T 0501/19 02-09-2021
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Mähdrescher mit einer Reinigungseinrichtung
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr.2 796 032 in geändertem Umfang nach Artikel 101 (3) (a) und 106 (2) EPÜ aufrechtzuerhalten.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nach dem während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrag erfinderisch sei.
In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:
D3 SU 1 496 699 A1
D4 US 5 525 108 A
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der Zwischenentscheidung und den Widerruf des Patents. Eine mündliche Verhandlung hat sie lediglich hilfsweise für den Fall beantragt, dass eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht möglich sei.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 17(2) VOBK vom 3. März 2021 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit mit.
VI. Mit Schreiben vom 29. April 2021 teilte die Beschwerdegegnerin mit, die vorläufige Meinung der Beschwerdekammer nachvollziehen zu können, und nahm ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück. Dabei hat sie zur Mitteilung der Kammer nicht Stellung genommen.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 des für diese Entscheidung relevanten Hauptantrags (Patent wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten) hat folgenden Wortlaut:
"Mähdrescher (1) mit einer Reinigungsvorrichtung (14), umfassend wenigstens ein luftdurchströmtes Sieb (14, 24, 24'), welches in einem Siebrahmen (21) eine Vielzahl von auf Drehachsen (36) schwenkbar gelagerten Lamellenreihen (25) zur Verstellung der der Sieböffnungsweite des Siebes (14, 24, 24') aufweist, die durch eine Verstelleinrichtung (19) betätigbar sind, wobei die Drehachsen als gekröpfte Lamellendrähte (36) ausgebildet sind, die drehbar in dem Siebrahmen (21) gelagert sind, wobei das wenigstens eine Sieb (14, 24, 24') mindestens zwei hintereinander angeordnete Abschnitte (I, II, III) mit darin gelagerten, durch die Verstelleinrichtung (19) gemeinsam betätigbaren Lamellenreihen (25) aufweist, und wobei zumindest in zwei benachbarten Abschnitten (I, II; I, III) sich bei einer Betätigung der Verstelleinrichtung (19) zur Verstellung der Sieböffnungsweite bei gleicher Lamellengröße unterschiedliche Öffnungswinkel (A, B, C) gegenüber einer vom Siebrahmen (21) umfassten horizontalen Siebebene (E) einstellen, dadurch gekennzeichnet, dass die Lamellenreihen (25) in dem jeweils vorangehenden Abschnitt (I, II) einen größeren Öffnungswinkel (A, B, C) aufweisen als in dem nachfolgenden Abschnitt (II, III), wobei die Größe des sich einstellenden Öffnungswinkels (A, B, C) die Öffnungsweite des Teilsiebes (24, 24') in dem jeweiligen Abschnitt (I, II, III) bestimmt, wobei die Kröpfung der Lamellendrähte (25) in einem vorangehenden Abschnitt (I, II) geringer ist als die Kröpfung in einem darauffolgenden Abschnitt (II, III) des Siebes (14, 24, 24')."
VIII. Die Beschwerdeführerin hat zu den entscheidungs-erheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber D3 und werde ausgehend von D3 durch D4 nahegelegt.
IX. Die Beschwerdegegnerin hat zu den entscheidungs-erheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber D3 und werde durch den angezogenen Stand der Technik nicht nahegelegt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Die Erfindung betrifft einen Mähdrescher mit einer Reinigungsvorrichtung (14) in Form eines luftdurchströmten Siebes (24, 24'), welches in einem Siebrahmen eine Vielzahl von auf Drehachsen (36) schwenkbar gelagerten Lamellenreihen (25) zur Verstellung der Sieböffnungsweite des Siebes aufweist. Die Lamellenreihen sind durch eine Verstelleinrichtung (19) betätigbar, wobei die Drehachsen als gekröpfte Lamellendrähte (36) ausgebildet sind. Die Lamellenreihen sind drehbar im Siebrahmen gelagert, wobei das wenigstens eine Sieb mindestens zwei hintereinander angeordnete Abschnitte (I, II, III) mit darin gelagerten, durch die Verstelleinrichtung gemeinsam betätigbaren Lamellenreihen aufweist, und wobei zumindest in zwei benachbarten Abschnitten (I, II; I, III) sich bei einer Betätigung der Verstelleinrichtung zur Verstellung der Sieböffnungsweite bei gleicher Lamellengröße unterschiedliche Öffnungswinkel gegenüber einer vom Siebrahmen umfassten horizontalen Siebebene einstellen. Die Lamellenreihen weisen in dem jeweils vorangehenden Abschnitt einen größeren Öffnungswinkel auf als in dem nachfolgenden Abschnitt, wobei die Kröpfung der Lamellendrähte in einem vorangehenden Abschnitt geringer ist als die Kröpfung in einem darauffolgenden Abschnitt des Siebes. Die sich dadurch einstellende größere Sieböffnungsweite in Verbindung mit dem größeren Luftvolumenstrom im vorderen Bereich des Siebes ermöglichen dort die Abscheidung von mehr Korn, ohne dass Kurzstroh und Spreu durch die Sieböffnungen hindurch treten (Patentschrift, Absatz 0012).
3. Neuheit, erfinderische Tätigkeit
3.1 Die Neuheit wurde gegenüber dem Dokument D3, und die erfinderische Tätigkeit ausgehend von D3 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen bestritten. In ihrer Mitteilung vom 3. März 2021, Abschnitt 2, hat die Kammer dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"Der Gegenstand von Anspruch 1 scheint zwar neu gegenüber D3 zu sein, aber ausgehend von D3 nicht auf erfinderischer Tätigkeit zu beruhen.
2.1 Das Dokument D3 offenbart unbestritten einen Mähdrescher mit einer Reinigungsvorrichtung, umfassend wenigstens ein luftdurchströmtes Sieb, welches in einem Siebrahmen eine Vielzahl von auf Drehachsen 3 schwenkbar gelagerten Lamellenreihen 2 zur Verstellung der Sieböffnungsweite des Siebes aufweist, die durch eine Verstelleinrichtung 4 betätigbar sind, wobei die Drehachsen als gekröpfte Lamellendrähte ("crank 6") ausgebildet sind, die drehbar in dem Siebrahmen gelagert sind.
2.2 Die Kammer ist der vorläufigen Auffassung, dass der Oberbegriff von Anspruch 1 wegen der doppelten Pluralformen in den Merkmalen "Abschnitte mit darin gelagerten ... Lamellenreihen" und "in zwei benachbarten Abschnitten sich ... unterschiedliche Öffnungswinkel ... einstellen" nicht darauf beschränkt ist, dass mehr als eine Lamellenreihe pro Abschnitt denselben Öffnungswinkel einstellen kann. Daher scheinen diese Merkmale in D3 offenbart zu sein, siehe die Anordnung in Figur 1.
2.3 Dagegen scheinen die Merkmale des Kennzeichens von Anspruch 1 nicht in D3 offenbart zu werden. Nach ständiger Rechtsprechung liest der Fachmann einen Anspruch mit der Bereitschaft, diesen auf technisch sinnvolle Weise zu verstehen. Bei dieser Leseweise scheint das Merkmal "die Lamellenreihen in dem jeweils vorangehenden Abschnitt einen größeren Öffnungswinkel aufweisen als in dem nachfolgenden Abschnitt" wegen der Singularform "einen ... Öffnungswinkel" zu bedingen, dass alle Lamellenreihen eines Abschnitts denselben Öffnungswinkel aufweisen. Diese Sichtweise scheint durch die Singularform "des sich einstellenden Öffnungswinkels" bestätigt zu werden. Dagegen weist jede Lamellenreihe in D3 einen unterschiedlichen Öffnungswinkel auf.
Analog scheint die Singularform "die Kröpfung" im Merkmal "die Kröpfung der Lamellendrähte in einem vorangehenden Abschnitt geringer ist als die Kröpfung in einem darauffolgenden Abschnitt des Siebes" zu bedingen, dass die Lamellendrähte aller Lamellenreihen eines bestimmten Abschnitts dieselbe Kröpfung aufweisen. Auch das wird nicht in D3 offenbart, wo jeder Lamellendraht eine unterschiedliche Länge aufweist.
2.4 Das Streitpatent scheint keine besondere technische Wirkung zu offenbaren, die der Zusammenfassung mehrerer Lamellenreihen zu einem Abschnitt mit gleichem Öffnungswinkel und gleicher Kröpfung zugrunde liegt. Daher scheint die objektive technische Aufgabe darin zu bestehen, eine alternative Ausgestaltung für die aus D3 bekannte Verstelleinrichtung anzugeben. Aus Sicht der Kammer liegt es im Rahmen des fachüblichen, und damit nicht erfinderischen Vorgehens eines Fachmanns, eine Konstruktion durch die Verringerung der Einzelteile bzw. durch eine Erhöhung der Gleichteile zu vereinfachen. Dieses Fachwissen scheint durch D4 belegt zu werden, wo bereits mehrere Lamellenreihen zu einem Abschnitt mit gleichem Öffnungswinkel und gleicher Kröpfung zusammengefasst sind. Siehe die vier Lamellenreihen im Abschnitt 76 und die fünf Lamellenreihen im Abschnitt 78 in Figur 4.
Somit scheint der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D3 nicht auf erfinderischer Tätigkeit zu beruhen."
3.2 Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen.
4. Somit gelangt die Kammer im Gegensatz zur angegriffenen Entscheidung zu dem Ergebnis, das der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D3 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.