T 0820/93 17-03-1994
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Relaisventileinrichtung
Funktionelle Merkmale der Ansprüche
Klarheit der Ansprüche (bejaht)
Stützung der Ansprüche durch die Beschreibung (bejaht)
Claims - functional features
Claims - clarity (yes)
Claims - support by description (yes)
Sachverhalt und Anträge
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 88 111 279.1 wurde mit Entscheidung vom 24. Mai 1993 von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.
II. Die Zurückweisung erfolgte mit der Begründung, daß der Anspruch 1 in seiner geltenden Form durch die Beschreibung nicht gestützt sei (Art. 84 EPÜ).
Der geltende Anspruch 1 lautet (nach Einfügen fehlender Bezugszeichen im Oberbegriff) wie folgt:
"Durch Steuerdruckzu- bzw. -abführung betätigbare Relaisventileinrichtung (1) mit einer mit einer Steuerdruckzuleitung (5, 3) verbundenen Steuerkammer (2) und mit einer einerseits mit einem Verbraucherkreis verbundenen und andererseits über eine Ventileinrichtung (8, 12, 13) mit einer Druckmittelquelle oder einem wenigstens im wesentlichen überdruckfreien Druckentlastungsraum verbindbaren Auslaßkammer (10), wobei in der Steuerdruckzuleitung (5, 3) eine Drosseleinrichtung (4; 30, 29) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Drosseleinrichtung (4; 30, 29) derart bemessen ist, daß bei einer Betätigung der Relaisventileinrichtung (1) die in bekannter Weise auftretende Nacheilung des Verbraucherdruckes in der Auslaßkammer (11) gegenüber dem Steuerdruck nicht oder nur unwesentlich größer ist, als dies zum vollen Öffnen der Ventileinrichtung (8, 12, 13) erforderlich ist."
Die Unteransprüche 2 bis 8 richten sich auf bevorzugte Ausführungsformen der Relaisventileinrichtung nach dem Anspruch 1.
III. Gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung hat die Beschwerdeführerin (Anmelderin) am 4. Juni 1993 unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 22. Juli 1993 eingegangen.
Die Beschwerdeführerin beantragt die Erteilung eines Patents auf der Basis der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Unterlagen, und zwar:
Ansprüche: Anspruch 1, eingereicht mit Schreiben vom 2. Juli 1991; Ansprüche 2 bis 8, ursprüngliche Fassung;
Beschreibung: Seite 1, eingereicht mit Schreiben vom 2. Juli 1991; Seiten 2 bis 15, ursprüngliche Fassung;
Zeichnungen: Blätter 1/2 und 2/2, eingereicht mit Schreiben vom 8. September 1988.
Zur Stützung ihres Antrags trägt die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor:
Die angefochtene Entscheidung stützte sich im wesentlichen auf die Ausführungen in den Richtlinien für die Prüfung im EPA (hiernach "Richtlinien"), Abschnitt C- III 4.7, wonach Ansprüche, in denen versucht wird, die Erfindung oder eines ihrer Merkmale durch das zu erreichende Ergebnis anzugeben, nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden dürften. Entgegen der von der Prüfungsabteilung vertretenen Auffassung seien diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall eindeutig erfüllt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ und ist daher zulässig.
2. Der geltende Anspruch 1 stimmt inhaltlich mit dem ursprünglichen Anspruch 1 überein. Er unterscheidet sich formal hiervon nur dadurch, daß eine Abgrenzung gemäß Regel 29 (1) EPÜ gegenüber dem Stand der Technik nach dem Dokument DE-A-2 500 483 vorgenommen worden ist.
Die Änderungen der Beschreibung erschöpfen sich in einer Ergänzung der Würdigung des Standes der Technik sowie einer Anpassung an den Wortlaut des geltenden Anspruchs 1.
Es bestehen somit keine Einwände gegen die vorgenommenen Änderungen im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ.
3. Artikel 84 EPÜ
3.1. In Abschnitt C-III 4.7 der Richtlinien wird unter der Überschrift "Klarheit" folgendes ausgeführt:
"Der durch die Patentansprüche angegebene Bereich muß so präzise sein, wie es die Erfindung zuläßt. Im allgemeinen sollten Patentansprüche, in denen versucht wird, die Erfindung oder eines ihrer Merkmale durch das zu erreichende Ergebnis anzugeben, nicht zugelassen werden. Sie sind jedoch statthaft, wenn die Erfindung nur auf diese Weise beschrieben werden kann und das Ergebnis dergestalt ist, daß es durch Versuche oder Maßnahmen, die in der Beschreibung in angemessener Weise dargelegt sind, tatsächlich unmittelbar durch einfache Erprobung nachgewiesen werden kann."
(Es folgt die Beschreibung eines Beispiels, das als zulässig erachtet werden könnte.)
Es ist zunächst festzustellen, daß die Richtlinien, wie aus der allgemeinen Einleitung, Punkt 1.2, hervorgeht, nicht rechtsverbindlich sind, siehe auch Entscheidung T 42/84 (ABl. EPA 1988, 251). Maßgebend können nur die Bestimmungen des EPÜ sein, d. h. im vorliegenden Fall der Artikel 84 und die Regel 29, Absätze (1) und (3), unter Beachtung ihrer Auslegung durch die Beschwerdekammern.
Die Vereinbarkeit funktioneller Merkmale, die ein technisches Ergebnis definieren, mit diesen Bestimmungen des EPÜ war Gegenstand der Entscheidung T 68/85 (ABl. EPA 1987, 228). Es wird dort die Auffassung vertreten, vgl. insbesondere Punkte 8.4.1 bis 8.4.4, daß derartige Merkmale dann zulässig sind, wenn sie ohne Einschränkung der erfinderischen Lehre anders nicht präziser umschrieben werden können und wenn sie dem Fachmann eine ausreichend klare technische Lehre offenbaren, die er mit zumutbarem Denkaufwand - wozu auch die Durchführung üblicher Versuche gehört - ausführen kann. Danach ist offensichtlich, vgl. auch die Entscheidung T 204/90 vom 30. Juli 1991 (nicht veröffentlicht), insbesondere Punkte 3.3.2. und 3.3.3, daß die erste in den Richtlinien genannte Voraussetzung, "wenn die Erfindung nur auf diese Weise beschrieben werden kann", im Lichte der Notwendigkeit, den Schutzbereich gegenüber dem Inhalt der offenbarten Erfindung nicht unzumutbar einzuschränken, zu beurteilen ist. Die zweite dort genannte Voraussetzung ist dahingehend präzisiert worden, daß es darauf ankommt, ob der Fachmann die Aussage des Anspruchs, unter Heranziehung der Beschreibung und eventuell seines allgemeinen Fachwissens und ohne unzumutbaren Aufwand, in die Praxis umsetzen kann.
Die im vorliegenden Fall entscheidende Kammer schließt sich der in vorstehenden Entscheidungen zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung an.
3.2. Die vorliegende Anmeldung bezieht sich auf eine durch Steuerdruckzu- bzw. abführung betätigbare Relaisventileinrichtung mit einer mit einer Steuerdruckzuleitung verbundenen Steuerkammer und mit einer einerseits mit einem Verbraucherkreis verbundenen und andererseits über eine Ventileinrichtung mit einer Druckmittelquelle oder einem wenigstens im wesentlichen überdruckfreien Druckentlastungsraum verbindbaren Auslaßkammer, wobei in der Steuerdruckzuleitung eine Drosseleinrichtung angeordnet ist. Bei einer Relaisventileinrichtung dieser Art ist in der Regel das Volumen des Verbraucherkreises wesentlich größer als das Volumen der Steuerkammer. Deshalb stellt sich bei der bekannten Relaisventileinrichtung der dem Steuerdruck entsprechende Verbraucherdruck gegenüber dem Steuerdruck verzögert ein, oder anders ausgedrückt, der Verbraucherdruck eilt dem Steuerdruck zeitlich nach. Dieser Effekt wird in der Beschreibungseinleitung der vorliegenden Anmeldung anhand der Figur 2 ausführlich erläutert. Laut dieser Beschreibungseinleitung gibt es Einsatzfälle, besonders bei ABS-Bremssystemen, in denen die Nacheilung Probleme schafft.
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, eine Relaisventileinrichtung der genannten Art mit einfachen Mitteln so zu verbessern, daß sie bei gegebenem Verbraucherkreis die Nacheilung des Verbraucherdrucks gegenüber dem Steuerdruck wenigstens im wesentlichen auf das unvermeidbare Maß beschränkt.
Diese Aufgabe wird entsprechend dem Kennzeichen des Anspruchs 1 dadurch gelöst, daß die Drosseleinrichtung derart bemessen ist, daß bei einer Betätigung der Relaisventileinrichtung die in bekannter Weise auftretende Nacheilung des Verbraucherdrucks in der Auslaßkammer gegenüber dem Steuerdruck nicht oder nur unwesentlich größer ist, als dies zum vollen Öffnen der Ventileinrichtung erforderlich ist.
Diese Aussage in Anspruch 1 ist unter Heranziehung der Erläuterungen in der Beschreibung auf Seite 8, Zeile 14 bis Seite 9, Zeile 7 für den Fachmann ohne weiteres verständlich. Dort ist ausgeführt, daß die Drosseleinrichtung dazu dient, durch Begrenzung der Nacheilung des Verbraucherdrucks gegenüber dem Steuerdruck auf ein Maß, das wenigstens angenähert gerade das volle Öffnen der Ventileinrichtung gewährleistet, die Aufbaugeschwindigkeit bzw. die Abbaugeschwindigkeit des Steuerdrucks in der Steuerkammer der Aufbaugeschwindigkeit bzw. der Abbaugeschwindigkeit des Verbraucherdrucks in der Auslaßkammer so weit wie möglich anzunähern. Bezogen auf das Druck/Zeit-Schaubild der Figur 2 bedeutet dies, daß in der Druckaufbauphase und in der Druckabbauphase die Steuerdruckkurven derart in Richtung längerer Zeiten verschoben werden, daß sie mit der jeweiligen Verbraucherdruckkurve nahezu zusammenfallen. Dadurch wird das Auftreten einer Nacheilung des Verbraucherdrucks gegenüber dem Steuerdruck im wesentlichen vermieden.
Wie der Fachmann weiß, weisen die mit der Auslaßkammer der beanspruchten Relaisventileinrichtung verbundenen Verbraucherkreise unterschiedlich große Volumina auf. Es ist selbstverständlich, daß die Auffüllung unterschiedlicher großer Volumina bis zu einem gegebenen Druck bei gleichem Ausgangsdruck und bei gegebenem Vorratsdruck auch unterschiedlich lange dauert. Deshalb ergeben sich bei gegebener Drosseleinrichtung für unterschiedliche Volumina des Verbraucherkreises verschiedene Nacheilungen, weshalb sich die erfindungsgemäße Bemessung der Drosseleinrichtung mit allgemeiner Gültigkeit nicht anhand konkreter geometrischer Maße oder konkreter Verhältniszahlen solcher Maße beschreiben läßt, sondern nur anhand der Funktion bzw. des Ergebnisses. Darüber hinaus geht aus der Beschreibung eindeutig hervor, vgl. Seite 11, zweiten Absatz, daß es nicht auf die Verwendung einer bestimmten konstruktiven Form der Drosseleinrichtung ankommt. So kann die Drosseleinrichtung aus einer gesondert vorgesehenen einstellbaren Drossel bestehen, sie kann aber auch durch geeignete Auslegung des Durchflußwiderstands des Absperr- und/oder Umschaltventils hergestellt werden.
Somit ist offensichtlich, daß die erfinderische Lehre objektiv nicht präziser umschrieben werden kann, als dies im vorliegenden Anspruch 1 geschehen ist.
Die Kammer ist auch davon überzeugt, daß zur Überprüfung des Ergebnisses der Bemessung der Drosseleinrichtung nur die einfachen Meßschritte erforderlich sind wie sie in der Beschwerdebegründung dargelegt werden, zu deren Durchführung es lediglich gängiger Meßgeräte bedarf. Die in der angefochtenen Entscheidung bemängelte Tatsache, daß diese Meßschritte und Meßgeräte nicht in der vorliegenden Beschreibung angegeben sind, ist nicht maßgebend, weil sie zum allgemeinen Wissen des Fachmanns gehören, weshalb eine weitere Stützung in der Beschreibung nicht erforderlich ist.
Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, daß der vorliegende Anspruch 1 den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ genügt, weil er klar und durch die Beschreibung gestützt ist.
4. Neuheit und erfinderische Tätigkeit
Die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 ist im Prüfungsverfahren nicht in Frage gestellt worden. Er unterscheidet sich vom am nächsten kommenden Stand der Technik nach dem Dokument DE-A-2 500 483 durch das im kennzeichnenden Teil des Anspruchs angegebene Merkmal.
Bezugnehmend auf die Textstelle auf Seite 4, Zeilen 7 und 8. dieser Entgegenhaltung, wonach die (in der Steuerdruckzuleitung angeordnete) Drossel so ausgelegt ist, daß die geforderte Belüftungszeit des Bremszylinders (d. h. des Verbrauchers) eingehalten wird, hat allerdings die Prüfungsabteilung in ihrem Bescheid vom 14. Mai 1991, ohne diese Auffassung näher zu begründen, die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 verneint.
Die Kammer kann jedoch in dieser Aussage keinerlei Anregung für den Fachmann erkennen, die Drosseleinrichtung derart zu bemessen, wie dies vom geltenden Anspruch 1 gefordert wird. Denn die bekannte Drosseleinrichtung dient einem ganz anderen Zweck. Während dort die Einhaltung einer geforderten Belüftungszeit des Verbraucherkreises angestrebt wird, nimmt die Drosseleinrichtung des Erfindungsgegenstands die Belüftungszeit des Verbraucherkreises als gegeben hin und paßt sozusagen an diese die Belüftungszeit der Steuerkammer an.
Der geltende, hinsichtlich der Bezugszeichen ergänzte Anspruch 1 und die davon abhängigen Ansprüche 2 bis 8 sowie die daran angepaßte Beschreibung können daher als Grundlage für eine Patenterteilung dienen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz mit der Auflage zurückverwiesen, ein Patent auf der Grundlage der in den Punkten II und III oben festgelegten Unterlagen zu erteilen.