T 0653/07 (Kühlwasserbehandlung/EVONIK) 21-12-2010
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Verfahren zur Reduzierung von Schadorganismen in Wasserströmen
HENKEL KGaA
Kemira OYJ
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents Nr. 1 232 121 in geändertem Umfang.
II. Anspruch 1 der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung des Patents (gemäß dem damals vorliegenden zweiten Hilfsantrag, Anlage 3 zur angefochtenen Entscheidung) hat folgenden Wortlaut (Änderungen im Vergleich zu Anspruch 1 des erteilten Patents durch die Kammer hervorgehoben):
"1. Verfahren zur Reduzierung von Schadorganismen aus der Reihe Algen, Muscheln und Schleimbildnern in kontinuierlich oder periodisch fließenden Kühlwasserströmen, [deleted: insbesondere Kühlwasserströmen, ]umfassend Zugabe eines wässrigen Behandlungsmittels, enthaltend mindestens eine Peroxycarbonsäure mit 1 bis 6 C-Atomen, in einer Menge entsprechend mindestens 1 ppm Peroxycarbonsäure, dadurch gekennzeichnet, dass man in einer Durchlaufanlage dem strömenden Kühlwasser das Behandlungsmittel einmal alle 5 bis 100 Stunden über einen Zeitraum von 3 bis 60 Minuten zudosiert."
III. Die Einspruchsabteilung gelangte in ihrer Begründung zu dem Schluss, dass die geänderten Ansprüche gemäß besagter Fassung unter den Artikeln 123(2) und 84 EPÜ nicht zu beanstanden seien. Ferner sei deren Gegenstand im Hinblick auf den genannten Stand der Technik auch neu und erfinderisch, insbesondere im Hinblick auf Dokument
D10: US 5 393 781 A.
IV. In ihrer Beschwerdebegründung erhob die Beschwerde-führerin (Einsprechende 02) gegen den von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Anspruch 1 erneut Einwände unter Artikel 123(2) und 84 EPÜ. Ferner machte sie mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend, unter anderem im Hinblick auf das neu eingereichte Dokument
D11: Handbook of Biocide and Preservative Use, Edited by H.W. Rossmoore et al, Blackie Academic & Professional, 1995, Chapter 3: "Process Cooling Water", pages 50 to 82,
als nächstliegenden Stand der Technik, wobei sie sich bezüglich der Bekämpfung von Muscheln mit Peroxyessigsäure auch auf Dokument D10 bezog.
V. In ihrer Erwiderung vom 12. Oktober 2007 bestritt die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), dass die von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten geänderten Ansprüche unklar bzw. mehrdeutig seien bzw. dass deren Gegenstand nicht ursprünglich offenbart sei. In diesem Zusammenhang bezog sie sich auch auf D11. Ihrer Auffassung nach sei bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht D11, sondern vielmehr D10, als der nächstliegende Stand der Technik anzusehen. Die besonders wirtschaftliche intermittierende Dosierung der Peroxycarbonsäure gemäß Anspruch 1 sei im Hinblick auf den angezogenen Stand der Technik nicht naheliegend.
VI. Mit dem besagten Antwortschreiben vom 12. Oktober 2007 reichte die Beschwerdegegnerin auch einen Satz geänderter Ansprüche als Hilfsantrag ein (im Folgenden mit "Hilfsantrag 1" bezeichnet). Anspruch 1 gemäß diesem Antrag unterscheidet sich von Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung (siehe Punkt II) lediglich dadurch, dass er auf "Verfahren zur Reduzierung von Muscheln" eingeschränkt wurde.
VII. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung am 21. Dezember 2010 reichte die Beschwerdegegnerin zwei weitere Anspruchssätze als Hilfsanträge 2 und 3 ein.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung (siehe Punkt II) lediglich dadurch, dass die Menge der Peroxycarbonsäure auf den Bereich "1 bis 20 ppm" beschränkt wurde.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 hat folgenden Wortlaut (Änderungen im Vergleich zu Anspruch 1 des erteilten Patents durch die Kammer hervorgehoben):
"1. Verfahren zur Reduzierung von [deleted: Schadorganismen aus der Reihe Algen, ]Muscheln [deleted: und Schleimbildnern ]in kontinuierlich oder periodisch fließenden Kühlwasserströmen, [deleted: insbesondere Kühlwasserströmen, ]umfassend Zugabe eines wässrigen Behandlungsmittels, enthaltend mindestens eine Peroxycarbonsäure mit 1 bis 6 C-Atomen, in einer Menge entsprechend [deleted: mindestens ]1 bis 20 ppm Peroxycarbonsäure, dadurch gekennzeichnet, dass man in einer Durchlaufanlage dem strömenden Kühlwasser das Behandlungsmittel einmal alle 5 bis 100 Stunden über einen Zeitraum von 3 bis 60 Minuten zudosiert."
VIII. Die Ausführungen der Parteien können, insoweit sie für die vorliegende Entscheidung von Belang sind, wie folgt zusammengefasst werden:
Die Beschwerdeführerin war der Auffassung, dass die Hilfsanträge 3 und 4 aufgrund ihres späten Einreichens und der Art der vorgenommenen Änderungen unzulässig seien und daher unberücksichtigt bleiben sollten.
Die Aufnahme des Merkmals "in einer Durchlaufanlage" in Anspruch 1 sei sowohl unter Artikel 123(2) EPÜ (da das Merkmal "Muscheln" nicht zwingend sei) als auch wegen mangelnder Klarheit (Artikel 84 EPÜ) zu beanstanden. Insbesondere sei nicht klar, ob Anspruch 1 durch Aufnahme dieses Merkmals auf die Behandlung von Durchlauf-Kühlwasser beschränkt sei.
In der mündlichen Verhandlung vertrat sie bezüglich aller vier Anträge der Beschwerdegegnerin die Auffassung, dass ausgehend von D10 die zu lösende Aufgabe lediglich in der Präzisierung des Zugabemodus der Peroxyessigsäure, also in der Bereitstellung eines anderen, nicht verbesserten, Verfahrens zur Verringerung von Muscheln bestehe. In D10 sei eine intermittierende Zugabe von Peroxyessigsäure in kontinuierlich strömendes, nicht zirkulierendes Kühlwasser ausdrücklich erwähnt, aber nicht näher spezifiziert. Das Erarbeiten/Auffinden von sowohl wirksamen als auch sparsamen Dosierregimes (Konzentration, Dosier-Intervalle und -Frequenz), unter anderem in Funktion des Reproduktionszyklus der zu kontrollierenden Schadorganismen, erfordere lediglich wenige Experimente im Rahmen fachmännischer Routine. Dabei würde der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zu Dosierregimes mit in den beanspruchten Bereichen liegenden Werten für die Biozid-Konzentration, die Dauer der Dosierung und die Dauer des Zeitintervalls zwischen den Dosierungen gelangen. Die Beschwerdeführerin war auch der Ansicht, dass die Bereiche in Anspruch 1 sehr breit und "beliebig" seien, es sei nicht gezeigt worden, dass die Bereichsgrenzen von Relevanz wären. Sie stellte im Hinblick darauf in Frage, ob die ins Treffen geführte Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit mit allen in die Bereiche von Anspruch 1 fallenden Dosierregimes erreicht werden könne. Sie bezweifelte insbesondere, dass mit einer Dosierung von 1 ppm für 3 Minuten alle 100 Stunden eine wirksame Bekämpfung, insbesondere von erwachsenen Muscheln, erfolgen könne.
Die Beschwerdegegnerin machte geltend, dass die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 2 und 3 als Reaktion auf die in der mündlichen Verhandlung erstmals angesprochene, mögliche Relevanz der fehlenden Obergrenze des Peroxycarbonsäure-Konzentrationsbereichs bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu verstehen seien und daher zulässig sein sollten.
Die in allen Ansprüchen 1 vorgenommenen Änderungen seien durch den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung gestützt und seien eindeutig auf die Behandlung von Durchlauf-Kühlwasserströmen gerichtet. Anspruch 1 richte sich auch auf die Bekämpfung von in der Anlage befindlichen erwachsenen Muscheln.
Ausgehend von dem in D10 beispielhaft ausgestalteten Verfahren mit kontinuierlicher Zudosierung von Peroxyessigsäure in niedriger Konzentration als nächstliegendem Stand der Technik sei die Aufgabe in der Bereitstellung eines verbesserten Verfahrens zu sehen. Bei vergleichbarer Einwirk-Konzentration der Peroxyessigsäure sei das erfindungsgemäße Verfahren aufgrund des geringeren Biozidverbrauchs und der geringeren an die Umwelt abgegebenen Biozid-Menge sowohl wirtschaftlicher als auch umweltverträglicher. D10 offenbare zwar wirksame Peroxyessigsäure-Konzentrationen, enthalte jedoch keine Hinweise auf eine intermittierende Zugabe mit einer Dosierdauer- bzw. -Frequenz innerhalb der in Anspruch 1 angegebenen Breiche. Auch der weitere, von der Beschwerdeführerin angezogene Stand der Technik vermöge nicht, das verbesserte Dosierregime gemäß Anspruch 1 nahezulegen, schon allein, weil er nicht die Bekämpfung von Muscheln betreffe.
IX. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis der Ansprüche
- gemäß dem mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 eingereichten Hilfsantrag,
- oder gemäß den Hilfsanträgen 2 und 3, eingereicht während der mündlichen Verhandlung.
Die verfahrensbeteiligte Einsprechende 01 hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Hilfsanträge 2 und 3
1.1 Der jeweilige Anspruch 1 gemäß den im Verlauf der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträgen 2 und 3 wurde durch die Aufnahme einer bereits in der ursprünglichen Beschreibung (Seite 6, Zeilen 6 bis 8) des Streitpatents als bevorzugt angegebenen Obergrenze für die Menge an zuzugebender Peroxycarbonsäure ("bis 20 ppm") weiter präzisiert.
1.2 Die Hilfsanträge 2 und 3 stellen eine Reaktion der Beschwerdegegnerin auf Argumente betreffend die Breite von Anspruch 1 dar (keine obere Begrenzung der Menge an Peroxycarbonsäure), welche in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erstmals derart konkret zur Diskussion standen. Die Änderungen sind nach Auffassung der Kammer auch nicht derart komplex, dass die dadurch aufgeworfenen Fragen der Gegenpartei ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zumutbar waren.
1.3 Die Kammer hat in Ausübung ihres diesbezüglichen Ermessens diese beiden Hilfsanträge daher trotz ihres späten Vorbringens als zulässig erachtet und berücksichtigt (Artikel 13(1)(3) VOBK).
2. Änderungen der Ansprüche
2.1 Es kann dahingestellt bleiben, ob die in den jeweiligen Ansprüchen 1 gemäß allen Anträgen der Beschwerdegegnerin vorgenommenen Änderungen den Bestimmungen der Artikel 123(2) und 84 EPÜ genügen, da unter Zugrundelegung des Anspruchsverständnisses der Beschwerdegegnerin der Anspruchsgegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Die folgende Begründung beschränkt sich demnach auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit, wobei die Kammer zugunsten der Beschwerdegegnerin, davon ausgegangen ist, dass das zusätzlich in Anspruch 1 aufgenommene Merkmal "in einer Durchlaufanlage" im Kontext so zu verstehen ist, dass sich der Anspruch auf die Behandlung von Kühlwasser bezieht, welches "nur einmal im Durchlauf (Durchlaufkühlung)" benutzt wird (siehe hierzu z.B. Seite 1, Zeilen 25 bis 26 der ursprünglich eingereichten Anmeldung).
Hilfsantrag 3 - Erfinderische Tätigkeit
3. Die Erfindung betrifft Verfahren zur Reduzierung von Schadorganismen, insbesondere Muscheln, in Wasserströmen, insbesondere Kühlwasserströmen in Kühlwasser-Durchlaufanlagen (Abschnitte [0001], [0003], [0016] und [0017] des Streitpatents). Wie von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung bekräftigt wurde, ist das Verfahren sowohl auf die Reduzierung von Muschellarven als auch von erwachsenen Muscheln gerichtet (Abschnitt [0016] des Streitpatents).
4. Die Kammer kann die Sichtweise der Beschwerdegegnerin teilen, wonach das im Streitpatent (siehe Abschnitte [0013] und [0014] gewürdigte Dokument D10 als nächstliegender Stand der Technik anzusehen ist, da es unstreitig auf die Bekämpfung von Muscheln, genau genommen von Zebra-Muscheln (Dreissena polymorpha), im Kühlwasser einer Durchlaufanlage gerichtet ist, und zwar durch Behandlung des Wassers mit zudosierter Peroxyessigsäure als Biozid (D10: Ansprüche 1 und 10; Spalte 1, Zeilen 5 bis 10; Spalte 2, Zeilen 48 bis 54). D10 ist mit der Bereitstellung wirtschaftlicher und umweltfreundlicher Verfahren (Spalte 2, Zeilen 10 bis 12) befasst und offenbart zwar unter anderem die intermittierende Zugabe von Peroxyessigsäure zu kontinuierlich fließendem Wasser (Spalte 3, Zeilen 7 bis 10). Im Beispiel von D10 (ab Spalte 3, Zeile 61) werden allerdings lediglich Versuche näher beschrieben, in deren Rahmen eine kontinuierliche Zudosierung von Peroxyessigsäure in fließendes Flusswasser erfolgte und deren Auswirkungen auf erwachsene, im fließenden Wasser angeordnete Zebra-Muscheln untersucht wurden.
5. Ausgehend von D10 hat die Beschwerdegegnerin die Aufgabe in der Bereitstellung eines verbesserten Verfahrens gesehen. Wie seitens der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung bekräftigt wurde, sei die Verbesserung in dem - im Vergleich zu der in D10 offenbarten kontinuierlichen Zudosierung von Peroxyessigsäure - verringertem Verbrauch an Biozid und der weniger umweltbelastenden, geringeren Abgabe von Biozid an die Umwelt zu sehen.
5.1 Bezüglich der geltend gemachten Verbesserung, die von der Beschwerdeführerin bestritten wurde, stellt die Kammer Folgendes fest:
5.1.1 Selbst wenn zugunsten der Beschwerdegegnerin davon ausgegangen wird, dass das Beispiel des Streitpatents - trotz des Fehlens von diesbezüglich eindeutigen Angaben - tatsächlich die Behandlung von Durchlauf-Kühlwasser beschreibt, so zeigt dieses Beispiel lediglich, dass dabei die Ansiedlung von Muscheln im Larvenstadium, und demnach auch das spätere Anwachsen von erwachsenen Muscheln, durch eine intermittierende Zugabe von Peroxyessigsäure gemäß dem angegebenen, spezifischen Dosierregime (6ppm Peroxyessigsäure, ein Mal täglich für 15 Minuten) verhindert werden kann.
5.1.2 Wenn wiederum zugunsten der Beschwerdegegnerin davon ausgegangen wird, dass trotz des Fehlens von diesbezüglich eindeutigen Angaben die Behandlung von Durchlauf-Kühlwasser beschrieben wird, belegt auch das im Verlauf der Sachprüfung (mit Schreiben vom 3. Juni 2003) eingereichte Versuchsbeispiel lediglich, dass durch die intermittierende Zugabe von Peroxyessigsäure gemäß drei verschiedenen, spezifischen und von der Jahreszeit bzw. Kühlwassertemperatur abhängigen Dosierregimes das Anwachsen von Muscheln im Wärmetauscher verhindert werden kann.
5.1.3 Diese Beispiele sagen jedoch nichts aus über die Wirksamkeit der beschriebenen spezifischen Dosier-Regimes zur Reduzierung bzw. Abtötung von bereits vorhandenen, erwachsenen Muscheln, also über die dafür erforderliche Behandlungsdauer, oder über die an die Umwelt abgegeben Rest-Menge an Peroxyessigsäure. Da diesbezüglich kein Vergleich mit den in D10 angegebenen Ergebnissen möglich ist, sind diese beiden Beispiele als Beleg für eine Verbesserung des Verfahrens gegenüber dem in D10 exemplifizierten Verfahren nicht geeignet.
5.1.4 Im Verlauf der mündlichen Verhandlung hat sich die Beschwerdegegnerin auch auf nicht eingereichte, interne Versuche bezogen, bei denen sich gezeigt haben soll, dass ein erfindungsgemäßes Dosier-Regime nach Ablauf einiger Monate auch zur Abtötung von bereits in der Kühlwasseranlage befindlichen, erwachsenen Miesmuscheln und deren Eliminierung aus der Anlage führe.
5.1.5 Selbst bei Berücksichtigung dieser von der Beschwerdeführerin in ihrer Allgemeinheit angezweifelten Ergebnisse ergäbe sich kein Nachweis für eine eindeutige Verbesserung gegenüber dem in D10 beispielhaft ausgestalteten Verfahren, bei welchem die kontinuierliche Zudosierung von 1 ppm Peroxyessigsäure die Abtötung aller erwachsenen Zebra-Muscheln im Kühlwasserstrom innerhalb von etwa 7 Tagen bewirkt (D10, Spalte 8, Tabelle A.4, letzte Zeile).
5.1.6 Anspruch 1 umfasst zudem Varianten mit einem gegenüber dem in D10 beispielhaft ausgestaltete Dosier-Regime (kontinuierliches Zudosieren von 1 ppm Peroxyessigsäure) erhöhten Verbrauch an Peroxyessigsäure, welche die von der Beschwerdegegnerin postulierte Aufgabe (Verringerung des Verbrauchs) nicht lösen, und zwar unabhängig davon ob die Verhinderung der Ansiedlung von Muschel-Larven oder das Abtöten von in der Anlage befindlichen erwachsenen Muscheln in Betracht gezogen wird.
So ist etwa die gemäß dem Beispiel des Streitpatents pro Tag eingesetzte Menge des Biozids Peroxyessigsäure (entsprechend dem Produkt 6 ppm x 15 min x 1/Tag = 90 ppm x min / Tag) zwar kleiner als die in D10 (Tabelle A.4) beispielhaft angegebene tägliche Menge (entsprechend dem Produkt 1 ppm x 60 min x 24/Tag = 1440 ppm x min / Tag), aber laut Anspruch 1 ist auch das Zudosieren von täglichen Gesamtmengen an Peroxyessigsäure umfasst (im Extremfall entsprechend dem Produkt 20ppm x 60 min x 4/Tag = 4800 ppm x min / Tag), welche deutlich höher sind als die in D10 exemplifizierte Menge (1440 ppm x min / Tag).
Daher ist das an sich zutreffende Argument der Beschwerdeführerin, wonach bei gleicher Einwirk-Konzentration des Biozids eine wirksame Reduzierung von Muscheln mittels intermittierender Zudosierung in Summe zwangsläufig zu einem geringeren Verbrauch und einer geringeren Umweltbelastung führe, nicht weiter von Belang. Die Alternative einer intermittierenden Zudosierung als solche wird ja durch D10 eindeutig angeregt.
5.1.7 Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern obliegt es im vorliegenden Fall der Beschwerdegegnerin Patentinhaberin, die von ihr geltend gemachte Verbesserung gegenüber D10 nachzuweisen, und zwar über die ganze Breite von Anspruch 1 (siehe diesbezüglich z.B. die Entscheidungen T 0355/97 vom 5. Juli 2000, Punkte 2.5 und 2.5.1 der Gründe, und T 0097/00, Punkt 3.1.6 der Gründe). Im Hinblick auf die der Kammer zur Verfügung stehenden Beweismittel kann die geltend gemachte Verbesserung jedoch aus den unter den Punkten 5.1.1 bis 5.1.6 angegebenen Gründen nicht, und schon gar nicht über die gesamte Anspruchsbreite, anerkannt werden.
5.1.8 Die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Verbesserung muss demnach bei der Formulierung der technischen Aufgabe unberücksichtigt bleiben. Die Beschwerdeführerin hat auch keinerlei andere, unerwartete Wirkung oder Optimierung nachgewiesen, die sich den Zahlenbereichen in Anspruch 1 (Konzentration: 1 bis 20 ppm - Dosierfrequenz: alle 5 bis 100 Stunden - Dosierzeitraum 3 bis 60 Minuten) über deren gesamte Breite zuordnen ließe.
Daher ist die zu lösende technische Aufgabe in weniger ehrgeiziger Weise neu zu formulieren und kann, ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D10, lediglich in der Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Reduzierung von Muscheln in Durchlauf-Kühlwasserströmen gesehen werden.
6. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent ein Verfahren zur Reduzierung von Muscheln in fließenden Durchlauf-Kühlwasserströmen vor, welches insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Peroxycarbonsäure enthaltendes, wässriges Behandlungsmittel dem strömenden Kühlwasser in der Durchlaufanlage, in einer Menge entsprechend 1 bis 20 ppm Peroxycarbonsäure, einmal alle 5 bis 100 Stunden über einen Zeitraum von 3 bis 60 Minuten, zudosiert, wird.
7. Im Hinblick auf die in D10 dokumentierte hohe Wirksamkeit von Peroxyessigsäure bei der Bekämpfung von Zebra-Muscheln kann zugunsten der Beschwerdegegnerin davon ausgegangen werden, dass der Bewuchs von mit dem strömenden Wasser in Kontakt stehenden Flächen mit Muscheln durch intermittierendes Zudosieren gemäß dem beanspruchten Dosierregime - zumindest zu einem gewissen Grad - zurückgedrängt bzw. verhindert werden kann. Die Kammer geht daher in der Folge davon aus, dass die umformulierte technische Aufgabe durch das Verfahren nach Anspruch 1 auch tatsächlich gelöst wird.
8. Es bleibt zu klären, ob die beanspruchte Lösung der technischen Aufgabe im Hinblick auf den Stand der Technik naheliegend ist oder nicht.
8.1 In Dokument D10 selbst (Spalte 2, Zeile 66 bis Spalte 3, Zeile 10) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Peroxyessigsäure dem kontinuierlich strömenden Wasser auch intermittierend, nach einem gewissen Plan (siehe "on schedule"), zudosiert werden kann, wobei die Konzentration der Säure und das Dosierregime unter anderem in Funktion der Muscheldichte, des Wasserflusses und der Wassertemperatur anzupassen seien.
8.2 Wie von der Beschwerdegegnerin zutreffend festgestellt wurde, enthält D10 selbst keine näheren Angaben zur möglichen Dauer einer intermittierenden Zudosierung der Peroxyessigsäure bzw. zu möglichen zeitlichen Abständen zwischen den Zudosierungen.
8.3 Dokument D10 lässt sich jedoch entnehmen, dass eine wirksame Bekämpfung von erwachsenen Zebra-Muscheln in strömendem Wasser bereits ab Mindest-Einwirk-Konzentrationen von 0,1 ppm, vorzugsweise 0,5 ppm, Peroxyessigsäure möglich ist (D10, Spalte 2, Zeilen 55 bis 66). Gemäß dem Beispiel von D10 wurden erwachsene Muscheln einem Wasserstrom ausgesetzt, dem kontinuierlich bis zu (maximal) 1 ppm Peroxyessigsäure (Tabelle A.4) zugesetzt wurden. Bei letzterer Dosierung waren nach 177,25 Stunden nahezu alle Muscheln abgestorben (47/48). Auch in Tabelle 2 von D10 wird hohe Wirksamkeit der Peroxyessigsäure dokumentiert: bei einer Konzentration ab etwa 1 ppm wirkt Peroxyessigsäure ähnlich gut wie das üblicherweise verwendete Chlor.
8.4 D10 entnimmt der Fachmann, dass bereits Einwirk-Konzentrationen von 0,25 bzw. 0,5 ppm Peroxyessigsäure (Tabellen A.9 bzw. A.10) im strömenden Wasser zu einer weitgehenden Abtötung der Zebra-Muscheln führen. Aus einem Vergleich der Tabellen A.4, A.9 und A.10 (siehe die jeweiligen letzten Zeilen der Spalten "Time" und "48 hr. Mortality") ist ersichtlich, dass der zur Abtötung erforderliche Zeitraum mit steigender Einwirk-Konzentration deutlich kürzer wird.
8.5 D10 ist auch keineswegs auf das in den Beispielen illustrierte Abtöten von bereits in der Kühlwasseranlage befindlichen, erwachsenen Zebra-Muscheln mit ausgebildeten Schalen beschränkt, vielmehr wird auch die Bekämpfung von Muscheln im Larvenstadium ausdrücklich erwähnt (siehe "veliger" in D10, Spalte 2, Zeilen 48 bis 49). Im Hinblick auf D10 hatte der Fachmann keine Veranlassung anzunehmen, dass die bei der Bekämpfung erwachsener Zebra-Muscheln (mit Schale) effektiven Einwirk-Konzentrationen bei der Bekämpfung von Zebra-Muscheln im Larven-Stadium weniger wirksam sein könnten.
8.6 Der von D10 ausgehende und mit der Lösung der Aufgabe befasste Fachmann würde daher, angeregt durch D10, mit Sicherheit auch die Reduzierung von (Zebra-) Muscheln in strömendem Wasser mittels der als gleichwertig präsentierten intermittierenden Zugabe (Spalte 3, Zeilen 7 bis 10) von Peroxyessigsäure in Erwägung ziehen, in der Erwartung, dass dabei sowohl in der Durchlauf-Anlage befindliche erwachsene Muscheln (nach hinreichender Einwirkzeit) größtenteils abgetötet würden, als auch ein Anwachsen von Muschel-Larven unter diesen im Durchlaufbetrieb für erwachsene Muscheln tödlichen Bedingungen weitgehend verhindert werden könne.
8.7 In D10 wird die Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit des offenbarten Verfahrens ausdrücklich hervorgehoben (siehe Spalte 2, Zeilen 10 bis 12). Beim Umsetzen der Anregung in D10, intermittierend zuzudosieren, würde der Fachmann daher grundsätzlich einen - bei vergleichbarem Ergebnis - über die gesamte Behandlungsdauer möglichst geringen Chemikalieneinsatz unter Vermeidung von nicht notwendigen Überdosierungen anstreben.
8.8 Die Erarbeitung eines geeigneten Dosierplans ("schedule" in D10) zur intermittierenden Zugabe erfordert im konkreten Fall (Art der Anlage und des zu bekämpfenden Organismus) eine gewisse Anzahl von Versuchen. Dabei wird der Fachmann unter Berücksichtigung der Eigenheiten des zu bekämpfenden Organismus (z.B. Zebramuschel oder Miesmuschel), sowie der anderen maßgeblichen Parameter (D10, Spalte 3, Zeilen 1 bis 4), danach trachten, die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit des Verfahrens in Einklang miteinander zu bringen.
8.9 Im Rahmen dieser Vorversuche würde der Fachmann nach Ansicht der Kammer zunächst von der wirksamsten in D10 angegebenen Konzentration von 1 ppm ausgehend untersuchen, inwieweit sich der Dosierzeitraum und die Dosierfrequenz bei Beibehaltung der gewünschten Wirksamkeit verringern lassen. Da in D10 keine Obergrenze für die Biozid-Konzentration angegeben ist, wird er, soweit erforderlich, auch die Anwendung höherer Biozid-Konzentrationen als 1 ppm untersuchen. Derartige, zur praktischen Umsetzung der Lehre von D10 erforderlichen Vorversuche sind nach Auffassung der Kammer jedoch als reine Routinemaßnahmen anzusehen, zumal die maßgeblichen Überlegungen und Faktoren bekannt sind. Bei der Durchführung der Versuche würde der Fachmann unweigerlich auf unter Anspruch 1 fallende Verfahrensvarianten stoßen, bei denen Muscheln in dem strömenden Durchlauf-Kühlwasser zumindest zu einem gewissen Grad reduziert werden.
9. Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht demnach nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 52(1) und 56 EPÜ 1973).
10. Folglich ist der Hilfsantrag 3 der Beschwerdegegnerin nicht gewährbar.
Hauptantrag und Hilfsanträge 1 und 2
11. Die jeweiligen Ansprüche 1 gemäß den vorrangigen Anträgen (Hauptantrag, erster und zweiter Hilfsantrag; siehe obige Punkte II, VI und VII) umfassen aufgrund ihrer breiteren Formulierung unstreitig das von der Kammer als nicht erfinderisch erachtete (siehe obige Punkte 5 bis 10) Verfahren zur Reduzierung von Muscheln gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 3.
11.1 Folglich beruht auch der Gegenstand dieser Ansprüche 1 nicht auf einer gemäß Artikel 52(1) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ 1973 erforderlichen erfinderischen Tätigkeit.
11.2 Daher ist auch weder der Hauptantrag noch einer der Hilfsanträge 1 oder 2 der Beschwerdegegnerin gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.