T 0096/94 13-09-1995
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Sprossenfenster
Zulässigkeit der Beschwerde - Minimalanforderungen (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (verneint, einfache Kombination zweier Druckschriften)
Form of appeal - grounds - substantiation (yes)
Inventive step - combination of documents
Sachverhalt und Anträge
I. Mit Entscheidung vom 20. September 1993 hat die Prüfungsabteilung die europäische Patentanmeldung Nr. 90 119 823.4 gemäß Artikel 97 (1) EPÜ zurückgewiesen.
II. Der dieser Entscheidung zugrundeliegende, einzige Patentanspruch vom 16. Juli 1993, eingegangen am 17. Juli 1993, hat nachfolgenden Wortlaut:
"Sprossenfenster mit einem Flügelrahmen, einer die gesamte Rahmenfläche des Flügelrahmens einnehmenden Glasscheibe und einem auf wenigstens einer Seite der Glasscheibe aufgesetzten Sprossen-Raster, dadurch gekennzeichnet, daß die Leisten (10, 18) des Sprossen- Rasters gebildet sind durch extrudierte Kunststoff- Hohlprofile mit koextrudierten weichen Dichtlippen (14, 16) an beiden der Glasscheibe zugewandten Rändern, und daß auf der zwischen den weichen Dichtlippen (14, 16) der Sprossen-Leiste (10) liegenden Außenfläche der Leiste ein doppelseitiges Klebeband (12) befestigt ist."
III. Die Prüfungsabteilung kam in ihrer Zurückweisungsentscheidung zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des vorgenannten Anspruchs im Lichte der Dokumente
(D1) DE-U-8 908 985
(D2) EP-A-0 166 414 und
(D3) GB-A-1 564 447
nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe, wobei auch Indizien wie wirtschaftlicher Erfolg und Nachahmung seitens der Konkurrenten an dieser Einschätzung des beanspruchten Gegenstands nichts zu ändern vermöchten.
IV. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Zurückweisungsentscheidung der Prüfungsabteilung am 19. November 1993 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und die Beschwerdebegründung am 31. Januar 1994 (Telefax) eingereicht.
V. Sie stellt den Antrag die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Basis des unter Abschnitt II zitierten Patentanspruchs zu beschließen.
VI. Zur Stützung dieser Anträge verweist sie in der Beschwerdebegründung auf ihre Eingaben vom 21. September 1992 und vom 16. Juli 1993, denen "nichts Wesentliches hinzuzufügen" sei. Sie verweist ferner auf den sofortigen Markterfolg, die umgehende Nachahmung und die scheinbare Einfachheit des Anmeldungsgegenstands, die auf eine nicht vollständig selbstverständliche Leistung schließen ließen.
VII. In der nach vorbereitender Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 11 (2) VOBK vom 13. Februar 1995 am 13. September 1995 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor der Kammer hielt die Beschwerdeführerin ihre vorstehend genannten Anträge unverändert aufrecht und führte zu den Fragen der Zulässigkeit der Beschwerde bzw. zur erfinderischen Tätigkeit des Sprossenfensters nach dem Patentanspruch im wesentlichen folgendes aus:
a) Zulässigkeit der Beschwerde
- da der Sachverhalt des Beschwerdeverfahrens sich gegenüber demjenigen des Prüfungsverfahrens nicht geändert habe, habe die Beschwerdebegründung kurz gehalten werden können;
- die Beschwerdebegründung lasse durch Verweis auf zwei Eingaben im Prüfungsverfahren erkennen, daß sich die Beschwerdeführerin nicht mit der Beurteilung der Frage der erfinderischen Tätigkeit habe einverstanden erklären können und daß die Beweisanzeichen Markterfolg, Nachahmung, Einfachheit des beanspruchten Gegenstands zu einer anderen Beurteilung im Zusammenhang mit der Frage der erfinderischen Tätigkeit hätten führen müssen;
- zusammenfassend erfülle die vorgelegte Beschwerdebegründung die Minimalerfordernisse für die Zulässigkeit einer Beschwerde.
b) erfinderische Tätigkeit
- es wird zugestanden, daß der Anspruch nicht zutreffend gegen (D3) abgegrenzt sei, daß aber dadurch die Frage der erfinderischen Tätigkeit nicht berührt sei, da der Anspruch auch ohne Kennzeichnung gelesen werden könne;
- (D1) lehre eine zweiteilige Sprossenleiste, deren Dichtlippen vom Abdeckteil des aufgeklebten Grundprofils in Wirkstellung gebracht würden; insgesamt gehe (D1) damit in Richtung einer Zweiteiligkeit einer Sprossenleiste;
- (D3) lehre eine Sprossenleiste ohne Dichtlippen, bei der ohne Anwendung eines Silikonkittes ganz auf die Klebewirkung der Leiste am Glas vertraut werde;
- (D2) zeige im Gegensatz zum Beanspruchten eine tragende Rahmenleiste, die die Funktion habe, die Glasscheibe in Stellung zu halten;
- von vorgenannten Gegebenheiten ausgehend, sei eine Kombination von (D1) bis (D3) nicht dazu angetan, den Fachmann auf das beanspruchte Sprossenfenster hinzulenken;
- stützend seien in dieser Situation Beweisanzeichen wie Markterfolg und Nachahmung zu berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde:
1.1. Die fristgerechte schriftliche Begründung einer Beschwerde gemäß Artikel 108, Satz 3 EPÜ stellt nach Regel 65 (1) EPÜ eine Voraussetzung der Zulässigkeit der Beschwerde dar. Dabei ist zu fordern, daß die Beschwerdebegründung die rechtlichen und tatsächlichen Gründe angibt, aus denen sich die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung ergibt (vgl. T 220/83 [ABl. EPA 1986, 249]). Der Beschwerdeführer muß seine Meinung so deutlich und genau erklären, daß die Kammer ohne eigene Ermittlungen unmittelbar verstehen kann, warum die Entscheidung falsch sein soll und auf welche Tatsachen der Beschwerdeführer seine Meinung stützt.
Im vorliegenden Fall entspricht die Beschwerde Artikel 108, Satz 3 EPÜ, obschon die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung im wesentlichen auf Eingaben vor der ersten Instanz verweist. Der Hinweis auf eine umgehende Nachahmung, den sofortigen Markterfolg und die scheinbare Einfachheit des Anmeldungsgegenstands stellen jedoch Beweisanzeichen dar, die auch im Beschwerdeverfahren vorgetragen wurden. Da die Beschwerdeführerin die Erteilung eines europäischen Patents in der Fassung beantragt, die bereits der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag, kann die Kammer gestützt auf diese Eingaben unmittelbar verstehen, warum die Entscheidung falsch sein soll.
Die Beschwerde entspricht ferner den Artikeln 106, 107, 108, Sätze 1 und 2 sowie Regel 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.
2. Neuheit
Die Frage der Neuheit des beanspruchten Sprossenfensters war zu keinem Zeitpunkt strittig, so daß sich weitere Überlegungen zu dieser Frage erübrigen, Artikel 54 EPÜ.
3. Nächstkommender Stand der Technik, Aufgabe und deren Lösung
3.1. Wie in der Mitteilung der Kammer vom 13. Februar 1995 ausgeführt wurde, ist (D3) als nächstkommender Stand der Technik anzusehen, weil es zunächst alle Merkmale des Oberbegriffs des zu beurteilenden Anspruchs abdeckt und weil es darüber hinaus, vgl. insbes. Figur 1 und Spalte 1, Zeile 86 bis Spalte 2, Zeile 15, offenbart, daß die Leisten "10" des Sprossen-Rasters "10, 10" von extrudierten Kunststoff-Hohlprofilen (Figur 1) gebildet sind und daß zwischen den beiden der Glasscheibe zugewandten Rändern "14, 14" der Sprossen-Leiste "10" an deren Außenseite ein doppelseitiges Klebeband vorgesehen ist.
3.2. Erkennbar ist die aus (D3) bekannte Konstruktion eines Sprossenprofils hinsichtlich ihrer Klebeverbindung gegen den Zutritt von Wasser und Staub relativ ungeschützt, so daß die Klebeverbindung insoweit Schaden nehmen kann. Vom Aussehen her ist darüber hinaus festzustellen, daß der Betrachter das Fehlen eines Dichtwulstes unmittelbar gewahr wird.
3.3. Von daher gesehen liegt der Erfindung gemäß geltendem Anspruch die objektiv verbleibende technische Aufgabe zugrunde, das vorbekannte Sprossenprofil gegen Witterungseinflüsse am Klebeband zu schützen.
3.4. Gemäß geltendem Anspruch ist zur Lösung der vorgenannten Aufgabe an einem gattungsgemäßen Sprossenprofil vorgesehen, daß an ihm koextrudierte weiche Dichtlippen "14, 16" vorhanden sind.
3.5. Damit wird erreicht, daß das Klebeband gegen Wasser und Staub geschützt ist, weil die Dichtlippen weich sind und an der benachbarten Glasscheibe dichtend zur Anlage kommen.
In ästhetischer Hinsicht ergeben die Dichtlippen den Eindruck eines Dichtwulstes in Form einer dauerelastischen Fugenmasse, vgl. geltende Seite 2, Zeilen 8 bis 13 vom 16. Juli 1993. Bezüglich des Arbeitsaufwands ergibt sich, daß nur eine Leiste zu montieren ist.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1. Bezüglich der Frage des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ kommt die Kammer zu nachfolgendem Ergebnis:
4.2. Bei gegebener Neuheit des beanspruchten Gegenstands ist zu prüfen, ob der weitere Stand der Technik dem Fachmann, der von (D3) ausgeht und vor der Lösung der vorgenannten Aufgabe steht, verwertbare Anregungen zur Auffindung des beanspruchten Sprossenfensters gibt oder nicht, wobei auch noch das durchschnittliche Wissen des Fachmanns mitzuberücksichtigen ist.
4.3. In diesem Zusammenhang ist auf (D1) zu verweisen, vgl. insbes. Figuren 1 und 3, die ein Sprossenprofil offenbart, welches den Zutritt von Wasser und Staub zum Klebeband "3" ausschaltet, indem an dem das Klebeband "3" tragenden Profil "1" randseitig jeweils eine Dichtlippe "2" vorgesehen ist, wobei diese Dichtlippen mit dem tragenden Profil koextrudiert sind.
4.4. Im Sinne des beanspruchten Sprossenprofils entfalten die bekannten Dichtlippen "2, 2" ebenfalls eine doppelte Wirkung, nämlich in Richtung Verhinderung von Wasser/Staubzutritt zum Klebeband und darüber hinaus Vortäuschung eines Dichtwulstes einer dauerelastischen Dichtungsmasse.
4.5. Der Fachmann erkennt beim Studium der (D1) unmittelbar, daß das Bauteil "5" (Abdeckprofil) der (D1) das Anpressen der weichen Dichtlippen "2, 2" verstärken mag, daß aber bereits das das Klebeband tragende Extrusionsprofil "1" in seiner angeklebten Stellung die Anlage der Dichtlippen an der Glasscheibe erzwingt. Diese Anlage ist möglicherweise noch steigerbar, wenn auf das Extrusionsprofil "1" das Abdeckprofil "5" aufgerastet wird; Bedingung für eine Abdichtwirkung ist das Vorhandensein des Abdeckprofils aber nicht.
4.6. (D1) gibt dem Fachmann mithin nach Aufgabe und Lösung so wesentliche Anregungen, daß dessen Lehre unmittelbar auf den Gegenstand der (D3) übertragbar ist, weil schwierige Anpassungsarbeiten entfallen. Es ist lediglich erforderlich an das Sprossenprofil an den Seitenbereichen in bekannter Weise weiche Dichtlippen zu koextrudieren, um den Gegenstand des geltenden Anspruchs zu erhalten. Angesichts der Gattungsnähe von (D1) und (D3) steht es ohnehin außer Frage, ob ein Fachmann auf (D1) stoßen würde, oder nicht, da eine Recherche auf dem unmittelbaren technischen Gebiet der Sprossenprofile auf (D1) hinführt.
4.7. Im Ergebnis vorstehender Überlegungen beruht der Gegenstand des geltenden Anspruchs nicht auf erfinderischer Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ. Dieser Anspruch ist somit nicht gewährbar.
5. Bei dieser Sachlage vermögen auch weitere Beweisanzeichen wie Markterfolg, Nachahmung, Einfachheit der Konstruktion bzw. der Montage den in Rede stehenden Gegenstand nicht erfinderisch zu machen. Beweisanzeichen vorstehender Art mögen in Grenzfällen durchaus eine Berechtigung bei der Beurteilung der Frage des erfinderischen Beitrags zum Stand der Technik haben, aber ein Grenzfall liegt hier nicht vor. Aus diesen Gründen war die Beschwerde, wie in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer geschehen, zurückzuweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.