T 0736/93 14-01-1994
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Cellulosederivate und daraus hergestellte Fasern und Membranen
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung 88 110 547.2, eingereicht am 1. Juli 1988 mit einer Priorität vom 18. Juli 1987 (DE 3 723 897) war unter der Nr. 0 300 250 veröffentlicht worden. Mit Entscheidung vom 8. März 1993 wurde sie von der Prüfungsabteilung 2.1.15.010 des Europäischen Patentamts zurückgewiesen.
II. Der Entscheidung lagen die am 26. November 1992 eingegangenen Ansprüche 1 und 2 sowie ursprüngliche Ansprüche 3 bis 18 zugrunde. Anspruch 1 lautete, wie folgt:
"1. Cellulosederivate der allgemeinen Formel
(OZX)m
Cellulose
(O-CO-Y)n
worin -Z- einen gegebenenfalls substituierten Alkylen-, Alkenylen-, (gerad-kettig und/oder verzweigt, wobei die Kohlenstoffkette auch durch Heteroatome wie O, S, N unterbrochen sein kann) und/oder Arylen- und/oder Arylalkylen- oder Arylalkinylen-Rest (ggf. substituiert),
X -H, und/oder -NR2 und/oder COOH auch als Salz und/oder -SO3H auch als Salz und/oder -SO2-R und/oder -PO3H2 auch als Salz und/oder -CN und/oder -OR und/oder Halogen und/oder -Si(OR)3 bedeuten,
wobei R ein Wasserstoffatom und/oder eine Alkylgruppe mit 1 bis 25 C-Atomen (geradkettig und/oder verzweigt und gegebenenfalls substituiert) und/oder Benzyl- und/oder Phenylgruppe (ggf. substituiert) ist
und Y ein -(FORMEL)
und/oder - (FORMEL)
und/oder -C(CH2COOH)=CH-R'
und/oder -(C2R"4)-COOH und/oder -CR"=CR"-COOH und/oder (-CH=CH-COOH)-Rest und/oder NHR'- und/oder R'-Rest ist
und R' eine gegebenenfalls substituierte Alkyl-, Alkenylgruppe mit 1 bis 36 C-Atomen, (gerad-kettig und/oder verzweigt, wobei die Kohlenstoffkette auch durch Heteroatome wie O, S, N, sowie CO- oder COO-Gruppen unterbrochen sein kann) und/oder Aryl- und/oder Arylalkyl-Rest (ggf. substituiert) bedeutet
und R" die gleiche Bedeutung wie X und/oder R' hat
und r = 1 - 20
m = 0 - 2,5
n = 0,01 bis 2,95 ist,
sowie der Polymerisationsgrad mehr als 400 beträgt und die herstellbar sind durch homogene Umsetzung in einem Gemisch von Dimethylacetamid und/oder N- Methylpyrrolidon mit LiCl vorzugsweise nach Aktivierung des Celluloseausgangsproduktes ohne Anwesenheit von LiCl."
III. Die Zurückweisung wurde sinngemäß damit begründet, daß der beanspruchte Gegenstand zwar zulässig (Art. 123 (2) EPÜ), klar und neu sei und daß Anspruch 1, soweit er durch die Offenbarung gedeckt sei und die in der Beschreibung angegebene Aufgabe löse, auch die Voraussetzungen des Artikels 56 EPÜ erfülle; in der vorliegenden Form sei jedoch der Gegenstand des Anspruchs 1 weder ausreichend offenbart, noch erfinderisch und deshalb im Hinblick auf die Erfordernisse der Artikel 56 und 83 sowie des Artikels 52 (1) EPÜ nicht patentfähig. Auch sei er wegen Spekulativität nicht gewährbar.
Hierzu wurde im wesentlichen ausgeführt, der Anspruch enthalte unbegrenzte Definitionen, und es sei trotz Aufforderung keine ausreichende Begrenzung des durchschnittlichen Polymerisationsgrades (D.P.) erfolgt, wodurch die unbegrenzten Substituenten dominant seien, was bedeute, daß die Mehrzahl der beanspruchten modifizierten Cellulosen, die der Patentanmeldung zugrundeliegende Aufgabe nicht löse. Auch umfasse der Gegenstand des Anspruchs 1 komplizierte heterocyclische Bauelemente enthaltende Substituenten sowie Cellulose- Polymere, die die zu erfüllenden strengen Kriterien (giftige, quellbare und wasserlösliche Verbindungen seien ausgeschlossen) nicht erfüllen.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Anmelderin) unter gleichzeitiger Zahlung der vorge- schriebenen Gebühr am 5. Mai 1993 Beschwerde erhoben und mit der am 13. Juli 1993 eingegangenen Beschwerde- begründung neue Ansprüche 1 und 2 sowie daran angepaßte Beschreibungsteile eingereicht. Nach ihrer Auffassung sind durch die geänderten Ansprüche die in der ange- fochtenen Entscheidung genannten Zurückweisungsgründe ausgeräumt.
Im einzelnen führt die Beschwerdeführerin hierzu aus, die Zahl der C-Atome im Substituenten Z betrage nunmehr maximal 18, und X und Y enthielen nicht mehr als je 36. C-Atome, wodurch die Substituenten in ihrer Kettenlänge eingeschränkt seien. Eine Dominanz der Substituenten gegenüber Cellulose sei somit auch bei einem niedrigen D.P. für Cellulose ausgeschlossen. Aufgrund der vorgenommenen Beschränkung der Substituenten seien auch nicht herstellbare Heterocyclen nicht mehr umfaßt und die sog. "Definitionsschleifen" vermieden worden.
V. Die Beschwerdeführerin beantragt, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen zu erteilen:
- ursprünglich eingereichte Seite 1
- mit Eingabe vom 24. November 1992 eingereichte Seite 2
- dem Schriftsatz vom 13. Juli 1993 beigefügte Austauschseiten 3 und 4
- ursprünglich eingereichte Seite 5
- dem Schriftsatz vom 13. Juli 1993 beigefügte Austauschseite 6
- mit Eingabe vom 24. November 1992 eingereichte Seite 7
- ursprünglich eingereichte Seiten 8 bis 25
- mit Eingabe vom 24. November 1992 eingereichte Seite 26
- ursprünglich eingereichte Seiten 27 bis 35
- dem Schriftsatz vom 13. Juli 1993 beigefügte Patentansprüche 1 und 2
- ursprünglich eingereichte Patentansprüche 3 bis 18.
Die geltenden Patentansprüche 1 und 2 haben folgenden Wortlaut:
"1. Cellulosederivate der allgemeinen Formel
(OZX)m
Cellulose
(O-CO-Y)n
worin -Z- CnH2n mit n = 0 bis 18 bedeutet,
X N(CnH2n+1)2, N(CnH2nOH)2,
NCnH2n, NCnH2nO, SO2CnH2n+1,
OCnH2n+1 mit n = 1 bis 18,
CH=CH2, C6H5, SO3H, PO3H2,
Si(OCH3)3, COOH, OH oder H
bedeutet und
Y CnH2n+1, CnH2n-1,
CnH2n-2(CnH2n+1), CnH2nCOOH,
CnH2n-1(SO3H)COOH,
CnH2n-1(Cl)COOH, CnH2n-2COOH,
CnH2n-2(CnH2n+1)COOH, C6H5, C2F5,
C6H5CH2, NHCnH2n+1,
C6H5NH, C6H4(Cl)NH,
CnH2nNH mit n = 1 bis 18
bedeutet und worin
m = 0 - 2,5 und
n = 0,01 bis 2,95 ist,
und der Polymerisationsgrad mehr als 400 beträgt und die herstellbar sind durch homogene Umsetzung in einem Gemisch von Dimethylacetamid und/oder N-Methylpyrrolidon mit LiCl vorzugsweise nach Aktivierung des Celluloseausgangsproduktes ohne Anwesenheit von LiCl.
2. Cellulosederivate der allgemeinen Formel
(OZX)m
Cellulose ,
(O-Y)n
worin X die gleiche Bedeutung wie in Formel 1 hat und
worin -Z- CnH2n mit n = 0 bis 18
und Y CSNHCnH2n+1,
CSNHC6H5, OCOCnH2n+1,
CSCnH2n+1, SO2CnH2n+1,
SO2N(CnH2n+1)2 mit
n = 1 bis 18 oder SO3H
bedeutet und worin
m = 0 - 2,5 und
n = 0,01 bis 2,95 ist, und
der Polymerisationsgrad mehr als 400 beträgt und die herstellbar sind durch homogene Umsetzung in einem Gemisch von Dimethylacetamid und/oder N-Methylpyrrolidon mit LiCl vorzugsweise nach Aktivierung des Celluloseausgangsproduktes ohne Anwesenheit von LiCl."
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Im Anschluß an die vorangegangene Feststellung, die Voraussetzung einer sachlichen Prüfung der Beschwerde ist (Art. 110 (1) EPÜ), sieht sich die Kammer im vorliegenden Fall zu einigen Ausführungen grundsätzlicher Art veranlaßt:
2.1. Im Rahmen der sachlichen Prüfung einer Beschwerde gegen die Zurückweisung einer Patentanmeldung durch die Prüfungsabteilung geht die Kammer in der Regel derart vor, daß sie zunächst untersucht, ob die Voraussetzungen für die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung gegeben sind. Trifft dies nicht zu, so wird - je nach den Umständen des Falles - die Beschwerde unmittelbar zurückgewiesen oder dem Beschwerdeführer durch eine schriftliche oder telefonische Mitteilung und/oder im Rahmen einer mündlichen Verhandlung Gelegenheit geboten, diese Voraussetzungen zu erfüllen. Sind diese - unmittelbar oder im Anschluß an die genannten Maßnahmen - gegeben, so beschließt die Kammer in Ausübung des ihr durch Artikel 111 (1), Satz 2 eingeräumten Ermessens, ob und inwieweit sie im Rahmen der Zuständigkeit der Prüfungsabteilung tätig werden, d. h. die Prüfung fortführen und gegebenenfalls "durchentscheiden", oder die Sache zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens an die Vorinstanz zurückverweisen will.
2.2. Voraussetzungen für die Aufhebung einer Zurückweisungsentscheidung der Prüfungsabteilung sind einmal das Vorliegen formal, insbesondere im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ zulässiger Ansprüche; zum anderen die Feststellung, daß die rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen, auf welche die Vorinstanz die Zurückweisung begründete, nicht oder nicht mehr vorliegen, sei es daß die rechtliche Begründung der Zurückweisung der Überprüfung durch die Kammer nicht standhält, sei es daß ein geändertes Schutzbegehren vorliegt, das die Zurückweisungsgründe ausräumt. (Selbstverständlich gibt es auch "Mischfälle", in denen die Zurückweisungsgründe zum Teil rechtlich nicht haltbar sind und zum Teil in der Beschwerde ausgeräumt werden.)
2.3. Im Rahmen des in Punkt 2.2 Ausgeführten wird die Kammer in der Regel als erstes das Vorliegen formal zulässiger Ansprüche untersuchen. Im vorliegenden Fall weicht die Kammer von dieser - selbstgesetzten und daher nicht verpflichtenden - Regel ab, nachdem sie festgestellt hat, daß mit der Beschwerdebegründung neue Unterlagen einge- reicht wurden, deren Ansprüche - wie weiter unten im einzelnen dargelegt wird - der Begründung der ange- fochtenen Entscheidung den Boden entziehen, was die Prüfungsabteilung hätte erkennen müssen, so daß Abhilfe gemäß Artikel 109 (1), Satz 1 geboten gewesen wäre. Unter diesen Umständen erachtet es die Kammer aus grundsätzlichen Erwägungen nicht für opportun, im Rahmen der Zuständigkeit der Prüfungsabteilung tätig zu werden, wie sie dies aufgrund von Artikel 111 (1) EPÜ an sich könnte; denn das Beschwerdeverfahren wurde nicht zur Entlastung der 1. Instanz geschaffen, sondern zur Überprüfung von deren Entscheidungen. In einem Fall wie dem vorliegenden würde sich die Kammer nur bei erkennbarem Vorliegen eines überwiegenden Interesses der Beschwerdeführerin über die genannten Opportunitätserwägungen hinwegsetzen, z. B. dann, wenn ein Beschleunigungsantrag vorläge oder ein hohes Alter der Anmeldung auf ein solches Interesse schließen ließe. Um dem Interesse der Beschwerdeführerin und der Öffentlichkeit an einem zügigen Abschluß des Prüfungsverfahrens einigermaßen entgegenzukommen, hat die Kammer immerhin die Bearbeitung des Falles zeitlich vorgezogen.
3. Zunächst ist festzustellen, auf welche Gründe sich die Zurückweisung des Antrags auf Patenterteilung durch die Prüfungsabteilung stützte und ob die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Ansprüche der Entscheidung dadurch den Boden entziehen, daß ihr Gegenstand frei von diesen Beanstandungen ist.
3.1. In Punkt II.2 der angefochtenen Entscheidung wird in erster Linie der Inhalt des einzigen Prüfungsbescheids referiert, sieht man von einigen zusätzlichen Bemerkungen, wie z. B. der Umfassung giftiger oder das Dialyseverfahren störender Cellulosederivate ab. Erst ab II.3 befaßt sich die Prüfungsabteilung mit dem zur Zeit der Zurückweisung gültigen Erteilungsantrag. Hieraus folgt, daß sich die Zurückweisung der Patentanmeldung auf die Ausführungen in den Punkten II.4 bis II.7 stützt.
3.2. In den Punkten II.4 und II.5 wird ausgeführt, der neue Anspruch 1 enthalte unbegrenzte Definitionen, wie dort im einzelnen angegeben, und es bestehe keine ausreichende Begrenzung des D.P., so daß eine Dominanz der Substituenten über die Cellulose-Identität nicht ausgeschlossen sei; dadurch würden modifizierte Cellulosen beansprucht, die für die Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe nicht geeignet seien.
3.3. Auch seien komplizierte heterocyclische Bauelemente enthaltende Substituenten von der Definition des Anspruchs 1 umfaßt, und die betreffenden Reaktanten - so implizit der vorangegangene Bescheid - seien nicht herstellbar. (Dies soll wohl als Beanstandung unter Artikel 83 EPÜ zu verstehen sein.)
3.4. Erstmals in der angefochtenen Entscheidung nimmt die Prüfungsabteilung expressis verbis auf Artikel 84 EPÜ Bezug, womit wohl auf den im vorangegangenen Bescheid enthaltenen Vorwurf der Spekulativität abgezielt wird.
3.5. Die unter II.5 angesprochenen strengen Kriterien für die Cellulose-Polymere ("giftige, quellbare und wasserlösliche Verbindungen sind ausgeschlossen") wurden im vorangegangenen Bescheid nicht erwähnt.
3.6. Zu Artikel 56 EPÜ hatte die Prüfungsabteilung im vorangegangenen Bescheid bereits erklärt, die erfinderische Tätigkeit werde anerkannt (vgl. Punkt 2); allerdings hat sie dort im Zusammenhang mit der beanstandeten Anspruchsbreite auch auf Artikel 56 EPÜ Bezug genommen (Seite 4, Zeile 3 des Bescheides, entsprechend Seite 3, Zeile 10 der angefochtenen Entscheidung). Aufgrund welcher Überlegungen auf das Fehlen erfinderischer Tätigkeit geschlossen wird, ist nirgends gesagt. Es läßt sich lediglich vermuten, daß die in Punkt II.4 enthaltene Aussage, wonach "die Mehrzahl der beanspruchten modifizierten Cellulosen nicht für die Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe geeignet sind", eine solche Überlegung andeuten soll.
4. Die maßgeblichen Zurückweisungsgründe sind durch den neuen Anspruch 1 sämtlich ausgeräumt, wie aus den folgenden Ausführungen klar erkennbar wird:
4.1. Durch Beschränkung der möglichen Anzahl von C-Atomen im Substituenten Z sowie der Substituenten X und Y wird eine eventuelle Dominanz der Substituenten über die Cellulose- Identität auch bei einem D.P. von 400 für Cellulose ausgeschlossen.
4.2. Durch die neuformulierten Ansprüche ist die Beanstandung, man könne nicht alle notwendigen Reaktanten, wie z. B. komplizierte heterocyclische Bausteine herstellen, ebenfalls gegenstandslos geworden. (Bloß nebenbei sei bemerkt, daß ein "Beweis" der Herstellbarkeit vom Anmelder erst nach - hier nicht erfolgter - substantiierter Infragestellung gefordert werden darf.)
4.3. Hierdurch entfallen auch alle mit "Spekulativität" und mangelnder Offenbarung im Sinne der Artikel 83 und 84 EPÜ begründeten Bedenken.
4.4. Was die hier unter 3.2 und 3.6 erwähnte Beanstandung angeblich nicht glaubhafter Aufgabenlösung anbelangt, so ist zunächst festzustellen, daß eine Aufgabe, die nicht glaubhaft gelöst wäre, zwar nicht zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden könnte, die Prüfungsabteilung aber in einem solchen Fall das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht rundweg zu verneinen, sondern zunächst eine andere, weniger ambitionierte Aufgabe zu formulieren hätte, die glaubhaft gelöst wird, und deren Lösung auf eventuelles Naheliegen zu untersuchen hätte.
Insoweit sie sich auf Artikel 56 EPÜ stützt, ist die angefochtene Entscheidung daher nicht im Sinne von Regel 68 (2) EPÜ mit Gründen versehen; jedenfalls ist die betreffende Beanstandung aber ebenfalls als ausgeräumt zu betrachten, da aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht erkennbar ist, weshalb die von der Prüfungsabteilung im einzigen Bescheid definierte Aufgabe durch die nunmehr beanspruchten Cellulosederivate nicht gelöst sein sollte.
4.5. Die neuen Ansprüche räumen somit sämtliche in der angefochtenen Entscheidung in substantiierter Form ange- gebenen Zurückweisungsgründe aus und entziehen dieser daher den Boden.
5. Unter diesen Umständen hätte die Prüfungsabteilung der angefochtenen Entscheidung abhelfen müssen.
5.1. Artikel 109 (1), Satz 1 EPÜ lautet:
"Erachtet das Organ, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für zulässig und begründet, so hat es ihr abzuhelfen."
5.2. Im vorliegenden Fall war die Beschwerde unzweifelhaft zulässig und, wie oben dargelegt, auch begründet. Die Kammer folgt hierin der Entscheidung T 47/90 "Zurück- verweisung/ SUMITOMO" (Abl. EPA 1991, 486), wonach eine Beschwerde als begründet im Sinne des Artikels 109 (1) EPÜ angesehen werden kann, wenn die Beschwerdeführerin an der zurückgewiesenen Anspruchsfassung nicht mehr festhält und wesentliche Änderungen vorgeschlagen werden, mit denen die in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Einwände eindeutig ausgeräumt werden (loc. cit., Punkt 6 der Gründe).
5.3. Die Kammer steht auch grundsätzlich auf dem Boden der Entscheidung T 139/87 "Reglerventil/ BENDIX" (Abl. EPA 1990, 68), wonach die Prüfungsabteilung "der Beschwerde abhelfen muß, wenn diese zulässig und begründet ist" (loc. cit., Punkt 4, dritter Absatz der Gründe). Zwar enthält der Artikel 109 (1) EPÜ ein subjektives Element, indem er Abhilfe nur für den Fall vorschreibt, daß das Organ, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für zulässig und begründet "erachtet"; doch muß das gleiche für einen Sachverhalt gelten, bei dem das betreffende Organ die Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde hätte erkennen müssen. Darauf stellt die angezogene Entscheidung auch implizit ab, wenn sie im vierten Absatz von Punkt 4 ihrer Gründe ausführt, daß eine Beschwerde als begründet angesehen werden muß, wenn die eingereichten Änderungen die Einwände, auf die sich die Entscheidung stützt, "eindeutig" gegenstandslos machen.
5.4. Im unmittelbaren Anschluß an die zuvor genannten Aus- führungen heißt es dann in der Entscheidung T 139/87 wörtlich: "Die Tatsache, daß noch andere, nicht ausge- räumte Einwände bestehen, die aber nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren, schließt die Anwendung des Artikels 109 EPÜ nicht aus."
Im vorliegenden Fall sah die Kammer deshalb von einer Prüfung auf Mängel, die im Zurückweisungsabschluß nicht genannt werden, ab.
6. Da, wie in den Abschnitten 3 und 4 gezeigt, eindeutig Abhilfe gemäß Artikel 109 EPÜ geboten gewesen wäre, aber nicht gewährt wurde und da andererseits ein überwiegendes Interesse der Beschwerdeführerin an einer anderen Vorgangsweise nicht erkennbar ist, hält es die Kammer für angemessen, die Sache ohne weitere Prüfung auch nur auf das Vorliegen formal zulässiger Ansprüche zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens an die Prüfungsabteilung zurückzu- verweisen.
7. Aus Punkt 4.4 ist zu ersehen, daß die angefochtene Entscheidung insoweit mit einem Verfahrensmangel (Verstoß gegen Regel 68 (2)) behaftet ist, als sie sich auf Artikel 56 EPÜ stützt. Da jedoch die Zurückweisung überwiegend aus anderen Gründen erfolgt ist, erachtet die Kammer diesen Verfahrensmangel nicht als so wesentlich i.S.v. Regel 67 EPÜ, daß ihr die - nicht beantragte - Rückzahlung der Beschwerdegebühr billig erschiene. Hiervon wird daher abgesehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit dem Auftrag, das Prüfungsverfahren fortzusetzen.