T 1950/17 15-07-2021
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WALZSTRAßE ZUR RÖHRENSTAHL- UND DÜNNBANDERZEUGUNG
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Änderung nach Ladung - stichhaltige Gründe (nein)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent EP 2 651 578 B1 (im Folgenden: das Patent) betrifft eine Walzstraße zur Herstellung eines Bandes.
II. Gegen das erteilte Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt und ihn auf die Gründe der Artikel 100 a) und b) EPÜ gestützt.
III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass das Patent in geändertem Umfang auf Grundlage der erteilten Ansprüche 1 bis 16 gemäß dem mit Schreiben vom 4. März 2016 eingereichten Hauptantrag den Erfordernissen des EPÜ genügt.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende (im Folgenden: die Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
V. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit, insbesondere, dass sie den Anspruchswortlaut unter Berücksichtigung der breiten Definitionen im Patent auszulegen gedenke. Zudem wies sie unter anderem darauf hin, dass sie nicht beabsichtige, alle alternativen Angriffslinien zur erfinderischen Tätigkeit zu erörtern, da sie nicht alle gleich relevant seien.
VI. Mit Schreiben vom 5. Juli 2021 reichte die Patentinhaberin (im Folgenden: die Beschwerdegegnerin) neue Beschreibungsseiten 4, 5 und 6 ein.
VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 15. Juli 2021 mit Zustimmung beider Verfahrensbeteiligter in Form einer Videokonferenz statt. Zum Ablauf der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
VIII. Anträge
Am Schluss der mündlichen Verhandlung bestand folgende Antragslage:
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent in eingeschränkter Form auf Basis von Hilfsantrag 0 (Ansprüche 1-16 wie erteilt gemäß Hauptantrag unter Zugrundelegung der geänderten Beschreibung, eingereicht mit dem Schreiben vom 5. Juli 2021), oder Hilfsantrag 1 (Ansprüche wie eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung; Beschreibung wie eingereicht in der mündliche Verhandlung vor der Kammer am 17. Juli 2021) aufrechtzuerhalten.
IX. Wortlaut der unabhängigen Ansprüche
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung betraf den folgenden Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (= Anspruch 1 in der erteilten Fassung):
"Walzstraße zum Herstellen von Metallbändern, bevorzugt Röhrenstahl und/oder Dünnband, bei denen zwischen zwei aufeinander folgenden Fertiggerüsten (Fi, Fi+1) eine Schnellheizvorrichtung (8) und ein weiteres Zusatzaggregat angeordnet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Abstand der Gerüste (Fi, Fi+1), zwischen denen die Schnellheizvorrichtung (8) angeordnet ist, 5 - 25 m beträgt, und dass das zusätzlich zur Schnellheizvorrichtung (8) angeordnete wenigstens eine weitere Zusatzaggregat ein Richtaggregat, bevorzugt eine Rollenrichtmaschine (14) ist."
Dieser Anspruch 1 gemäß Hauptantrag liegt auch dem Hilfsantrag 0 zugrunde.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet (die Änderungen im Vergleich zum Hauptantrag sind durch Fettdruck hervorgehoben).
"Walzstraße zum Herstellen von Metallbändern, bevorzugt Röhrenstahl und/oder Dünnband, bei denen zwischen zwei aufeinander folgenden Fertiggerüsten (Fi, Fi+1) eine Schnellheizvorrichtung (8) und ein weiteres Zusatzaggregat angeordnet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
der Abstand der Gerüste (Fi, Fi+1), zwischen denen die Schnellheizvorrichtung (8) angeordnet ist, 5 - 25 m beträgt, und dass das zusätzlich zur Schnellheizvorrichtung (8) angeordnete wenigstens eine weitere Zusatzaggregat ein Richtaggregat, [deleted: bevorzugt] nämlich eine Rollenrichtmaschine (14) ist."
X. Stand der Technik
Folgende bereits im Einspruchsverfahrens zitierte Dokumente sind für diese Entscheidung relevant:
D1: WO 92/08557 A1;
D3: WO 2009/012 963 A1;
D4: EP 0 721 813 A1;
D5: EP 2 258 491 A1;
D6: WO 2007/073 841 A1;
D9: WO 2007/051 521 A2.
XI. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag
Der Begriff "Richtaggregat" in Anspruch 1 sei unter Berücksichtigung der Lehre des Patents in den Absätzen [0033] und [0040] breit auszulegen und umfasse einfache Niederhalterollen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von der in D6 beschriebenen Walzstraße lediglich durch den definierten Abstand der Walzgerüste, der zwischen 5 und 25 m liegen müsse.
Ein Abstand für Walzgerüste von 5 bis 25 m sei jedoch fachüblich. Dies bestätige beispielsweise D1 auf
Seite 44, Zeilen 9 bis 10, wonach zwischen den Fertiggerüsten von D1 der Abstand 6 m betrage. Auch das Patent selbst offenbare in Absatz [0005], dass ein Fertiggerüstabstand von 5,5 m üblich sei.
Die Dimensionierung des Abstands der Walzgerüste innerhalb des von Anspruch 1 definierten Bereichs liege im fachüblichen Vorgehen und bedürfe mithin keinerlei erfinderischen Zutuns seitens des Fachmanns.
Eine Walzstraße gemäß Anspruch 1 sei ausgehend von D6 daher naheliegend.
b) Zulassung von Hilfsantrag 0
Bei den Änderungen auf den mit Schreiben vom 5. Juli 2021 eingereichten Beschreibungsseiten handele es sich nicht nur um rein redaktionelle Änderungen. Vielmehr werde durch die Änderungen in den Absätzen [0033] und [0040] die Auslegung des Begriffs "Richtaggregat" in Anspruch 1 und damit das Schutzbegehren maßgeblich geändert, auch wenn der Wortlaut des Anspruchs 1 als solches unverändert geblieben sei. Diese unerwartete Änderung des Vorbringens sei verspätet nach Zusendung der Ladung zur mündlichen Verhandlung und nur 10 Tage vor dem angesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer erfolgt. Folglich müsse sie in Abwesenheit von stichhaltigen Gründen und rechtfertigenden, außergewöhnlichen Umständen im Verfahren unberücksichtigt bleiben.
c) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1
Als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit seien die beiden Dokumente D1 und D6 in der Tat jeweils am aussichtsreichsten.
- D1 als Ausgangspunkt
D1 zeige in Figur 4D eine Walzstraße, bei der zwischen den Fertigwalzgerüsten eine Induktionsheizung zum Einsatz gelange. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von der Walzstraße von D1 dadurch, dass zudem eine Rollenrichtmaschine zwischen den Fertiggerüsten eingesetzt werde.
Bei der Walzstraße der D1 würden die Induktionsöfen erst nach dem Einfädeln des Bandes in die Walzstraße eingefahren. Dies sei zeitaufwändig und erlaube es nicht, den Anfang des Bandes zu heizen. Diese Nachteile würden durch den Einsatz von Rollenrichtmaschinen behoben.
Ausgehend von D1 könne das objektive technische Problem somit darin gesehen werden, die Walzstraße so weiterzuentwickeln, dass das Einfädeln des Bandes auch bei eingefahrenen Induktionsöfen erfolgen könne.
Aus dem allgemeinen Fachwissen, das sich auch auf
Seite 15, Zeilen 5 bis 9 der D3 widerspiegele, sei dem Fachmann bekannt, dass durch den Einsatz von Richtrollen in einer Walzstraße Beschädigungen an einer Induktionsheizung durch das Walzband insbesondere beim Einfädeln des Bandes vermieden werden können.
Die Funktion der Richtrollen, nämlich das Band zu richten und damit Beschädigung am Induktionsofen zu vermeiden, sei unabhängig von der Lage des Ofens und nicht an eine bestimmte Position in der Walzstraße gebunden.
Der Fachmann würde daher Richtrollen zwischen den Walzgerüsten vor den Induktionsöfen von D1 einsetzen, um die in D3 genannten Vorteile zu erzielen und so in naheliegender Art und Weise eine Möglichkeit schaffen, das zugrundeliegende Problem zu lösen.
- D6 als Ausgangspunkt
D6 zeige in Figur 5 einen Ausschnitt aus einer Walzstraße, bei der zwischen zwei Fertigwalzgerüsten ein Looper, eine Niederhalterolle und eine Induktionsheizung zum Einsatz gelange.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von der Walzstraße der D6 durch den definierten Abstand der Walzgerüste, der zwischen 5 und 25 m liegen müsse, und ferner dadurch, dass eine Rollenrichtmaschine zwischen den zwei Fertigwalzgerüsten eingesetzt werde.
Durch den Einsatz einer Rollenrichtmaschine werde die Gefahr einer Beschädigung der Induktionsheizung reduziert.
Ausgehend von D6 könne das objektive technische Problem darin gesehen werden, die Walzstraße so weiterzuentwickeln, dass Schäden an den Induktionsöfen durch gebogene Bandanfänge ("Ski") vermieden werden könnten.
D3 offenbare in den Zeilen 5 bis 9 auf Seite 15, dass durch den Einsatz von Richt- oder Niederhalterollen vor einem Induktionsofen dessen Beschädigung vermieden werden könne. Der Fachmann hätte daher einen Anreiz, alternativ zu der in Figur 5 dargestellten Niederhalterolle zwischen den Walzgerüsten vor dem Induktionsofen von D6 Richtrollen einzusetzen, um die in D3 genannten Vorteile zu erzielen.
XII. Das entsprechende Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag
Der Begriff "Richtaggregat" bezeichne gemäß fachüblicher Auslegung ein Mittel, das eine plastische Umformung erziele. Bei den in den Absätzen [0033] und [0040] des Patents beschriebenen Ausführungsformen, wonach ein Richtaggregat auch Aggregate wie eine Niederhalterolle, Niederhalteplatte oder Niederhaltstrebe umfasse, handele es sich für einen Fachmann klar erkennbar um offensichtliche Fehler, die bei einer fachüblichen Auslegung des beanspruchten Gegenstands nicht zu berücksichtigen seien.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von der Walzstraße der D6 durch den definierten Abstand der Walzgerüste, der zwischen 5 und 25 m liegen müsse, und ferner dadurch, dass zusätzlich zum Induktionsofen auch ein Richtaggregat zwischen zwei Fertigwalzgerüsten eingesetzt werde.
Keines der zitierten Dokumente, insbesondere auch nicht D3, offenbare eine Walzstraße, bei der ein Richten im fachüblichen Sinne vor einem Induktionsofen zwischen zwei Fertigwalzgerüsten erfolge. Dies sei dem Fachmann auch nicht anhand des allgemeinen Fachwissens geläufig.
Daher sei der beanspruchte Gegenstand ausgehend von D6 nicht naheliegend.
b) Zulassung von Hilfsantrag 0
Die Änderungen auf den mit Schreiben vom 5. Juli 2021 neu eingereichten Beschreibungsseiten 4, 5 und 6 seien rein redaktioneller Natur. Sie würden lediglich eine Anpassung des ursprünglich eingereichten Wortlauts an den erteilten Gegenstand sowie eine Fokussierung auf den eigentlich beabsichtigten Anspruchsgegenstand darstellen. Diese Beschreibungsseiten sollten daher im Verfahren berücksichtigt werden. Der Beschwerdeführerin sei erst kurz vor der Verhandlung bewusst geworden, dass die erteilte Beschreibung nicht redaktionell an das Patentbegehren angepasst worden sei, und dass der Wortlaut in den Absätzen [0033] und [0040] des Patents eine breite Auslegung des Anspruchs 1 ermöglichen könnte.
c) Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1
- D1 als Ausgangspunkt
Bei der Walzstraße der D1 würden die Induktionsöfen erst nach dem Einfädeln des Bandes in die Walzstraße eingefahren, siehe Seite 36, Zeilen 27 bis 32. Daher bestünde keine Gefahr, beim Einfädeln des Bandes die Induktionsöfen zu beschädigen. Mithin bestehe kein Anlass für einen Fachmann, in einer Walzstraße von D1 eine Rollenrichtmaschine einzusetzen, um derartigen, in D1 gar nicht auftretenden Beschädigungen entgegenzuwirken.
Die Lehre auf Seite 15, Zeilen 5 bis 9 der D3 beziehe sich auf eine Walzstraße, bei der die Richtrollen und die Induktionsheizung vor der Fertigwalzstraße eingesetzt werde. Ein Anreiz dafür, eine derartige Anordnung auch zwischen zwei Fertigwalzgerüsten einzusetzen, liefere D3 nicht.
Auch lasse die räumliche Anordnung der Induktionsheizgeräte und die bauliche Beengtheit zwischen den einzelnen Fertiggerüsten in der Walzstraße der D1 keinen Spielraum dafür, eine weitere Rollenrichtmaschine vor den Induktionsheizungen anzuordnen. Zudem würde der dafür erforderliche Umbau der Walzstraße der D1 eine völlige Umgestaltung des Anlagenkonzepts der D1 und der in Figur 4 dargestellten sorgfältig einzuhaltenden Temperaturführung erforderlich machen.
Es sei für den Fachmann daher nicht naheliegend, Richtrollen gemäß der Lehre der D3 vor den Induktionsöfen zwischen den Walzgerüsten von D1 einsetzen.
- D6 als Ausgangspunkt
Durch den Einsatz einer Rollenrichtmaschine werde die Gefahr einer Beschädigung der Induktionsheizung nicht nur beim Einlauf in den Induktionsofen reduziert, sondern auch während des Durchlaufens. Denn ein vorgeschalteter Richtprozess reduziere nicht nur etwaige Wölbungen am Bandkopf sondern allgemein alle Bandwölbungen und -krümmungen.
Ausgehend von D6 könne das objektive technische Problem darin gesehen werden, die Walzstraße so weiterzuentwickeln, dass Schäden der Induktionsöfen durch Bandwölbungen allgemein vermieden werden könnten. Durch ein planeres Band könne der Abstand zwischen Ofen und Band reduziert werden und somit die Heizeffizienz erhöht werden.
Keines der zitierten Dokumente, insbesondere auch nicht D3, offenbare eine Walzstraße, bei der ein Richten vor einem Induktionsofen zwischen zwei Fertigwalzgerüsten erfolge. Dies sei dem Fachmann auch nicht anhand des allgemeinen Fachwissens geläufig.
Außerdem dienten Niederhalterolle und Looper in D6 dem Zweck, das Band auf Spannung zu halten und so etwaige zu schnell einlaufende Bandanteile vor dem Induktionsofen zwischenzuspeichern. Der Fachmann würde die Niederhalterolle bzw. den Looper daher nicht durch Richtrollen gemäß D3 ersetzen, da dies zu einem Verlust der genannten Funktionalität führen würde.
Entscheidungsgründe
1. Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ - Hauptantrag
1.1 Auslegung von Anspruch 1
Gemäß Anspruch 1 soll in dem beanspruchten Walzwerk zwischen zwei Fertiggerüsten ein Richtaggregat zum Einsatz gelangen.
Diesbezüglich führt das Patent in Absatz [0033] Folgendes aus (Hervorhebung in Fettdruck durch die Kammer):
"Der Einbau eines Richtaggregats kann ebenfalls das Auftreten eines ungeraden Bandverlaufs (Ski, Wölbung, Krümmung) mit besonders einfachen und beherrschbaren Mitteln unterbinden. Diese Einrichtung zur Korrektur oder Vermeidung eines Skis bzw. Bandwölbung in Form eines Richtaggregates kann neben einer Rollenrichtmaschine auch eine Niederhalterolle, Niederhalteplatte, Niederhalterstreben, ein Biegerichttreiber, Bandkopf-Richtkanal oder eine Bandkopf-Presseinrichtung sein."
Entsprechend wird in Absatz [0040] in Bezug auf Figur 2 angegeben, dass die Einrichtung 14 zur Korrektur/Vermeidung eines Ski-Ups oder-Downs beispielsweise ein Biegerichttreiber oder eine Niederhalterrolle sein kann.
Im Kontext des Patents ist unter einem Richtaggregat daher nicht nur ein Aggregat zu verstehen, das ein Richten im fachüblichen Sinne mittels plastischer Verformung erzielt. Vielmehr wird der Begriff im Patent weiter gefasst und schließt Aggregate mit ein, die gemäß Absatz [0033] gerade mit "besonders einfachen und beherrschbaren Mitteln" wie einer Niederhalterolle oder Niederhaltstrebe einen geraden Bandverlauf erzielen sollen.
Ein bloßes Niederhalten einer Bandunebenheit oder eines Bandanfangs mit einer Niederhalterolle bei dem noch keine plastische Umformung erfolgt, ist gemäß Patent folglich bereits als Einsatz eines Richtaggregats anzusehen.
Wird ein technischer Fachbegriff in einem Patent in einer anderen Bedeutung als fachüblich verwendet, so ist eine derartige Definition bei der Auslegung der Ansprüche zu berücksichtigen, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel II.A.6.3.3.
Unter Berücksichtigung der Lehre in den Absätzen [0033] und [0040] des Patents handelt es sich folglich bei einer Niederhalterolle wie sie in einer Walzstraße gemäß D6 (vgl. Figur 5, No. 23) zum Einsatz gelangt, um ein Richtaggregat im Sinne des Patents.
1.2 D6 als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit
1.2.1 Das Patent betrifft eine Walzstraße zur Herstellung von Dünnband.
Als nächstliegender Stand der Technik kann unstreitig D6 in Betracht kommen, das ebenfalls eine Walzstraße zur Herstellung von Metallband adressiert.
1.2.2 D6 beschreibt auf Seite 12, Zeilen 5 bis 11 unter Bezugnahme auf Figur 5 ein Walzwerk zum Herstellen eines Metallbandes, bei dem zwischen zwei Walzgerüsten (11) der Fertigstraße (5) ein Induktionsofen (9) und als zusätzliche Aggregate ein Looper (22) und eine Niederhalterolle (23) angeordnet sind.
D6 offenbart nicht, in welchem Abstand die beiden Walzgerüste (11) angeordnet sind.
1.2.3 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der Walzstraße gemäß D6 daher lediglich durch den definierten Abstand der Walzgerüste, der zwischen 5 und 25 m liegen muss.
1.2.4 Ein Abstand der Walzgerüste von 5 bis 25 m ist fachüblich. Dies bestätigt beispielsweise das Dokument D1 auf Seite 44, Zeilen 9 bis 10, das 6 m für den Abstand zwischen den Fertiggerüsten angibt. Auch das Patent selbst offenbart in Absatz [0005], dass ein Walzgerüstabstand von 5,5 m üblich ist.
Die Dimensionierung des Abstands der Walzgerüste im fachüblichen Bereich und damit in dem von Anspruch 1 definierten Bereich liegt im routinemäßigen Vorgehen und bedarf mithin keinerlei erfinderischen Zutuns seitens des Fachmanns.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag erfüllt daher nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.
2. Zulassung von Hilfsantrag 0
2.1 Die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen (Artikel 25 VOBK 2020) ist die revidierte Fassung auch auf am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden anwendbar.
2.2 Hilfsantrag 0 umfasst die mit Schreiben vom 5. Juli 2021 eingereichten Beschreibungsseiten 4, 5 und 6 des Patents und die Ansprüche 1 bis 16 wie erteilt, die auch dem Hauptantrag zugrunde liegen.
Bei den Änderungen auf den mit Schreiben vom 5. Juli 2021 eingereichten Beschreibungsseiten handelt es sich nicht um rein redaktionelle Änderungen. Vielmehr werden durch die Änderungen in den Absätzen [0033] und [0040] die Auslegungsvarianten für den Begriff "Richtaggregat" gestrichen, die über das fachübliche Verständnis des Begriffs hinausgehen. Dadurch erfolgt eine maßgebliche Änderung der Auslegung des Begriffs "Richtaggregat" in Anspruch 1 und damit des Schutzbegehrens.
Diese Änderungen in der Beschreibung stellen daher eine Änderung des Vorbringens seitens der Beschwerdegegnerin dar, die erst nach Zusendung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer, insbesondere erst 10 Tage vor dem dafür angesetzten Termin erfolgte.
2.3 Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass sie sich der Tragweite der in Absatz [0033] und [0040] angegebenen fachunüblichen Definition für den Begriff "Richtaggregat" erst während der Vorbereitung auf die Verhandlung nach dem Studium der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 der Kammer bewusst geworden sei.
In ihrer Mitteilung griff die Kammer aber lediglich die Argumente auf, die von der Beschwerdeführerin bereits in Punkt 2 ihrer Beschwerdebegründung detailliert dargelegt wurden. Auf diese Argumente hat die Beschwerdeführerin in Punkt II ihres Schreibens vom 5. März 2018 bereits detailliert erwidert. Zudem wurde insbesondere der Absatz [0033] des Patents und die darin wiedergegebene Definition für eine Richtaggregat schon in der angefochtenen Entscheidung in Punkt II.4.1 thematisiert. Die Auslegungsproblematik in Bezug auf die Offenbarung insbesondere in Absatz [0033] des Patents ist daher kein in der Mitteilung der Kammer neu aufgebrachter Streitgegenstand, sondern liegt dem Einspruchsbeschwerdeverfahren von Beginn an zugrunde.
Der Umstand, dass die Kammer in ihrer vorläufigen Meinung den Argumenten der Beschwerdeführerin gefolgt ist, stellt als solches keinen außergewöhnlichen Umstand im Verfahren dar, der eine Änderung des Beschwerdeverfahrens rechtfertigen könnte.
Auch stellt die Feststellung der Beschwerdegegnerin, dass sie erst zum spätest möglichen Verfahrensstand im Rahmen der Vorbereitung zur Verhandlung sich der Tragweite der im Patent definierten Lehre in Bezug zum beanspruchten Gegenstand bewusst wurde, keinen stichhaltigen Grund dar, warum die geänderten Beschreibungsseiten nicht schon als Reaktion auf das detaillierte Vorbringen seitens der Beschwerdeführerin eingereicht werden konnten.
Unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(2) VOBK 2020 lässt die Kammer den Hilfsantrag 0 daher unberücksichtigt.
3. Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ -Hilfsantrag 1
3.1 D1 als Ausgangspunkt
3.1.1 Die Beteiligten sind beide der Meinung, dass D1 ähnlich dem Patent eine Walzstraße offenbart und damit einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellen kann. Es besteht weiterhin Einigkeit darüber, dass D1 in Figur 4D eine Walzstraße zum Herstellen von Metallbändern zeigt, bei der zwischen zwei aufeinanderfolgenden Fertiggerüsten (70, 72, 74, 76) jeweils eine Schnellheizvorrichtung (78, 80, 82) angeordnet ist. Der Abstand zwischen den Fertiggerüsten beträgt 6 m, siehe Seite 44, Zeilen 9 bis 10.
3.1.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich somit von der in D1 beschriebenen Walzstraße ebenfalls unstreitig dadurch, dass zwischen zwei aufeinanderfolgenden Fertiggerüsten zusätzlich zur Schnellheizvorrichtung eine Rollenrichtmaschine angeordnet ist.
3.1.3 Der Einsatz einer Rollenrichtmaschine reduziert sogenannte Skis oder sonstige Bandwölbungen oder Unplanheiten und gewährleistet ein sicheres Passieren des Metallbandes durch eine Induktionsheizung mit einem minimalen Durchgangsmaß in Dickenrichtung, siehe die Absätze [0009] und [0027] des Patents.
3.1.4 Ausgehend von D1 kann die objektive technische Aufgabe daher darin gesehen werden, ein Walzwerk zur Verfügung zu stellen, bei dem ein Aufheizen des Bandes zwischen den Walzgerüsten sicher und effizient gestaltet werden kann.
3.1.5 D3 offenbart auf Seite 15, Zeilen 5 bis 9, dass zum mechanischen Schutz vor Beschädigungen einer Induktionsheizung in einer Walzstraße unter anderem Richt- oder Niederhalterollen eingesetzt werden können.
Auch wenn diese Lehre in D3 in Bezug auf eine Walzstraße vermittelt wird, bei der die Induktionsheizung (8) wie in Figur 1 dargestellt zwischen der Vorwalzstraße (4) und der Fertigwalzstraße (5) eingesetzt wird, kann dem Argument der Beschwerdeführerin soweit zugestimmt werden, dass die Funktion von Richtrollen, das Band zu richten und damit Beschädigung am Induktionsofen zu vermeiden, unabhängig von der Anordnung beider Aggregate innerhalb der Walzstraße ist.
Allerdings besteht der Lehre in D1 folgend keinerlei Veranlassung dafür, Richtrollen in der Walzstraße gemäß Figur 4D von D1 vor den Induktionsofen (78, 80, 82) einzusetzen. Insbesondere die Vermeidung von Schäden der Induktionsöfen durch Skibildung am Bandkopf ist für das Verfahren gemäß D1 nicht maßgeblich, denn die Induktionsöfen werden erst nach dem Einfädeln des Bandes in die Walzstraße eingefahren, siehe Seite 36, Zeilen 27 bis 32.
Auch lässt die räumliche Anordnung der Induktionsheizgeräte und die bauliche Beengtheit zwischen den einzelnen Fertiggerüsten keinen erkennbaren Spielraum dafür, eine zusätzliche Rollenrichtmaschine vor den Induktionsheizungen anzuordnen. Eine für den Einbau einer Rollenrichtmaschine nötige Erweiterung des Abstandes der Fertiggerüste der Walzstraße der D1 würde eine völlige Umgestaltung des in Figur 4 dargestellten Anlagenkonzepts der D1 erforderlich machen. Insbesondere wäre die in Figur 4 dargestellte Temperaturregelung nicht mehr ohne weitreichende Anpassungsmaßnahmen realisierbar.
Ausgehend von der in D1 in Figur 4D dargestellten Walzstraße ist es daher unter Berücksichtigung der Lehre in D3 nicht naheliegend, eine Rollenrichtmaschine vor einer Induktionsheizung zwischen zwei Fertigwalzgerüsten anzuordnen.
3.1.6 Ferner ist das Argument der Beschwerdeführerin, wonach der Fachmann Rollenrichtmaschinen dafür einsetzen würde, um das Aus- und Einfahren der Induktionsöfen vor und nach dem Einfädeln des Walzbandes überflüssig zu machen, nicht nachvollziehbar. Bei der in D1 beschriebenen Anlage handelt es sich um eine kontinuierlich arbeitende Anlage, siehe Anspruch 1. Daher sind Einfädelprozesse nur von untergeordneter Bedeutung.
Selbst wenn ein Fachmann das Aus- und Einfahren der Induktionsöfen vor und nach dem Einfädeln des Walzbandes auch bei einem Endlosbetrieb gemäß D1 vermeiden wollen würde, wäre der Einsatz einer Rollenrichtmaschine in einer Anlage gemäß D1 aufgrund der baulichen Beengtheit und der beabsichtigten Temperaturregelung nicht ohne weiteres naheliegend, wie im vorherigen Punkt bereits dargelegt.
3.1.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist daher ausgehend von D1 nicht naheliegend.
3.2 D6 als Ausgangspunkt
3.2.1 Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass D6 ebenfalls einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands gemäß Hilfsantrag 1 darstellen kann.
D6 zeigt in Figur 5 einen Ausschnitt aus einer Walzstraße, bei der zwischen zwei Fertigwalzgerüsten ein Looper, eine Niederhalterolle und eine Induktionsheizung eingesetzt wird.
3.2.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der in Figur 5 der D6 dargestellten Walzstraße durch den definierten Abstand der Walzgerüste zwischen 5 und 25 m und ferner dadurch, dass zudem eine Rollenrichtmaschine zwischen zwei Fertigwalzgerüsten eingesetzt wird.
3.2.3 Der Einsatz einer Rollenrichtmaschine reduziert sogenannte Skis oder sonstige Bandwölbungen oder Unplanheiten und gewährleistet ein sicheres Passieren des Metallbandes durch eine Induktionsheizung mit einem minimalen Durchgangsmaß in Dickenrichtung, siehe die Absätze [0009] und [0027] des Patents.
3.2.4 Ausgehend von D6 kann das objektive technische Problem darin gesehen werden, die Walzstraße so weiterzuentwickeln, dass Schäden der Induktionsöfen beim Banddurchlauf vermieden werden können.
3.2.5 D3 offenbart in den Zeilen 5 bis 9 auf Seite 15, dass durch den Einsatz von Richt- oder Niederhalterollen vor einem Induktionsofen dessen Beschädigung vermieden werden könne.
Allerdings besteht keinerlei Anreiz, diese technische Lehre auf die Ausführungsform der D6 zu übertragen.
Gemäß Seite 11, Zeilen 32 bis 36 handelt es sich bei der Walzstraße nach Figur 5 der D6 um eine Anlage, die für einen Endlosprozess eingesetzt werden soll.
Skibildung und entsprechende Probleme beim Einfädeln spielen hier üblicherweise eine untergeordnete Rolle. Daher besteht ausgehend von D6 kein unmittelbarer Anreiz, die Lehre in D3 in Bezug auf Mitteln für die Vermeidung von möglichen Beschädigungen aufgrund von Skibildung am Bandanfang in Erwägung zu ziehen.
Selbst wenn ein Fachmann aufgrund der Lehre in D3 Niederhalterollen und Richtrollen als alternative Mittel zum Vermeiden von Beschädigungen von Induktionsheizungen in Erwägung ziehen würde, so ist nicht nachvollziehbar, warum ein Fachmann die Niederhalterolle 23 in Figur 5 der D6 durch Richtrollen ersetzen sollte.
Die Niederhalterolle 23 dient nämlich in der Anordnung der Figur 5 von D6 dazu, zusammen mit dem Looper 22 das Band auf Spannung zu halten und so etwaig zu schnell einlaufende Bandanteile zwischenzuspeichern. Die Niederhalterolle 23 in Figur 5 von D6 dient daher einem über den Zweck der Niederhalterolle in D3 hinausgehenden Zweck, und nicht lediglich als Einfädelhilfe eines Bandkopfes in einen Induktionsofen zur Vermeidung von dessen Beschädigung aufgrund von Skibildung am Bandanfang.
Folglich besteht keinerlei Veranlassung ausgehend von D6, die in D3 beschriebene Richtrollen alternativ zu der Niederhalterolle einzusetzen.
Ferner ist kein Anreiz und keine Motivation dafür in D6 erkennbar, die in D3 beschriebenen Richtrollen in einer Walzstraße für den Endlosbetrieb gemäß Figur 5 der D6 zusätzlich zu der Niederhalterolle 23 einsetzen.
Es ist ferner auch kein Grund erkennbar, warum ein derartiger Anreiz in Unkenntnis der Erfindung aus dem allgemeinen Fachwissen ableitbar sein sollte.
3.2.6 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist daher ausgehend von D6 unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens oder der Lehre in D3 nicht naheliegend.
3.3 Zu der in der Mittelung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 geäußerten Ansicht der Kammer, dass die alternativen Angriffslinien ausgehend von D4, D5, D9 in Hinblick auf den Gegenstand des Hilfsantrags 1 jeweils nicht erfolgversprechender als D1 zu sein scheinen und sich daher deren Diskussion zu erübrigen scheine, hat die Beschwerdeführerin keine Gegenargumente vorgebracht, sondern in der Verhandlung bestätigt, dass die Angriffe ausgehend von D1 bzw. D6 in der Tat die aussichtsreichsten seien.
Die weiteren Angriffslinien können daher in dieser Entscheidung unberücksichtigt bleiben.
3.4 Die Kammer gelangt somit zu der Ansicht, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ einer Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf Basis der Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1 nicht entgegensteht.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung
zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 16 des Hilfsantrags 1, eingereicht mit
der Beschwerdeerwiderung vom 5. März 2018,
- Beschreibung Seiten 2 bis 7 eingereicht in der
mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer,
- Zeichnungen Blatt 1 bis 5 wie erteilt.