T 0171/05 09-07-2008
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Haarfärbemittel
Hauptantrag: Neuheit (ja) - Verwendungszweck in Verwendungsanspruch ist technisches Merkmal
Zurückverweisung an Vorinstanz
Sachverhalt und Anträge
I. Die am 05. Februar 2005 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Patentinhabers) richtet sich gegen die am 08. Dezember 2004 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 0 943 317 widerrufen wurde.
II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang vom Beschwerdegegner (Einsprechender) wegen mangelnder Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden (Artikel 100 a) EPÜ). Im Einspruchsverfahren wurde folgende Druckschrift genannt:
(1) JP-A-09 169 623 in Form ihrer englischen Übersetzung.
III. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung stützte sich auf geänderte Ansprüche, deren Anspruch 1 wie folgt lautete:
"1 Verwendung mindestens eines C6-C18-Fettsäuretriglycerids zur Viskositätstabilisierung von wäßrigen Haarfärbeemulsionen, die mindestens ein Oxidationsfarbstoff-Vorprodukt enthalten."
IV. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, dass die in den Ansprüchen 1 bis 3 vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des Artikels 123(2) und (3) EPÜ genügten. Der in Anspruch 1 angegebene Verwendungszweck, nämlich die Viskositäts-stabilisierung der wässrigen Haarfärbeemulsionen, könne jedoch nicht als technisches Merkmal anerkannt werden, da der Versuchsbericht des beschwerdegegnerischen Einsprechenden vom 07. Oktober 2004 belege, dass bei Verwendung von Caprinsäuretriglycerid in wässrigen Haarfärbeemulsionen keine Viskositätsstabilisierung erreicht werde. Auch im Streitpatent sei kein kausaler Zusammenhang zwischen der beanspruchten Viskositäts-stabilisierung von wässrigen Haarfärbeemulsionen durch die Verwendung von C6-C18-Fettsäuretriglyceriden erkennbar. Für die Feststellung der Neuheit sei nur die Verwendung von C6-C18-Fettsäuretriglyceriden zur Herstellung von wässrigen Haarfärbeemulsionen, die mindestens ein Oxidationsfarbstoff-Vorprodukt enthielten, zu berücksichtigen. Da Druckschrift (1) bereits in den Beispielen 6 bis 8 und 12 Haarfärbeemulsionen offenbare, die Caprinsäuretriglycerid verwendeten, welches unter die Definition des C6-C18-Fettsäuretriglycerids gemäß Anspruch 1 falle, sei der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs von Druckschrift (1) neuheitsschädlich vorweggenommen.
V. Mit der Beschwerdebegründung vom 17. April 2005 hat der Beschwerdeführer einen Hauptantrag, sowie Hilfsanträge 1 bis 3 eingereicht. Der Hauptantrag, sowie Hilfsantrag 2 wurden wegen Unklarheiten hinsichtlich der Rückbezüge mit Schreiben vom 3. Juni 2008 durch korrigierte Versionen ersetzt. Die Ansprüche gemäß korrigiertem Hauptantrag sind identisch mit den Ansprüchen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht. Die Hilfsanträge 1, 2 und 3 sind wortgleich mit den Hilfsanträgen 1 bis 3, die bereits vor der Einspruchsabteilung am 07. Oktober 2004 eingereicht, aber während der mündlichen Verhandlung vor dieser am 10. November 2004 zurückgezogen worden waren.
VI. Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, dass der Gegenstand der Ansprüche gemäß des Hauptantrages neu sei gegenüber Druckschrift (1). Die Zweckangabe des Verwendungsanspruches sei ein technisches Merkmal, welches in Druckschrift (1) nicht offenbart sei. Er bestritt, dass der vom Beschwerdegegner mit Schreiben vom 07. Oktober 2004 eingereichte Versuchsbericht einen fairen Vergleich mit den streitpatentgemäßen Mischungen darstelle. Auch sei die Messung der Viskosität dort nicht nach dem streitpatentgemäßen Verfahren erfolgt. Daher seien die dort gemessenen Ergebnisse nicht zu berücksichtigen. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zog der Beschwerdeführer seinen Antrag, die erstmals mit Schreiben vom 23. Juni 2008 vorgetragenen Argumente des Beschwerdegegners als verspätet nicht in das Verfahren zuzulassen, ausdrücklich zurück.
VII. Der Beschwerdegegner antwortete erstmals mit Schreiben vom 23. Juni 2008 und reichte erneut seinen Versuchsbericht vom 07. Oktober 2004 ein. Er widersprach den Argumenten des Beschwerdeführers hinsichtlich der Aussagekraft der Ergebnisse und der technischen Durchführung der dort beschriebenen Versuche, die seiner Meinung nach einen fairen Vergleich mit dem Gegenstand des Streitpatentes darstellten, der die Anwesenheit einer zusätzlichen Komponente nicht ausschliesse. Darüberhinaus stützte er sich darauf, dass durch die Verwendung der in Entgegenhaltung (1) offenbarten Fettsäuretriglyceride in der dort offenbarten Weise zwangsläufig auch die Viskosität der Haarfärbeemulsionen stabilisiert werde, was eine Verwendung im Sinne des angefochtenen Patents darstellen würde. Zudem seien in Beispiel 3, Tabelle 3 verschiedene Haarfärbeemulsionen hergestellt worden, die sich voneinander nur durch Abwesenheit oder durch Anwesenheit von unterschiedlichen Mengen an anspruchsgemäßem Fettsäuretriglycerid unterschieden. Beim Vergleich dieser Emulsionen hätte der Fachmann unzweifelhaft auch die viskositäts-stabilisierende Wirkung des Fettsäuretriglycerids erkannt.
VIII. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des Hauptantrages, eingereicht am 03. Juni 2008, oder hilfsweise auf der Grundlage des Hilfsantrages 1, eingereicht mit Schreiben vom 17. April 2005, oder des Hilfsantrages 2, eingereicht am 03. Juni 2008, oder des Hilfsantrages 3, eingereicht mit Schreiben vom 17. April 2005.
Der Beschwerdegegner hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
IX. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 09. Juli 2008 wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Änderungen
Die Änderungen der Ansprüche betreffen die Streichung der Produktansprüche 1 und 2 der erteilten Fassung und die Umnummerierung des erteilten Verwendungsanspruches 3 als neuen Anspruch 1. Die Merkmale der erteilten Ansprüche 1 und 2 wurden als bevorzugte Ausführungsformen des Gegenstandes des Verwendungsanspruchs 1 in den abhängigen Verwendungsansprüchen 2 und 3 formuliert. Daher sieht die Kammer die Erfordernisse des Artikels 123 EPÜ als erfüllt. Dies war zwischen den Parteien nicht mehr strittig.
3. Neuheit
3.1 Das Streitpatent ist allein wegen mangelnder Neuheit gegenüber Druckschrift (1) widerrufen worden. Einziger Streitpunkt in diesem Beschwerdeverfahren ist somit die Neuheit des Anspruchsgegenstandes im Hinblick auf diese Druckschrift, welche der Beschwerdegegner auch im Beschwerdeverfahren ausschließlich anzog.
3.2 Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist in Form eines Verwendungsanspruches formuliert, der die Verwendung eines Stoffes zu einem bestimmten Zweck beansprucht. Als technische Merkmale derartiger Verwendungsansprüche sind daher zum einen die stoffbezogenen Merkmale anzusehen, zum anderen der angegebene Verwendungszweck, welcher als funktionelles technisches Merkmal gilt. Im vorliegenden Fall sind die stoffbezogenen technischen Merkmale die des verwendeten Stoffes, hier das C6-C18-Fettsäuretriglycerid. Das funktionelle technische Merkmal, das sich auf den Verwendungszweck bezieht, ist im Falle des Streitpatentes die Viskositätstabilisierung von wässrigen Haarfärbeemulsionen, die mindestens ein Oxidationsfarbsotff-Vorprodukt enthalten. Diese Auslegung des Verwendungsanspruches 1 hinsichtlich seiner stoffbezogenen und funktionellen technischen Merkmale ist zwischen den Parteien unstrittig.
3.3 Die vom Beschwerdegegner als neuheitsschädlich angezogene Druckschrift (1) offenbart wässrige Emulsionen zur Haarfärbung, welche sowohl ein Oxidationsfarbstoff-Vorprodukt, als auch Fettsäuretriglyceride enthalten (siehe Druckschrift (1), Anspruch 1). Die in Beispiel 2 verwendeten Fettsäuretriglyceride Glyceryltrioleat und Glyceryltricaprat fallen unter die Definition des anspruchsgemäßen C6-C18-Fettsäuretriglycerids. Daher sind die stoffbezogenen technischen Merkmale des geltenden Anspruchs 1 gemäß Streitpatent in Druckschrift (1) ausdrücklich und eindeutig offenbart. Dies wurde von beiden Parteien anerkannt.
3.4 Ob das funktionelle technische Merkmal betreffend die Verwendung der Fettsäuretriglyceride zum Zweck der Viskositätsstabilisierung von wässrigen Haarfärbeemulsionen in Druckschrift (1) offenbart ist, war jedoch zwischen den Parteien strittig.
Ein Anspruch, der auf die Verwendung eines bekannten Stoffes für einen bestimmten Zweck gerichtet ist, der auf einer in dem Patent beschriebenen Wirkung beruht, ist dann nicht nach Artikel 54 EPÜ zu beanstanden, wenn diese technische Wirkung, die ein funktionelles technisches Merkmal darstellt, nicht bereits früher der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist (siehe Entscheidungen G 2/88, Abl. EPA 1990, 93, Punkt 10.3 der Entscheidungsgründe und G 6/88, Abl. EPA 1990, 114, Punkt 9 der Entscheidungsgründe).
Im vorliegenden Fall offenbart Druckschrift (1) die Verwendung des Fettsäuretriglycerides zur Verbesserung der Färbung hinsichtlich der Farbtiefe und der Gleichmäßigkeit der Färbung (siehe Druckschrift (1), Seite 5, Paragraph [0008]). An keiner Stelle erwähnt Druckschrift (1) die Viskosität der Haarfärbeemulsionen. Daher ist das funktionelle technische Merkmal des geltenden Anspruchs 1 des Streitpatentes in Druckschrift (1) nicht ausdrücklich und eindeutig offenbart.
3.5 Der Beschwerdegegner hat sich darauf berufen, dass die Verwendung des in der Entgegenhaltung (1) offenbarten Fettsäuretriglycerids in der dort offenbarten Weise zwangsläufig auch die Viskosität der Haarfärbeemulsionen stabilisiere und daher eine Verwendung des Fettsäuretriglycerids im Sinne des angefochtenen Patents darstellen würde. Zudem seien in Beispiel 3, Tabelle 3 verschiedene Haarfärbeemulsionen hergestellt worden, die sich voneinander nur durch Abwesenheit oder durch Anwesenheit von unterschiedlichen Mengen an anspruchsgemäßem Fettsäuretriglycerid unterschieden. Beim Vergleich dieser Emulsionen hätte der Fachmann unzweifelhaft neben der Verbesserung der Farbtiefe auch die viskositätsstabilisierende Wirkung des Fettsäuretriglycerids erkannt. Aufgrund dessen hat der Beschwerdegegner behauptet, dass die Entgegenhaltung (1) den beanspruchten Verwendungszweck inhärent offenbare und damit den Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorwegnehme.
Hingegen ist zur Feststellung der Neuheitsschädlichkeit einer Entgegenhaltung genau zu unterscheiden zwischen dem, was der Öffentlichkeit tatsächlich zugänglich gemacht worden ist, und dem, was verborgen geblieben ist, d.h. was in dem der Öffentlichkeit zugänglich Gemachten enthalten sein mag. So gilt ein technisches Merkmal, welches die Erreichung einer technischen Wirkung betrifft, auch dann als verborgen, wenn bei der Ausführung einer zuvor der Öffentlichkeit zugänglich gemachten technischen Lehre die beanspruchte technische Wirkung möglicherweise inhärent aufgetreten ist (siehe Entscheidung G 2/88, loc. cit., Punkte 10.1 und 10.3 der Entscheidungsgründe).
Im vorliegenden Fall enthält die Druckschrift (1) keine technische Lehre dahingehend, dass der Zusatz des Fettsäuretriglycerids die Viskosität der wässrigen Haarfärbeemulsionen stabilisiert. Der Vergleich der in Beispiel 3 hergestellten Haarfärbeemulsionen mit oder ohne Zusatz von Fettsäuretriglycerid, welcher zur Feststellung einer Verbesserung der Farbtiefe und der Gleichmäßigkeit der Färbung durchgeführt wurde, erlaubt dem Fachmann naturgemäß keine Rückschlüsse auf die Viskosität der Haarfärbeemulsionen. Die technische Wirkung betreffend die Viskositätsstabilisierung der Haarfärbeemulsionen ist daher in Druckschrift (1) nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, sondern verborgen geblieben. Ob die beanspruchte technische Wirkung bei der Ausführung der Lehre dieser Druckschrift inhärent aufgetreten wäre, ist dabei für die Beurteilung der Neuheit nicht von Belang. Somit greift dieses Argument des Beschwerdegegners nicht durch.
3.6 Als weiteres Argument hat der Beschwerdegegner vorgetragen, dass entsprechend des von ihm selbst mit Schreiben vom 23. Juni 2008 erneut eingereichten Testberichtes vom 7. Oktober 2004 sowie auf Basis des einzigen Beispiels des Streitpatentes kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Zusatz der anspruchsgemäßen Fettsäuretriglyceride und der Viskositätsstabilisierung der wässrigen Haarfärbeemulsionen festgestellt werden könne, mit der Folge, dass der beanspruchte Verwendungszweck mit den im Streitpatent angegebenen technischen Merkmalen nicht erreicht werde.
Indessen bezieht sich dieser Einwand auf einen möglichen Streitpunkt bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, nämlich ob eine etwaige streitpatentgemäße Aufgabe der Viskositätsstabilisierung erfolgreich gelöst wird. Da bei der Frage der Neuheit aber nur zu prüfen ist, ob die technischen Merkmale des geltenden Anspruchs im Stand der Technik in Kombination offenbart sind, ist dieser Einwand für die Feststellung der Neuheit unerheblich. Folglich kann dieses Argument des Beschwerdegegners hier nicht durchgreifen.
3.7 Aus diesen Gründen kommt die Kammer zum Schluß, dass die Verwendung eines C6-C18-Fettsäuretriglycerids zur Viskositätsstabilisierung von wässrigen Haarfärbeemulsionen, die ein Oxidationsfarbstoff-Vorprodukt enthalten, nicht unmittelbar und eindeutig im Stand der Technik gemäß Druckschrift (1) offenbart ist. Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag neu.
Die weiteren Ansprüche betreffen lediglich engere, bevorzugte Ausführungsformen des Gegenstandes des Anspruchs 1 und gelten daher auch als neu.
4. Zurückverweisung (Artikel 111 EPÜ)
Da das Streitpatent in der Fassung gemäß geltendem Hauptantrag einzig wegen mangelnder Neuheit gegenüber der Druckschrift (1) widerrufen worden ist, die Kammer indessen die Neuheit des Patentgegenstandes gegenüber dieser Entgegenhaltung festgestellt hat, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Gleichwohl hat die Kammer keine Entscheidung in der ganzen Angelegenheit getroffen, da die Einspruchsabteilung zu der Frage der erfinderischen Tätigkeit noch keine beschwerdefähige Entscheidung getroffen hat. Hierzu steht eine abschließende Prüfung der ersten Instanz noch aus. Die Kammer hält es daher nicht für angezeigt, an deren Statt diese Fragen zu entscheiden, um auch diesbezüglich den Parteien die Möglichkeit auf eine Beschwerde vor der zweiten Instanz zu erhalten. Unter diesen Umständen verweist die Kammer in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurück. Durch diese Zurückverweisung wird weder dem Beschwerdeführer noch dem Beschwerdegegner die Möglichkeit eröffnet, vor der ersten Instanz auf bereits von der Kammer entschiedene Fragen erneut zurückzukommen, da die Einspruchsabteilung bei unverändertem Tatbestand an die rechtliche Beurteilung durch die Kammer gemäß Artikel 111 (2) EPÜ gebunden ist.
Hilfsanträge 1 bis 3
5. Nachdem dem Hauptantrag des Beschwerdeführers stattgegeben wird, war auf seine nachrangigen Hilfsanträge 1 bis 3 nicht weiter einzugehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur Fortführung des Einspruchsverfahrens auf Grundlage des Hauptantrages vom 03. Juni 2008 an die erste Instanz zurückverwiesen.