der Abriebfestigkeit, sondern damit, eine einfache, preiswerte und schnelle Ummantelung von langgestrecktem Gut zu ermöglichen. Aus D3 alleine ist keine Lehre zu entnehmen, welche Maßnahmen (bezogen auf das Material und die Art der Deckschichten, einschließlich der Anzahl der Fäden pro cm in Kett- und Schussrichtung, und die Art und Dicke der klebenden Zwischenschicht) nötig sind, um das geforderte 150%-Kriterium des Trägers mit der ACB-Struktur zu erfüllen, aber dennoch die Eignung des Bandes für die Bandagierung von Kabelbäumen beizubehalten. Nach Ansicht der Kammer ist D3 für sich genommen daher nicht in der Lage den beanspruchten Gegenstand nahezulegen.
D2 betrifft zwar ein (handreißbares) Klebeband zum Umwickeln von Kabelbündeln mit einem Gewebeträger, der die gesuchte Anzahl an Kettfäden und Schussfäden pro cm aufweist. D2 ist jedoch auch nicht zu entnehmen, durch welche Maßnahmen das 150%-Kriterium des Trägers realisiert werden könnte. Somit kann auch D2 keine Anregung dahingehend vermitteln, wie die objektive technische Aufgabe gelöst werden kann.
Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber D3 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit D2 auf einer erfinderischen Tätigkeit. Gleiches gilt für die abhängigen Ansprüche 2 bis 5, sowie die direkt oder indirekt auf Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 6 bis 9.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.