T 1551/06 (Hilfsmittelgranulat/HENKEL) 17-10-2008
Download and more information:
Hilfsmittelgranulat für wasch- und reinigungsaktive Formkörper
Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegenden Beschwerden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung das Europäische Patent 1 007 616, betreffend ein Hilfsmittelgranulat für wasch- und reinigungsaktive Formkörper, in geändertem Umfang aufrecht zu erhalten.
II. Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Hilfsmittelgranulat für wasch- und reinigungsaktive Formkörper, gekennzeichnet durch einen Gehalt von
a) 10 bis 95 Gew.-% Cellulose mit Teilchengrößen unter 100 µm
b) 5 bis 90 Gew.-% mikrokristalliner Cellulose und/oder eines oder mehrerer Inhaltsstoffe von Wasch- und Reinigungsmitteln"
III. Im Prüfungsverfahren wurde in den Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 neben der Aufzählung der zu verwendenden Inhaltsstoffe der Wasch- und Reinigungsmittel der folgende Text eingefügt: "mit Ausnahme solcher Hilfsmittelgranulate, welche 40 Gew.-% Cellulose (50 µm Primärteilchengröße), 10 Gew.-% Granulat aus mikrokristalliner Cellulose (FMC), 28,2 Gew.-% Natriumhydrogencarbonat und 21,8 Gew.-% wasserfreie Zitronensäure enthalten".
IV. Im Einspruchsverfahren begründete die Einsprechende den Antrag zum vollständigen Widerruf des Patents unter anderem damit, dass die Erfordernisse des Artikels 100 c) EPÜ nicht erfüllt seien, da die oben genannte eingefügte Textstelle von Anspruch 1 des damaligen Hauptantrags nicht ursprünglich offenbart sei. Dies wurde von der Patentinhaberin insbesondere unter Verweis auf das Vergleichsbeispiel 6 bestritten.
V. Die Einspruchsabteilung entschied das Patent auf Basis des damaligen ersten Hilfsantrags aufrecht zu erhalten, in welchem der unter Punkt III zitierte eingefügte Text von Anspruch 1 durch "wobei c) das Hilfsmittelgranulat kein zusätzliches Sprudelsystem enthält" ersetzt war.
VI. In ihrer Entscheidungsbegründung argumentierte die Einspruchsabteilung inter alia, dass die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ sowohl hinsichtlich des damaligen Haupt- als auch des damaligen ersten Hilfsantrags als erfüllt anzusehen seien, erachtete jedoch den Gegenstand des Hauptantrags als nicht erfinderisch.
VII. Die Patentinhaberin reichte gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 11. August 2006 am 4. Oktober 2006 unter gleichzeitiger Gebührenzahlung Beschwerde ein und argumentierte in ihrer ebenfalls gleichzeitig vorgelegten Beschwerdebegründung, dass der beanspruchte Gegenstand erfinderisch sei. Mit Ihrem Schreiben vom 10. September 2008 wurden zusätzlich sieben Hilfsanträge eingereicht.
VIII. Der jeweilige Anspruch 1 der für das Beschwerdeverfahren gültigen Anträge lautet:
Hauptantrag
"Hilfsmittelgranulat für wasch- und reinigungsaktive Formkörper, gekennzeichnet durch einen Gehalt von
a) 10 bis 95 Gew.-% Cellulose und/oder Cellulosederivate mit Teilchengrößen unter 100 µm
b) 5 bis 90 Gew.-% mikrokristalliner Cellulose und/oder eines oder mehrerer Inhaltsstoffe von Wasch- und Reinigungsmitteln aus der Gruppe der Gerüststoffe, der Bleichmittel und Bleichaktivatoren, der Schauminhibitoren und der soil-release Polymere, mit Ausnahme solcher Hilfsmittelgranulate, welche 40 Gew.-% Cellulose (50 µm Primärteilchengröße), 10 Gew.-% Granulat aus mikrokristalliner Cellulose (FMC), 28,2 Gew.-% Natriumhydrogencarbonat und 21,8 Gew.-% wasserfreie Zitronensäure enthalten"
1. Hilfsantrag:
Der Text "mit Ausnahme solcher Hilfsmittelgranulate ... Zitronensäure enthalten" des Hauptantrags wurde durch "wobei c) das Hilfsmittelgranulat kein zusätzliches Sprudelsystem enthält" ersetzt.
2. Hilfsantrag:
"Hilfsmittelgranulat für wasch- und reinigungsaktive Formkörper, gekennzeichnet durch einen Gehalt von
a) 10 bis 95 Gew.-% Cellulose mit Teilchengrößen unter 100 µm
b) 5 bis 90 Gew.-% mikrokristalliner Cellulose und/oder eines oder mehrerer Inhaltsstoffe von Wasch- und Reinigungsmitteln aus der Gruppe der Bleichaktivatoren und der soil-release Polymere, wobei
c) das Hilfsmittelgranulat kein zusätzliches Sprudelsystem enthält, und
d) das Hilfsmittelgranulat 5 bis 90 Gew.-% mikrokristalliner Cellulose und/oder eines oder mehrerer Inhaltsstoffe von Wasch- und Reinigungsmitteln aus der Gruppe der Gerüststoffe, der Bleichmittel und Bleichaktivatoren der Schauminhibitoren und der soil-release Polymere enthält"
3. Hilfsantrag:
Wie Hilfsantrag 2, jedoch umfasst Merkmal b) nur 5 bis 90 Gew.-% mikrokristalline Cellulose.
4. Hilfsantrag:
Bezeichnung des Gegenstands der Erfindung: "Waschmitteltablette, enthaltend 1 bis 40 Gew.-% eines Hilfsmittelgranulats, gekennzeichnet durch einen Gehalt von", der kennzeichnende Teil entspricht den Merkmalen a) bis c) des 1. Hilfsantrags.
5. Hilfsantrag
Bezeichnung des Gegenstands der Erfindung wie im 4. Hilfsantrag, der kennzeichnende Teil entspricht den Merkmalen a) bis d) des 2. Hilfsantrags.
6. Hilfsantrag
Bezeichnung des Gegenstands der Erfindung wie im 4. Hilfsantrag, der kennzeichnende Teil entspricht den Merkmalen a) bis d) des 3. Hilfsantrags.
7. Hilfsantrag
Bezeichnung des Gegenstands der Erfindung wie im 4. Hilfsantrag, der kennzeichnende Teil entspricht den Merkmalen a) bis d) des 2. Hilfsantrags, jedoch sind in Punkt b) die Inhaltsstoffe auf Bleichaktivatoren beschränkt.
IX. Die Einsprechende legte am 20. Oktober 2006 unter gleichzeitiger Gebührenzahlung ebenfalls Beschwerde ein und reichte am 20. Dezember 2006 eine Begründung für ihre Beschwerde ein.
X. Sowohl während des schriftlichen Verfahrens als auch während der mündlichen Verhandlung argumentierte die beschwerdeführende Einsprechende hinsichtlich der Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ, inter alia wie folgt:
Der Hauptantrag versuche ein nicht funktionsfähiges Beispiel auszuschließen, das unter den Wortlaut des Anspruchs falle. Gemäß der Entscheidung G 01/03 sei es nicht zulässig nicht funktionierende Ausführungsformen durch einen Disclaimer auszuschließen.
Die Hilfsanträge 1-7 befassten sich mit einer Verallgemeinerung des Beispiels 6, welche ebenfalls nicht ursprünglich offenbart worden sei.
Dementsprechend seien die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfüllt.
XI. Nach Ansicht der beschwerdeführenden Patentinhaberin stellt Beispiel 6 und der zweite Absatz auf Seite 27 der ursprünglich eingereichten Fassung eine ausreichende Stützung der Anträge dar. Beispiel 6 sei bereits in der ursprünglich eingereichten Fassung offenbart und als Vergleichsbeispiel, also als nicht unter den Schutzbereich der Erfindung fallend, beschrieben worden.
Entscheidung G 01/03 (Abl. EPA 2004, 413) sei nicht anzuwenden, da es sich nicht um einen nicht offenbarten Disclaimer handelt.
Somit sieht die Patentinhaberin die Erfordernisse des Artikels 123(2) als erfüllt an.
XII. Die beschwerdeführende Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, hilfsweise die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen (Hilfsantrag 1) oder unter entsprechender Aufhebung der angefochtenen Entscheidung das Patent aufrechtzuerhalten auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 2 bis 7, eingereicht mit Schriftsatz vom 10. September 2008.
XIII. Die beschwerdeführende Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 007 616.
Entscheidungsgründe
1. Artikel 123(2) EPÜ - Anspruch 1 des Hauptantrags der beschwerdeführenden Patentinhaberin
1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 (mit Ausnahme der eingefügten Textstelle) ist in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 2 offenbart. Das Beispiel 6, welches laut Patentinhaberin die Basis für die Einfügung bildet, ist inhaltlich vom ursprünglichen Wortlaut dieser Ansprüche mit umfasst. Obwohl mit umfasst, beschreibt dieses Beispiel eine Ausführungsform, welche einen lange dauernden Tablettenzerfall und störende Rückstände aufweist, also nicht die erfindungsgemäß gewünschten Effekte besitzt und somit nicht "funktionsfähig" im Sinne der Erfindung ist. Dies geht aus den Beispielen des Streitpatents (insbesondere Tabellen 3 und 4) hervor.
1.2 Somit ging es darum ein Beispiel auszuschließen, welches vom Anspruchswortlaut mit umfasst, aber nicht funktionsfähig ist.
1.3 Die Kammer kann der beschwerdeführenden Patentinhaberin zwar darin zustimmen, dass die Entscheidung G 01/03 sich hauptsächlich mit nicht in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbarten "Disclaimern" befasst, d.h. mit der Aufnahme negativer technischer Merkmale, die nicht in der ursprünglich eingereichten Fassung offenbart sind.
Jedoch wird unter Punkt 2.5 der Entscheidungsgründe klargestellt, dass ein Disclaimer, als Verzicht auf einen Teil der Erfindung, nicht für jeden beliebigen Zweck verwendet werden kann. Insbesondere wird unter Punkt 2.5.2 klargestellt, dass Disclaimer, die nicht funktionsfähige Ausführungsformen ausschließen sollen, nicht zuzulassen sind.
Somit kann die Kammer der beschwerdeführenden Patentinhaberin nicht folgen, dass die Entscheidung G 01/03 im vorliegenden Fall nicht anzuwenden sei.
1.4 Deshalb handelt es sich bei der eingefügten Textstelle um einen nicht zulässigen Disclaimer, sodass die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ für den Hauptantrag nicht erfüllt sind.
2. Artikel 123(2) EPÜ - Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags der beschwerdeführenden Patentinhaberin
2.1 Der erste Hilfsantrag enthält im Abschnitt c) das Merkmal "[wobei] das Hilfsmittelgranulat kein zusätzliches Sprudelsystem enthält". Als stützende Offenbarung wurde dabei von der beschwerdeführenden Patentinhaberin der zweite Absatz auf Seite 27 der ursprünglich eingereichten Fassung genannt.
2.2 Besagte Stelle der Beschreibung charakterisiert die Vergleichsversuche: "Die Vergleichsbeispiele enthielten dabei entweder eine ungeeignete Komponente a) [...], ungeeignete Komponenten b) (Beispiel 6: zusätzliches Sprudelsystem, welches kein üblicher Inhaltsstoff von Wasch- und Reinigungsmittel ist) ..."
2.3 Aus dieser Offenbarung geht jedoch keineswegs direkt und unzweifelhaft hervor, dass Sprudelsysteme generell nicht geeignet sind. Vielmehr wird das in Beispiel 6 spezifisch beschriebene System als nicht geeignet charakterisiert.
2.4 Der Wortlaut des ersten Hilfsantrags nimmt dagegen alle (zusätzlichen) Sprudelsysteme im Hilfsmittelgranulat aus, obwohl konkret nur eine bestimmte Zusammensetzung (Beispiel 6) beschrieben und als nicht geeignet genannt wurde. Für den Ausschluss von Sprudelsystemen, welche sich von Beispiel 6 unterscheiden, konnte keine ursprüngliche Offenbarung gezeigt werden.
2.5 Somit sind auch für Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfüllt.
3. Artikel 123(2) EPÜ - Hilfsanträge 2 - 7 der beschwerdeführenden Patentinhaberin
3.1 Das Merkmal c) betreffend die Abwesenheit eines zusätzlichen Sprudelsystems im Hilfsmittelgranulat ist in jedem ersten Anspruch der Hilfsanträge 2-7 genannt.
3.2 Aus den zuvor beschriebenen Gründen erfüllt jeweils Anspruch 1 dieser Hilfsanträge die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ ebenfalls nicht.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.